5
💛
Harry
Louis neben mir schaut immer wieder weniger unauffällig in meine Richtung und lächelt mich schüchtern an, wenn ich seinem Blick begegne. Freundlich lächle ich zurück, bin mir jedoch nicht wirklich sicher, was ich hier überhaupt mache. In der letzten halben Stunde hat er lieber seinen Freunden zugehört, als mit mir reden zu wollen. Auf meine Fragen antwortet er meist mit kurzen Antworten oder gar nur mit einer Kopfbewegung. Fragen seinerseits kommen nicht zurück.
Seine Freunde merken die Stille zwischen uns und wollen Louis immer wieder aufmuntern, wenn sie denken, ich würde nicht schauen. Ich würde mich gerne mit dem jungen Mann neben mir unterhalten. Aber nicht, wenn ich ihm alles aus der Nase ziehen muss. Wenn er mich kennenlernen möchte, muss er schon etwas dafür machen.
Seufzend schaue ich auf meine Armbanduhr und fahre mir durch die Haare. Morgen um zehn Uhr habe ich ein Meeting mit einer Floristin, die uns mit Blumen ausstatten soll. Dafür muss ich ins Schloss Balmoral, wo meine jüngste Schwester ihren Abschluss feiern wird. Am Ende des Monats ist es soweit, was wir definitiv unterschätzt haben. Ich dachte, es würde reichen, für zwei Tage nach Schottland zu reisen, jetzt bin ich schon knapp eine Woche hier. Ich vermisse zu Hause und mein Bett. Ich liebe es, Events zu planen, aber mich der Geschichte Englands zu widmen, erfreut mich umso mehr.
»Entschuldigt mich, ich muss kurz telefonieren.« Ich muss meinen Bruder Charles fragen, ob alles in Ordnung ist. Vor anderthalb Stunden hat er mich angerufen und wusste nicht, wo Bruno steckt. Seitdem hat er sich nicht mehr bei mir gemeldet. Es ist schon spät. Nur noch etwas mehr als anderthalb Stunden bis Mitternacht.
Ich schaue mich entschuldigend am Tisch um und bleibe bei Louis hängen, der seinen Mund öffnet, jedoch nichts sagt. Vielleicht sollte es auch nicht so sein. Es war dumm von mir zu glauben, ich könnte außerhalb des Palastes jemanden finden. Dieser Mann vor mir hat definitiv andere Dinge im Kopf, die mich nicht beinhalten.
»Louis, du Idiot. Rede mit ihm oder er verschwindet gleich. Checkst du nicht, wie er die ganze Zeit ein Gespräch angefangen will und du mit einsilbigen Antworten kommst? Da hätte ich auch keine Lust mehr, mich mit dir zu unterhalten. Ich habe keine Ahnung, wo ihr euch kennengelernt habt, aber du musst dort Eindruck bei ihm hinterlassen haben. Wieso klappt es jetzt nicht?« Einer seiner Freunde, der mir gegenüber saß, zischt Louis laut genug an, damit auch ich es verstehe. Ich war gerade auf dem Weg nach draußen, möchte jedoch gerne wissen, wieso Louis mir nicht vernünftig antwortet.
Beim letzten Mal wollte er noch meine Nummer, jetzt kriegt er kein Wort heraus.
»Ich bin verdammt nervös, Matteo. Hier.« Ich drehe mich um, um die Gruppe zu beobachten. Ich weiß, es gehört sich nicht, aber abhalten kann ich mich davon nicht.
Louis hält ihm seine Hände entgegen, die er in die Hand nimmt und schnell wieder loslässt, ehe er sie an seinem Hemd abstreift. »Ist dir dein Bier ausgekippt oder schwitzt du? So sehr schwitzt du selbst beim Training nicht.« Ich verstehe nicht, wieso Louis nervös sein sollte. Ich habe ihm keinen Grund gegeben, nervös zu sein.
»Guckt ihn euch doch mal an! Wahrscheinlich checkt er nicht, dass ich ihn angesprochen habe, weil er mir gefallen hat. Jemand wie er kann nicht auf Männer stehen. Wahrscheinlich ist er verheiratet und will es einfach nur nicht zugeben, weil ich verdammt armselig aussehe, wie ich ihn anstarre.« Ich sollte diese Konversation nicht mitbekommen. Das ist etwas zwischen Louis und seinen Freunden. Auch wenn es dabei um mich geht.
Um telefonieren zu können, trete ich aus der Bar in die lauwarme Sommernacht und schließe für einen Moment die Augen. Wenn es nach mir gehen würde, könnte es länger abends so hell bleiben. Ich liebe zwar den Schnee, aber die dunklen Nächte machen mich fertig. Im Winter habe ich kaum Motivation für etwas. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich den Dezember jedes Jahr aufs Neue gerne ausfallen lassen würde.
