Durchgefallen
„Betrachten wir zum Beispiel einmal Dorian. Er, als Schöpfer des Bildes, ist elektrisiert. Man kann ihn fast schon mit einem Narziss gleichsetzen, der sich im Spiegel des Wassers zum ersten Mal selbst erkennt und sich dann in sein eigenes Bild verliebt. Nach der Schöpfung des Bildes folgt der Sündenfall...", ich schiele auf mein Handy, während eine meiner Kommilitoninnen in meinem Literaturkurs einen geistigen Anfall bekommt. Wir besprechen das Bildnis des Dorian Gray von Oscar Wilde und nicht zum ersten Mal seit einer Stunde frage ich mich warum ich hier sitze. Eigentlich war das Buch sogar ganz gut, nur die Tatsache, dass ein und dieselbe Kommilitonin seit einer halben Stunde allein Unterricht mit dem Professor abhält bringt mich auf die Palme und zerrt an meinen Nerven.
Ich schiele erneut auf mein Handy. Zwei neue Nachrichten von Vicky.
Sie schreibt mir seit einer halben Stunde Nachrichten. Ich vermute zwischen den Terminen ihrer Patienten oder wenn irgendeine Gesichtsmaske oder ein andere Schönheitsbehandlung einziehen muss. Anders konnte ich mir nicht erklären, wie sie so viel Zeit auf der Arbeit hatte. Im Gegensatz zu mir stand sie schon mit beiden Beinen im Leben. Zumindest beruflich.
Er hat sich immer noch nicht gemeldet ☹ Meinst du ich soll mich noch mal bei ihm melden?
Freya er macht mich wirklich so fertig ...Warum müssen Kerle immer so kompliziert sein ? Wir haben schließlich eine Nacht miteinander verbracht und er hat echt Interesse gezeigt und die letzten Tage war auch noch alles gut, aber seit gestern meldet er sich einfach nicht mehr...
Ich hasse mein Leben!
Ich seufze leise auf und tippe eine Nachricht unterm Tisch, während ich zwischendurch so tue, als ob ich mich auf das Unterrichtsgeschehen konzentrieren würde. Ich kannte diese Nachrichten und so sehr ich Vicky liebte, sie fiel leider immer wieder auf ziemlich komische und teilweise dumme Typen rein. Manchmal wusste ich selbst nicht, wie sie mit solchen Typen immer noch Kontakt haben konnte...Klar Noah war ziemlich gutaussehend, aber was hatte man von einem heißen, gutaussehenden Typen, wenn er einen scheiße behandelte und man immer nur dann gut für ihn war, wenn man ihn sexuell bespaßte?
Vicky!
Jetzt übertreib mal nicht! tippe ich in mein Handy.
In den letzten Tagen hatte ich noch versucht ihr Ratschläge zu geben und rational mit ihr über das Thema zu reden. Ich mochte zwar single sein, aber das hieß nicht, dass ich wollte dass meine Freundin auch single blieb und es ihr nicht gönnte, dass sie den Mann ihres Lebens fand. Wenn es so etwas überhaupt gab...
Ich weiß es verletzt dich, dass Noah sich nicht meldet... aber ganz ehrlich er hat dich nicht verdient, wenn er so eine scheiße mit dir abzieht. Ein Typ, der dich wirklich mag, zeigt Interesse und man muss ihm nicht hinterherlaufen Vic.
Du bist so ein wundervoller, toller Mensch und jeder Kerl, der das nicht realisiert hat dich nicht verdient.
Ich schicke die Nachricht ab und konzentriere mich für die restlichen Minuten auf meinen Kurs. „Bevor ich die Stunde beende, gebe ich Ihnen ihre korrigierten Aufsätze zurück. Bei einigen von Ihnen hab ich gemerkt, dass sie sich nicht wirklich mit dem richtigen Zitationsstil auseinandergesetzt haben und bei einigen ist sehr klar deutlich geworden, dass sie den Roman Sturmhöhe nicht wirklich verstanden haben", sagt mein Professor nun mit etwas ernster fast schon abfälligerer Stimme, während seine Augen durch die Reihen gleiten. Ich weiß nicht, ob ich es mir einbilde, aber ich habe das Gefühl, als ob seine Augen kurz auf mir verweilen.
Ich spüre, wie mir schlecht wird. Ich hatte eine ganze Woche an dem Aufsatz gesessen. Er war ein regelrechter Kampf gewesen. Emily Brontё zu verstehen, war als ob man versuchte sich mit einem Chinesin zu unterhalten, nur dass man nur Bruchteile chinesisch verstand, weil man aufgehört hatte chinesisch nach dem Anfängerkurs weiter zu studieren.
„Ms. Walker.", ruft er die erste Studentin auf.
