25. Kapitel
Espasa. Es ging um sie.
Ich brauchte ein paar Momente, um zu realisieren, was das zu bedeuten hatte. War alles, was ich bisher zu wissen geglaubt hatte, eine Lüge gewesen? War ich gar nicht das Pokemon, von dem in der Prophezeiung die Rede gewesen war? Auf einmal ergab es Sinn.
Licht hat das Siegel erschaffen, Dunkelheit wird es brechen. Das war der genaue Wortlaut gewesen. Das Licht, von dem gesprochen wurde, war Espasas Mutter Espoir gewesen. Und laut Devoira sah man Dunkelheit erst dann, wenn Licht verschwunden war. Espoir war gegangen und hatte Espasa zurückgelassen.
Wenn das stimmte, was hieß das für mich? War ich nun gerettet? War ich in Sicherheit? Oder war ich immer noch in Gefahr?
"Was?", Espasa klang genauso verwirrt, wie ich mich fühlte, nur kam bei ihr noch ein erschöpftes Ächzen hinzu. Anscheinend war Salazandoras Angriff nicht einfach so ohne weiteres an ihr vorbeigegangen.
"Samantha, ich glaube, wir sollten es ihr erklären."
Leicht belustigt stieß der Drache seinen Stellvertreter in die Seite. Samantha schnaubte auf. "Wenn es den sein muss." Sie wandte sich Espasa zu. "Seit dem Moment, in dem ich dir den Auftrag gab, Kaito gefangen zu nehmen, wusste ich, dass du diejenige bist, die der Meister zu seinem Aufstieg braucht. Wenn ich ehrlich bin, wusste wir beide, Salazandora und ich, es schon viel früher. Die Seele deiner Mutter hat unseren Meister verbannt, welche Seele könnte ihn also befreien, wenn es nicht deine ist?"
"Aber wir konnten dir das natürlich nicht sagen", stimmte Salazandora mit in Samanthas Erklärung ein, "Treue hin oder her, du warst nie stolz genug, um dein Leben für das Wohl der Allgemeinheit zu opfern. Also mussten wir dich irgendwie bei Laune halten. Wir haben also unsere treusten Untergebenen, Jolt, Sylv, Vapo und ein paar andere, um uns versammelt und ihnen von unserem Problem erzählt. Sylv hatte daraufhin die Idee, dir einen falschen Gefangenen aufzubrummen. Jolt fügte hinzu, dass es ein Unlicht-Pokemon mit Familie sein sollte. Durch seinen Typen würde es auf die Prophezeiung passen und durch seine Familie würde es versuchen, zu entkommen - das würde dich auf Trab halten und du würdest mehr Zeit damit verbringen, dich über deinen Gefangenen aufzuregen, als über deine Zukunft und deine Vergangenheit nachzudenken. Wir suchten also nach einem Pokemon von Typ Unlicht, dass einen Grund hatte zu fliehen und möglichst schwach war, damit wir ansonsten keine großen Schwierigkeiten mit ihm haben würden. Der finale Tipp kam dann von Vapo."
Sie warf einen Blick über die Schulter, wie als wolle sie überprüfen, ob ich auch ja noch da war. Aber was sollte ich auch tun? Alle Ausgänge waren versperrt, zudem war ich in Gesellschaft von vier durchtrainierten Pokemon, die jeweils spielend mit mir fertig werden würden.
"Ihr...wollt mich umbringen?", Espasas Stimme war dünn und ihre Beine zitterten, aber ihre Augen glänzten kämpferisch. Irgendetwas hatte sie vor. Sie wartete nur auf den richtigen Moment.
"Umbringen nicht", säuselte Samantha, "Nur in einen ewigen Schlaf schicken."
Und das war ihr Moment. Darauf hatte Espasa gewartet. Sie stieß sich vom Boden ab, rammte sich mit voller Kraft gegen das Brutalanda, stieß Samantha zur Seite und flitzte weiter, zu dem Vorsprung, der über das Loch ragte, bis ganz an die vorderste Spitze. Dort angekommen drehte sie sich wieder um.
"Gut", fauchte sie rebellisch. "Dann werde ich jetzt springen. Ihr beide wisst, dass der Schlafsaal darunter mindestens....das es da ziemlich tief ist. Ich überlebe das nicht. Dann ist meine Seele weg." Ihre Augen glänzten triumphierend, als Samantha und Salazandora einen fragenden Blick tauschten.
"Espasa, Liebes", fing Salazandora dann freundlich wieder an, "Das wirst du nicht tun. Dein Leben ist dir doch nicht so wenig wert, oder etwa doch? In unserer neuen, wunderbaren Welt werden wir sicherlich eine Möglichkeit haben, dich wieder zu wecken und dir all das zu ermöglichen, was wir dir je versprochen haben."
"Das glaubt ihr doch wohl selbst nicht", knurrte Espasa, und als Samantha einen Schritt auf sie zumachte, fauchte sie noch einmal auf: "Bleib mir ja von Leib!"
Mir wurde vom Zusehen schwindelig. Ich wollte irgendwie eingreifen, hatte aber keine Ahnung wie. Espasa sollte nicht sterben, das hatte sie nicht verdient. Andererseits schien es im Moment der einzige Ausweg zu sein, wenn wir die Welt nicht ins Unheil stürzen wollten.
Ich hatte noch keine eindeutige Antwort gefunden, als auf einmal ein greller Blitz durch mein Sichtfeld zuckte. Helles, weißes Licht, mit atemberaubender Geschwindigkeit. Weiße Schliere hinter sich herziehend raste dieser Blitz durch die Höhle, zum Rande des Loches, wo er sich abstieß und durch die Luft zu fliegen schien. Im nächsten Moment traf er seitlich gegen Espasa und riss sie mit sich.
Mein Atmen stockte, als die beiden Pokemon, eines nach wie vor in Licht gehüllt, durch die Luft flogen und setzte erst wieder ein, als sie mit einem dumpfen Knacken auf der anderen Seite des Loches wieder aufschlugen. Espasa wurde zu Boden geschleudert, das Licht blieb über ihr stehen. Das weiße Leuchten verschwand und entblößte schlanke, zartrosa Beine, einen wendigen Körperbau und weiße Bände, die sich sofort um Espasas Vorderpfoten schlangen und diese zu Boden drückten. Sylv. Ich hatte sie im Eifer der Ereignisse komplett vergessen.
"Du wirst hier gar nichts tun!", zischte sie und bleckte ihre Zähne. Ihre Augen schimmerten merkwürdig violett und etwas Trübes, Schwarzes lag darin.
Die anderen schienen es auch gesehen zu haben.
"Was passiert mit ihr?", keuchte das Katzenpokemon, Lieparda oder so, aus dem Hintergrund. Salazandora schien sehr viel entspannter zu sein. "Der Meister ergreift Besitz von ihr", erklärte sie, sichtlich erfreut, "Das macht er manchmal. Wir gehen davon aus, dass er das schon mehrfach getan hat. Zum Beispiel bei Slashy, als er das Erdbeben ausgelöst hat."
Mir wurde noch schlechter, als ich mich daran erinnerte, wie ich einmal auf Espasa losgegangen war. Damals war auch die Rede davon gewesen, dass ich besessen gewesen sei.
"Er kann das auch auf Distanz, durch die Kristalle, die wir zur Beleuchtung verwenden", fuhr Salazandora unbeirrt fort, "Er kann das mit jedem tun."
"Ein Zeichen, dass er immer noch unter uns ist!", jauchzte Samantha fast schon jubelnd. "Los Sylv, bring es zu Ende!" Die Vorstellung, dass sie Espasa nun doch noch gefangen hatten, schien die beiden Drachen in eine Art Ekstase zu versetzten. Sie sahen sich schon am Ziel.
Niemand achtete mehr auf mich, das kleine Nachtara am Rande.
Mir war bewusst, dass das der richtige Moment war, wenn ich etwas tun wollte. Hier und jetzt. Ohne groß darüber nachzudenken fixierte ich Sylv, die mich von ihrer Position aus nicht sehen konnte, da sie mit dem Rücken zu mir stand und zudem voll und ganz damit beschäftigt war, die sich windende, zappelnde und fauchende Espasa auf dem Boden zu halten.
Ich presste meine Pfoten nur für wenige Bruchteile von Herzschläge gegen den Boden, nur um mich kraftvoll abstoßen zu können und so schnell ich konnte die kurze Distanz zwischen mir und Sylv zu überwinden. Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, schmiss ich mich gegen das zarte Pokemon und rammte meine Vorderpfoten so heftig gegen ihren Hinterkopf, dass sie aufquietschte und nach vorne wegstolperte, wobei sie mich mitriss. Und überschlagend rollten ich und Sylv über den Boden, wobei ich das Glück hatte, meistens von ihr abgefedert zu werden und mit meinen Pfoten wie ein Bekloppter auf sie eintrommelte. Ich hörte sie kreischen und ihre Knochen ein paar mal ungesund knacken, bevor wir gegen eine Wand prallten, die uns abrupt abbremste. So schnell ich konnte, befreite ich mich von ihr und sprang zurück auf die Pfoten, bereit, noch einmal zuzuschlagen und auf einen weiteren Glückstreffer zu hoffen. Doch das musste ich gar nicht. Sylv stieß nur ein dumpfes Stöhnen aus und blieb reglos an der Wand liegen.
Erst dann fiel mir ein, das Sylv nicht der einzige Gegner gewesen war und das mein Angriff, auf Glück basierend, vielleicht nicht die schlauste Idee gewesen war, wenn ich überleben wollte.
Hastig sah ich mich um und erblickte Espasa, die mein Einschreiten scheinbar für einen Überraschungsangriff auf Samantha genutzt hatte und sich nun einen heftigen Schlagabtausch mit dem Brutalanda lieferte. Salazandora griff zu meinem Überraschen nicht ein, sie hatte sich auf dem Felsvorsprung, auf dem sie ganz zu Anfang auch gesessen hatte, niedergelassen, die Augen geschlossen und mit einem schwachen blauen Leuchten umgeben, schwarze Nebelschwaden umwaberten ihren Körper. So merkwürdig das auch war, im Moment schien von ihr keine Gefahr auszugehen. Espasa sah zwar auch nicht so aus, als sei sie in Gefahr, aber sie schien sich gegen das deutlich größere Pokemon auch nicht durchsetzten zu können. Und so geschwächt wie sie war, würde sie früher oder später verlieren.
Fest entschlossen, einzugreifen und eventuell einen weiteren Überraschungsmoment nutzen zu können, sprintete ich in Richtung der Kämpfenden. Von draußen, durch die Fäden, die das Loch verschlossen, hörte ich verzweifelte Rufe von Pokemon. Sie konnten zwar nicht sehen, was sich in der Höhle abspielte, aber sie schienen zu spüren, dass etwas ganz gewaltig schief lief. Allerdings waren sie wohl nicht in der Lage, einzugreifen - oder sie wagten es einfach nicht.
Ich hatte Espasa und Samantha schon fast erreicht und setzte gerade zum Sprung an, als mich messerscharfe Krallen am Schweif packten und zurückrissen. Ich schlug unsanft auf und mir wurde für einen Moment die Luft geraubt. In der nächsten Sekunde sah ich die grünen Augen des vierten, mir unbekannten, Katzenpokemon aufblitzen, konnte gerade noch erfassen, wie sie ausholte, dann traf mich ein Schlag ihrer schlanken Vorderbeine und schleuderte mich nach hinten. Wie auf Eis rutschte ich über den Boden, das raue Gestein schrammte meinen Bauch auf und zeriss mein Fell, bis es urplötzlich nicht mehr weiterging. Und zwar nicht, weil ich gegen eine Wand geschlagen war, sondern weil auf einmal kein Boden mehr da war, über den ich rutschen konnte. Ich hatte gerade noch Zeit, zu registrieren, dass ich drauf und dran war, in das Loch rund um den mysteriösen Kristall zu stürzen. Kreischend paddelte ich mit den Pfoten, meine Ballen schlugen gegen raues Gestein und der dunkle Nebel nahm mir die Sicht. Ich fühlte, wie ich fiel, dann erwischte ich irgendetwas, was nicht nachgab, und presste meine Zehen so gut ich konnte dagegen. Mein Fall stoppte spontan und ich machte mich sofort daran, mich nach Kräften wieder nach oben zu ziehen. Meine Hinterbeine hingen in der Luft, meine Vorderpfoten alleine gaben mir Halt an dem Abhang. Ich schaffte es, meinen Kopf aus dem Nebel zu ziehen und hatte nun wieder einen groben Blick auf die Höhle. Das Katzenpokemon hatte sich abgewandt und schien nun, wie ich zuvor, dem Kampf zwischen Samantha und Espasa beitreten zu wollen.
Meine Vorderbeine brannten vor Schmerzen, ich kniff die Augen zusammen und kniff vor Anstrengung die Augen zusammen. Ein angestrengter Schrei entwich meiner Kehle.
Glace.
Das war alles, woran ich denken konnte. Das Bild meiner Freundin blieb vor meinem inneren Auge. Ich wollte sie nicht verlieren, nicht jetzt, nicht hier. Wie ein Irrer zerrte ich meinen eigenen Körper nach oben.
Keuchend riss ich die Augen auf und schnappte nach Luft. Ich hatte bereits meinen halben Oberkörper aus dem Loch gezogen, als das Katzenpokemon bemerkte, dass sie mich nicht endgültig ausgeschaltet hatte. Mit einem Fauchen stürmte sie zurück zu mir, fuhr ihre Krallen aus und hämmerte auf meine mich haltenden Pfoten ein. Aus der Nähe erkannte ich eine lilane Körperfärbung, gelbes Brustfell und rosane Gesichtsmuster.
"Gibt's auf!", fauchte sie, "Lass endlich los! Du kannst es nicht ändern!"
Erneut schrien ich vor Schmerzen auf und ohne es wirklich kontrollieren zu können, riss ich den Kopf nach oben und schnappte nach ihr. Ich erwischte ihr Pfote, die sie gerade gehoben hatte, um nach mir zu schlagen, und nutzen den Schwung, den sie in ihr Ausholen gepackte hatte, um auch meine Hinterpfoten aus dem Loch zu ziehen.
Sie schnaubte auf, halb verärgert, halb überrascht und riss wie wahnsinnig an ihrer Pfote, um sie aus meinem Biss zu befreien. Ich allerdings riss den Kopf herum und schleuderte sie genau dahin, wo eben noch ich gewesen da, und öffnete dabei meine Kiefer. Das Katzenpokemon realisierte zu spät, dass sie nun das Schicksal erleiden würde, das sie eigentlich für mich geplant hatte. Kreischend wurde sie vom Nebel verschlungen, ihren Aufschlag hörte ich nicht.
Taub von dem Gedanken, dass ich gerade vermutlich ein Pokemon getötet hatte, wandte ich mich wieder herum. Jetzt war eh alles egal. Ich war einmal ein unschuldiges Nachtara gewesen, und jetzt war ich ein Mörder.
Mein Blick schweifte über die Umgebung, während ich versuchte, mich mit dem Gedanken zu trösten, dass sie mich vermutlich in den Abgrund geschleudert hätte, hätte ich es nicht mit ihr getan.
Samantha schien den Schrei des Pokemons auch gehört zu haben, denn sie wandte für einen Moment ruckartig den Kopf in die Richtung des Abgrundes.
Espasa erkannte ihr Chance und nutze sie blitzschnell, indem sie nach oben sprang, ihren Diamanten aufblitzen ließ und sich von gleißendem Licht umgab. Ich erkannte die Attacke sofort. Sie hatte sie einmal gegen mich eingesetzt, als ich mich gegen sie aufgelehnt hatte. Das spitze Licht traf Samantha unvorbereitet und schien förmlich zu explodieren, als es mit dem Pokemon in Berührung kam. Der Druck feuerte Samantha nach hinten, sie verlor den Halt auf ihren Beinen und fiel mit einem letzten Grollen zu Boden. Dumpf schlug sie auf dem Boden auf.
Ich nutzte die Chance für einen hastigen Blick auf meinen Bauch, um meine Verletzungen zu überprüfen. Aber außer ein paar abgeschliffene Fellfetzen, kleinen Steinchen und vereinzelten Blutschliere konnte ich keine großen Verletzungen feststellen. Also sah ich zurück zu Espasa, die keuchend den Kopf gesenkt hatte. Ihre Beine zitterten, aber dieses Mal nicht vor Wut oder Angst, sondern vor Erschöpfung. Sie würde sich nicht mehr lange auf den Pfoten halten können. Ich wollte schon zu ihr eilen, um sie zu fragen, ob alles in Ordnung war, aber dazu kam ich gar nicht, denn ein Grollen unterbrach mich.
"Genug jetzt."
Es war Salazandora. Sie hatte die Augen aufgeschlagen, grelles, blaues Licht umgab sie. Der schwarze Nebel peitschte in Böen um sie herum, wie als stünde das Pokemon inmitten eines Wirbelsturms aus dunklem Wind.
"Schön und gut, ihr habt drei ausgeschaltet", knurrte sie, ihre Stimme halte von den Wänden wieder, so laut sprach sie. "Aber hier ist das Ende eures Kampfes." Sie erhob die Stimme zu einem Donnern. "Spürt die Macht meines Meisters!"
Sie fixierte ihren Blick auf Espasa, die hinter mir stand. Hastig drehte ich den Kopf, um ihr irgendeine unnötige Warnung zu zurufen, stellte aber entsetzt fest, dass ihre Vorderbeine nachgegeben und sie zu Boden gezwungen hatten. Ihre Augen waren zusammengekniffen und ihren Kopf hatte sie gesenkt.
Entgeistert stellte ich fest, dass sie sich mit ihrem Zusammenbrechen scheinbar in ihr Schicksal gefügt hatte. Sie hatte aufgegeben, ihr Körper hatte ihr vermittelt, dass es nicht mehr weiterging. Sie konnte nicht mehr. Salazandora hatte recht: Ihr Kampf war vorbei. Mit einem grausigem Gefühl im Magen stellte ich fest, dass der Rest nun an mir lag. Ob wir überleben oder sterben würden, lag nun alleine in meinen Pfoten.
Und in diesem Moment hatte ich einen Geistesblitz. Es war die letzte Hoffnung, die wir noch hatten.
Salazandora plante vermutlich, sich mit voller Kraft nach vorne, entweder auf mich oder auf Espasa zu stürzen und einen von uns somit entweder endgültig außer Gefecht zu setzten oder umzubringen. Ausweichen brachte nichts. Sie hatte Flügel, sie würde ihren Angriff kontrollieren können. Und wenn ich auswich, dann musste Espasa dran glauben. Abwehren war auch sinnlos. Es gab nur eine Möglichkeit: Man musste den Angriff mit der gleichen Kraft erwidern.
Ich hatte es noch nie geschafft. Aber ich musste.
Schmarotzer. Es musste jetzt klappen.
Meinen Gegner fest im Blick ging ich ein Stück in die Knie und drückte mich fest gegen den Boden. Gleich würde ich mit all meiner Kraft losstürmen müssen. Die Worte eines alten Bekannten meiner Eltern, der mir die Attacke einst beigebracht hatte, halten schleierhaft in meinem Kopf wieder.
Ich kniff die Augen zusammen, konzentrierte mich auf jedes Zucken von Salazandora. Wenn ich nur eine Sekunde zu spät losstürmen würde, dann wäre alles verloren. Der Moment zählte.
Salazandora brüllte und raste los. Keine Sekunde später sprintete ich nach vorne.
Wir trafen in der Mitte der Höhle auseinander, mit einer entsetzlichen Gewalt. Ich hatte die Kraft ihres Angriffs zwar vorher abgeschätzt, aber diese Wucht hatte mein Gehirn sich nicht vorstellen können. Mit allen Muskeln angespannt versuchte ich, ihre Kraft standzuhalten. Der Drache schrie, wie als habe sie den Verstand verloren.
Und dann, urplötzlich, ließ der Druck nach und ich spürte nur noch, wie eine entsetzliche Kraft mich nach hinten schleuderte. Mein Flug dauerte nur wenige Sekunden, dann kollidierte ich mit den Fäden, die den Eingang der Höhle verschlossen. Ich merkte, wie ein paar rissen, mein Schwung aber erstaunlich gut abgefedert wurde. Ich dankte Arceus dafür, dass ich genau auf den Verschluss aufgeschlagen war, denn als ich nun nach unten klatschte, raubte mir der Sturz lediglich kurz den Atem und nicht mein Bewusstsein.
Ich wollte mich gerade aufrappeln, als ein ohrenbetäubendes Klirren durch die Höhle hallte, dann stieß mich eine Druckwelle zurück an die Wand und die Welt wurde schwarz.
Zuerst dachte ich, dass ich nun doch ohnmächtig geworden war, dann erkannte ich allerdings schemenhafte Umrisse von Wänden und Decke. Ich musste nach Luft schnappen, als mir klar wurde, dass nun der komplette Raum erfüllt war von schwarzem Nebel.
"Kaito?", hörte ich Espasa rufen, "Kaito, wenn du noch bei Bewusstsein bist, dann...."
Sie kam nicht weiter. Ein lautes Poltern schnitt ihr das Wort ab, und bevor ich mir überhaupt erschließen konnte, woher es kam, schlug ein Felsbrocken neben mir auf den Boden und hinterließ eine kleine Vertiefung. Ein weiterer Stein fiel von oben herab, ich konnte ihn nur sehen, wie er fiel, der Aufschlag machte sich nur als lautes Krachen bemerkbar.
Ich hatte gerade noch Zeit, einen erschrockenen Sprung in die Richtung zu machen, in der ich Espasa vermutete, dann erfüllte erneut ein lautes Grollen die Luft. Doch dieses Mal war es nicht das Geräusch eines Pokemon, es war das Geräusch der Höhle selbst. Wie als wären Wände, Decke und Boden auf einmal lebendig geworden.
Langsam, sehr langsam und mit einer sehr schlechten Vorahnung legte ich den Kopf in den Nacken und sah nach oben. Was sich als sehr sinnlos herausstellte, da der dunkle Nebel mir die komplette Sicht nahm. Aber schon Sekunden später bestätigte sich meine Befürchtung: Die Decke brach zusammen. Riesige Felsen brachen heraus und krachten donnernd zu Boden, Staub wirbelte auf und ließ mich husten und meine Augen tränen. Panisch warf ich mich auf den Boden und bedeckte meinen Kopf mit meinen Vorderpfoten. Das Rumpeln um mich herum wurde stärker, ich spürte die Druckwellen, wenn die Felsen aufschlugen, hörte das Krachen, gemischt mit Espasas Kreischen und den Schreien unzähliger Pokemon. Nur von Salazandora hörte ich nichts mehr.
Irgendetwas hartes streifte meine Flanke, reflexartig rollte ich mich zur Seite und spürte auf einmal keinen Boden mehr. Zum zweiten Mal in kurzer Zeit fiel ich, wild mit den Pfoten rudernd.
Ich spürte Gestein über meine Ballen streifen, fand aber nirgendwo Halt. Ich sah meinem nahen Tod schon wieder ins Auge, als ich ruckartig gebremst wurde.
Ich spürte leichtes Ziehen und warmen Atem in meinem Nacken, dann wurde ich langsam wieder nach oben gezogen. Immer noch strampelt war ich überrascht, auf einmal festen Boden zu spüren und stütze mich ab, zitternd blieb ich stehen, dann öffnete ich die Augen.
Gleißendes Sonnenlicht blendete mich, frische Luft schlug in meine Lungen. Es musste kurz nach Sonnenaufgang sein, das erkannte ich an der Farbe des Lichtes und der Kälte, die der Wind mit sich brachte. Es erstaunte mich, dass ich das nach so langer Zeit in der Dunkelheit noch so gut erkannte.
Staub und Überreste von dunklem Nebel waberten herum und trübten die Luft. Um mich herum befanden sich nur noch Steinbrocken, lose, flatternde Fäden und Kristallsplitter. Das Grollen war immer noch da, nur inzwischen schien es tief unter mir zu sein. Um den Haufen Brocken herum ragten Steinplatten in den Himmel, ich schien mich in einer Art Krater zu befinden.
Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass Espasa neben mir kauerte. Ihr Fell war bedeckt mit Staub, was ihm eine bräunlich-graue Färbung verlieh, sie keuchte und schien von sämtlicher Kraft verlassen, während ihre Augen fest zusammengekniffen waren.
"Es ist so hell", japste sie, "Es ist so unglaublich hell."
"Das ist die Sonne", antwortete ich erschöpft, dann fiel mir auf, dass wir eben noch in einer dunklen Höhle gefangen waren und uns einen Kampf mit Salazandora geliefert hatten. "Was ist passiert?"
"Ich weiß nicht genau, was du gemacht hast", fing Espasa an, die Augen noch immer geschlossen, "Aber irgendwie warst du wohl in der Lage, Salazandora nach hinten zu schleudern. Sie ist mit ihrer kompletten Kraft in den Beschwörstein gekracht und hat ihn zerplittert. Die daraus entstandene Druckwelle hat uns dann wohl den Berg weggesprengt."
Der Staub lichtete sich ein wenig und ließ das Licht der aufgehenden Sonne auf uns herabfallen. Ich erkannte nun auch, dass überall um uns herum Pokemon aus den Trümmern krochen und verzweifelt nach Angehörigen riefen.
"Was ist der Beschwörstein und was für einen Berg?", erkundigte ich mich weiter. Die Welt außerhalb meiner Gefangenschaft sah so surreal aus. So real. So wunderschön. So hell.
"Der Beschwörstein ist der Stein, durch den Darkrai mit und kommuniziert hat und mit dem wir ihn wiederbeleben wollte." Ihr Atem beruhigten sich langsam. "Durch seine Zerstörung kann er nicht wieder zurückkehren, er ist nach wie vor in die Splitter gebannt, hat aber viel Kraft verloren. Und der Berg....naja, unsere Höhle lag in einem Berg. Der Beschwörsaal, der Raum, in dem wir eben waren, lag ganz oben und die Trümmer der Decke haben dann den Boden durchschlagen. Dadurch ist alles zusammengebrochen. Ich weiß nicht, wie wir das überlebt haben, aber ich hab nur gesehen, wie du gefallen bist, und habe dich festgehalten. Dann war es auch schon vorbei."
Sie öffnete die Augen, blinzelte ins Sonnenlicht hinein.
Ich hob den Kopf und betrachtete den blauen Himmel. Er war wolkenlos und so blau, wie er nur an kalten Herbsttagen sein kann. Ich holte tief Luft, die Kälte brannte in meinen Atemwegen.
"Also sind wir jetzt frei?"
Mühevoll kämpfte das Psiana sich auf die Pfoten und schüttelte sich.
"Wenn wir schnell genug weit genug wegkommen, dann ja."
Ich tat es ihr gleich, rappelte mich auf und überprüfte kurz, ob all meine Körperteile noch funktionstüchtig waren. Waren sie, zumindest die wichtigsten. "Dann sollten wir und beeilen", schlug ich vor.
Seite an Seite schlüpften wir durch die Trümmer und kraxelten den Kraterrand nach oben. Vor uns erstreckte sich eine kleine Ebene, tiefer gelegen, dann ein Wald auf einem Hügel. Ich kannte diesen Wald, bei seinem Anblick wurde mir warm ums Herz. Hier hatte ich vor gar nicht so langer Zeit mit meiner Freundin gespielt und eine schöne Zeit gebracht.
Freiheit.
Es fühlte sich so surreal an.
Obwohl wir aus der Sonne waren, war es im Wald wärmer als auf freier Fläche. Die Bäume schienen Wärme auszustrahlen, und der moosbedeckte Boden war weich, als ich und Espasa uns zu einer kurzen Rast niederließen.
"Das ist also ein Tag", murmelte Espasa in sich hinein, "Das ist also ein Tag an der Oberfläche."
Ich wollte gerade etwas erwidern, als ein Rascheln in den Büschen mich verstummen ließ. Erschrocken streckte ich die Nase in die Luft, stockte als mir ein vertrauter Geruch in die Nase stieg, und als dann auch noch eine zarte Stimme "Shine?" rief, war es um mich geschehen.
"Glace", stieß ich hervor, sprang auf die Pfoten und auf den entsprechenden Busch zu. Wild schlug ich die Äste zur Seite, bis ich dann endlich vor ihr stand.
Glace. Meine Freundin Glace.
Ihre Augen hatten hoffnungsvoll geglänzt, aber als ihr Blick auf mich fiel wandelte sich die Hoffnung zu Entsetzten.
"Shine", wiederholte sie fassungslos, "Was ist mit dir passiert?" Sie streckte den Kopf und lugte an mir vorbei. "Und wer ist dieses Pokemon?"
"Das ist Espasa...sie hat mich entführt", erklärte ich atemlos. Mein Herz raste. Ich hatte nicht damit gerechnet, Glace noch einmal lebend wiederzusehen. "Dann haben sich ihre Komplizen gegen sie gewendet und wir haben ihre Höhle gesprengt."
Glace kniff ihre Augen zusammen. Misstrauen blitze darin auf.
"Aha...", murmelte sie zweifelnd.
"Er sagt die Wahrheit", hörte ich auf einmal ein weitere vertraute Stimme, die mich erstarren ließ. Keinen Herzschlag später schob sich Sylv durch die Blätter des Unterholzes. Sie hüpfte auf zwei Pfoten, ihr Hinterbein zog sie hinter sich her und ihre linke Vorderpfote presste sie an ihre Brust, jeder Schritt schien zu Schmerzen. Ich konnte es zwar nicht genau erkennen, meinte aber, Glace erblassen zu sehen.
"Sylv", begrüßte sie dann meine alte Bekanntschaft überraschenderweise mit Namen, "Du lebst also auch noch."
"Leider ja, Liebes,", Sylv ließ sich nieder und setzt ihre Pfote vorsichtig ab, "Auch, wenn ich dank deines hinreißenden Freundes Schmerzen habe, wie als habe mich ein Stolloss überrannt. Wir haben uns vorhin einen kleinen Kampf geliefert."
Glace schwieg. Sie schien immer noch zu zweifeln.
"Sind das...diese...Komplizen...zählst du da dazu?", fragte sie dann vorsichtig. Sylv kicherte einmal kurz.
"Exakt", bestätigte sie dann, "Das sind genau diese "dunklen Kreise", von denen Mutter immer gesprochen hat, wenn sie mal wieder ausführte, wie enttäuscht sie doch von mir war."
"Zu Recht", schnaubte Glace und schnellte hoch. Sie hatte zuvor leicht auf dem Boden gekauert.
"Wenn ihr einfach so Kaito entführt!"
Überrascht hob Sylv den Kopf. "Du glaubst mir?", fragte sie überrascht, "Das ist ja ganz was Neues, Schwesterherz."
"Warte", schaltete ich mich ein, "Glace, Sylv, ihr seid Geschwister?"
"Genau genommen sogar Wurfgefährten", bestätigte Sylv, bevor meine Freundin antworten konnte, "Aber ich habe dann irgendwann die Familie verlassen, weil ich mir bei Samantha und Salazandora eine bessere Zukunft erhofft hatte. Lange Geschichte, schlecht gelaufen." Sie erhob sich wieder und sah zu Glace. "Wenn ich dir noch etwas mit auf den Weg geben darf", meinte sie, deutlich sanfter, "Dann, dass du Kaito vertrauen solltest. Einen Freund, der so mutig und treu ist, findest du in dieser Welt nicht noch einmal." Sie drehte sich um, schob mit einem ihrer Bänder die Zweige zur Seite und humpelte davon. Wir beide sahen ihr nach.
"Kann ich dir vertrauen?", hörte ich Glace leise fragen. Ich schloss die Augen.
"Mit deinem Leben."
Ich hörte sie seufzen, dann spürte ich sie aufstehen, und im nächsten Moment drückte sich ihr warmer Körper gegen meinen. Etwas nasses benetzte mein Fell.
"Es tut mir leid", flüsterte sie gegen meine Brust, "Nur du warst so lange weg, ohne ein Wort zu sagen, und ich habe mir Sorgen gemacht und Vapo hat gesagt..."
"Ich weiß, was Vapo gesagt hat", fiel ich ihr ins Wort, "Er hat gelogen. Bitte Glace, vertraue mir. Du bist die einige Liebe in meinem Leben und das wirst du auch bleiben."
"Mach dir keine Sorgen, Kleines." Ich riss erschrocken die Augen auf, als Espasa auf einmal vor mir und Glace stand. Sie hatte ihr Fell geputzt und schien allgemein in der kurzen Zeit erstaunlich viel neue Kraft gesammelt zu haben. "Du siehst mich eh nie wieder."
Glace hob ihren Kopf von meinen Rippen und sah das Psiana an, Unsicherheit spiegelte sich in ihren Augen wieder. "Warum?", fragte sie vorsichtig.
"Weil ich auf eine Reise gehen werde", Espasa ließ ihren Blick über die Baumwipfel schweifen, "Diese Welt ist so groß und schön, und ich hatte nie die Gelegenheit, all ihre Wunder und Grausamkeiten mit eigenen Augen zu sehen. Hier werde ich eh nicht gebraucht, und außerdem würde es mich nicht wundern, wenn ein paar sehr üble Pokemon hinter mir her sind. Ich hab zwar bisher noch nichts von Samantha und Salazandora gesehen, also sind sie wahrscheinlich tot, aber mich würde nicht wundern, wenn irgendwer auf Rache aus ist. Also mach ich mich besser vom Acker." Ihr Blick traf auf mich. "Entschuldige die schnelle Verabschiedung, aber meine Zeit läuft ab. Ich würde uns eh nicht als gute Freunde bezeichnen." Nun schlich sich doch noch ein Lächeln auf ihr Gesicht. "Wobei ich mir das noch einmal überlegen würde, nachdem ich gesehen habe, was du mit Sylv gemacht hast."
"Das war Zufall", meinte ich und zuckte mit den Schultern, "Aber ich wünsch dir trotzdem alles Gute auf deiner Reise. Ich werde hier bleiben", ich warf einen Blick auf Glace, "Ich habe Prioritäten. Aber pass dennoch auf, dass du nicht vom schwächsten Unlicht-Pokemon der Umgebung so brutal zusammengeschlagen wirst, dass es sich anfühlt wie als habe dich ein Stolloss überrannt."
Espasa schien meine Anspielung zu verstehen, denn sie kicherte zunächst leise los, dann steigerte sie sich zu einem leisen Lachen, das immer lauter wurde.
"Mach ich", prustete sie, "Und du, pass gut auf deine Glace auf."
"Mach ich", wiederholte ich ihre Worte und konnte gar nicht anders, als in ihr Lachen mit einzustimmen. Dies führte dazu, dass wir uns mehr hineinsteigerten und bald das gesamte Unterholz von unserem Gelächter erfüllt war.
Glace starrte mit offenen Mund von mir zu Espasa und von Espasa wieder zu mir. Sie schien nicht zu verstehen, was genau so lustig war, dass ich und Espasa uns nicht mehr einkriegen konnte. So genau wusste wir das auch nicht. Es war einfach die Tatsache, dass wir nun frei waren. Das wir schlafen konnten, ohne von ewigen Albträumen geplagt zu werden, und das konnte Glace natürlich nicht verstehen.
Doch plötzlich stieß sie auf und kicherte. Und kicherte weiter. Immer lauter. Und dann lachte wir alle drei, wie als hätten wir den Verstand verloren.
~
Es ist vollbracht. Nachdem ich nun also viel zu viel von meinem Schlaf geopfert habe, um dieses Kapitel zu beenden, hoffe ich nun, dass dies ein würdiges Ende für Angel of Darkness ist. Ich will auch gar nicht so viel sagen, es wird noch ein Epilog und ein Nachwort folgen, also wünsche ich euch an dieser Stelle nun nur noch eine gute Nacht. Oder einen guten Morgen oder einen guten Tag, wann auch immer ihr das lest^-^)/
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