kapitel 22 : es einfach verdränge
Plötzlich durchzuckte ein gewaltiger, roter Fleck die Luft. Er wirkte wie ein unheimlicher Blitz, der den Raum erhellte, ehe er in tausend Stücke zersprang. Diese splitterten auseinander, als hätten sie sich in blutige Scherben verwandelt, und schlugen mit scharfer Wucht gegen das kunstvoll verzierte Wandgemälde. Zähe, rote Bäche rannen über die feinen Pinselstriche, zogen sich durch die Leinwand wie eine blutige Narbe, die die Kunst zu entstellen schien.
In diesem Augenblick ahnte niemand, was wirklich geschah. Niemand konnte sich vorstellen, dass es Blut war, das in einem grausamen Regen auf sie niederprasselte. Einige unter den Anwesenden blickten irritiert auf die tropfenden Wände und glaubten, es sei nur Farbe, vielleicht ein missglückter Teil der Darbietung. Aber Anesha... Anesha spürte es. Noch bevor die schreckliche Wahrheit in ihren Verstand einsickerte, erfüllte sie eine unheilvolle Vorahnung. Der metallische Geruch drang in ihre Nase, drang durch ihre Sinne und ließ sie erschaudern. Sie wusste es, noch bevor das Blut ihren Körper in eine rote Flut tauchte. Und dennoch, obwohl sie mit Blut durchtränkt war, regte sie sich nicht. Sie verharrte stumm, unfähig, sich zu bewegen, unfähig, den Blick abzuwenden.
Die Band auf der Bühne, die dem blutigen Regen am nächsten war, wurde vollends von der scharlachroten Flut erfasst. Der Leadgitarrist, dessen Instrument zuvor in strahlendem Weiß erstrahlt hatte, stand nun völlig durchnässt von Kopf bis Fuß. Es war, als würde das Blut die Reinheit seines Instruments verschlingen, als würde es sich in jeden winzigen Spalt des Gitarrenhalses fressen. Ein Schrei durchbrach plötzlich die lähmende Stille, zerschnitt die Luft wie ein Messer. "Mein Gott, das ist Blut!" Ein anderer Schrei folgte, noch lauter, noch durchdringender, und hallte wie ein Echo durch die gesamte Halle. Die Gesänge des Publikums verstummten schlagartig, und eine unnatürliche Stille legte sich über die Menge, schwer und erdrückend, als hätte jemand eine dunkle Decke über den Raum geworfen.
Anesha stand wie festgefroren, ihre Glieder versagten ihr den Dienst. Ihr Blick irrte suchend durch den Raum, bis er nach oben glitt. Dort, hoch über den prächtigen Thronsesseln, baumelten zwei Eimer. Sie schaukelten hin und her, als ob eine unsichtbare Hand sie anstieß, und kollidierten mit einem scharfen, scheppernden Geräusch miteinander. Dann, ohne Vorwarnung, durchdrang ein unheimliches Lachen die gespenstische Stille. Es war ein Lachen, das aus keiner fröhlichen Seele stammte, sondern rau und verzerrt war, wahnsinnig und unheimlich, als käme es direkt aus den tiefsten Abgründen der Hölle. Anesha konnte nicht erkennen, wer lachte, doch das Lachen war jenseits von Vernunft, ein Klang, der alles Menschliche verlor.
Im exakt gleichen Moment, als Anesha ihre Augen weit aufriss, ergriff sie ein Gefühl so stark, dass es ihr Herz vor Angst erzittern ließ. Es war, als ob sie den Geschmack von Blut auf ihrer Zunge spürte, metallisch und kalt, und die Farbe Rot, tiefer und intensiver als jemals zuvor, überflutete ihren Körper. Nur ihre Augen blieben unberührt, sie wirkten wie gläserne Fenster, in denen sich das Licht brach, strahlend in einem seltsamen, fast goldenen Glanz. Das Lachen der Umstehenden wurde lauter, ein Crescendo des Wahnsinns, dem sie machtlos gegenüberstand. In diesem Moment wusste sie, dass es nur zwei Wege gab: entweder mitzulachen oder dem Wahnsinn zu verfallen.
