kapitel 19 : geschichten meiner tante
„Verdammtes Mistzeug! Mist, Mist, Mist!" rief Anesha aus, ihre Stimme von purem Frust durchzogen, während sie die Faust wütend auf den Boden schlug. Der harte Teppich unter ihr dämpfte den Aufprall, doch das half ihr kaum, die Wut zu zähmen, die in ihr brodelte. Sie war an der Wand zu Boden gesunken, die kalte Härte des Bodenbelags fühlte sich wie ein zusätzlicher Schlag an. Das Hotelzimmer, in dem sie sich befand, war offensichtlich Raphaels Wohnung, und die Situation war weitaus komplexer als sie je vermutet hatte. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander, als sie unaufhörlich auf die Tür starrte, als ob sie durch bloße Anstrengung das Geheimnis hinter dieser mysteriösen Lage enthüllen könnte. In der Küche hörte sie ein leises Klappern, das Geräusch von Metall auf Metall, und der Duft von kochender Suppe stieg in die Luft. Der verlockende Geruch war im Widerspruch zu ihrer derzeitigen Stimmung. Anesha konnte nicht anders, als sich zu fragen, warum Raphael sich die Mühe machte, eine Mahlzeit zuzubereiten, während er doch alleine war und, noch wichtiger, anscheinend nichts aß. Ihre Neugier und Besorgnis überlagerten vorübergehend die Wut, die sie verspürte.
Plötzlich trat Raphael in die Küche, als ob die Tür durch seine Anwesenheit eine ganze Dimension verändert hätte. Er warf einen kurzen Blick auf den Topf, der vor sich hin köchelte, rührte mit einer großen Kelle darin und schien völlig in seine Aufgabe vertieft. Seine Hand bewegte sich rhythmisch und unaufhörlich im Topf, ein Spiegelbild seiner inneren Unruhe, als versuchte er, sich in den Routineaufgaben der Küche zu verlieren. Anesha, die sich inzwischen an die Kücheninsel gelehnt hatte, konnte es nicht länger ertragen. „Ich verstehe ja, dass du Simon entführt hast," begann sie, ihre Stimme war ein wildes Durcheinander aus Verzweiflung und Wut. „Aber mich? Was hast du dir dabei gedacht?" Ihre Worte sprühten vor Zorn. „Wenn meine Tante Lira davon erfährt, wirst du deine Fangzähne los sein!"
Raphael starrte sie einen Moment lang an, seine Augen weit geöffnet, als könnte er die Bedeutung ihrer Worte nicht ganz fassen. Der Pfefferstreuer, den er gerade verwendet hatte, klirrte sanft, als er ihn zurück auf den Tisch stellte, und sein Blick wandte sich Anesha zu. Die Überraschung und das schmerzlichste Unverständnis waren in seinen Augen zu lesen. Die Atmosphäre im Raum schien sich zu verdichten, als ob die Luft schwerer und drückender geworden wäre. „Lira?" Raphael wiederholte den Namen, als wäre er ein rätselhafter Code, den er zum ersten Mal hörte. Sein Gesicht zeigte ein flüchtiges Spiel von Schmerz und Verwirrung, und Anesha konnte sehen, wie sich ein Gedankengewirr hinter seinen Augen abspielte. Die Mischung aus Bedauern und Entschlossenheit, die sich in seinen Zügen zeigte, machte Anesha noch unsicherer.
„Es tut mir leid, Mariposa," sagte er schließlich, seine Stimme war leise und beinahe zerbrechlich, als ob er sich selbst gerade erst über das Ausmaß seines Fehlers bewusst wurde. „Das war nie meine Absicht, jemanden zu verletzen. Aber es gibt Dinge, die du nicht verstehst." Seine Worte klangen aufrichtig, doch in seinen Augen lag ein Glanz, der mehr verriet als tausend Worte es je könnten. Anesha betrachtete ihn eingehend, der Schmerz in seinen Augen war unverkennbar, und sie spürte eine seltsame Mischung aus Mitleid und Entschlossenheit in sich aufsteigen. Die Situation war eindeutig komplex, und obwohl sie von Zorn erfüllt war, war da auch das Gefühl, dass sie möglicherweise nur ein kleines Rädchen in einem viel größeren, verworrenen Spiel war, das sie noch nicht ganz überblicken konnte.
