12
Martha schaute auf ihre Armbanduhr und verzog den Mund. Sie schaute aus dem Fenster, der Tag war hell und trocken, wo also blieb ihr Bruder? Sie wählte erneut seine Nummer, nun ging gleich der AB an.
„Ralph, wo seid ihr? Ich dachte, ihr kommt zum Abendbrot her? In Stratford weiß man von nichts. Ist es schief gegangen? Die Mädchen sind total besorgt...meldet euch!"endete sie und legte auf.
Joseph schaute sie unbeteiligt an. „Es ist, wie letztes Jahr- du weißt doch, wie er tickt, er hat keinen Bock auf Familie und wird uns hängen lassen."
„Nein, dieses Mal ist es anders, Joe. Ich darf es nicht verraten, er will es selbst verkünden- und außerdem sind die Mädchen hier, Bambi würde nie zulassen, dass sie Weihnachten ohne ihre Mutter sind."
Ralphs Bruder zuckte mit den Schultern.
„Mag sein, aber Ralph wird niemals ein liebevoller, zuverlässiger Papa werden. Ich geb ihm vielleicht noch dieses Weihnachten, Marth, dann wird er sich wieder anderen Betthäschen zuwenden."
Martha betrachtete traurig Bambis Töchter, die ihre Angst um ihre Mutter kaum noch verbergen konnten. Die Ältere schaute ständig auf ihr Handy und die Jüngere wurde gerade von den Kleinen beschäftigt, doch tauschten die Schwestern immer wieder Blicke aus.
„Bitte, Ralphie. Strafe deinen Bruder Lügen."murmelte sie.
***
Zuerst hatte ich ja auch in das Gebäude gewollt, aber jetzt war mir doch alles zu unheimlich.
„Ralph!"rief ich, er hörte nicht.
Ich stöhnte. Schaute noch einmal auf mein Telefon, nix tat sich, vielleicht hoffte mein Schatz, dass wir drinnen ein funktionierendes Telefon finden würden. Ich öffnete die Tür- der schlanke Kerl war durch den Spalt geschlüpft- und sah, dass er noch nicht weit hinein gelaufen war, nein, er war direkt hinter der Tür stehen geblieben und ich wollte nach seinem Ärmel greifen, als er einen Schritt vor ging und meinem Griff entwischte. Der Flur war stockduster, wahrscheinlich waren die Fenster vernagelt, damit keine Vandalen einbrachen, und mein Lebensgefährte schaute ins Nichts, keine Ahnung, was in ihm vorging. In mir schrie meine Vernunft, hier ganz schnell zu verschwinden, also machte ich auch einen Schritt vorwärts, trat aus dem Türrahmen, um Ralph zu packen und ihn notfalls raus zu zerren. Die Tür wehte hinter mir zu und es knallte laut.
Nun standen wir wirklich im Dunkeln.
„Ralph!"jaulte ich.
Ich drehte mich um und wollte die Tür öffnen, doch sie war verschlossen. Das Licht ging an und ich hörte Musik von irgendwo her.
„Okay, ich träume."flüsterte ich.
„Dann träumen wir wohl beide."murmelte jemand hinter mir, ich drehte mich um.
Es war die dicke, ehemalige Wirtin aus dem Gasthof in Winslow, nun, jetzt machte es Sinn, vielleicht wollte sie dieses Hotel jetzt übernehmen. Sie schaute mich böse an.
„Haben sie das getan? Was sollte das?"fauchte sie und zerrte an mir, sie zeigte mir, dass überall Bilder von den Wänden gefallen waren, das Glas zersprungen.
„Dann ist es wahr!"wunderte ich mich.
„Was ist wahr?"fragte die ältere Frau mürrisch. „Sie werden das bezahlen. Dringen hier einfach ein, wie die Vandalen. Typisch Touristen!"
Ich schüttelte den Kopf.
„Wir haben nichts getan. Aber die Wirtin, die hier vorher gewohnt hat, hat erzählt, dass nachts immer wieder die eingerahmten Liebesbriefe von Silvana von der Wand fallen, dann hat sie sie hinter eine Vitrine getan und auch die war am nächsten Morgen zersprungen..."
„Das ist albern, es gibt keine Geister."schimpfte die Dicke. „Geben sie zu, dass sie es waren, sofort!"
„Ich war es nicht! Ich war niemals zuvor hier, und..."
Ich schaute mich um. Suchte Ralph, plötzlich begann die Dicke, meine Arme zu packen und mich zu schütteln. „Geben sie es zu!"brüllte sie, ich riss mich los und rannte Richtung Ausgang.
Plötzlich ging das Licht wieder aus. Ich hörte ihre schweren Schritte hinter mir, unter meinen Füßen knirschten die Glassplitter, was war hier nur los? Keine Zeit zum Nachdenken, ich lief weiter den Gang entlang, hoffte, vielleicht am Ende des Ganges raus zu kommen, denn an der Tür war ich sicher schon vorbei. Ralph hatte doch beschrieben, dass dort ein Saal mit einer Terrasse wäre? Ja, nun sah ich ein wenig bläuliches Licht in den Flur scheinen. Die Tür zum Speisesaal war offen. Die Schritte hinter mir kamen immer näher und ich stürmte in den Saal, durch die großen Scheiben schien bläuliches Tageslicht hinein, das irgendwie künstlich wirkte, die Terrassentür stand offen. Tap, Tap, meine Verfolgerin schien sich sicher zu sein, mich zu kriegen, sie ging langsamer, bedächtig. Also raus! Auf dem Friedhof konnte ich die dicke Verrückte sicher abhängen. Doch kaum hatte ich die Terrasse und das Stück Garten zum Friedhofstor durchquert, blieb ich abrupt stehen. Dort, unter dem wunderschönen Engel, lag eine Dunkelhaarige auf der Steinplatte der Gruft. Sie hob den Kopf und schaute mich an, mein Atem ging schnell. Mein Herz raste und ich ballte die Fäuste, vor meinem Gesicht bildete sich eine kleine Wolke aus weißen Tropfen, ich spürte die Kälte nicht, ganz im Gegenteil. Hinter mir knirschende Schritte, was nun? Die Unbekannte richtete sich langsam auf, behielt mich in ihrem dunklen Blick, den ich nicht deuten konnte- sie war blaß und ihre Augen wirkten fast schwarz im fahlen Licht. Und dann sah ich, dass sie einen Hammer in der Hand hielt. Im nächsten Moment kam er auf mich zu gewirbelt, ich hörte das Geräusch der sirrenden Luft um ihn herum, obwohl die Frau zu weit weg gewesen war, doch Zeit hatte ich nicht, darüber nachzudenken. Ich drehte mich zur Seite und liess mich fallen, der Hammer zischte just an mir vorbei. Ein dumpfer Schlag, ein „Uh!", etwas plumpste zu Boden und in diesem Moment wurde mir klar, ohne, dass ich hinschauen musste, dass es nicht die Wirtin gewesen war, die mich verfolgt hatte.
Ich kniete am Boden und rang nach Luft, ignorierte die Dunkelhaarige, die vielleicht schon wieder verschwunden war, es war mir auch egal, ob sie nun auf mich los ging. Sein Keuchen ging mir bis ins Mark, sein Stöhnen, dieses Mal nicht ausgelöst durch meine Zärtlichkeiten, ich mochte kaum hinsehen. Krabbelte in seine Richtung und hob langsam den Kopf, ein leiser Schrei entfuhr mir, als ich Ralph endlich ansah. Seine rechte Gesichtshälfte war voller Blut, die Züge kaum zu erkennen, der blutige Hammer lag neben ihm und er schien benommen, ich bewegte mich schneller und beugte mich über ihn. Nahm seine Hand.
„Es ist nur ein Traum."flüsterte ich, „Das kann einfach nicht real sein!"
Aber wenn nicht, sagte eine Stimme in meinem Kopf. Hol Hilfe! Sofort! Ich machte eine kurze Bewegung, Ralph spürte wohl, dass ich aufstehen wollte und drückte meine Hand, ich begann, zu weinen.
„Ich will...nicht...mehr allein sein. Bleib."hauchte er kraftlos.
„Das werde ich."erklärte ich tapfer und hielt seine Hand, bis sie erschlaffte.
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