Während ich mein Handy wieder in meiner Tasche verstaue, höre ich, wie jemand von hinten auf mich zukommt. Alarmiert drehe ich mich um, stelle jedoch erleichtert fest, dass es Louis ist. Seine Hemdsärmel sind jetzt hochgerollt, sodass ich Tattoos ausmache, die kurz unter seiner Armbeuge enden. Was es ist, kann ich jedoch nicht sehen. Zu dunkel ist es neben der kleinen Bar, dessen Eingangslicht defekt zu sein scheint.
»Hi«, murmelt er in die Stille und vergräbt seine Hände in seinen Hosentaschen. Meinem Blick weicht er gekonnt aus und atmet mehrmals tief ein und wieder aus. Ob er sich überwinden muss, mit mir zu sprechen?
»Hi«, entgegne ich mit einem sanften Lächeln auf den Lippen und lehne mich mit einer Schulter gegen die Backsteinmauer, während ich den Mann mir gegenüber beobachte.
»Ich wollte mich entschuldigen. Für eben.« Er weicht meinem Blick aus und schaut über seine Schulter hinter sich, bevor er einen Schritt auf mich zu macht. Wir sind allein hier draußen. Auf der Straße fahren Autos, aber keiner der Gäste ist hier. Nur Louis und ich. »Ich bin nicht wirklich gut mit Worten. Ich bin nervös und rede entweder nur Zeugs, was niemanden interessiert, oder ich schweige. Ich wollte nicht, dass du komisch von mir denkst, deshalb war ich leise. Aber das fandest du blöd und möchtest jetzt bestimmt gehen. Das verstehe ich komplett. Es war echt schön, dich zu sehen, Harry. Wirklich mega schön. Ich würde dich gerne wiedersehen, aber es wird wahrscheinlich nicht besser. Scheiße, jetzt rede ich wieder zu viel...«
Endlich schaut er mich an und zuckt zusammen, als ich meine Hand an seine Wange lege und über diese streiche. Kaum spürbare Stoppel begegnen mir auf dem Weg zu seinen Lippen, wo ich mit meinem Daumen Halt mache und leise ausatme. Ich habe keine Ahnung, was ich hier mache.
»Ich höre dir lieber zu, wenn du zu viel redest, als wenn du mich anschweigst. Ich mag deine Stimme, Louis.« Mit offenem Mund starrt er mich an und schließt seine Augen, während ich über seine Unterlippe fahre und mich von der Wand abstoße.
»Ich kann nervig werden, wenn ich rede. Ich rede viel zu schnell und dann verstehst du mich wahrscheinlich auch kaum, weil mein Dialekt so ausgeprägt ist. Ich merke nicht, wann mein Gegenüber zu viel von mir hat und rede so lange weiter, bis man sich von mir abwendet.« Ich kann mir nicht helfen und muss schmunzeln. Ich höre ihn lieber so viel und schnell reden, als dass er mich nur anschweigt und mit einsilbigen Antworten antwortet. »Ich mag deinen Akzent. Woher kommst du?« Aus London definitiv nicht, das hört man sofort heraus.
»York. Wenn ich betrunken bin oder über ein Thema rede, das mich interessiert, versteht mich beinahe niemand. Bin ich betrunken?« Ich schüttle schmunzelnd den Kopf und befeuchte mir meine Lippen. So gefällt mir Louis schon viel besser. Er redet endlich mit mir. Auch, wenn ich nicht jedes seiner Worte verstehe.
»Ey, hier entlang. Ich hoffe, wir finden endlich ein paar heiße Frauen!« Eine Gruppe Männer geht lachend an uns vorbei, worauf Louis sich aus meinem Griff löst und sich zur Wand dreht. Die Wärme, die von ihm ausging, ist sofort weg. Jetzt steht er mit durchgestrecktem Rücken seitlich zu mir und atmet tief ein und aus, während er mich ignorieren zu versucht. Kennt er diese Männer oder möchte er einfach nur nicht mit mir gesehen werden? Sind die Männer seine Ausrede, dem Körperkontakt zu mir ausweichen zu können?
Anstandshalber warte ich noch, bis wir wieder allein sind und räuspere mich verhalten. »Erklärst du mir, was das hier gerade sein sollte?« Ich möchte ihn verstehen und seine Handlungsweisen nachvollziehen, wenn ich ihn ein weiteres Mal sehen sollte. »Ich...« Louis schaut sich erst vor der Bar um, ehe er sich wieder zu mir dreht und es nicht schafft, mir in die Augen zu sehen. Abwartend beobachte ich ihn und seine Bewegungen, bevor ich mich wieder gegen die Wand lehne und auf seine Antwort warte.