„Erklär mir sofort, was hier vor sich geht," verlangte Anesha, ihre Stimme war fest und durchdringend, als sie Santiago unnachgiebig anstarrte. „Denn das hier ist mehr als nur ein missratener Scherz, Santiago." Raphael, der ruhig am Rand des Zimmers stand, nahm eine dampfende Schüssel Suppe von einem Tisch und reichte sie Anesha. „Dann komm mit," sagte er mit einer neutralen, aber entschlossenen Stimme. Anesha nahm die Schüssel entgegen, und ihre Augen folgten Raphael, als er sich in Richtung einer Tür bewegte. Sie folgten ihm durch die eleganten Flure des Hotels, die so still waren, dass das leise Klirren der Suppenschüssel auf dem Boden wie ein Echo klang. Raphael führte Anesha durch eine Reihe von Türen, bis sie schließlich in einem weiteren Wohnzimmer ankamen. Die Einrichtung war luxuriös, aber in diesem Moment schien sie nur ein Hintergrund zu sein, der die angespannte Stimmung verstärkte.
Simon saß auf einem großen, bequemen Sofa in der Mitte des Raumes. Als er Anesha sah, hellte sich sein Gesicht auf, und er streckte die Arme aus. „Si!" rief Anesha und eilte auf ihn zu. Sie warf sich ihm um den Hals, ihre Bewegungen von einer Mischung aus Erleichterung und Verzweiflung geprägt. „Geht es dir gut?" fragte sie besorgt, während sie geschickt darauf achtete, die heiße Suppe nicht zu verschütten. Simon umarmte sie fest und zog sie sanft zurück, als sie sich wieder von ihm löste. Sein Blick war zwischen Raphael und Anesha hin und her gerissen, die Nervosität in seinen Augen war nicht zu übersehen. „Wie endet das hier? Komme ich, äh... komme ich hier wieder raus oder was?" Seine Stimme war brüchig, und die Unsicherheit in seinem Blick verriet seine Angst.
Raphael trat langsam näher, sein Gesichtsausdruck blieb wie in Stein gemeißelt, unerschütterlich und undurchdringlich. Er ließ sich Zeit, bevor er mit einem leichten, schiefen Lächeln antwortete, das jedoch nicht ausreichte, um die Besorgnis in seinen dunklen Augen vollständig zu verbergen. „Die Antwort auf diese Frage, mein Freund, liegt leider weit über meiner Gehaltsstufe," sagte er schließlich, mit einer Stimme, die so ruhig und sachlich klang, als spräche er über das Wetter. Simon runzelte verwirrt die Stirn und starrte Raphael an, als ob er in seinem Gesicht nach einer versteckten Bedeutung suchen würde. „Gehaltsstufe?" wiederholte er langsam, als würde er das Wort zum ersten Mal hören. „Bezahlen die... bezahlen die Vampire?" Seine Stimme klang unsicher, als ob er versuchte, die Bruchstücke einer völlig fremden Realität zusammenzusetzen, die plötzlich vor ihm aufgetaucht war.
Raphael zuckte fast beiläufig mit den Schultern, doch seine Augen blitzten kurz auf, als ob er ein großes Geheimnis in sich trug, das er um jeden Preis bewahren musste. „Sagen wir einfach," begann er, seine Worte sorgfältig wählend, „wir investieren früh und oft." Seine Stimme war nun weicher, fast verführerisch, aber auch unmissverständlich. Es war klar, dass er damit jede weitere Nachfrage im Keim ersticken wollte, doch die Andeutung allein reichte aus, um Simon und Anesha in noch tiefere Verwirrung zu stürzen.
Anesha, die bisher still gewesen war, ließ ihren Blick zwischen Raphael und Simon hin- und herschweifen, als würde sie versuchen, aus deren Gesichtern eine Erklärung herauszulesen, die ihre Worte nicht preisgeben wollten. Schließlich fand sie ihre Stimme wieder. „Und was bedeutet das für uns?" fragte sie, ihre Stimme fest, aber mit einem kaum überhörbaren Hauch von Zorn. Es war der Zorn einer Frau, die sich gegen eine Realität wehrte, die sie nicht begreifen konnte, aber die dennoch allzu real war. Ihre Hände umklammerten die Schüssel Suppe, als sei sie ein Anker, der sie davor bewahrte, in die aufziehende Dunkelheit aus Unsicherheit und Angst zu treiben.
Während Anesha sich bemühte, die Suppe ruhig zu löffeln, als könnte diese einfache, alltägliche Handlung ihr etwas von der Normalität zurückgeben, die sie so verzweifelt suchte, konnte Simon nicht still sitzen. Unruhig wanderte er im Raum umher, seine Gedanken schienen ebenso ziellos wie seine Schritte. Ohne es zu merken, stieß er gegen eine alte Statue, die mit einer Wucht wackelte, als ob sie jeden Moment umfallen könnte. „Aua!", rief Simon und hielt sich das Knie. Raphaels Geduld schien zu reißen, und er warf Simon einen scharfen Blick zu. „Setz dich", zischte er, aber Simon ignorierte ihn und setzte seine ziellose Wanderung fort. „Warum setzt du dich nicht? Ich kann dieses Herumfuchteln wirklich nicht ausstehen."
„Ich... ich schaue nur... äh...", stotterte Simon, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, „nur so herum." Anesha, die ihre Augen keinen Moment von ihm abgewandt hatte, schnaubte leise. „Auf der Suche nach einem Ausweg?", fragte sie sarkastisch, doch in ihrer Stimme schwang eine Spur von Bitterkeit mit. „Ooh. Den gibt es nicht. Glaub mir, ich habe ihn als Kind schon gesucht, wenn Tante Lira mich hier abgesetzt hat...", warf Anesha ein. Simons Kopf ruckte zu ihr herum, seine Augen weiteten sich in überraschter Irritation. „Was?", brachte er schließlich heraus, unfähig, das Gehörte sofort zu verarbeiten.
Anesha hob nur eine Augenbraue und zuckte mit den Schultern. „Ja, der Vampir, der uns entführt hat, hat mich als Kind gebabysittet. Und?" Es war eine Tatsache, die sie so beiläufig äußerte, als wäre es das Normalste auf der Welt, doch die Bitterkeit und der versteckte Schmerz in ihrer Stimme verrieten mehr, als ihre Worte es taten. Simon ließ seinen Blick wieder durch den Raum schweifen, als ob er versuchte, all die neuen Informationen zu verarbeiten. „Also bist du nicht nur heimlich eine Schattenjägerin...", begann er zögernd, bevor Anesha ihn scharf unterbrach.
„In Ausbildung", korrigierte sie ihn mit einem strengen Blick, der keine Missverständnisse zuließ. Simon nickte hastig und setzte seine Aufzählung fort. „In Ausbildung, klar. Also, die Tochter eines Toten, der noch immer herumläuft, eine Göttin an fast jedem Instrument, Bücherwurm durch und durch und... jetzt erfahre ich auch noch, dass du eine Vampir-Nanny hattest?" Er klang ungläubig, als ob er sich fragte, ob all das, was er gerade sagte, wirklich in einer einzigen Person vereint sein könnte.
Anesha seufzte tief und rollte mit den Augen. „Ja, das hast du im Grunde richtig zusammengefasst. Aber ich verstehe nicht, was daran so unglaublich sein soll. Also, was guckst du dir jetzt an, Lewis?" Simon, der sich inzwischen einer Vase genähert hatte, griff nach ihr und hob sie vorsichtig hoch, um sie genauer zu betrachten. „Ich meine, all die, äh... coolen Sachen, die hier gesammelt werden. Diebstähle, oder?" Er hielt die Vase an seine Lippen und imitierte den Klang eines Horns. „Es ist... egal."
Raphael trat an die Seite und verschränkte die Arme vor der Brust, seine Miene blieb neutral, aber seine Augen verfolgten Simons Bewegungen aufmerksam. „Leonidas der Erste", begann er, „versucht schon seit Jahren, diesen Kram zu verkaufen. Aber Museen verlangen heutzutage Beweise, dass Antiquitäten echt sind." Simon setzte die Vase langsam wieder ab und ließ seinen Blick auf einen Dolch fallen, der in einer gläsernen Vitrine lag. „Ja, natürlich", murmelte er abwesend, während seine Gedanken bei der Vorstellung von einem uralten Vampir, der seine Schätze loswerden wollte, verweilten.
Raphael trat einen Schritt näher und sah Simon ernst an. „Wenn sie dich fragen, woher du das hast, was sagst du dann?" Seine Stimme war ruhig, fast beiläufig, doch sie enthielt einen Hauch von Ironie. „Es ist nicht illegal, mein eigenes Grab zu plündern." Simon schüttelte den Kopf, als versuchte er, einen klaren Gedanken zu fassen. „Das... das ist irgendwie verrückt", sagte er leise, mehr zu sich selbst als zu den anderen. „Aber es macht auch irgendwie Sinn."
Im nächsten Moment, fast als ob ein unsichtbares Signal gegeben wurde, griff Simon instinktiv nach einem Dolch, der auf einem Tisch lag. Ohne nachzudenken, warf er ihn mit aller Kraft auf Raphael. Die Klinge durchbrach den Stoff von Raphaels Jacke und bohrte sich tief in seine Brust. Doch anstatt zu schreien oder zusammenzubrechen, lachte Raphael laut auf, ein tiefes, kehliges Lachen, das den Raum erfüllte. Simon stolperte rückwärts, entsetzt über das, was er gerade getan hatte. „Oh, mein Gott", stammelte er, während sein Blick auf Raphaels Brust fixiert blieb.
Anesha zuckte nicht einmal mit der Wimper, sie leerte gerade ihre Schüssel Suppe, als ob nichts Außergewöhnliches geschehen wäre. Raphaels Lachen verklang langsam, und mit einem leichten Seufzen griff er nach dem Dolch, der in seiner Brust steckte, und zog ihn mühelos heraus. „Ach, bitte", sagte er und schüttelte den Kopf. „Ehrlich gesagt, habe ich gerade erst diese Jacke bekommen." Er hielt den Dolch in der Hand und betrachtete ihn kurz, bevor er ihn beiläufig beiseite warf. „Einen Ausweg gibt es nicht, Simon. Du bist eine Geisel, also akzeptiere es." Simons Herz raste, und sein Kopf fühlte sich plötzlich schwer an. „Ich... ich bin eine Geisel?" fragte er mit brüchiger Stimme. „Das heißt, du wirst mich nicht umbringen, ja?"
Bevor Raphael antworten konnte, öffnete sich die Tür mit einem sanften Knarren, und eine Frau betrat den Raum. Sie hatte lange, pechschwarze Haare, die in weichen Wellen über ihre Schultern fielen, und ihre braunen Augen funkelten mit einer Mischung aus Amüsement und etwas Dunklerem. Ihr Auftritt war majestätisch, beinahe theatralisch, und sie trug ein elegantes, eng anliegendes Kleid, das ihre Figur betonte. Anesha erstarrte, als sie die Frau erkannte. Es war dieselbe Person, vor der sie als kleines Mädchen immer Angst gehabt hatte, wenn sie bei Raphael gewesen war. Camille Belcourt, eine Erscheinung, die Eleganz und Gefahr gleichermaßen ausstrahlte.
„Nicht umbringen?" wiederholte Camille, während sie sich an Raphael wandte, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen. „Wer hat das gesagt?" Sie ging langsam auf Simon zu, ihre Bewegungen geschmeidig und katzenhaft. „Oh, schau", fügte sie hinzu, als sie vor Simon stehen blieb und ihre Augen auf eine kleine Blutspur auf seiner Stirn fielen. „Wie süß. Du blutest." Mit einer eleganten Bewegung streckte sie die Hand aus, und bevor Simon reagieren konnte, berührte sie das Blut auf seiner Stirn mit ihrem Finger. Simon zuckte zurück, doch Camille ließ sich davon nicht beirren. Sie führte ihren Finger an ihre Lippen und leckte das Blut genüsslich ab, als sei es ein seltener Wein. „Ich freue mich so darauf, dich näher kennenzulernen", flüsterte sie, während ihre Augen vor unheilvoller Vorfreude glühten.
"Oh, ich nicht," sagte Anesha plötzlich und machte damit auf sich aufmerksam. Ihre Stimme klang fest, fast herausfordernd, und sofort wandten sich alle Blicke im Raum zu ihr. Kaum hatte sie die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, fuhr sie fort, ihre Worte sorgfältig wählend, als würde sie jedes Detail genießen: „Ich fand eine Sache schon immer seltsam. In den Geschichten meiner Tante war Camille Belcourt eine Schönheit mit grünen Augen, roten Lippen, silberblonden Locken und der für Vampire typischen makellosen, weißen Haut. Aber das scheint wohl eine andere Camille Belcourt zu sein..."
Die Bemerkung ließ die Luft im Raum merklich schwerer werden. Camille, die bis zu diesem Moment eine Aura der unerschütterlichen Überlegenheit ausgestrahlt hatte, verengte die Augen. Ihre Lippen verzogen sich zu einem gefährlichen Lächeln, das nichts Freundliches an sich hatte. „Das nervige kleine Biest ist also wieder da, wie ich sehe," kommentierte sie spöttisch und drehte sich langsam zu Anesha um. Ihre braunen Augen funkelten gefährlich, als sie mit eleganten, fast lautlosen Schritten auf Anesha zuging.
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