37. Vermeidung
Ich bin dann auch mal wieder soweit.
Abi ist scheiße. Soviel dazu, meine Entschuldigung, meine Rechtfertigung.
Ich hab grade tatsächlich ein bisschen Motivation hierfür verloren. Keine Sorge, es wird beendet, ich lass mich nicht auf halbem Weg stoppen, aber es fällt mir echt schwer, mich hierfür zu öffnen und aufzuraffen. Weil es nicht so leicht ist, wie ich es gerne hätte. Die Thematik ist einfach sehr...groß für mich. Entschuldigung.
Aber ich verfolge grade eine weitere, neue, herzlichere Idee, die vielleicht zur Story wird. Also, nur um das kurz festzuhalten, weil ich mich danach fühle, Himmel weiß warum - auch, wenn ich das hier irgendwann überlebt und hoffentlich zu meiner Zufriedenheit abgeschlossen habe, schreibe ich weiter, auch/unter anderem auf Wattpad. Auch wenn ich dann Gott weiß w0 bin und Gott weiß was tue.
So. Das musste ich kurz formulieren. Vielleicht, weil meine allerletzte Schulwoche läuft Zu meiner (weiteren) Entschuldigung: Es ist halb vier am Morgen und ich muss in zwei Stunden aufstehen.
Das Harry-Zayn-Gespräch, also kurz ein Hopser in die Vergangenheit, das kennen wir ja schon (:
TW: Es wird über Medikamentenmissbrauch geredet. Und Medikamenten-Wirkungen. Lest das bitte nur, wenn ihr euch damit wohlfühlt!
Und: Ich bin kein Arzt. Ich weiß nur, was ich weiß. Lasst mich wissen, wenn ihr mehr wisst und es Verbesserungsbedarf und Faktenklarstellung braucht!
There's a time for saying who did what
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Pov Harry
Ich saß auf heißen Kohlen, bis Zayn zurückkam.
Dass ich um dieses Gespräch nicht drum herum kommen würde, war wohl offensichtlich. Nur hatte ich keinen blassen Schimmer, worum es gehen könnte. Ich grübelte, während ich unter der Dusche stand und im Schwall des eiskalten Wassers zitterte, ich grübelte, während ich mich so schnell wie möglich und mit Gänsehaut in eine Jogginghose und den größten Pullover aus meinem Schrank quetschte und ich grübelte, während ich die benutzten Tassen ausspülte und wegräumte. Und trotzdem fand ich keine Antwort, die mich beruhigen könnte. Nichts war nicht schlimm.
Zayn könnte über die Panik reden wollen. Die definitiv nicht so unter meiner Kontrolle war, wie ich es eigentlich wollte. Oder behauptete. Vielleicht ging es auch nochmal um Nick, oder um Derek. Vielleicht um mein Gespräch mit Monika? Das wäre okay. Darüber konnte ich reden, so reden, dass sich Zayns Stirn wieder glätten würde.
Was, wenn es um...nein. Das konnte er unmöglich wissen.
Als der Schlüssel im Schloss kratzte und sich die Wohnungstür mit einem Knarren öffnete, wäre ich fast in mein Zimmer gerannt, um mich zu verstecken. Ich atmete dann doch lieber tief durch und sank aufs Sofa. Alles andere wäre... echt albern.
,,Bin sofort bei dir.", hörte ich Zayn rufen, seine Jacke raschelte, als er sie aufhängte. Ich rutschte ein bisschen auf den Kissen herum. Wollte er lieber in sein Zimmer gehen? Immerhin war Luke...wo war Luke eigentlich? In seinem Zimmer? Unterwegs,vielleicht mit seiner Band? War heute Probe? Ich hatte keine Ahnung und das tat mir ein bisschen leid. Er hatte mir erzählt, wann sie sich regelmäßig trafen, ich hatte es nur vergessen.
,,Luke pennt auswärts, bei seiner Freundin.", riss mich Zayn aus meinen Gedanken, als er sich aufs Sofa setzte, behutsam und mit einem gewissen Abstand zwischen uns. Ich zuckte zu ihm herum. Fast, als hätte er meine Gedanken gelesen. Oder ich war einfach mal wieder ein bisschen zu lesbar. Was ich nicht hoffte, das würde mich auch nicht weiterhelfen, eher im Gegenteil.