In einem rasenden Wirbel von Bildern sah Anesha das Blut an ihren nackten Schenkeln herabfließen, die zitternden Hände der Menschen um sie herum, und doch fühlte es sich an, als sei all dies weit, weit weg. Das Lachen, das sie umgab, drang nur gedämpft an ihre Ohren, als sei es in weiter Ferne. Sie saß regungslos da, ließ das Grauen über sich hinwegrollen, wie ein Sturm, der an ihr vorbeizog, ehe sie sich langsam erhob. Und plötzlich, in einem abrupten Ruck, erwachte sie aus diesem Albtraum. Ihr Herz raste, Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, und sie konnte das Zittern in ihren Gliedern kaum unterdrücken. "Hey. Es ist okay, ich bin hier. Du bist in Sicherheit." Isabelle saß auf ihrem Bett und schaute sie mit sanften Augen an. Die beruhigenden Worte, gesprochen in einem warmen Ton, drangen langsam zu Anesha durch, zogen sie endgültig aus der Dunkelheit des Traumes zurück in die Wirklichkeit.
Anesha atmete schwer, als sie langsam aus den Fängen ihres Albtraums entkam. Die Bilder des blutigen Regenfalls, die hallenden Schreie und das wahnsinnige Lachen, all das verblasste nach und nach, doch es hinterließ eine tiefe, unruhige Spur in ihrem Inneren. Sie blinzelte mehrmals, um sich der Realität zu vergewissern, und ihre Augen suchten den Raum nach bekannten Details ab. Die vertraute Umgebung ihres Schlafzimmers begann sich allmählich zu formen: Die sanften, warmen Farben der Wände, das weiche Licht der Nachttischlampe, die sich beruhigend über das Bett ausbreitete, und Isabelles vertraute Silhouette, die am Rand des Bettes saß.
„Isabelle...", flüsterte Anesha, ihre Stimme kaum mehr als ein ersticktes Krächzen. Ihr Mund war trocken, als hätte sie eine Ewigkeit lang kein Wort gesprochen. Sie versuchte, die Kontrolle über ihren Atem zu gewinnen, doch ihr Herz schlug noch immer wild gegen ihre Brust. Isabelle beugte sich näher zu ihr, ihre Hand lag sanft auf Aneshas Arm. „Shhh, es war nur ein Traum", sagte sie leise, doch ihre Worte hatten eine Kraft, die Anesha spürte. Es war, als würde Isabelles Stimme sie wieder in die Gegenwart holen, als würden ihre sanften Berührungen die letzten Spuren des Schreckens von Anesha abwischen. Anesha nickte langsam, obwohl die Bilder des Traumes noch an ihr zerrten, als wollten sie sie zurück in die Dunkelheit ziehen. „Es war so... real", murmelte sie schließlich und wagte es kaum, den Gedanken weiter zu verfolgen. Der Albtraum hatte sich so lebendig angefühlt, als ob sie tatsächlich in einem Meer aus Blut gestanden hätte, als ob das schreckliche Lachen noch immer in ihren Ohren widerhallte.
Isabelle rückte noch ein Stück näher heran, nahm Anesha vorsichtig in die Arme und hielt sie fest, bis das Zittern in ihrem Körper allmählich nachließ. „Es war nur ein Traum, Anesha. Du bist hier, bei mir, in Sicherheit." Isabelles Stimme war wie ein Anker, der sie fest in der Realität hielt, während der Sturm des Traumes langsam abklang. Anesha schloss die Augen und ließ sich von Isabelles Wärme umfangen. Der Geruch von Lavendel, der von Isabelles Haaren ausging, wirkte beruhigend, wie eine Erinnerung an sonnige, friedliche Tage. Langsam begann ihr Körper sich zu entspannen, das Zittern verebbte, und die schrecklichen Bilder verblassten endgültig. Doch etwas blieb in ihrem Inneren zurück, eine Spur von Unruhe, eine leise Ahnung, dass der Traum mehr war als nur ein Traum.
„Isabelle", begann Anesha zögernd, während sie sich ein wenig aus der Umarmung löste, um ihrer Freundin ins Gesicht zu sehen. „Es fühlte sich nicht nur wie ein Traum an... es war, als wäre da etwas..." Ihre Stimme brach ab, unsicher, wie sie die Dunkelheit in Worte fassen sollte, die sie umklammert hatte. Isabelle schaute sie ruhig an, in ihren Augen lag Verständnis, aber auch eine Spur von Sorge. „Was auch immer es war, du bist jetzt hier, bei mir", sagte sie, während sie Aneshas Hand nahm und sie fest drückte. „Wir werden herausfinden, was es bedeutet, aber jetzt musst du dich ausruhen. Es war nur ein Traum, und Träume können uns nicht verletzen." Anesha wollte ihren Worten glauben, doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass dieser Traum anders war. Es war, als hätte er eine Tür geöffnet, eine Tür, die besser verschlossen geblieben wäre. Aber für den Moment entschied sie, Isabelles Worte anzunehmen und sich von der Realität beruhigen zu lassen.