Ich sehe, wie Ms. geistiger Anfall von gerade eben fast über ihre Füße stolpert, als sie nach vorne rennt und Professor Jones fast ihren Aufsatz aus den Händen reißt. Als sie auf die Note blickt, bekommt sie einen zufriedenen Ausdruck auf ihrem Gesicht.
Nervös spiele ich mit meinen Händen, bis der Professor mich schließlich aufruft. „Ms. Lewis."
Mit zittrigen Beinen und klopfenden Herzen begebe ich mich in Richtung seines Pultes.
„Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ich Ihnen eine fünf für ihren Aufsatz geben musste. Und damit haben Sie leider nicht bestanden.", ein Rauschen dringt in meine Ohren, als Professor Jones mit ernster Stimme auf mich einredet. „ Sie müssen sich unbedingt noch mal hinsetzen und sich mit dem Roman beschäftigen. Ihre Analyse ist sehr dünn. Sie müssen viel tiefer gehen. Schauen sie sich besonders noch mal die Erzählstruktur und die daraus resultierende Wirkung auf den Leser an. Emily Brontё ist einer der anspruchsvolleren Autorinnen des viktorianischen Zeitalter und Sturmhöhe ist von solch einer Multidimensionalität geprägt, da kommen sie leider einfach nicht mit einer solch schwachen Analyse weiter Ms. Lewis."
Fuck!
Ich beiße mir auf die Zunge, damit ich vor Professor Jones nicht anfange zu heulen. Ich hatte eine ganze Woche an diesem beschissenen Aufsatz gegessen! Ich hatte mich sieben Tage lang fast den ganzen Tag neben der Uni und der Arbeit mit der depressiven Liebesgeschichte von Catherine und Heathcliff auseinandergesetzt, mein Gehirn fast täglich am Explodieren, während ich versuchte aus den verwirrenden Worten irgendeinen Sinn zu ergeben.
„Sie haben eine Woche Zeit den Aufsatz noch einmal zu überarbeiten und erneut einzureichen. Wenn ich im Laufe der nächsten Woche keinen Aufsatz erhalte, dann sehe ich das als Fehlversuch an und Sie müssen den Kurs im nächsten Semester wiederholen."
Ich nicke nur stumm meine Kehler eng zugeschnürt, weil ich versuche meine Tränen zu unterdrücken.
Mit meinem Aufsatz in der Hand drehe ich mich um und renne fast schon zu meinem Platz. So schnell wie ich kann, stopfe ich meine Sachen in meine Tasche und husche aus dem Klassenzimmer. Sobald ich draußen auf dem Flur bin, fließen die Tränen mein Gesicht herunter.
Beschissene verfickte Uni!
***
Ich suche mir den hintersten Platz im Bus aus und ziehe mir die Kapuze über den Kopf, damit niemand sieht, dass ich wie eine total erbärmliche Person über einen durchgefallenen Aufsatz heule. Aber es war bereits der zweite in innerhalb von zwei Monaten und ich hatte die Schnauze voll!
Mit einem Ruck ziehe ich mein Handy aus meiner Jackentasche. Zwei neue Nachrichten von Vicky leuchten auf meinem Display auf, aber statt sie zu lesen, wechsele ich zu meinem Spotify Account, stecke mir meine Kopfhörer in die Ohren und klicke auf Taylor Swift's letztes Album. Taylor machte mich immer glücklich, egal was los war. Doch diesmal scheint es nicht wirklich zu helfen. Als ich an meiner Haltestelle aus dem Bus steige, fühle ich mich immer noch schlecht.
Auf dem Weg zu meiner Wohnung nach oben, beschließe ich ins Gym zu fahren. Ich kenne mich zu gut und weiß was ich jetzt brauche. Eine schweißtreibende, schwere Session mit einer guter Dosis Rap.
Oben angekommen schließe ich die Tür auf. Brie sitzt am Küchentisch, neben ihr Harry, beide eine Tasse Tee in der Hand.
„Hi.", sag ich am Vorbeigehen zu den Beiden.
Normalerweise war ich gesprächiger, doch nach diesem Tag wollte ich einfach nur schnell in mein Zimmer, meine Sportsachen packen und ins Gym fahren. In meinem Zimmer angekommen schmeiße ich meine Lieblingsleggings, meine Converse, ein Top, ein Handtuch und meine Wasserflasche in meine Sporttasche. Dann setzte ich meine kabellosen, pinken Kopfhörer auf meinen Kopf und spiele laut „The Search" von NF ab. Ich öffne meine Tür und laufe durch den Flur zurück. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Brie mit ihren Händen in meine Richtung wedelt. Seufzend drücke ich auf die Pause Taste meines Handys, ziehe mir die Kopfhörer vom Kopf und blicke sie erwartungsvoll an.
