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Plötzlich runzelte ich die Stirn. „Warte...Wie lange war ich weg?"
Lian sah zu mir hoch. „Heute ist der sechste Tag."
„Ich war 6 Tage Ohnmächtig?!"
Lian zuckte mit den Schultern. „Naja bewusstlos kann man das nicht nennen. Sahid meinte es läge an den Nachwirkungen, von dem was auch immer im Palast passiert ist." Ich erkannte die Frage in seinem Satz und die unverhohlene Neugier, trotzdem war ich ihm dankbar, dass er nicht näher darauf einging.
„Können wir das auf später verschieben?", murmelte ich und starrte ihn fast schon flehentlich an.
Ich erkannte die Enttäuschung in seinen Augen flackern, doch so schnell es gekommen war, verschwand es. Dankbarerweise ließ er es in sich beruhen und erhob sich. Erst jetzt erkannte ich die die anliegende Hose, mit den breiten Taschen, die er trug. Ein Gürtel fixierte die dunkle Hose, zusammen mit einer Tasche, in der er genauso wie in dem Rest seiner Ausrüstung Waffen verstaut hatte. Eine lockere, aber breit gesäumte Jacke rundete das Gesamtbild perfekt ab. Zu seiner Rechten erkannte ich ein Schwert und ich zweifelte nicht an seinen Kampfkünsten, auch wenn, wie mir jetzt erst auffiel, ich ihn noch nie kämpfen gesehen hatte. Der schräge Gürtel, den er über der Brust trug, ließ ihn wie ein Krieger, nein einer von ihnen aussehen.
Erst jetzt bemerkte ich die Veränderungen in seinen Gesicht. Die welligen Haare waren kürzer, sodass sie ihm weniger ins Gesicht fielen und hoben die kantigen Gesichtszüge damit deutlich hervor. Während ich die ovalen Augenpaare musterte, die am Ende sanft zusammen liefen, bemerkte ich allerdings auch die Augenringe und die tiefen Furchen, die unter seinen grünen Augen deutlich hervor traten. Während ich ihn musterte, verschwand der kalte Blick aus seinen sonst so weichen Gesicht. Als er sich zu mir umdrehte, zogen sich auch meine Mundwinkel in die Höhe.
Während er sich wieder an dem Schreibtisch zu schaffen machte, rutschte ich zur Bettkante und versuchte aufzustehen. Gerade als meine Zehenspitzen den Boden berührten, hörte ich ein Knarzen vor der Tür und Sahids Stimme, die laut aufgebracht mit jemanden diskutierte. Obwohl es eher er alleine war, der wütend etwas vor sich hin diktierte. Ich konnte mir den Anblick nur zu gut vorstellen.
Die Tür wurde aufgerissen und eine große Gestalt wirbelte in den Raum. Fast hätte ich ihn nicht wieder erkannt. Er hatte den selben Umhang über, wie Sahid und seine Auffassung ähnelte Linas stark, doch es war anders. Avan strahlte etwas aus, dass Lian und Sahid fehlte. Seine großen Schritte waren sachte und hinterließen kaum einen Laut auf dem Boden, während Sahid neben ihm seltsam plump erschien. Ihn umgab eine Ruhe, etwas so klares und dennoch die tödliche Gewissheit, jederzeit zuzuschlagen zu können. Die behandschuhten Hände hatte er in den Taschen seines Umhangs vergraben. Sein Gesicht wirkte ernst, doch gleichzeitig so klar, so dass ich nicht einschätzen konnte was ihn ihm vorging. Er überragte Sahid fast einen ganzen Kopf. Im Kerker hatte sich das nicht besonders sichtbar gemacht, doch jetzt waren wir nicht mehr dort und mir wurde bewusst, was er für eine Gefahr darstellte. Plötzlich konnte ich verstehen, warum der Kaiser ihn in Ketten gelegt hatte.
Trotz der Narben an seinen freien Armen, die mir deutlich ins Auge fielen, wirkte er locker. Seine schwarzen Haare waren zerzaust, seine Augen kalt, doch er schmunzelte. Dabei erkannte ich die bernsteinfarbenen Augen, die wie zwei Kristalle in den Pupillen leuchteten und trotz des verschmitzten Ausdruck immer noch etwas Gefährliches ausstrahlten. Die Art, wie er mich ansah war ganz anders, als bei den anderen. Es war nicht die eines Liebhabers oder eines besorgten Begleiters. Es war die Gewissheit, dass er das, was wir zusammen durchgemacht hatten für sich behalten würde. Und auch so komisch es war, er wusste von der Sache mit dem Kaiser und damit wusste er das, was die anderen nicht verstehen konnten. Ich blickte ihn an und ich nickte ihm dankbar zu. Er würde nichts verraten, würde ich mich nicht bereit fühlen. Wie sollte ich Lian und Sahid etwas erklären, das ich selbst nicht einmal richtig verstand?