„Danke", flüsterte sie schließlich, während sie sich wieder in die Kissen sinken ließ. Isabelle streichelte sanft über ihre Haare, summte eine beruhigende Melodie, und langsam, ganz langsam, glitt Anesha wieder in einen ruhigeren Schlaf hinüber, in dem keine blutigen Albträume sie heimsuchten. Doch die Erinnerung an das Unheimliche blieb wie ein Schatten in der Ecke ihres Bewusstseins, lauernd und unvergessen. Anesha lag still in Isabelles Armen, doch die Ruhe, die sie äußerlich zeigte, war trügerisch. Tief in ihrem Inneren tobte ein Sturm, der sich nicht so leicht beruhigen ließ. Die Erinnerung an ihren Albtraum war noch frisch, und obwohl Isabelle sie tröstete, wusste Anesha, dass es mehr als nur ein Traum gewesen war. Es war eine Erinnerung – eine schreckliche, verdrängte Wahrheit, die nun mit unaufhaltsamer Macht an die Oberfläche gedrungen war.
Die Bilder ihres High-School-Abschlussballs, lange begraben in den dunkelsten Ecken ihres Geistes, kehrten mit brutaler Deutlichkeit zurück. Sie sah sich wieder in der alten Turnhalle, festlich geschmückt, das Licht von Diskokugeln tanzte über die fröhlichen Gesichter ihrer Mitschüler. Sie selbst stand in einem eleganten Kleid auf der Bühne, das Herz voller Aufregung und Nervosität, während die Menge ihren Namen rief. Sie hatten sie zur Ballkönigin gewählt, das Krönchen funkelte auf ihrem Kopf, und für einen kurzen Moment hatte sie geglaubt, dass dieser Abend ihr glücklichster sein würde. Doch dann... dann kam der schreckliche Moment. Die Welt, die sie für einen Augenblick als wunderschön empfunden hatte, brach in einem einzigen, grausamen Schlag in Stücke.
Plötzlich zerriss das unheimliche Geräusch eines sich öffnenden Mechanismus die Luft. Hoch über ihr, fast unsichtbar in den Schatten der Decke, kippte ein Eimer um. Anesha erinnerte sich, wie sie in diesem Moment noch nicht verstand, was geschah, wie sie den Kopf verwirrt hob, um nach oben zu sehen. Und dann, in einem quälend langsamen Augenblick, sah sie, wie der Eimer sich entleerte, wie eine Flut von roter Flüssigkeit auf sie herabstürzte. Das Blut. Es war überall. Es durchtränkte ihr Kleid, ihre Haut, es floss in breiten Strömen über ihre Schultern, tropfte von ihren Fingern, während das entsetzte Keuchen ihrer Mitschüler in ohrenbetäubendes Gelächter umschlug. Die Menschen um sie herum lachten, zeigten mit Fingern auf sie, als wäre sie eine bizarre Attraktion in einem schrecklichen Zirkus.
Damals hatte sie es nicht ertragen können. Der Schmerz, der Schock, die unendliche Demütigung – es war, als wäre ihr Herz in diesem Moment gebrochen. Doch was sie am meisten erschüttert hatte, war das Lachen. Dieses höhnische, grausame Lachen, das sie verfolgte, selbst als sie schreiend aus der Halle stürmte. Sie hatte nie wieder darüber gesprochen, hatte versucht, das Erlebnis tief in sich zu begraben, als wäre es nie geschehen. Aber nun, Jahre später, hatte es sie eingeholt, in einem Traum, der die Grenzen zur Realität verwischte. Anesha spürte, wie ihre Hände zitterten, als sie sich von Isabelle löste. Sie konnte das Zittern kaum unterdrücken, die Erinnerung war zu stark, zu lebendig.