„Ich hab ganz vergessen dich zu fragen... wie war es eigentlich im Club am Samstag? Irgendwen kennengelernt?"
Innerlich rolle ich mit meinen Augen. Es war die erste Frage, die Brie jedes Mal stellte, wenn ich im Club gewesen war. Als ob man nicht aus einem anderen Grund in den Club ging, als einen Mann kennenzulernen.
Tanzen zum Beispiel.
Ich schüttele mit dem Kopf. „Nope", antworte ich und drehe mich wieder der Tür zu.
„Garkeinen?", fragt Brie überrascht, so als ob es das Unverständlichste überhaupt auf diesem Planeten wäre.
„Ja.", ich zucke mit den Schultern.
Brie schüttelt ihren Kopf. „Ich versteh das nicht, dass du nie von einem Kerl angesprochen wirst", sie rümpft die Nase.
Ich zucke einfach mit meinen Schultern und hoffe das Thema ist damit gegessen. Ich habe wirklich keine Lust mich mit ihr über mein Singleleben zu unterhalten.
„Ich fahre jetzt ins Gym.", presse ich über meine Lippen und rausche zur Tür.
„Also...", höre ich plötzlich Harry zum ersten Mal etwas zu einer Konversation beitragen, seit ich ihn kenne und er mit Brie zusammen ist.
„Versteh es nicht falsch Freya, aber vielleicht solltest du mal ausprobieren dir die Haare zu färben. Rot ist ziemlich speziell... die meisten Männer stehen nicht so auf rote Haare. Vielleicht solltest du mal blond versuchen. Mit deiner blassen, hellen Haut passt das bestimmt gut."
Seine Worte sind wie ein Faustschlag in meine Magengrube.
„Harry!", höre ich Brie empört aufrufen.
Doch bevor sie etwas Weiteres erwidern kann, bin ich bereits aus der Tür geflohen, mein Herz beinahe am Überlaufen von Wut und Traurigkeit.
***
„90 Kilo! Nicht schlecht, Mädchen.", pfeift Killian, als er auf mich zu schlendert, seine Augen landen respektvoll auf die Langhantel mit den Gewichtsscheiben vor mir, obwohl er doppelt so viel wie ich hebt. Mein Körper ist mit Schweiß bedeckt und ich atme hastig vor Anstrengung aus. Ich habe gerade meinen letzten Satz Kreuzheben hinter mir, aus meinen Kopfhörern dröhnt wütend Linkin Park's Crawling.
„Schlechten Tag gehabt, was?", fragt mich Killian sanft, seine braunen Augen liegen wissend auf mir.
Sein Shirt spannt wie immer über seinen muskelbepackten Oberkörper, seine schwarzen Haare kurz geschoren. Ich nicke nur und beiße mir auf die Lippen. „Dann ist das die beste Therapie", sagt er sanft. „Was immer es ist, lass es raus. Lenk deine ganze Wut und deinen Schmerz aufs Gewicht. Zumindest mach ich das immer, wenn es mir schlecht geht.", sagt er schulterzuckend.
„Übrigens...", beginnt er plötzlich, seine Augen wandern kurz über meine Beine. „Du hast schon ein paar Gains an deinen Quads gemacht. Das Kreuzheben zahlt sich aus"
Meine Mundwinkel ziehen sich hoch und ich schüttele den Kopf, als mein Blick kurz meine immer noch viel zu dünnen Beine runterfährt. „Sie sind immer noch viel zu dünn."
„Gib ihnen Zeit. Jeder Mensch hat seine guten und schlechten Muskelgruppen. Welche Übung machst du als Nächstes?"
„Hip Thrusts.", gebe ich von mir, während ich mit schmerzenden Beinen in die Hocke gehe und die Gewichtsscheiben von der Langhantel ziehen will. „Gute Kombi.", sagt er anerkennend, dann wandert er neben mich und zeigt auf die Langhantel.
„Lass sie dran Freya. Ich mach das schon."
„Bist du dir sicher?", frage ich ihn unsicher.
Er nickt und schenkt mir ein Grinsen. „Ja. Mach du mal weiter. Du hast noch genug Arbeit vor dir. Vielleicht triffst du Lea, ich glaub sie macht gerade auch Hip Thrusts.", dann dreht er sich zur Langhantel um und nimmt zwei 20kg Scheiben ab, um sich mit dem übriggebliebenen Gewicht aufzuwärmen.
Lea war Killian's Freundin und durch sie kannte ich Killian erst. Das erste Mal, als ich sie im Gym gesehen hatte, war ich auf sie zugekommen und hatte ihr wegen ihrer Figur ein Kompliment gegeben.
Nicht zu unrecht.