Sahid hatte unseren Blickwechsel verfolgt.
„Muss ich das verstehen?", Sein Blick flog von mir zu Avan. Ich schmunzelte bloß und schüttelte den Kopf. Dies lockerte die Stimmung, denn Lian, der unsere Sachen bereits zusammengeklaubt hatte drückte Sahid einen Beutel in die Hand. Die drei Männer wechselten vertraute Blicke und mir wurde bewusst, dass ich einiges verpasst hatte.
„Gehen wir", meinte Sahid und die Lian und Avan folgten ihm. Schnell beeilte ich mich ihnen hinterher zu kommen und gesellte mich neben Lian. Dieser blickte zu mir hinunter. Mir fiel auf, dass das grade einer der wenigen Momente gewesen war, indem wir uns nicht gestritten hatten. „Wohin gehen wir eigentlich?", fragte ich Lian, als wir die Treppe hinunter stiegen. Er blickte zu mir hinunter.
„Sahid hat schon Pferde für uns bereit gemacht. Wir müssen nur noch mit den Gastwirt verhandeln."
„Pferde?", fragte ich verwirrt. Lian schmunzelte. „Ja, ich hab dir ja gerade erklärt, dass wir ins Luftreich reiten."
„Aha", machte ich, um die neuen Informationen zu Verarbeiten.
Wir kamen in dem Erdgeschoss an und der Wirt wirkte etwas eingeschüchtert. Sahid nickte ihm zu und wir spazierten nach draußen.
Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, doch doch, das was ich sah war einfach nur unglaublich. Ich hatte schon aus dem Fenster die riesige Landschaft erahnen können, doch ihr komplettes Ausmaß offenbarte erst jetzt vollständig. Eine riesige Tundra erstreckte sich vor uns in den Horizont. In den entfernten Weiten erkannte ich Umrisse, riesiger Berge die sich in den Himmel hinein erstreckten. Ich meinte zu erkennen, wie sie sich wie eine gezackte Linie aneinander reihten und auftürmten, als wäre es ein Kampf. Sandfarbende Töne zierten den kargen Boden und nur vereinzelte Pflanzen versuchten ihr Glück in der trostlosen Landschaft. Trotz all dem, wirkte es nicht trocken um uns herum. Leichte Nebelschwaden hingen in der Luft, durch die nur langsam die ersten, morgendlichen Strahlen hindurch drangen und meine kalten Fingerspitzen erwärmten.
Sahid ging an der Hütte, die sich vor uns aufbaute, vorbei und wir kamen an eine Art Hinterhof. Er öffnet die Tür, die aussah, als hätte sie jemand eilig zusammengeschustert und wir anderen folgten ihm.
Von ihnen kam uns ein Geruch nach Tier entgegen und Sahid rümpfte die Nase, doch ich sagte nichts. Im Vergleich zum Kerker war dies hier nichts.
Sahid deutete auf drei Tiere, die in den ersten Boxen standen. Sie waren bereits gesattelt und scharrten ungeduldig mit den Hufen. Das erste Pferd war eine Schimmelstute, die in dem Heu zu ihren Füßen nach etwas zu suchen schien. Das andere Pferd war eine totale Schönheit und ich fragte ich, wie Sahid sie ausgehandelt haben musste. Das schwarze Fell des Tieres glänzte und im Vergleich zu der braunen Stute dahinter war es wunderschön. Plötzlich fiel mir auf, dass es nur drei Pferde waren und ich runzelte die Stirn.
„Moment mal. Warum sind es nur drei?", fragte ich Sahid. Er drehte sich zu uns um und verzog sein Gesicht, als hätte er schon auf die Frage gewartet. „Der Typ war echt schwer herumzukriegen. Ich bin schon froh, dass ich drei ergattern konnte." Entschuldigend hob er die Hände.
Wir sahen uns an, als wüssten wir schon was uns erwarten könnte.