Ich biss mir auf die Unterlippe, schluckte. Wartete darauf, dass er den Mund öffnete. Ich hatte immerhin nichts zu sagen.
Zayn presste jedoch die Lippen fest aufeinander, er schwieg. Die Spannung im Raum wuchs und wuchs, die Luft wurde dicker und schwerer. Sie lastete auf meinen Schultern, drückte auf meine Lungen. Ich atmete tief ein, zählte bis vier, dann tief wieder aus. Zählte nochmal bis vier. Blöder Elefant im Raum.
Ich atmete nochmal ein, dann brach ich die Stille. War ja kaum zu ertragen.
,,Worum geht es?" Meine Stimme war wacklig, schwächer, als ich sie haben wollte. Aber zumindest brachte das Geräusch Bewegung in Zayn, er räusperte sich. Kurz stockte er, dann fand er seine Worte.
,,Hör zu", setzte er an, ,,ich weiß, dass du erwachsen bist, dass ich mich nicht in dein Leben einmischen sollte und dass du allein für dich verantwortlich bist." Er sah mir in die Augen, ernst und fest. Ich nickte, ein bitterer Geschmack in meinem Mund. ,,Aber ich bin trotzdem dein Freund, lange schon. Und als dein Freund darf ich mir und sollte ich mir Sorgen um dich machen. Und mich einmischen, wenn die bestätigt werden."
Ich schluckte. Worauf wollte er hinaus? Wo wollte er sich einmischen? Wollte er eine Verfügung anzetteln? Das wäre im Anbetracht der Ereignisse der Woche das, was ihm durch den Kopf gehen könnte, oder?
,,Worauf willst du hinaus?", wiederholte ich meine Gedanken. Zayn ballte die Hände zu Fäusten, löste sie dann langsam wieder. Er schien genauso bedacht und tief durchzuatmen wie ich.
,,Ich hab Tabletten bei dir gefunden, Harry, Medikamente. Zum Schlafen, zur Beruhigung." Zayn hatte einen sanften Ausdruck in den Augen, als er das sagte. Ein bisschen was Flehentliches auch. Mir rutschte das Herz in die Hose, mein Herz schlug plötzlich doppelt so schnell. Fast augenblicklich spürte ich kalten Schweiß in meinem Nacken. Vielleicht waren das aber auch nur die nassen, triefenden Locken.
Wie hatte das passieren können? Sie waren versteckt, sicher versteckt in dieser Dose, ich wäre niemals so unachtsam gewesen, die Blister offen rumliegen zu lassen. Oder hatte ich das? Nein, bestimmt nicht. Und erst recht nicht in der Küche, im Bad, hier im Wohnzimmer, wo Zayn oder Luke sie gesehen haben könnten. Wie hatte Zayn das Zeug gefunden?
Meine Hände verkrampften sich, meine Gedanken rasten.
Und plötzlich verpuffte die Angst, die Panik, und Wut packte mein Herz. Zerquetschte es. Weil Zayn das nur auf einem Weg hätte rausfinden können.
,,Wieso durchsuchst du mein Zimmer, Zayn?! Da hast du nichts verloren, wenn ich dich nicht reinlasse, und Sachen durchwühlen geht erst recht nicht!" Meine Stimme überschlug sich hysterisch, Blut rauschte in meinen Ohren. Meine Finger zitterten, als ich einen davon anklagend hob.
Es fühlte sich ein bisschen wie Verrat an. Freunde durchsuchten nicht die Zimmer voneinander. Oder?
,,Hey, hey", beeilte sich Zayn zu sagen, die Hände erhoben. Ich hörte ihn kaum. ,,So war das nicht, wirklich nicht. Du weißt, dass ich das nie tun würde. Dein Rucksack ist umgekippt, im Flur, eben, als du mit Franzi weg warst. Ich wollte ihn nur wieder richtig hinstellen und dann sind mir die Blister aufgefallen."
,,Und warum googelst du dann, wofür die da sind?! Warum siehst du dir die einfach an?!" Ich beruhigte mich nicht, gar nicht. Ich schnappte nach Luft. Meine Adern brannten vor Wut, vor Angst, vor Scham. Meine Wangen mussten hochrot sein, wie das Gefühlschaos in meinem Inneren.
Ellen wäre richtig stolz über den Gefühlsausbruch. Sie hatte immer gesagt, meine Wut sollte besser an die Oberfläche kommen und sich laut und hässlich und irrational Gehör verschaffen als schweigend hinuntergeschluckt zu werden.
So fühlte sich das aber nicht an. Das tat weh. Weil Zayn anschreien weh tat, weil Zayns Worte wehtaten. Und weil mein Herz gleich explodieren würde, so schnell schlug es. Das Rot in meinem Sichtfeld verschwand einfach nicht.
,,Das Ansehen war ein Reflex.", entschuldigte sich Zayn. Sein Blick war jetzt ernster, noch entschlossener. Ich versuchte, mich allein auf seine dunkle Iris zu konzentrieren. ,,Das Googeln nicht mal nötig. Ich meine...Melatonin Präparate, ist wohl offensichtlich. Und Xanax, Bentos? So gut kenne ich mich dann doch aus, das ist quasi...Allgemeinwissen. Das sind Medikamente, die abhängig machen können, Haz, und die definitiv nicht einfach so konsumiert werden sollten."
Ich hielt inne, versuchte, zu Atem zu kommen. Ich brauchte eine Ausrede, einen Ausweg, egal, wie wütend ich war. Zayn würde nicht locker lassen, er würde mich nicht einfach in Ruhe lassen, er würde nicht einfach vergessen, was er gesehen hatte. Was er glaubte, gesehen zu haben. Ob er nun log oder nicht, ob ich ihm nun vertrauen konnte oder nicht, ob er mir jetzt gar nichts mehr abkaufen würde oder nicht...erstmal musste ich eine Ausrede finden. Ausweichen und mit Wut um mich schlagen würde ihm nur eine Antwort geben, zu der er nie kommen sollte.
Ich strengte mich an, meine Konzentration wieder zu finden. Was hatte ich mir nochmal für so einen Fall überlegt? Wieso verschwammen meine Gedanken so sehr?
Vielleicht konnte ich behaupten, dass er log, oder dass mir die Teile nicht gehörten, ich sie nur aufbewahrte...
,,Also. Sind die verschrieben?"
Ich sah zu ihm rüber, in seine dunklen Augen. Ich könnte lügen. Ich könnte einfach ja sagen, er bot mir einen perfekten Ausweg. Ich könnte einfach sagen, dass die Medikamente Folge eines Arztbesuchs wären, vielleicht ganz frisch. Dass ich mir endlich eingestanden hatte, dass ein bisschen Hilfe nicht schaden könnte oder sowas.
Aber...dann würde Zayn wahrscheinlich darauf drängen, dass ich direkt mit den Medikamenten auch eine Therapie startete. Wie man das nunmal tat. Er würde erwarten, dass ich an mir arbeitete oder so. Wobei ich das nicht musste. So, wie es war, lief es. Nicht gut, aber es lief. Es funktionierte. Und das war schon mehr, als ich erwartet hatte. Optimal brauchte ich gar nicht.
Nicht, wenn das bedeutete, meine eigenen Versprechen mir selbst gegenüber zu brechen und jede alte, längst verheilte, schrecklich hässliche Wunde wieder aufzureißen. Nicht, wenn ich wieder wegen all dieser Gefühle und Bilder innerlich brennen musste. Nein, so wie es war, funktionierte es gut. Zayn sollte das einsehen.
Er hatte selbst gesagt, dass ich erwachsen war, oder? Mein Leben, meine Entscheidung?
Ich öffnete den Mund, versuchte, die Worte zu formen, darauf zu beharren, dass es ihn nichts anging. Aber Zayns Blick hielt mich davon ab. Er sah so...so sanft aus. So besorgt, so vorsichtig. Er hatte Angst mir wehzutun, er hatte Angst, dass ich lügen würde, weil ich das nun mal immer tat. Er fühlte sich jetzt schon verraten, er glaubte jetzt schon, dass ich ihm nicht vertraute. Er war schon jetzt unsicher, wie er mit mir reden, wie er mir überhaupt gegenüber treten sollte. Und er machte sich Sorgen. Er wollte nur helfen, für mich da sein.
Und...er war nicht sauer. Nicht wütend, nicht enttäuscht. Nicht angeekelt.
Und in mir war seltsamerweise nicht ein Funken Scham übrig geblieben. Nur...all die Angst. Und der Schmerz, die Wut. Was sollte ich glauben, was sollte ich tun? Ehrlich sein, noch mehr Probleme produzieren, mich vor meinen Freunden schon wieder, nochmal, so verletzlich zeigen, so schwach? Oder sollte ich ihn wegstoßen, ihm einen ganz anderen Schmerz bereiten, mich in mir verstecken, wie es mir mein Kopf laut brüllend befahl?
,,Ich..." Meine Stimme brach. Es kam nichts mehr heraus, keines der Worte, die ich mir dachte.
Zayn versuchte ein Lächeln. Er stupste mich an, vorsichtig, behutsam. ,,Hey."
Ich blinzelte, spürte das Wasser in meinen Augen. Ich schluckte, flehte, dass die Tränen nicht fließen würden. Das brauchte ich jetzt nicht, gar nicht. Ich musste eine Ausrede finden, ich musste ihn überzeugen, ich musste einfach...etwas sagen.
,,Atme, Harry. Nicht das Atmen vergessen." Zayns Stimme neben mir war weich und leise. Ich spürte seine warme Hand auf meinem Arm, erdend und fest. Ich versuchte, mich auf seine Berührung zu konzertieren, nicht in mir selbst zu ertrinken. Zayn sprach mit mir, zählte Zahlen, die ich nicht ganz erfassen konnte, aber seine Stimme reichte schon. Ich atmete, ich hörte, ich konnte wieder sehen. Es war okay. Rot verschwamm, Farben wurden feste Strukturen und das Wohnzimmer wurde zum Wohnzimmer.
,,Alles wird gut.", drang seine warme Stimme zu mir durch. ,,Alles wird gut."
Ich holte zittrig Luft, dann spürte ich die Nässe auf meinen Wangen. Kalt und feucht rannen die Tränen nun doch über meine Haut, aber es fühlt sich...erlösend an. Meine Lunge dehnte sich wieder aus. Ich blinzelte zu Zayn hinüber. Meine Hand zu heben, um mir über das Gesicht zu fahren, traute ich mir nicht ganz zu.
,,I-Ich...", stammelte meine Stimme, rang nach Worten. Zayns Hand fuhr über meinen Rücken.
,,Ist schon okay. Es tut mir leid, dass ich dich so gedrängt habe. Ich hätte das...anders machen sollen." Er wusste nicht, wie er das anders hätte machen sollen. Ich wusste es auch nicht. Ich wusste grade überhaupt nichts mehr. Aber er hatte nach den Tabletten gefragt. Und saß immer noch neben mir, weich und ruhig und sanft. Er hatte eine Antwort verdient, oder? Und was als die Wahrheit könnte ich jetzt noch überzeugend verkaufen?
Ich schluckte und konzentrierte mich auf den Teil in mir, der Zayn kannte. Seit so lange kannte. Er würde nichts tun, das mir weh tun würde. Und er hatte gesagt, dass ich für mich verantwortlich war und er sich eigentlich nicht einmischen wollte. Er konnte mich sowieso zu nichts zwingen. Und er saß noch neben mir, keine Enttäuschung, keine Wut in seinem Gesicht. Er würde mich nicht verurteilen, oder?
Mein Inneres sträubte sich lautstark, aber ich räusperte mich trotzdem. Ihn jetzt wegzustoßen wäre herzlos und eine Ausrede wäre nicht mehr glaubhaft genug, um ihn zu beruhigen.
,,Ich hab sie nicht von einem Arzt.", flüstere ich am Kloß in meinem Hals vorbei. Zayns Gesicht veränderte sich nicht. Das hatte er sowieso nicht geglaubt, vielleicht gehofft, aber nicht geglaubt. ,,Ich hab sie mir selbst besorgt, vor...vor ein paar Monaten." Ich erinnerte mich daran nicht so genau. Vieles, was ich erlebt hatte, war nicht ganz ausskizziert, wenn ich zurückdachte. Als hätte man die Bilder in meinem Kopf direkt nach dem Zeichnen verwischt. Konturen fehlten, Farbe fehlte. Nur leider betraf das nicht die Erinnerungen, die ich so dringlich vergessen wollte.
Aber eines wusste ich wohl doch noch. Das erste Mal, als ich das Melatonin zum Schlafen genommen hatte, hatte ich das mit der Dosis ein bisschen...unterschätzt. Ich hatte viel zu lange geschlafen. Aber traumlos und schnell. Das hatte mich über meine Angst hinweg getragen. Melatonin an sich war ein Hormon, nicht wirklich ernsthaft gefährlich. Überdosierung hatte meist nur Kopfschmerzen und ein bisschen Übelkeit zur Folge. Und jetzt war ich vorsichtiger.
,,In Manchester?"
Ich schüttelte den Kopf, bot ihm aber auch keine andere Antwort an. Darum ging es ja gar nicht, oder?
,,Ich...ich nehm sie so selten wie möglich.", erklärte ich stattdessen. Endlich konnte ich meine Hand heben, um die Nässe von meinen Wangen zu wischen. Ich musste so schlimm aussehen, wie ich mich fühlte. ,,Und nie in Kombination." Die Stimme in meinem Kopf schrie.
,,Wie oft...wie oft nimmst du sie denn?", fragte Zayn nach, offensichtlich unsicher, was er sagen sollte und was nicht. Das kam mir bekannt vor, also gab ich mir Mühe, eine Antwort aus meiner Kehle zu quetschen. ,,So selten wie möglich, so oft wie nötig. Das Melatonin nur dann, wenn ich entweder echt lange zu wenig geschlafen habe oder...oder ich die Alpträume schon kommen spüre." Ich hielt inne. Das konnte ich kaum erklären. Zayn fragte aber auch nicht, also fuhr ich fort, während meine Finger mit einem kleinen Faden des Pullovers herumspielten. ,,Es ist ein Hormon, es ist kein Wundermittel, aber mir hilft es wirklich. Und es ist nicht richtig gefährlich oder macht abhängig."
Zayn schwieg. Ich kratzte meinen Mut zusammen.
,, Xanax nur dann, wenn...wenn ich nicht mehr kann."
Zayn hakte auch da nicht nach und ich war ihm dankbar. Wenn er wusste, wie die meisten Benzodiazepine wirkten, musste er auch nicht fragen, was ich meinte, das konnte er sich auch denken.
,,Und", räusperte sich Zayn dann doch, die Hand noch immer erdend an meiner Haut, ,,wie fühlt es sich an? Hilft es? Xanax, meine ich." Ich stockte. Mit der Frage hatte ich irgendwie nicht gerechnet. Wie fühlte es sich an?
,,Es ist...kein Rausch oder so.", versuchte ich es, aber irgendwie konnte kein Wort fassen, was für ein Gefühl oder was für ein Gefühl eben nicht mich packte, wenn ich die Tabletten nahm. ,,Man macht sich einfach...weniger Sorgen. Weniger schwere Gedanken. Alles ist viel leichter, viel unkomplizierter, viel...schöner." Ich räusperte mich. ,,Man ist einfach entspannt, denke ich."
Zayn nickte nachdenklich, eine kleine Falte hatte sich auf seiner Stirn gebildet. Ich wusste, was er als nächstes fragen wollte, aber für diese Frage musste ich mir keine Worte zurecht legen. Ich wollte die Wahrheit sagen, weil das das war, was Zayn auch hören musste.
,,Xanax, Bezos allgemein machen total schnell abhängig, Haz. Wenn du es seit Monaten nimmst...", setzte Zayn an, ohne zu fragen, aber ich antwortete trotzdem überhastet.
,,Ich bin aber nicht abhängig. Du hast recht, aber diese Abhängigkeit entwickelt sich aus täglichem Konsum, dann gewöhnt der Körper sich daran. Darum nehme ich es eben nicht täglich, sondern nur so selten wie es geht. Nicht täglich. Und in super geringer Dosierung, nie mehr als 1,5 mg." Und das stimmte tatsächlich. Wäre ich abhängig, müsste es längst körperliche Symptome geben, sobald ich es nicht nahm. Die gabs bei mir aber nur, wenn ich eine Panikattacke bekam. Was dann weniger mit Entzug als...Panik zu tun hatte.
,,Okay, ich glaube dir ja, aber...psychisch, meine ich." Zayn stupste mich vorsichtig an. ,,Es gibt schließlich nicht nur physische Abhängigkeit." Wie viel hatte Zayn wirklich recherchiert? Ich warf ihm einen langen Blick zu. Darüber hatte ich noch nicht ganz so ausführlich nachgedacht. Ja, mein Wunsch, mein Verlangen nach den Tabletten war meistens recht hoch - weil ich Angst vor Panik hatte. Aber nannte man das dann psychische Abhängigkeit? Es war ja nicht so, als würde ich diesem Wunsch immer und grundlos nachgeben.
,,Ich bin nicht abhängig.", wiederholte ich einfach eisern und legte so viel Wahrheit wie möglich in meine Stimme und meine Augen. ,,Und ich gehe so verantwortungsbewusst damit um, wie man nur kann. Und ja, es hilft wirklich. Ich hab so schon einige Panikattacken und noch viel mehr Alpträume und schlaflose Nächte vermieden. Und schlimme Nebenwirkungen hab ich auch nicht. Es ist also alles gut."
So sah Zayn das nicht, das musste er nicht mal aussprechen, damit ich es sah. Aber noch immer war kaum etwas wie Ablehnung oder Unverständnis, Ekel oder Wut in seinen Augen, viel mehr...Besorgnis. Auch wenn das nichts war, was ich darin sehen wollte. Besser, als verurteilt zu werden.
Er konnte mich sowieso zu nichts zwingen, richtig?
Ein Moment der Stille. Zayn schien nachzudenken, tief in Gedanken abgetaucht zu sein. Ich nutzte die Sekunden, um mich zusammenzureißen und mein Gehirn zum Schweigen zu bringen. Ich hatte meinem Mitbewohner und Freund erklärt, warum ich illegal Medikamente einnahm. Wie oft ich sie einnahm, warum sie halfen, wie sie sich anfühlten. Ich hatte mich gerechtfertigt und betont, dass ich nicht abhängig war. Es war also nichts Schlimmes passiert. Zayn musste das so akzeptieren oder...es vergessen. Seine Entscheidung, weil sonst wäre ein riesiger Haufen Spannung zwischen uns, der als Mitbewohner und Freunde ganz schön viele Schwierigkeiten bedeuten würde.
Ich schluckte. Nein, das wollte ich nicht. Die Stimme triumphierte.
Nein. Der Haufen wäre auch da, hätte ich unglaubwürdig gelogen. Dann gäbe ich zusätzlich auch noch ganz viel Wut und Misstrauen. Nicht besser als jetzt, nein.
,,Harry." Zayn drehte sich jetzt ganz zu mir um, um mich direkt ansehen zu können. Ich zuckte ein bisschen zusammen, sah aber in seine dunklen, ernsten Augen. Ich atmete. ,,Ich möchte, dass es dir gut geht." Er machte eine Pause, als würde er mir Zeit geben, ihm das abzukaufen. Aber ich wusste auch so, dass es wahr war. ,,Und ich mache mir Sorgen um dich. Es mag sein, dass du mit den Medikamenten eine Lösung gefunden hast, die kurzfristig zu dir passt, aber so kann das nicht weitergehen."
Ich wollte ihn unterbrechen, aber Zayn schüttelte den Kopf und riss das Wort weiter an sich.
,,Ich kann dir nicht vorschreiben, was du tun sollst, Harry. Du weißt selber, dass Vermeidung nicht gleich Verarbeiten und Abschließen bedeutet. Und dass man mit Vorsicht und Gewissenhaftigkeit nicht sämtliche Gefahr ausschließen kann." Er sah noch ernster aus als vorher, mein Magen zischte unglücklich. ,,Du kannst das nicht ewig machen, ohne doch noch in irgendeiner Weise abhängig zu werden oder deinem Körper oder deiner Psyche dauerhaften Schaden zuzufügen. Du musst einen anderen Weg finden, um mit dem, was die Panikattacken auslöst und deine Schlafschwierigkeiten kreiert, klar zu kommen."
Ich spürte die heiße, nein, lauwarme Wut in meinen Adern wieder auflodern. Er wollte mir eben doch etwas vorschreiben, nämlich dass alles, was ich versuchte, um voranzukommen, falsch und schlecht gewesen war und ich was anderes tun sollte. Therapie, das war sicher in seinem Sinne.
Mich in einen Raum zu setzen und zu schweigen würde mir aber nicht helfen, wenn ich in der überfüllten U-Bahn die Berührung eines Fremden nicht ertragen konnte, oder keine Luft mehr zu bekam. Mich in einen Raum zu setzen und tatsächlich zu reden würde mich zurück in das schwarze Loch ziehen, aus dem ich seit Jahren zu entkommen versuchte. Es würde sämtlich Bilder, Geräusche, Gerüche und Gefühle wieder frisch und genauso schmerzhaft wie damals in meiner Seele platzieren. Danke, aber nein Danke.
,,Ich werde nicht...", setzte ich wütend an, aber wieder unterbrach Zayn mich, bevor mein Satz überhaupt beendet war.
,,Du bist für dich verantwortlich und tust, was du willst.", sagte er, den Griff um meinen Unterarm leicht verstärkend. ,,Ich kann und werde dir nicht die Tabletten wegnehmen, solange du mir versprichst, ganz vorsichtig mit ihnen umzugehen. Aber ich muss mich auf dich verlassen können." Er starrte mich an, als wolle er einen Schwur hören. Ich biss mir auf die vor Wut und...und was auch immer sonst zitternde Unterlippe. Zayn seufzte.
,,Ich verlange jetzt keinen Gedankenumschwung von dir, Harry. Ich möchte nur, dass du darüber nachdenkst, was ich gesagt habe. Verdängen und Vermeiden ist nichts, was langfristig alle Probleme löst, alle düsteren Gedanken und Gefühle verschwinden lässt. Und das willst du doch, oder?"
Ich nickte, wenn auch wiederwillig.
,,Gut. Informier dich ein bisschen, denk nach. Und versprich mir verdammt noch mal", jetzt hob er seine Stimme ein bisschen und wirkte plötzlich viel mehr wie der Zayn, den ich gerne sehen würde, ,,dass du auf dich aufpasst. Und wirklich, wirklich vorsichtig mit dem Zeug bist."
Ich schluckte die Wut hinunter. Das klang gar nicht...bevormundend. Das klang ehrlich und besorgt und so, als würde er mir tatsächlich vertrauen, dass ich die richtigen Entscheidungen auch ganz allein treffen konnte. Das klang nicht nach einem Ich will nur das Beste für dich, lass mich sämtliche Entscheidungen für dich treffen, das ich lange genug gehört und hingenommen hatte.
Seltsamerweise musste ich lächeln. Und gleich nochmal weinen. Weil diese ganze Situation so schrecklich, so so beängstigend war und doch irgendwie...schön. Weil Zayn mir was zutraute, mir vertraute. Selbst wenn er aussah wie sieben Tage Regenwetter.
Ich schlag kurzerhand meine Arme um Zayn und drückte ihn an mich. Ein überraschtes ,,Uff" entwich seinen Lippen, dann schloss er auch seine Arme um meinen Körper.
,,Danke", wisperte ich, ,,danke fürs nicht Verurteilen."
,,Danke", wisperte Zayn, ,,danke fürs ehrlich sein."
Wir verharrten in dieser Position und nicht nur ich musste schon wieder heulen. Aber ich versuchte, ehrlich zu mir selbst zu sein. Ich sollte nicht so naiv sein. Zayn würde nicht hinnehmen, dass ich die Tabletten für immer nahm. Er würde sicher irgendwann wieder damit anfangen. Es vielleicht sogar jemandem sagen. Liam, Louis. Oh Himmel, Louis! Das wäre ein Alptraum für sich.
Ich hatte den Moment mit der Wahrheit retten können und Zayn hatte mitgespielt. Aber das Problem, dass jemand von meinen Medikamenten wusste, würde sich nicht in Luft auflösen. Ich musste wirklich ernsthaft darüber nachdenken, was ich tun sollte.
,,Gibt es noch etwas, das du mir erzählen möchtest?", hörte ich Zayns leise Stimme an meinem Ohr. Und zum vielleicht ersten Mal in meinem Leben, oder zumindest zum ersten Mal seit unendlichen Jahren überlegte ich tatsächlich, ob ich noch etwas sagen wollte. Was Derek wirklich für mich und mit mir getan hatte. Die Wahrheit über meine Eltern. Nick. Die Zeiten, in denen wir alle noch Kinder gewesen waren, klein und naiv und grinsend und laut. Ein Chaos.
Ich musste fast würgen, als diese Gedanken aufkamen. Nein. Niemals, absolut niemals würde etwas darüber meinen Mund verlassen. Ich wollte diese Kapitel abschließen und an dem Neuen arbeiten, dass ich hier zu schreiben versuchte.
Ich sprach stattdessen den einzigen Gedanken aus, der nicht weiter von all den anderen entfernt liegen könnte.
,,Darf ich dich was zu Louis fragen?"
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Kleiner Cliffhanger (:
Spoiler: viel Wartezeit bis zum nächsten Kapitel, hehe. Dafür war dieses mal wieder ganz schön lang, zumindest etwas, oder?
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