Der Teufel im Engelskostüm
Eine Frau saß Lou gegenüber und inspizierte die Blondine. Lou spielte mit einem losen Faden ihres Hoodies und sah nicht auf. Die Redakteurin räusperte sich. "Entschuldigen sie", begann die nett aussehende Dame, "Können wir anfangen?" Mehrmals nickte die große Blondine und schluckte schwer. "Sicher", krächzte sie. "Dann stellen sie sich zuerst einmal vor."
"Ich bin Lou, aber eigentlich heiße ich Louisa Winzer, ziemlich offensichtlich eine Frau", Lou lachte, fing sich aber schnell, "Mittlerweile bin ich ganz schön alt geworden, genauer gesagt 26, unglaublich wie schnell die Zeit vergeht! Ich soll ein Interview führen, aber eigentlich bin ich normal... Neben meiner Größe, also genau 182 Zentimeter , sehe ich auch durchschnittlich aus... Ich habe lange blonde Haare und stechend blaue Augen. Viele beneiden mich um die langen Beine. Mehr gibt es zum Aussehen nicht zu erzählen"
Lou nickte und sah zu der Frau, Frau Leipelt hatte sie sich vorgestellt. "Was macht sie so außergewöhnlich?", erkundigte diese sich und notierte sich etwas in ihrem Block.
"Ich bin auch nur ein Mensch, aber es könnte sein, dass ich außergewöhnlich bin, weil ich lesbisch bin... Obwohl ich hier der Meinung bin, jeden sollte man so respektieren wie er ist. Das durfte ich nie erleben. Seit ich als Kind meine Gedanken über hübsche Mädchen aus meiner Stufe teilte, sagte jeder "es sei nicht normal" und "es wär nur eine Phase"", ihre Stimme zitterte und sie holte stockend nach Luft.
"Wie würden sie ihren Charakter beschreiben? Was ist die Motivation, welche sie jeden Tag weiterbringt? Warum haben sie nicht aufgegeben?", stocherte die Brünette weiter nach und immer mehr wurde sie Lou unsympathisch - Der einzige Grund warum die Mittzwanzigerin sitzen blieb, waren die vielen anderen Menschen, welche diese Hilfe benötigten.
"Ich war sehr naiv und irgendwie bin ich es immer noch", fing sie an zu sprechen, "Schon immer stellte ich die Bedürfnisse anderer über meine. Es ist und war falsch! Natürlich bin ich immer noch lieb, nett und hilfsbereit, aber ich weiß, dass es Grenzen gibt. Meine Motivation? Viele anderen Kinder, die genau wie ich aufwachsen. Ohne Unterstützung und Verständnis."
Das war doch mal eine gute Antwort, zufrieden richtete sie sich im Sessel auf und legte ein Bein über das andere. "Wie ist es mit ihrer Familie?" Frau Leipelt öffnete ihren Mund und wollte weitersprechen, aber Lou unterbrach sie.
"Ich bin eine deutsche Kartoffel, nur Englisch hab ich in der Schule gelernt. Meine Eltern sind geschieden, aber das war schon immer so. Ich bin bei meiner Mutter aufgewachsen und obwohl sie mich nicht richtig verstand, war ich immer behütet. Ich habe eine Schwester, aber wir sehen uns eigentlich nie. Meine Mutter besuche ich regelmäßig, jeden zweiten Mittwoch. Ich hatte drei Beziehungen. Die erste Liebe führte ich erst mit 18 und sie hielt auch sehr lange. Mit 22 lernte ich eine andere Frau kennen. Man sagt immer, die zweite Liebe tut weh und stärkt dich fürs Leben", verträumt sah sie weg und legte eine Pause ein, "Sie hat mich gestärkt, hat mich aber auch verletzt. Meine dritte Liebe habe ich noch bei mir und sie steht draußen."
