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„Ich kann ja nichts dafür, dass es die letzten drei Monate leer war. Hoffe ich."gab ich schmunzelnd zurück und Ralph guckte mich wieder an.
„Du weisst, wer darin lag."brummte er.
„Was."grinste ich.
„Aber ich finde, es war nicht nötig, dass du mir jeden Tag ein Ei geschickt hast. So oft brauche ich es wirklich nicht mehr."grinste er zurück.
„Heisst, du hast sie alle wieder mitgebracht?"
„Nope, ich habe sie versteckt!"lachte er. „Die nächsten Mieter werden Augen machen."
„Hm, also in Deutschland verstecken wir die Eier zu Ostern...vertauscht ihr Engländer die Festagsgebräuche gerne?"gab ich kichernd wieder.
„Nach dem Brexit halten wir uns an gar keine Gebräuche mehr, wir sind halt speziell. Ach, wie herrlich, dich endlich wieder spüren zu können!"raunte er und kuschelte sich in meinen Schoss.
Sofort prickelte es, ja, ich war wahnsinnig heiß auf ihn. Drei Monate...Ich hätte Ralph besuchen können, natürlich, mein Ehrenamt war mir aber wichtig, gerade, in dieser kalten, düsteren Jahreszeit hatte ich viel zu tun. Natürlich hätte ich nicht unbedingt arbeiten müssen, aber ich war nicht der Typ, um Zuhause herum zu sitzen. Ich hatte hier in England einige Kurse belegt, war jetzt so etwas wie ein Case Manager oder Sozialarbeiter für ambulante Pflege, überwiegend psychiatrischer Natur. Ich hatte mich jedoch nie fest anstellen lassen und half dort, wo andere chronisch unterbesetzt waren, unentgeltlich aus. Nun, das Thema brachte mich gerade etwas runter, weil ich es nicht mochte, dass Ralph alles bezahlte, andererseits bekam ich viel Dankbarkeit von den Klienten wieder, weil sich die Leute, die ich betreute, vieles nicht leisten konnten und ich gerne teilte, nicht nur meine Zeit!
„Vielleicht sollten wir doch nicht da übernachten."murmelte Ralph in meine Gedanken.
„Du bist doch gar nicht abergläubisch."lächelte ich und massierte sein Ohr, ich liebte es, ihn anzufassen!
„Hm."murrte er und schloss die Augen, und mehr würde es jetzt nicht mehr geben.
Er hatte entschieden, zu geniessen. Ich verstand seine Angst, ein wenig- nachdem er mir nur zögernd erklärt hatte, dass er einen ziemlich intensiven Traum von mir gehabt hatte. Er hatte es nicht gleich nach unserem ersten Zusammentreffen erzählt, nein, hatte einen geschlagenen Monat dafür gebraucht. Ich war längst wieder in Deutschland gewesen, als er vor meiner Tür gestanden hatte, weinend, und gesagt hatte, dass er vielleicht früher mal ein Typ für Fernbeziehungen gewesen sei, aber jetzt nicht mehr und er bräuchte mich. Er hatte mir erklärt, dass dieser Moment, als er in Winslow aufgewacht war und feststellen musste, dass ich doch nicht in sein Leben gehörte, ja, sogar für immer verloren war, ein Trauma hinterlassen hatte. So hatte ich den Umzug nach England organisiert und es nicht eine Minute bereut. Doch, denn diese Riesenfamilienfeste mochte ich absolut nicht! Nur konnte der Mann meiner Träume nichts dafür, dass er eben eine große Familie hatte.
„Wir sind da."erklärte der Chauffeur über das Mikro.
„Wow, das ging ja schnell."gähnte ich.
Nachdem Ralph den Chauffeur angewiesen hatte, unser restliches Gepäck nach Birmingham zu bringen, wir wollten ja nur eine Nacht in Winslow bleiben, betraten wir die Pension, die viel freundlicher wirkte, als damals. Eine junge Frau stand hinter dem renovierten Desk, alles war viel heller eingerichtet und die toten Tiere fort.
„Oh, sie!"lächelte Ralph die Frau an und mein Magen zog sich zusammen.
Komm, du hast gar kein Recht, eifersüchtig zu sein! ermahnte ich mich still.
„Kennen wir uns? Ach ja, sie sind der Herr, der letztes Jahr an Weihnachten unbedingt auf den Friedhof wollte, hm? Da hab ich noch drüben in Buckingham das Hotel gehabt."
„Warum haben sie es aufgegeben?"fragte mein Schatz und legte seinen Ausweis auf den Tresen.
„Die Unterhaltskosten waren zu hoch."gab sie schnell zurück, sie starrte auf den Bildschirm und tippte unsere Daten ein.
Ralph schaute mich an, ich zuckte mit den Schultern.
„Haben sie es verkauft?"fragte ich die Wirtin.
„Nope. Es gehört dem County. Ähm, wollen sie es mieten?"lächelte sie, Ralph schüttelte energisch den Kopf.
„Im Leben nicht."
„Komm, du glaubst doch gar nicht an sowas."knuffte ich ihn und er stöhnte: „Nein, aber ich verbinde trotzdem keine guten Gefühle damit. Und du hast sie gehört, das Ding müsste grundsaniert werden, erinnerst du dich, wie..."er stockte.
Ich strich über seinen Arm.
„Es passiert immer noch."murrte er, während wir nach oben gingen, um unser Gepäck zu verstauen.
„Das ist doch normal."murmelte ich.
Ralph liess sich auf das kuschelige Bett fallen und rieb über sein Gesicht, murmelte: „Ist es nicht schräg, dass diese Frau jetzt hier die Wirtin ist? Gerade kommt alles wieder hoch, vielleicht sollten wir..."
Ich legte mich neben ihn und streichelte seine Brust.
„Nein, es ist genau richtig, sich der Dunkelheit zu stellen, Liebling."erklärte ich sanft. „Na komm, lass uns den Mietwagen holen und ein bisschen durch Winslow schlendern, die Sonne scheint so schön."
Es wurde wirklich ein wunderbarer Nachmittag, nachdem wir in einem gemütlichen, altertümlichen Restaurant üppig zu Abend gegessen hatten, kehrten wir ins Gasthaus zurück, doch zuerst legten wir noch eine Rose in das Wartehäuschen und verweilten dort einen Moment in Stille. Dann setzten wir uns in den Pub, er war nicht voll. Die junge Wirtin sprach uns auf das Wartehäuschen an, anscheinend hatte sie mit bekommen, dass wir dort gewesen waren, und ein Einheimischer gesellte sich zu uns an die Bar. Es war der Polizist, der Ralph befragt hatte. Er erklärte uns, während Ralph sein Ale genoss und ich mein Weizen, dass Mary, die Verstorbene, vermutlich Selbstmord begangen hätte. Sie hatte sich von dem Geld, das ich ihr geschenkt hatte, im Inn eine teure Flasche Hochprozentigen gekauft, der mich wohl nur vom Angucken getötet hätte, dazu hatte sie Morphiumtabletten, die sie wegen zahlreicher Knochenmetastasen bekam, in erhöhter Dosis eingenommen, sie wäre quasi ruhig eingeschlafen und in den Tod hinüber geglitten, ohne, dass der Krebs sie nach und nach aufgefressen hätte, denn sie hatte eine finale Diagnose bekommen. Kurz vor Weihnachten.
Wir schwiegen, bis jemand rief, dass wir auf sie anstoßen sollten, was mir nach der Story entgegen kam. Denn für mich war Marys Tod nun noch etwas härter, anscheinend hatte ich ihr dabei geholfen, sich umzubringen, dennoch wußte ich, was ihr Schlimmes bevorgestanden hätte, Schmerzen, und da sie kaum Geld hatte, wäre ihr das Morphin wahrscheinlich irgendwann aus gegangen, vielleicht hatte sie es sich auch illegal besorgt. Wie schräg diese Welt nur war, genau um solche Fälle kümmerte ich mich gerade... Kaum auf dem Zimmer, nahm Ralph mich in seine Arme und gab meine Gedankengänge wieder.
„Du Gedankenleser!"seufzte ich.
„Ich sehe an deinem Blick, dass es dich beschäftigt und mir würde es vielleicht genauso gehen. Aber ich denke, sie hätte es auch ohne dein Geld getan."
Ich nickte traurig und ging duschen. Es war fast fünf Uhr morgens und ich war immer noch hellwach, und auch Ralph schien nicht schlafen zu wollen. Doch mussten wir spätestens in drei Stunden wieder raus, um weiter zu fahren und rechtzeitig in Birmingham zu sein, obwohl meine Töchter mir geschrieben hatten, das alles super wäre. So las der wunderbar talentierte Barde mir noch etwas aus dem Blake vor, bis ich doch einschlief. Da ich zwischendurch aber wie immer ständig wach wurde, bekam ich mit, dass er tatsächlich kein Auge zu tat.
Es schien, als würde mein Schatz darüber wachen, dass ich nicht verschwand.
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