„Anesha, was ist los?", fragte Isabelle besorgt, als sie das Zittern bemerkte. Ihre Stimme war sanft, aber die Sorge darin war unüberhörbar. „Es war mehr als nur ein Traum, nicht wahr?" Anesha schluckte schwer, ihre Kehle fühlte sich trocken an. Sie wollte die Wahrheit sagen, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken, als ob sie sich weigerten, ausgesprochen zu werden. Doch sie wusste, dass sie Isabelle nicht länger belügen konnte – nicht, wenn diese Erinnerung sie so stark überwältigte. „Es... es ist wirklich passiert", flüsterte Anesha schließlich, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch. „Auf der High School. Der Blutregen, das Lachen, alles... es ist wirklich passiert." Isabelle sah sie mit großen Augen an, ihre Hand blieb ruhig auf Aneshas Arm, doch in ihrem Blick lag tiefes Mitgefühl. „Beim Erzengel, Anesha...", murmelte sie, als das ganze Ausmaß der schrecklichen Erinnerung in ihren Gedanken Gestalt annahm.
Anesha nickte stumm, während Tränen in ihre Augen traten. Sie hatte versucht, das alles zu vergessen, zu verdrängen, als wäre es nur ein böser Traum gewesen. Doch jetzt, da sie es laut ausgesprochen hatte, konnte sie die Wunde nicht länger ignorieren. „Ich dachte, wenn ich es einfach verdränge, wenn ich nie wieder daran denke, dann würde es aufhören, mich zu verfolgen", sagte Anesha leise, während die Tränen über ihre Wangen liefen. „Aber ich glaube, es wird mich immer verfolgen. Es ist ein Teil von mir und es wurde wiedererweckt, als ich Camille sah..." Isabelle zog sie sanft wieder in ihre Arme, hielt sie fest, während Anesha leise weinte. „Es tut mir so leid, dass du das durchmachen musstest", flüsterte Isabelle, und in ihrer Stimme lag eine unendliche Traurigkeit. „Aber du bist nicht mehr allein, Anesha. Du musst das nicht alleine durchstehen."
Anesha ließ sich in Isabelles Umarmung fallen, spürte die Wärme und die Zuneigung ihrer Freundin, die wie ein schützender Schild um sie lag. Für einen Moment fühlte sie sich tatsächlich sicher, als ob sie die Dunkelheit, die sie so lange verfolgt hatte, endlich hinter sich lassen könnte. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass der Albtraum noch nicht vorbei war. Die Vergangenheit hatte sie eingeholt. Anesha ließ sich von Isabelles Umarmung trösten, als plötzlich ein leises Klopfen die Tür erschütterte. Ehe sie reagieren konnte, wurde die Tür vorsichtig geöffnet, und Simon trat zögernd ins Zimmer. Seine Augen waren auf den Boden gerichtet, als ob er sich nicht traute, Anesha direkt anzusehen. Er wirkte erschöpft, die Schultern hingen kraftlos herab, und ein Ausdruck tiefer Reue lag in seinen Zügen.
„Es tut mir leid, dass ich störe", begann Simon leise, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Ich wollte nur... ich wollte mich verabschieden. Ich denke, es ist das Beste, wenn ich jetzt nach Hause gehe. Vielleicht sollte ich einfach verschwinden..." Anesha spürte, wie sich ihre Stirn in tiefe Falten legte, während sie Simons Worte verarbeitete. Was meinte er damit, dass er verschwinden sollte? Noch bevor sie die Bedeutung seiner Worte vollständig erfasste, erhob sich Simon langsam von der Türschwelle, als wolle er tatsächlich gehen.
„Simon, warte!", rief Anesha, und ihre Stimme zitterte vor plötzlicher Dringlichkeit. Sie sprang von ihrem Platz auf und eilte ihm hinterher, während sich ihr Herzschlag beschleunigte. Es gab etwas in Simons Stimme, in seiner Haltung, das sie alarmierte – eine dunkle Entschlossenheit, die sie nicht ignorieren konnte. Simon drehte sich nur halb um, seine Augen blieben niedergeschlagen, und Anesha spürte, wie Panik in ihr aufstieg. Sie konnte ihn nicht einfach so gehen lassen. „Isabelle!", rief sie schnell über ihre Schulter, während sie weiter auf Simon zuging. „Hol Clary! Sie ist die Einzige, die ihn aufhalten kann." Isabelle, die die Ernsthaftigkeit in Aneshas Stimme sofort erkannte, sprang von ihrem Platz auf und eilte zur Tür. Ohne zu zögern, verschwand sie aus dem Zimmer, fest entschlossen, Clary so schnell wie möglich zu finden.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro