19. Kapitel
Die kalte Herbstluft schlug mir entgegen und die harte Erde schürfte über meine Flanken, aber meine Pfoten pulsierten in freudiger Erwartung und mein Herz hämmerte förmlich von innen gegen meinen Brustkorb, immer stärker, je näher ich dem erlösenden Licht kam. Ich versuchte, all meine Zweifel hinter mir zu lassen. Was, wenn sie mich suchen würden? Was, wenn sie mich noch einmal finden würden? Was, wenn ich dadurch auch andere Pokemon, die mir nahestanden, in Gefahr bringen würde? Ich schob diese Gedanken weg. Ich hatte nun die Chance, zu entkommen, und ich hatte sie nur einmal. Also Augen zu und durch.
Ich konnte die kalte Luft schon fast auf meinen Wangen spüren, als ich auf einmal einen harten Aufschlag vor mir auf dem Boden spürte und deswegen erschrocken die Augen aufriss. Eine dunkel Gestalt hatte sich zwischen mir und dem befreiendem Licht aufgebaut und überragte mich um mindestens eine komplette Körperlänge. Das Pokemon, dass ich nach einer kurzen Schrecksekunde erkannte, besaß einen geschmeidigen, aufrechten Körper und eine dunkelgraue Färbung. An den kräftigen Beinen und den schlanken Armen befanden sich rote Krallen, die scharf und sehr gefährlich aussahen. Die blauen Augen, die mich aus dem spitzen Gesicht des fuchsähnlichen Wesens anfunkelten, besaßen eine schmale Umrandung im gleichen Rotton, welcher auch die lange, haarähnliche Mähne des Pokemons zierte. Genau diese Mähne ging ihm bis zu den Knien und die roten Haare hatten dunkelgraue Spitzen, gegen Ende des Fells wurde die Mähen zusätzlich von einem hellblauen Reif zusammengehalten und endete danach in einem spitzen Bündel.
Ich konnte gerade noch bremsen und kam stolpernd vor dem Pokemon zum stehen, legte die Ohren an und sah zu ihm hinauf. Das Pokemon sah auf mich hinab, ohne ein Wort zu sagen, die blauen Augen funkelten in der Dunkelheit. Sie war ein Weibchen, das erkannte ich auf den zweiten Blick, und sie schien nicht sonderlich begeistert davon zu sein, mich hier zu sehen.
"Pass auf, wo du hinrennst, Freundchen", knurrte sie nach einer gefühlten Ewigkeit und ließ ihre spitzen Zähne aufblitzen. "Du wärst fast in mich reinkracht."
"Ich..hab dich nicht gesehen", erwiderte ich entschuldigend und wich einen Schritt zurück. Wo auch immer dieses Pokemon gerade hergekommen war, ich wollte in keinem Fall Bekanntschaft mit ihren Krallen machen. Ich hatte in der Zeit meiner Gefangenschaft schon genug gelitten.
"Klar hast du das nicht", meinte sie und ich bildete mir ein, so etwas wie einen stolzen Unterton in ihrer Stimme zu hören, "Vor zwei Sekunden sah ich ja auch noch aus wie eine Tropfsteinsäule. Es ist der Sinn unserer Wachen, dass man sie nicht sieht."
Ich wagte einen Seitenblick an meiner Gegenüber vorbei und beäugte die Stalagnaten, die sich hinter ihr befanden, oder vielmehr befunden hatten. Denn nun zierte nur noch eine steinerne Säule den Ausgang in die Freiheit.
Ich hatte zwar schon einmal gehört, dass es Pokemon gab, die ihre äußere Gestalt verändern konnte, aber mir war bewusst gewesen, dass diese Fähigkeit einigen wenigen Exemplaren vorbehalten war. Ich hätte nie im Leben erwartet, dass solche Pokemon unter meinen Entführern waren oder gar von ihnen als Wachen eingesetzt wurden.
Mittlerweile war das unbekannte Pokemon einen Schritt näher an mich herangetreten und spreizte bedrohlich die Krallen.
"Wo wollten wir denn hin?", fragte sie provozierend, "Ich hoffe doch, wir hatten nicht vor, abzuhauen?"
Reflexartig wich ich zurück. Wenn es etwas gab, was ich in diesem Moment noch weniger wollte, als in die Höhle zurückzukehren, dann war es, die Krallen dieses Pokemons näher kennen zu lernen. Wobei mir natürlich auch unklar war, was mich nach meinem nun gescheiterten Fluchtversuch erwarten würde, aber ich war mir sicher, dass es mir auch nicht sonderlich gefallen würde.
"Ich...", setzt ich an, mir fiel aber nichts ein, was ich danach hinzufügen konnte, deswegen ließ ich die Ohren hängen und sah das andere Pokemon unterwürfig an. Sie knurrte laut und rammte dann mit einer unvorhersehbaren, schnellen Bewegung ihre Krallen nach vorne, in meine Schulter, was mich qualvoll aufschreien ließ. Aus einem Reflex, der mir unter anderem Tränen in die Augen trieb, riss ich mein Bein nach hinten und befreite meine Schulter somit aus ihren Klauen. Eine hellrote Blutspur lief durch mein Fell und meine Oberschenkel nach unten.
"Beweg dich", hörte ich sie knurren, während mir selbst die Sicht von den Tränen verschleiert wurde. Ohne ein Widerwort taumelte ich ein paar Schritte nach hinten, dann drahte ich mich um und hastete den Gang zurück in Richtung des Schachtes, den ich eben noch so mühsam hinaufgeklettert war. Anhand der tapsenden Schritte hinter mir erkannte ich, dass das unbekannte Pokemon mir folgte, vermutlich, um zu überprüfen, ob ich mich auch wirklich nicht aus dem Staub machte. Um ihr auch ja keine Chance zu geben, mir erneut ihre scharfen Krallen in den Körper zu rammen, sah ich krampfhaft nicht nach hinten, sondern hüpfte nur vorsichtig von Felsvorsprung zu Felsvorsprung, nach unten. Am Grund angekommen schlüpfte ich hastig in den Gang, der zurück ins Höhlensystem führte.
Das Pokemon führte, beziehungsweise schubste, mich zielsicher durch die Gänge, bis wir in einer Höhle standen, die mir schaurig vertraut war: Es war die Höhle von Espasa.
Das Psiana selbst war auch anwesend, sie hockte in einer Ecke, scheinbar nachdenklich, und mit gesenktem Kopf. Als wir jedoch eintraten, sah sie auf und drehte sich um.
"Kaito", begrüßte sie mich sichtlich unbegeistert, dann fiel ihr Blick auf meine Begleitung.
"Mirage? Was machst du denn hier?" Sie erhob sich und stolzierte durch den Raum zu uns und musterte mich von oben bis unten.
"Siehst du doch." Mirage, wie das seltsame Pokemon anscheinend hieß, ließ ihre dunkelroten Klauen im Dämmerlicht aufblitzen. "Er hat allem Anschein nach versucht abzuhauen. Und ich habe ihn zurück gebracht."
"Is ja gut, Mira." Espasa drängte sich zwischen mich und das Pokemon, wobei sie mich tiefer in die Höhle hinein stieß. "Du kannst jetzt gehen, er ist mein Gefangener."
"Dann pass besser auf deinen Gefangenen auf", schnaubte Mirage, dann drehte sie sich herum und war mit wenigen Sätzen in der Dunkelheit verschwunden. Espasa blickte ihr nah und seufzte. Sie wirkte fertig, erschöpft und müde.
"Was wolltest du, wo warst du?", fragte sie, ohne mich anzusehen. Ihr trüber Blick war auf den Boden gerichtet.
"Ich...", nach einer kurzen Denkpause entschied ich mich für die Wahrheit, "Ich war zuerst bei Sylv, dann hab ich zufällig einen Ausgang gefunden und wollte...", ich brach ab und senkte den Kopf. Irgendwie, aus einem Grund, den ich selbst nicht erklären konnte, fühlte ich mich schuldig. Als Junges war ich einmal aus unserer Höhle ausgebrochen und als meine Mutter mich gefunden hatte, hatte sie mich lange und lautstark ausgeschimpft. Genau so fühlte ich mich nun auch wieder. Als habe ich irgendwas getan, von dem ich ganz genau wusste, dass es verboten und gefährlich war. "...und wollte abhauen", vollendete ich schließlich meinen Satz, meine Ohren hatte ich angelegt. Espasa sah auch weiterhin nicht in meine Richtung.
"Du warst bei Sylv?", fragte sie tonlos, ohne auch nur die geringste Reaktion auf meine folgenden Worte, "Was hast du da gemacht?"
Stirnrunzelnd sah ich zu ihr. Meine Schuldgefühle von eben waren verschwunden.
"Wieso fragst du?", antwortete ich mit einer Gegenfrage. Um ein Haar hätte ich vergessen, dass Espasa ihren gesunden Pokemonverstand verlor, sobald es um Sylv ging.
Jetzt riss Espasa ruckartig ihren Kopf nach oben, der Blick ihrer leeren Augen traf auf meinen, härter als ein Eisenschweif. "Ach", giftete sie mich an, "Man wird ja wohl fragen dürfen. Weißt du Kaito, ich habe echt gedacht, das mit dir würde nicht so schwer werden. Eigentlich ist es das auch nicht - aber du machst mich fertig." Sie machte einen Satz nach vorne, ihre Nase stieß gegen meine und schubste mich einen Schritt nach hinten, während ihre Augen mich bitterböse anfunkelten. "Wieso hast du deinen Kampfgeist noch nicht verloren?", fauchte sie, "Warum machst du immer noch weiter? Warum hast du noch nicht aufgegeben? Du bist seit über einem Mondkreislauf hier drinnen. Wieso hast du noch nicht nachgegeben?"
Erneut blitzen ihre Augen auf, doch dieses Mal war es nicht nur blanke Wut. Es war etwas anderes, etwas Verletztes. Und wie schon so oft bekam ich eine Ahnung - eine Ahnung, das Espasa vielleicht nicht die war. für die sie sich aufgab. Das sie nicht so brutal und kaltherzig war, sondern das sich in ihrem Inneren noch etwas anderes verbarg. Ein Kern, den Espasa aus irgendwelchen Gründen nicht nach draußen lassen wollte.
Ich machte gerade den Mund auf, um etwas zu erwidern, irgendetwas, ich wusste selbst nicht was, da hatte Espasa auch schon ihre Augen zusammengekniffen, heftig den Kopf geschüttelt und sich abgewandt.
"Weißt du, Nachtara, mach doch was du willst."
Ohne mich anzusehen stolzierte sie aus ihrer Höhle. Ich sah ihr nach, bis auch ihre gespaltene Schweifspitze in der Dunkelheit verschwunden war. Espasa verwirrte mich zunehmend.
"Warum denkst du überhaupt darüber nach?", fragte ich mich leise selbst. Alles, was ich wollte, war zu Glace und meiner Familie zurückzukehren. Was Espasa zu ihrem seltsamen Verhalten bewegte, interessierte mich schließlich nicht. Es ging mich auch nicht an. Alles, was für mich zählte, war meine eigene Zukunft. Und die konnte ich schließlich nicht wissen.
Ich spitze die Ohren. Die Zukunft wissen? Das wäre etwas, was mir weiterhelfen konnte. Es konnte mir neue Hoffnung geben. Je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mein Plan.
Ich konnte nicht in die Zukunft sehen.
Ich nicht.
~
Frohe Weihnachten euch allen^^
Ich hoffe ihr habt einen schönen Tag, habt Spaß und freut euch über dieses Kapitel :D auch, wenn ich finde, dass das Ende nicht so gut gelungen ist, aber ich wollte nicht noch länger daran rumschreiben, weil es irgendwie nicht besser wurde. Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem^-^ also dann, einen schönen Tag (Wie ich bereits sagte) :3 genießt das Fest der Liebe <3
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