Avan räusperte sich. „Ich reite auf keinen Fall mit jemanden von euch", er blickte zu Lian und Sahid. Die beiden sahen sich an, dann viel ihr Blick auf mich.
„Warum ich?", protestierte ich.
„Du reitest mit mir", entschied Lian plötzlich und ich sah zu ihm hoch. Er nickte mir zu und ich schluckte, doch sein Blick schenkte mir Zuversicht. Sahid und Avan schienen damit einverstanden zu sein und verstreuten sich zu den Tieren. Ich blickte unsicher zu Lian, der auf die weiße Schimmelstute zuging. In meinen Herz pochte es. Ich sollte mit Lian reiten? Alleine? Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Lian blickte zu mir hinunter. „Alles okay?"
Peinlich berührt, dass man mir meine Unsicherheit ansah nickte ich bloß und traute mich nicht ihn anzusehen. Zu meiner Erleichterung ertönte in diesem Moment Sahids Stimme über die Boxen: „ Okay, seid ihr bereit?" Avan und Lian nickten und ich blickte vorsichtig zu ihm auf. Sein Blick traf meinen. „Es ist okay, wenn du dich unsicher fühlst, du musst nichts machen was du nicht willst. Du kannst auch mit Sahid oder Avan reiten."
Die plötzliche Sanftheit in seiner Stimme brachte etwas in mir zum schmelzen. Schnell schüttelte ich den Kopf. Sahid und Avan saßen bereits auf ihren Pferden und warteten auf uns. Ich näherte mich vorsichtig der Schimmelstute. Als ich so neben ihr stand, bemerkte ich erst wie groß sie war. Plötzlich spürte ich Lian hinter mir. Er stand direkt hinter mir, sodass ich seinen Atem auf meinem Nacken spüren konnte. „Soll ich die helfen?", raunte er mir ins Ohr. Mir schoss die Röte ins Gesicht. Er war so nah. Schnell blinzelte ich, um die Fassung zu bewahren.
„Ich schaff das schon", erwiderte ich trotziger als beabsichtigt. Schnell versuchte ich meinen Fuß in den Steigbügel zu bekommen, doch leider war er höher, als es aussah. Auch, wenn ich ihn nicht sah, wusste ich das er schmunzelte. Erbost wollte ich mich zu ihm umwenden, doch so weit kam es gar nicht. Ehe ich mich versah lagen seine Hände auf meinen Hüften und er hob mich ganz einfach in den Pferdesattel hoch. Ich öffnete meinen Mund, doch es kam kein Laut heraus. So schnell wie es gekommen war, war es schon wieder vorbei und ehe ich mich versah, schwang er sich vor mir in den Sattel. „Kann losgehen", rief er den anderen zu und nahm die Zügel in die Hand. Ich wollte protestieren, doch ich war zu überrumpelt, um etwas zu sagen. Schnell richtete ich mich auf und versuchte meine Fassung zu bewahren. Doch ich spürte Lians Anwesenheit direkt vor mir und so richtig gelang es mir nicht.
Sahid führte seine braune Stute hinaus ins Freie und wir anderen schritten auf unseren Pferden hinterher. Avan machte einen imposanten Eindruck auf dem schwarzen Hengst. Der Hengst hatte die selbe Farbe wie sein Umhang und da auch seine Haare den selben Farbton hatten passte es perfekt. Avan sah aus, wie ein stolzer Krieger aus seinem stolzen Schlachtross. Im Gegenteil zu mir. Nachdem wir nach draußen geritten waren, schloss Sahid die Tür und befestigte einen Beutel an den Taschen, seines Pferdes. Mit einem gekonnten Satz schwang er sich auf sein Tier und drehte sich zu uns um.
„Unser Ziel liegt im Norden. Wir müssen einfach nur der Sonne folgen. Wahrscheinlich müssen wir eine Nacht in der Kälte verbringen, bis wir unser Ziel erreichen." Er blickte uns allen in die Augen. Eine Nacht hier draußen zu verbringen klang nicht gerade verlockend, doch wir hatten keine andere Wahl. Wir besaßen kaum mehr, als das was wir am Leib trugen und bei der Vorstellung auf dem kalten Boden zu übernachten schauderte ich.
