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„Was machst du an Heilig Abend in einem Dorf wie diesem?"fragte die jüngere Frau, nun sah er, dass sie tatsächlich jünger war, als er, aber auch kein Bambi mehr!
„Kleiner Zwischenstopp. Und du bist ganz alleine unterwegs?"fragte er zweifelnd.
„Checkst du mich gerade ab?"kicherte sie.
„Du mich doch auch. Ich will meine Geschwister plus Familien besuchen, wir treffen uns in Birmingham."
„Hm. Also ich bin mit einer Freundin hier in England, sie ist leider krank geworden und in London geblieben. Wir haben vereinbart, dass ich sie in Stratford wieder treffe. Hab versucht, sie zu erreichen, aber sie geht nicht ran. Ich mache mir echt Sorgen..."seufzte sie und strich sich eine grüne Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Vielleicht hat sie auch Transferprobleme?"überlegte Ralph.
„Mag sein. Danke, Ralph Fiennes. Das ist wirklich total nett von dir."
„Ich kenne Buckingham auch nicht. Da soll es eine interessante kleine Kathedrale geben?"
„Genau, und die Friedhöfe nicht zu vergessen. Warte..."
Sie las ihm etwas aus dem Reiseführer vor, während er sich durch den Schnee kämpfte. Die Fahrt, die nach Routenplaner eine Viertelstunde dauern sollte, zog sich nun ewig hin. Und sie fuhren an anderen Hotels vorbei, aber irgendwie hatte Ralph von Winslow genug, auch, wenn er dem Ort keine wirkliche Chance gegeben hatte. Und wahrscheinlich würden sie eh kein Zimmer zur Verfügung haben, es war Weihnachten! Anneke rief einige Hotels in Buckingham an und auch dort war alles voll. Bis auf ein exklusives im Stadtkern, das genau ein Doppelzimmer frei hatte. Doch der Besitzer vermietete nur an Ehepaare. Als Anneke aufgelegt hatte, schauten sie sich an und lachten.
„Okay, dann fahren wir zuerst zu der Chapel."grinste der Schauspieler.
„Ein bisschen impulsiv, meinst du nicht?"gab seine Beifahrerin wieder.
„Wieso? Wir haben vierundzwanzig Stunden und lassen sie morgen früh gleich wieder annullieren. Aber witzig wäre es schon, wenn ich plötzlich mit Ehefrau bei meiner Family auftauche..."sinnierte er.
„Und wenn ich schon verheiratet bin?"schmunzelte die jüngere Frau.
„Ist es ja nur für vierundzwanzig Stunden illegal. Lässt dein Mann dich einfach..."
„Eben nicht, deshalb sind wir getrennt."lachte sie, „Er missbilligt diesen Trip, besser gesagt, jeden Schritt, den ich aus dem Haus gesetzt habe, außer zur Arbeit, aber ich bin gerade egoistisch."
„Das hat nichts mit Egoismus zu tun. Ich meinte es auch nicht so, verstehst du, ich würde nicht wollen, dass meine Frau nur zuhause herum hockt, aber bei dem Wetter?"
„Ich verstehe schon."gab sie sanft wieder und er bekam eine Gänsehaut.
Wieder, das Gefühl, sie beschützen zu wollen. Das kannte er nicht. „Halt!"rief sie plötzlich.
„Was?"
„Das Schild. Eine Pension."
„Mitten im Nirgendwo...aber okay."murmelte er.
Es war ziemlich glatt und er fuhr nur noch Schritttempo. War völlig nass geschwitzt und fand es etwas peinlich, hoffte, dass sie es nicht roch. Die Pension war dunkel, aber ein Schild zeigte an, dass sie offen war und Platz dort wäre. Der alte Mann, der nach fünf Mal klopfen öffnete, sah aus, wie aus einem vergangenen Jahrhundert.
„Guten Abend, Sir."begrüßte Ralph ihn. „Meine Frau und ich suchen für heute Nacht ein Zimmer."
Anneke stupste ihn an, und er nahm demonstrativ ihre Hand. Er wußte irgendwie, dass der Alte es missbilligen würde, wenn er sagte, dass sie nur befreundet wären. Allerdings gab Ralph an, dass er schnarche und seine Frau ein extra Zimmer bräuchte.
„Wir können doch zusammen legen..."flüsterte die jüngere Frau.
„Shht."machte Ralph und unterschrieb in dem altmodischen Buch. Sie bekamen Zimmer gegenüber voneinander und Ralph fragte, ob es noch essen gäbe, der Alte verneinte mürrisch. Doch kaum hatte Ralph es sich in seinem Zimmer gemütlich gemacht, klopfte es. Er stöhnte. Stand auf und öffnete, jetzt bereute er den Gedanken, alleine sein zu wollen- er sah die jüngere Frau zum ersten Mal ohne dicke Klamotten, sie trug ein Wollkleid in Grün, eine schwarze Strumpfhose, auch Wolle, natürlich, und hohe Boots. Ihr Haar war blond und nur der Pony schimmerte grün. Sie hielt eine Packung Kekse hoch: „Ich wollte mich wenigstens etwas erkenntlich zeigen."lächelte sie.
Er verzog den Mund.
„Das ist sehr lieb von dir, aber ich würde mich gerne etwas ausruhen."gab er sanft wieder.
„Okay. Sorry."nickte sie verständnisvoll. „Gute Nacht und noch einmal, vielen Dank für alles."
„Keine Ursache."brummte Ralph und verfluchte seine Urangst.
Vor zu viel Nähe... Diese Bambiaugen würden ihm das Herz zerreissen, das wußte er. Und ausserdem kannte er diese Frau nicht mal! Er konnte nicht einschlafen, sein Magen knurrte und seine Gedanken rotierten. Irgendwann schreckte er hoch, aus dem Halbschlaf, oder war er so in Gedanken gewesen? Der Schauspieler wußte nicht, was ihn beunruhigte, stand auf und ging zum Fenster. Der Schnee glitzerte im Mondlicht und der Sturm hatte sich gelegt, pustete nur manchmal über die dunklen, kahlen Äste der Bäume und verteilte die weiße Pest, da sah er einen Grabstein.
Nein, mehrere, hinter der Pension lag ein Friedhof. Und dann sah er sie. Ihr Haar leuchtete und er zischte verärgert, murmelte: „Bist du meschugge, Frau?"und zog sich schnell Hose und Jacke über. Lief hinunter und suchte die Hintertür, da er vermutete, von dort aus direkt auf den Friedhof zu gelangen. Er fand sie schnell, sie war abgeschlossen. Den dunklen Gang hinunter lag der große Speisesaal mit hohen Fenstern, der Saal hatte eine Terrassentür, die auf eine mit Glas überdachte Terrasse führte, natürlich waren die Möbel dort abgedeckt. Auch diese Tür war verschlossen, der Griff eiskalt. War Anneke wirklich vorne raus gegangen, und dann um das ausladende Gebäude herum gelaufen? Ohne Jacke ecetera? Ralph lief zur Eingangstür zurück, aber natürlich hatte der Wirt diese verschlossen. Von innen! Sie konnte also nicht draußen sein, außer, der Wirt hätte hinter ihr abgeschlossen, dann würde sie nicht mehr hinein kommen und draußen erfrieren! Nein, das konnte er sich nicht vorstellen... sie musste woanders raus sein, also suchte er weiter. Als er zehn Minuten später resigniert wieder in den ersten Stock kam, ohne einen Ausgang gefunden zu haben, hörte er hinter Annekes Tür etwas rascheln. Er klopfte leise. Er hörte ihre Schritte, sie öffnete und guckte ihn müde an. In ihrem Haar hingen Kekskrümel und er atmete erleichtert auf.
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