Ich möchte ihn nicht drängen, trotzdem hätte ich gerne eine Antwort auf meine Frage. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit und bald wird es für mich Zeit, zu fahren. Der morgige Tag wird lang und trotzdem stehe ich hier und warte auf eine Antwort von Louis. Louis, der den ganzen Abend kaum mit mir gesprochen hat und erneut versucht, mit kurzen Antworten meinen Fragen zu entgegnen.
»Ich bin nicht geoutet. Es wissen nur wenige Leute, dass ich auf Männer stehe. Die Männer...« Louis atmet zittrig aus und fährt sich durch die Haare, bevor er den Kopf in den Nacken legt.
»Ich habe einen gewissen Bekanntheitsgrad bei Männern. Ich hatte Angst, dass sie mich erkennen würden. Mit dir.« Ist er berühmt und ich habe ihn nicht erkannt? Aber wieso sollten ihn nur Männer erkennen? Die Sache ignorierend, dass er nicht geoutet ist, fokussiere ich mich auf seine Bekanntheit.
»Bist du Pornodarsteller?«, frage ich und ernte ein kehliges Lachen. Okay, das ist er definitiv nicht. Den Körper hätte er unter diesem Anzug wahrscheinlich schon. »Kein Pornodarsteller, Harry. Versprochen.« Er schaut sich ein weiteres Mal um, ehe er sich vor mich stellt und mit seiner linken Hand über den Stoff meines Jacketts fährt. »Ich fände es nicht schlimm. Jeder verdient seinen Unterhalt anders.« Wäre ich nicht ans Königshaus gebunden, würde ich eine kleine Buchhandlung besitzen, in denen nur ausgewählte Bücher ihren Platz finden würden. Oder ich würde das Planen von Events zu meinem Beruf machen.
»Das stimmt. Aber ich behalte meine Klamotten lieber an. Und ich habe definitiv weniger Körperkontakt zu Männern, als ein Pornodarsteller«, macht er sich über meinen Rateversuch lustig und beißt sich auf die Unterlippe, als ich ihn schweigend anschaue. Hat er also viel mit Frauen zu tun? Ich würde ihn gerne fragen, jedoch geht es mich nichts an. Ich könnte ihm keine Antwort auf seine Rückfrage geben, also behalte ich meine Frage für mich.
»Ich...« Weiter kommt Louis nicht, da die Tür der Bar ertönt und ein kollektives Fluchen ertönt. »Louis, bist du hier?« Sofort dreht er sich um und beobachtet seine Freunde, die auf uns zukommen und sich immer wieder umschauen. Beinahe so, als würden sie gerade eine Straftat begehen. »Wir müssen hier sofort weg. Sag deinem Freund tschüss. Matteo versucht es mit einem Taxi« Kopfschüttelnd brumme ich und halte Louis am Handgelenk zurück, als er zu seinen Freunden gehen will.
In wenigen Sekunden werde ich gegen eine meiner eigenen Regeln verstoßen, aber die Lage scheint ernst zu sein. Was auch immer die Männer machen, sie brauchen einen Fluchtwagen. Und ich kann ihnen einen bieten. Auch, wenn es gleich ein wenig illegal werden wird. Und kuschelig warm. »Harry, es tut mir verdammt leid. Ich... wir sehen uns wieder, versprochen.« Ich schüttle den Kopf und deute auf den Parkplatz. »Ich fahre euch. Ich habe kaum etwas getrunken. Um diese Uhrzeit werdet ihr hier niemanden mehr finden, der euch fährt.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ziehe ich Louis mit mir und hoffe, dass die anderen mir ebenfalls folgen werden. »Du musst das nicht machen.« Louis geht locker neben mir her, obwohl ich größere Schritte mache, als er. »Möchte ich aber. Setz dich auf den Beifahrersitz.« Ich öffne meinen Bentayga und sammle vom Rücksitz meine Unterlagen zusammen, die ich schnell im Kofferraum verstaue.
Glücklicherweise quetschen sich alle ins Auto und ziehen die Tür hinter sich zu, sodass nur noch ich auf dem Parkplatz stehe, auf denen eine Handvoll Männer gelaufen kommt. Wahrscheinlich diejenigen, die der Grund für den überstürzten Abgang der vier Männer in meinem Auto sind.
💛
Oh, da spielt Harry Fahrer eines Fluchtwagens. Aber Louis hat endlich mit ihm gesprochen. Was passieren wird, wenn Harry die Gruppe abgesetzt hat?
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro