Kapitel 41
• N I C K •
"Gott", stöhne ich, als die Haustür aufgeht. Meine Hand fliegt instinktiv an den Kragen seines zugezogenen Kapuzenpullis, um ihn zu mir herunterzuziehen. Meine Hand legt sich auf seine Stirn.
Sam ist in voller Krankenmontur - ein übergroßer dunkelroter Hoodie, lange schwarze Trainingsshorts und schwarze Knöchelsocken - und seine Haut glüht unter meiner flachen Hand.
"Sam", schimpfe ich besorgt. "Warum bist du an die Tür gegangen?"
"Weil du geklingelt hast?"
"Und was ist mit Patrick?"
"Der ist ..." Er hustet sich beinahe die Seele aus dem Leib. "... Date. Er hat ein Date-"
"Und dann lässt er dich allein?", frage ich fassungslos. "Das kann ja wohl nicht wahr sein! Mich schickt er heute nachmittags weg, obwohl ich nach dir schauen wollte, und jetzt lässt er dich alleine?"
Er versucht meine Hand wegzuschieben, die noch immer an seiner Stirn ruht. "Du solltest mich besser nicht anfassen", gibt er mit rauer Stimme von sich. "Und außerdem ... Er hat mich nicht allein gelassen. Mom musste aber nochmal ins Büro und-"
Er verbrennt unter meiner Haut. "Und jetzt bist du trotzdem alleine."
Sam weicht von mir zurück, was mir einen Stich in der Brust versetzt. "Ich will nicht, dass du dich bei mir ansteckst", ergänzt er und schlingt die Arme um seinen Körper. Er fröstelt. Seine Haarspitzen sind feucht von Schweiß.
"Das sieht mir nicht nach einer einfachen Grippe aus. Wie hoch ist dein Fieber?", frage ich fürsorglich. Er geht hustend zur Seite, als ich über die Türschwelle trete. "Du solltest zurück ins Bett, Sam."
"Und du solltest gar nicht hier sein. Ich-"
"Ich bin genau da, wo ich sein sollte, Samuel. Ja, wir haben gerade das eine oder andere Problemchen in unserer Beziehung, aber ..." Ich schiebe ihn in Richtung Treppe, helfe ihm nach oben. "... Du wirst mich jetzt nicht los, bis es dir besser geht. Verstanden?"
"Aber ... Ich ..."
Ich sehe mir gerunzelter Stirn auf den Jungen vor mir, dann auf den Korb in meiner Hand, und dann wieder auf ihn. Selbst krank und mit Haaren, die so aussehen, als ob sie seit Jahren nicht mehr gekämmt wurden, wirkt er wahnsinnig anziehend auf mich.
Was stimmt nicht mit mir?
Mit klappernden Zähnen lässt er sich von mir in sein Schlafzimmer führen. Seine Augen sind rot gerädert vor Erschöpfung, und ich frage mich, ob er diese Nacht überhaupt Schlaf bekommen hat.
"Was hast du da überhaupt?", fragt er, als ich den Korb auf dem Boden abstelle, um ihm ins Bett zu helfen. "Spielst du ... Rotkäppchen?"
"Es freut mich, dass du deinen Humor wenigstens beibehalten hast", brumme ich, während er sich ins Bett legt. "Das ist Hühnersuppe und Tee, es soll helfen, dich wieder auf die Beine zu bekommen."
"Marissa hat", ein weiterer heftiger Husten durchfährt ihn, "Sie hat mir Suppe gekocht?"
"Ähm, warum gehst du nicht davon aus, dass ich ..." Sein darauffolgender Blick lässt mich verstummen.
"Süßer, ich kenne dich, aber noch besser kenne ich deine Großmutter", entgegnet er und versucht sich an einem Lächeln, was zwar kläglich scheitert, aber trotzdem tue ich es ihm nach.
"Und warum glaubst du, dass ich dir nicht auch etwas kochen kann?", hinterfrage ich gespielt gereizt, während ich den Topf aus den Korb hebe und auf den Nachttisch neben dem Bett abstelle. Ich nehme den Deckel ab und rühre mit einer Kelle, die ich von Zuhause mitgebracht habe, in der Suppe herum.
"Dafür riecht die Brühe viel zu gut", zieht er mich auf, als der Duft der Suppe aufsteigt.
"Mistkerl ..."
Sein amüsierter Blick weicht. "Du ... bleibst du wirklich bei mir?"
Ich strecke meine Hand aus und streiche ihm die feuchten Haare aus der Stirn. "Du wirst mich nicht los, Sam. Ich bleibe bei dir, bis ich sicher sein kann, dass es dir besser geht."
Seine Mundwinkel zucken. "Und was ist-"
"Meine Familie weiß Bescheid, dass ich bei dir bin und ... Ich habe vorsorglich mein Handy auf stumm gestellt. So bin ich nur im äußersten Notfall erreichbar, und habe sonst nur Augen für dich." Als er skeptisch schaut, werfe ich ein 'Versprochen' hinterher.
"Das ... hört sich gut an", meint er, bevor ihn ein weiterer Schüttelfrost durchfährt. Er zittert unkontrolliert, schwitzt durch zwei Decken und seiner Kleiderschicht hindurch.
Und während der Abend langsam vergeht und das Licht, das durch Sams Fenster hereinfällt, schwindet, bringe ich ihm ein heißes Tuch und überrede ihn, abwechselnd kleine Schlucke Tee und Hühnerbrühe zu trinken. Ich sitze am Bettenrand und helfe ihm dabei. Vorher habe ich Kissen unter seinen Oberkörper gelegt, um ihn aufrecht hinzusetzen.
Mittlerweile hat er sich abgefunden, dass ich hier bin. Genauso wie ich akzeptieren muss, dass er nicht zum Arzt möchte. Also bleibt mir nichts anderes übrig, ihn zuhause so gut wie es geht zu pflegen.
Patrick ist noch immer unterwegs, genauso wie Mrs. Field. Sie hat vorhin angerufen, sich nach Sams Wohlbefinden erkundigt und sich entschuldigt, dass es wohl spät wird. Allerdings soll ich mich bei ihr melden, falls wir etwas benötigen.
Im trüben Schimmer der kleinen Wandlampe ist Sam unter seinen Decken vergraben und von einer Festung von Kissen umgeben. Sein Gesicht ist mir zugewandt, seine erhitzten Wangen sind von seiner Erschöpfung gerötet.
"Nick?", raunt er, als ich den leeren Suppenteller beiseite stelle.
Fragend wende ich mich ihm zu, tupfe mit dem heißen Tuch über seine Schweißperlen bedeckte Stirn. "Wenn du mir wieder sagen willst, dass ich gehen soll ...", beginne ich, aber er fällt mir ins Wort.
"Will ich nicht." Er hält einen Moment inne. "Das werde ich nicht. Ich will, dass du bleibst. Es ist nur ... Du wirst mir doch auch das Gefühl geben, etwas Besonderes zu sein, wenn ich gesund bin, oder?"
"Was?"
"Naja, wenn du dann so tun würdest, als wäre ich ein Niemand-"
"Sam, es tut mir leid, dass ich dich in letzter Zeit vernachlässigt habe. Ich sollte mein Augenmerk mehr auf unsere Beziehung lenken, anstatt auf Trevor und ... seinen Problemen-"
"Echt jetzt? Selbst wenn ich halb sterbend vor dir liege, hast du nur deinen Ex im Kopf?"
Augenverdrehend gebe ich ihm einen Klaps, woraufhin er leise wimmert. "Du bist manchmal unmöglich, ernsthaft."
Brummend richtet er sich auf, doch nur um meinen Arm zu packen und mich zu sich zu ziehen. Meine Proteste ignorierend, drängt er mich auf die Matratze und schaut auf mich hinab. Die Federn, die unter den Kissen protestieren, übertönen das Hämmern meines Herzens in meinen Ohren.
Sam zieht sich eine Decke bis zum Hals hoch und macht es sich halbwegs auf mir bequem. Er schaut in die Leere, und ich liege da, mein Arm findet zögerlich seinen Platz um seine Hüfte.
"Es hat dich wirklich verletzt, dass ich-"
"Du mich angelogen hast?", beendet er meinen Satz, während er sich an mich schmiegt. "Naja, wer mag es schon belogen zu werden? Ich ... liebe dich dafür, dass du so bist, wie du bist. Es ist nur-"
"Zu viel?"
Er zuckt mit den Achseln.
Seufzend umfasse ich sein Kinn und hebe es an, damit er zu mir hochsieht. Und ich bin mir fast sicher, dass ich sterben werde. Diese Augen. Mein Herz.
"Du glühst immer noch", murmle ich, als ich meine Fingerspitzen über sein Gesicht wandern lasse.
"Mir geht es aber schon ein wenig besser. Ich glaube, in der Suppe ist irgendwas drin gewesen, das da nicht so reingehört", meint Sam lächelnd. Er bewegt sich, rutscht ein wenig unter der Decke herum. Bis er schließlich ganz auf mir liegt.
Ich glaube, jetzt kann er mein schnell klopfendes Herz definitiv hören. Oder zumindest spüren, wie es gegen meine Brust klopft.
Er hebt seine Hand an meine Wange, streicht sanft darüber, zeichnet mit dem Finger die Konturen meiner Lippen nach.
"Ich liebe dich, Nicholas", murmelt er. "Und ich ... ich weiß, dass ich meine Eifersucht in den Griff bekommen muss. Sie kann viel zu viel zwischen uns beiden kaputtmachen. Und das möchte ich auf gar keinen Fall. Dafür habe ich dich viel zu gern." Ich runzle misstrauisch die Stirn, was ihn seufzen lässt. "Ja, du hast gesagt, dass Trevor dich nicht mehr auf diese Art und Weise interessiert und-"
"Und er hat außerdem einen Freund, den er zurückgewinnen möchte", erinnere ich ihn. "Es gibt keinerlei Gründe, eifersüchtig zu sein. Es gibt niemand anderes."
Seine andere Hand findet ihren Weg unter meinen Hoodie und bereitet mir damit eine Gänsehaut, als Haut auf Haut trifft. "Nur mich?"
"Nur dich", hauche ich.
Seine Berührung geht mir bis unter die Haut. Ich sollte lieber schnell das Bett verlassen. Und aufräumen. Ihn sich ausruhen lassen. Sollte versuchen zu vergessen, wie unglaublich er sich anfühlt.
"Ich, ähm, ich sollte ..." Als ich versuche mich aufzurichten, hält er mich davon ab. "... Du brauchst Ruhe, Sam."
"Ich habe", sein Mund schwebt über meinen, "dich wirklich vermisst."
"Sam, du bist krank und-"
Er lehnt sich ein wenig weiter herunter. Es ist, als würden Blitze meinen Körper durchfahren, als seine Lippen über meine streifen. Nur kurz, doch es macht mich wahnsinnig. "Mir geht es schon viel besser. Und ich möchte nur-"
"Du bist eine Virenschleuder, Sam ..."
Meine Worte bleiben mir im Halse stecken, als er mich küsst. Die Berührung lässt mich zusammenfahren. "Halt einfach die Klappe, ich möchte dir endlich wieder nahe sein", haucht er an meinen Lippen, bevor er sie wieder auf meine presst.
Innerhalb weniger Sekunden ist mein Kopf wie leer gefegt. Und es gibt nur noch ihn und mich. So, wie es mir am liebsten ist.
Seine Lippen sind warm und weich. Er schmeckt nach Hühnersuppe und Hagebuttentee, aber vor allem nach sich selbst. Also köstlicher als alles, was ich mir vorstellen kann.
"Du bist umwerfend", sagt er anerkennend, als wir uns nach einigen Minuten voneinander lösen und schließlich wieder zu Atem kommen.
Meine Wangen glühen vor Scham. "Nur damit du Bescheid weißt, wenn ich krank werde, töte ich dich."
Er schmunzelt. "Dafür liebst du mich zu sehr."
"Ich verzeihe diesen blauen Engelsaugen aber nicht alles ... Denn weißt du, so sehr ich dich auch liebe", ich küsse ihn nochmals, "noch mehr hasse ich es, eine Erkältung zu bekommen."
Lächelnd rollt er von mir herunter und schaut zur Decke hoch. Seine Hand sucht nach meiner, verschränkt unsere Finger ineinander. "Das hat dich doch aber nicht abgeschreckt davon, dich um mich zu kümmern."
Ich drehe meinen Kopf auf die Seite und sehe ihn an. Betrachte sein Gesicht, das schon weniger kränklich aussieht. "Ach, jetzt findest du es in Ordnung, dass ich hier bin ..."
"Ich mag es immer, Zeit mit dir zu verbringen", beteuert Sam und wendet sich mir zu.
Ich versinke in dem Meeresblau seiner Augen, als sich unsere Blicke kreuzen. "Also hast du nichts dagegen, wenn ich über Nacht bleibe?"
Sein Daumen streicht über meinen Handrücken. "Wenn es dir nichts ausmacht, das Bett mit einer Virenschleuder zu teilen?"
"Wer sagt, dass ich bei dir schlafe und nicht unten auf der Couch?", ärgere ich ihn, woraufhin er mir die Zunge herausstreckt.
"Das ist meine Bedingung, dass du bei mir bleiben darfst", entgegnet er. Seine Hand wandert abermals unter die Decke, findet sich wieder unter meinen Pullover.
Ich beiße mir schmunzelnd auf die Lippe. "Stimmt, du brauchst jetzt gaannzz viel Aufmerksamkeit ... Und noch mehr ... Liebe", hauche ich und beuge mich dann wieder zu ihm vor, um ihn zu küssen.
Es herrscht wohl nun ein wenig Frieden 🤭
Das wird ja auch mal Zeit, dass sich die beiden Streithähne wieder lieb haben ❤
Nur hoffentlich bereut es Nick nicht, Sam gesund zu pflegen ... Er ist nämlich schon wieder ganz schön frech 😂
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