Lou lächelte und fühlte sich zum ersten Mal seitdem sie hier saß wohl. "Okey, ich verstehe. Darf ich ihnen noch kurze Fragen stellen und sie beantworten sie einfach knapp?", erkundigte Frau Leipelt sich, sah Louisa aber nicht ein einziges Mal an. Ihre Aufmerksamkeit widmete sie dem Notizblock in ihren Händen. "Selbstverständlich."
"Mögen sie Kinder und wollen sie welche?"
"Ich liebe Kinder und ich hätte tatsächlich gerne mindestens zwei, aber ich habe ja noch genug Zeit." Lou lachte und zeigte dabei ihre perlweißen Zähne.
"Wie sieht es aus mit Farben? Ich sehe sie haben einen blauen Hoodie und eine außergewöhnliche Hose."
"Ich liebe Farben. Haben sie mal unsere Flagge gesehen? Der gesamte Regenbogen und so sollte es sein, das Leben ist nicht schwarz weiß."
"Frühaufsteher oder Langschläfer?"
"Ich schlafe oft erst spät ein, eine Nachteule bin ich. Somit ist es besser auszuschlafen, aber bei meinem Job ist es theoretisch nicht möglich, praktisch verschlafe ich einfach oft." Lou dachte an die Nachrichten, welche sie beinahe jeden Morgen an ihre Kollegin schickte. Doch auch die war jeden Tag zu spät und so kamen sie am Ende noch gemeinsam an.
"Sind sie eine kreative Seele?" Frau Leipelt richtete die eckige Brille auf ihrer Nase und hob ihren Blick. Ihre stechend grünen Augen inspizierten Lou.
"Ich glaube schon, nur ausleben konnte ich es langer nicht. Außerdem, ist man nicht kreativ, wenn man ein Buch veröffentlicht?" Ihre Frage blieb unbeantwortet.
"Wo machen sie Urlaub und eher spontan oder lieber geplant?"
"Ich habe mich sehr verändert, Beziehungen hinterlassen Narben. Früher war ich spontan und bin feiern gegangen, dort habe ich sie kennengelernt. In unserer Beziehung waren wir nie im Urlaub und alle Besuche von ihrer Familie waren durchgeplant. Ich mache keinen Urlaub, sondern bleibe zu Hause."
"Ihr Job im Büro erfordert bestimmt manchmal etwas Teamgeist, oder? Denken sie, sie sind beliebt? Wie sieht es aus mit ihren Freunden?"
Eine schwere Frage, so vieles hatte sich verändert... "Ich habe mein eigenen Raum und kämpfe lieber für mich. Beliebt? Es ist schwer zu bestimmen, eben wie das mit meinen Freunden. Ich habe viele von mir verjagt und ich glaube, nur Gaby ist mir geblieben."
"Sind sie extrovertiert oder eher introvertiert?"
"Phasenweise, ich bin ein Mischling." Lou grinste, sie sagte nichts außer die Wahrheit.
"Wo wohnen sie? Ich habe gehört, es ist immer noch ihre alte Wohnung."
"Ist es auch. Ich verlasse nicht den Ort, nur weil dort schlechtes geschehen ist. Man muss lernen damit zu leben und sie wird mir nicht im Weg stehen."
"Wer ist sie?", stellte die Redakteurin ihr noch eine Frage.
Lou schloss ihre Augen und atmete tief durch. "Sie ist der Teufel im Engelskostüm."
Frau Leipelt stand auf, in ihrer Hand hielt sie Lous Buch. "Der Teufel im Engelskostüm, der Titel des Romans, es gab ein Vorbild für die Antagonistin?"
Lou nickte zögernd.
"Nun, ich wünsche ihnen viel Glück und Freude, genau das verdienen sie." Zuversichtlich lächelte die Frau.
Lou schüttelte die eisige Hand der ihr gegenüber und verließ den Raum. Sie zitterte am ganzen Körper. Sie hatte das richtige getan, oder? Erleichtert ließ sie sich in die Arme ihrer Freundin fallen und drückte sie fest an sich.
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