Doch, ehe ich weiter darüber grübeln konnte, stieß Lian der Stute die Fersen in den Bauch und das Pferd machte einen störrischen Satz nach vorne. Ich wurde nach vorne geschleudert und in meiner Not reagierte ich reflexartig und suchte nach dem einzigen Halt den ich finden konnte. Meine Arme umschlagen Lians Oberkörper und ich klammerte mich an ihm fest. Ich spürte deutlich die positiven Auswirkungen des Trainings an seinen Bauch, doch ich versuchte es zu ignorieren. Ich kniff die Augen zusammen und hoffte es würde vorbei seien. Ich verabscheute Reiten. Ich war noch nie sonderlich gut darin gewesen. Irgendwann wagte ich mein Auge zu öffnen und vor Staunen öffnete sich mein Mund. Wir galoppierten.
Die Pferde galoppierten über die platte Landschaft und preschten los. Wir ließen die Hütte hinter uns und ich staunte nicht schlecht. Ich war nicht gerade die begabteste Reiterin und, wenn ich zugeben musste war ich froh, wenn wir auf Pferde verzichten konnten. Nur wenige Mal war ich galoppiert, doch das war ein anderes Gefühl gewesen, als dieses. Die Landschaft zog an uns vorbei und ein unbeschreibliches Gefühl machte sich in mir breit. Ich spürte die rhythmischen Bewegungen der Schimmelstute und das Schnaufen in meinen Ohren. Erst jetzt wurde mir bewusst, das ich mich noch immer an Lian festklammerte und ließ von ihm ab.
Er drehte seinen Kopf über die Schulter und grinste. Ich streckte ihn die Zunge raus, doch die ganze Situation war so surreal, dass wir beide lachten. Nach ein paar Minuten richtete ich mich mehr auf und traute mich meine Arme vorsichtig auszustrecken. Der Wind pfiff durch meine Haare und meine Augen tränten bereits von dem Wind, doch es war ein unbeschreibliches Gefühl. Ich fühlte mich froh. Ich war glücklich. Ja, ich war einfach frei. Keine Ketten oder ein Gitter sperrte mich von der Außenwelt ab.
Hier war niemand der mir Schaden wollte. Ich war einfach nur frei. Ich drehte meinen Kopf und stellte peinlich berührt fest, dass Lian mich anstarrte. In seinen Augen lag Freude und dennoch noch etwas anderes, was ich nicht deuten konnte. So schnell wie es gekommen war verschwand es wieder und er lächelte.
Zu meiner Überraschung ließ er die Zügel plötzlich fallen und streckte die Arme aus. Ich sah ihn schockiert an und in meinen Augen stand eine Frage. Doch er lächelte und ich verstand. Wir ließen uns treiben, als Lian plötzlich einen Schrei austieß. Es war kein wütendes, erbostes, nein. Es war ein Ausruf aus Freude, aus Zufriedenheit. Ich schmunzelte und ehe ich es mir anders überlegte stieg ich mit ein. Zusammen schrien wir in den Horizont und lachten. Es war unbeschreiblich. Die Schimmelstute preschte los und ihre Mähne flatterte in dem Wind. Neben uns galoppierte ein schwarzer Schatten und beim genaueren hinsehen konnte ich Avan auf seinem schwarzen Hengst erkennen. Auf seinem Gesicht stand ein Lächeln. Kurz war ich erstaunt. Wann hatte ich Avan Lächeln gesehen? War dies überhaupt schon einmal passiert? Sein Blick fiel zu mir. Kurz stockte sein Lächeln, doch dann schien es, als überwände er einen unsichtbaren Wall und er lachte. Er lachte. Aus voller Freude und Sahid, der auf der anderen Seite von uns galoppierte fiel mit ein. Lian drehte seinen Kopf zu mir und wir starten uns an. Seine grüne Augen glühten und kurz schien es so, als würde die Zeit still stehen. Sein Blick wanderte hinunter zu meinem Lippen und ich wagte es nicht zu atmen. Einen Moment lang starrten wir uns an. Mir fiel auf, dass seine grünen Augen ein heller Tupfen Gelb mit einbehielten. Warum war mir das vorher nie aufgefallen? Ich wagte es immer noch nicht zu atmen. Einen Moment lang verharrte Lians Blick auf meinen Lippen, doch plötzlich grinste er und er fiel in das Lachen mit ein. Der Moment war zerbrochen und ich war kurz stutzig. Doch die Situation war so unglaublich, dass ich nicht anders konnte, als in das Lachen mit einzustimmen.
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