Das fiel mir auch jetzt wieder auf, als ich auf sie zulief, während sie 140 Kilo Hip Thrusts machte, ihre Taille schmal, ihr Po in so einer guten Form, dass mir selbst als Frau, fast die Augen aus dem Kopf fielen.
Ihre blonden Haare waren zu einem unordentlichen Dutt auf ihrem Kopf zusammengefasst.
Sie war mein sportliches Vorbild. Die Frau war so verdammt diszipliniert und so verdammt stark, für mich war sie so Etwas wie Wonderwoman im echten Leben.
Als sie ihren Satz beendet hat, atmet sie schwer, aber schenkt mir trotzdem ein Lächeln. „Freya!", ruft sie keuchend aus. Sie schiebt die Stange von sich runter, schiebt sie nach vorne und kriecht schließlich unter ihr hervor und kommt auf zittrigen Beinen zum Stehen. „Gott, das war hart", keucht sie und streicht sich eine herausgefallene Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Glaub ich dir.", sage ich mit Respekt. „140 Kilo Lea! Gott du bist mein Vorbild!", sage ich bewundernd.
Sie schenkt mir ein Lächeln, in ihren blauen Augen nichts als Freundlichkeit. „Danke Freya, das ist lieb von dir", sagt sie sanft. „Aber du bist doch auch ziemlich gut dabei."
„Naja, geht so.", antworte ich, denn das Gewicht, was ich bewegte war ganz moderat, aber nicht annähernd so viel, wie Andere bewegten. Plus mein Körper sah auch nicht mal annäherungsweise so aus, wie der einer dieser Fitnessgirls. Man sah zwar, dass ich trainierte und ich war auch schlank, aber ich befand mich eher im Durschnitt. Ich hielt zu viel Körperfett an meinem Körper, was daran lag, dass ich leider einer dieser Mädels war, die gerne aß.
„Wie geht's dir ?", fragt Lea mich plötzlich und holt mich somit aus meinen Gedanken.
„Frag nicht", gebe ich knapp von mir, während ich ein paar Hantelscheiben an eine Langhantel befestige und mich in der gleichen Position wie Lea zuvor positioniere um das Gewicht hochzudrücken.
Lea spricht die ganze Zeit nicht, während ich meinen Satz durchführe.
Als ich den Satz beendet habe, schenkt sie mir ein Lächeln. „Wenn du magst kannst du mir nach dem Training davon erzählen. Killian muss noch ein bisschen Cardio machen. Du weißt er bereitet sich für seinen nächsten Wettkampf vor", sagt sie schließlich.
Ohne auf eine Antwort zu warten, begibt sie sich wieder zur ihrer Bank und beginnt erneut die Stange hochzudrücken. Sie wusste genauso sehr wie ich, dass man beim Training meistens nicht gestört werden wollte.
***
„So ein dummer Pisser!", es ist nicht Lea, sondern Killian, der als Erstes spricht, nachdem ich Lea von meinem Tag erzählt habe. Er hatte, wie so oft heimlich zugehört.
Ob das Pisser gegen meinen Professor oder gegen Harry gerichtet ist, weiß ich auch nicht so wirklich. Lea und ich stehen nebeneinander vor Killian's Laufband, während Killian auf dem Laufband eine stärkere Steigung einstellt. Ich hatte ihn noch nie Joggen gesehen, was mich aber bei seiner Muskelmasse nicht verwunderte. Es musste sehr anstrengend sein, mit so einem Gewicht zu Joggen.
„Freya, lass dir bloß nicht einreden, dass deine roten Haare nicht schön sind!, ruft er wütend aus, sein irischer Akzent schwingt heftig in jeder Silbe mit. „Außerdem kenn ich kein Mädchen, dass so ein Sonnenschein ist wie du. Man kann gar nicht anders, als gute Laune zu bekommen, wenn man dich sieht."
Lea nickt neben ihm.
„Weißt du, was ich das erste Mal an dir bemerkt habe? Deine Ausstrahlung Freya. Selbst, wenn du konzentrierst bist, strahlst du immer noch eine solche Herzlichkeit aus.", Lea's Worte klingen ernst, aber irgendwie bin ich mir nicht sicher, ob sie mich nur aufmuntern will und mir all das nur erzählt, damit es mir besser geht.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so Etwas ausstrahle.
„Danke.", sage ich kurz und versuche das Thema von mir wegzulenken. Ich war nicht gut darin Komplimente anzunehmen. Es machte mich nervös.
„Wie läuft deine Vorbereitung eigentlich, Killian?", frage ich schließlich, um von mir abzulenken, wohlwissend, dass Killian sofort Feuer und Flamme sein würde, um mir von seiner Wettkampfvorbereitung zu erzählen.
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