Drei Jahre
"Sie wird schon noch kommen", flüsterte Lou leise, bei dieser Sache vertraute sie Mei vollkommen. Sorglos legte Lou ihr Handy beiseite und beobachtete die restlichen Gäste.
Die meisten Anwesenden waren Pärchen, im Alter unterschieden sie sich dennoch alle. Ein sehr junges Paar saß in einer Ecke, die beiden konnten kaum älter als sechzehn sein. Schüchtern lächelten sie sich an. Auch die anderen waren sehr ruhig und in ihren eigenen Gedanken und Gesprächen vertieft.
"Kann ich Ihnen etwas bringen?", unterbrach die junge Kellnerin Lou. "Ehm", stotterte diese und warf einen flüchtigen Blick auf die Speisekarte, "Ein Glas Rotwein? Vielleicht ein Glas Merlot." Die Brünette in der Schürze nickte, während sie es sich aufschrieb.
"Es tut mir leid", verlegen blickte die Kellnerin an ihr vorbei, "Aber dürfte ich ihren Ausweis sehen?" Verblüfft schaute Lou sie an. Inzwischen war sie doch dreiundzwanzig, dieses Jahr würde sie sogar vierundzwanzig werden und ihren Personalausweis musste sie schon lange nicht mehr hervorzeigen. "Kein Problem", erwiderte sie und holte die kleine Karte aus ihrem Portmonee. Irgendwie schmeichelte es ihr.
Flüchtig betrachtete die Brünette ihn, ehe sie ihn zurück reichte und in der Küche verschwand. Ihr Blick glitt an die riesige Uhr über der Tür. Langsam näherte der lange goldenen Zeiger sich der Nummer sechs.
Mei stürmte wortwörtlich in den Raum, ihre kurzen Haare berührten zwar kaum die Schultern, waren aber verstrubelt wie sonst nie. Hastig sah sie sich im Raum um und entspannte sich sichtlich, als sie Lou bemerkte. Wie ein Model lief Mei auf sie zu, die hohen Absätze klapperten bei jedem Schritt und ihre Hüfte bewegte sich im Takt mit.
"Hey", flüsterte Mei. Lou stand auf, fuhr einige Male über ihr eigenes Kleid um es zu richten und drückte dann einen kurzen Kuss auf Meis rosige Lippen. "Hey", erwiderte Lou leise. Mit ihren hohen Schuhen war sie beinahe so groß wie ihre Partnerin und so standen sie heute auf Augenhöhe.
"Wartest du lange?", erkundigte Mei sich. "Nein", sagte die andere und schüttelte dabei ihren Kopf, die halbe Stunde war zu ertragen. "Wollen wir uns setzten?", fragte sie dann und schob den Stuhl für ihre Freundin zurecht.
"Wie charmant", kicherte Mei. Eine schwarze Strähne fiel ihr ins Gesicht und verdeckte ihre noch dunkleren Augen. Vorsichtig wischte Lou sie weg.
Die Kellnerin kam und brachte zwei Weingläser. "Ich habe ihre Begleitung gesehen und dachte, sie wollen vielleicht gemeinsam anstoßen", erklärte sie sich und legte die beiden Gläser ab. "Danke", Lou lächelte sie an, "Sehr freundlich."
Die Kellnerin wandte sich der Blondine zu. "Wissen sie schon, was sie essen..."
"Nein! Und könnten sie uns bitte alleine lassen, wir würden gerne unsere Zeit gemeinsam verbringen", knurrte Mei, wobei sich ihr Gesichtsausdruck verhärtete. Sie schnappte sich ihr Glas und zog es an sich, fast schwappte der Wein über.
"Alles klar bei dir? Was ist denn in dich gefahren?", verlangte Lou zu wissen, als die Brünette am nächsten Tisch stand.
"In mich?", fragte die Asiatin ungläubig, "Ihr zwei turtelt hier rum wie zwei Verliebte!"
"Nein", vehement schüttelte sie ihren blonden Kopf, "Ich war nur höflich."
Versöhnend legte Lou ihre Hand auf Meis. "Lass uns doch nicht streiten, nicht an unserem dritten Jahrestag, lieber sollten wir darauf anstoßen", flüsterte sie.
Drei Jahre, drei unglaublich schöne Jahre in denen sie zusammengezogen waren und sich mehrfach für die gleiche Schule angemeldet hatten, dieser Versuch hatte aber leider nie geklappt.
Drei Jahre, die sie inzwischen durchlebt haben und gemeinsam durch Höhen und Tiefen gegangen sind.
Drei Jahre, nach denen Lou den nächsten Schritt wagen wollte.
"Ja, du hast vollkommen Recht" stimmte Mei zu und griff nach ihrem Glas. Sie hob es hoch und wartete, dass Lou mit ihr anstoß.
Leise klirrten die beiden Weingläser, als sie sich berührten. Dann beugte die Asiatin sich zu der Blondine vor und küsste sie zärtlich.
"Wie war dein Tag?", erkundigte Lou sich.
"Ach, nicht wirklich viel gemacht. Ich habe in der Wohnung aufgeräumt und etwas Dekoration bestellt. Dann habe ich mit meinen Eltern telefoniert, ich hab dir doch gesagt, dass sie uns besuchen kommen?", fragend sah Mei zu ihrer Freundin auf.
"Ja klar. Ich kann es kaum erwarten", erwiderte die Blondine und vertiefte sich dann in der Speisekarte. "Ich dachte mir, wir könnten sie auch zum Essen ausführen", dachte Lou laut nach. Ruckartig hob Mei ihren Blick und sah dabei über den Rand ihrer eigenen Speisekarte.
"Auf gar keinen Fall!", zischte sie. "Naja vielleicht etwas Feines, immerhin ist unsere Küche klein und der Tisch auch" gab sie ihre Bedenken preis. Sie verstand nicht, warum ihre Partnerin plötzlich so ausrastete. "Ganz bestimmt nicht, wir essen zu Hause und ich koche", bestimmte die kleine Asiatin und las dabei im Menu weiter. "Okey", gab Lou doch noch nach.
Heute muss alles gut gehen, dachte sie sich, und dann ist es auch egal, ob wir zu Hause oder irgendwo anders essen.
Wieder kam die Kellnerin, mit dem kleinen Notizblock in ihren Händen, den Stift schreibbereit gezückt. "Haben sie sich entschieden?", fragte sie mit einem kleinen Lächeln, aber immerhin war dies ihr Job. Lou selbst erkannte keinerlei Problem darin, für sie war nichts Anzüglivhes, kein Flirten oder so.
"Für mich bitte die Kürbissuppe und danach", fing Lou an aufzuzählen und sah nochmal kurz in die Speisekarte. "Wir nehmen zwei Kürbissuppen, einmal gegrillten Lachs mit gegrilltem Gemüse und dem Käse. Dazu einen Salat Caesar mit Hühnerfleischstückchen. Als Nachspeise nehmen wir heiße Himbeeren, oder Schatz?" Lou gehorchte, brav nickte sie, immerhin durfte es heute einfach zu keinen weiteren Konflikten kommen.
Anscheinend hatte Mei einen schlechten Tag, irgendwas war passiert. Außerdem gab es keinen Grund sich zu beschweren, die Wahl war gar nicht mal so schlecht. Aber war der Salat für sie, oder doch für Mei?
Lou schüttelte ihren Kopf, jetzt musste sie sich konzentrieren.
Die Musik hatte erneut eingesetzt und im Takt tippte Mei mit einem Finger gegen den Rand des Tisches. Um sie herum war es still geworden und viele Gäste hatten den Laden inzwischen verlassen.
"Mei?", flüsterte Lou. In ihrem gesamten Körper kribbelte es, sie hörte das Blut in ihren Ohren rauschen und jedes einzelne Härchen stellte sich ihr auf. Auf diese Frage hatte sie fünf Wochen lang hingearbeitet und nun war es soweit. Sie griff in ihre Jackentasche und holte das kleine Kästchen hervor. Mit zittrigen Fingern öffnete sie es und schaute Mei direkt an.
"Willst du mich heiraten?"
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