《50》~Avan
Avan wusste, dass es ihr Vorhaben wahnsinnig war.
Zusammen mit Lina und den anderen Assassinen kletterten sie über die Häuserdächer, da die Straßen nicht sicher war und ließen so langsam die Stadt hinter sich.
Avan landete auf einem der Dächer, nur um sich wieder hoch in die Luft zu stoßen. Der Aufprall auf dem Dach war hart, doch Avan hatte sich die letzten Jahre daran gewöhnt. Vor ihm flatterte Merins grüner Umhang, neben ihm befand sich Kerios und hinter ihm lief Tom, zusammen mit Erik. Ein scharfer Blick nach hinten und Tom nickte ihm grimmig zu.
Sie alle waren angespannt. Ihr Vorhaben war wahnsinnig, wenn nicht schon durchgeknallt. Niemand traute sich näher, als einen Kilometer an das gewaltige Reich des Kaisers heran. Unzählige Soldaten bewachten die Umgebung des Palastes. Man musste schon blind sein, um die Waffen die sie trugen nicht zu erkennen.
Doch sie hatten einen Plan: Die Männer würden sich abseits halten und warten, dass Lina und Avan verkleidet, als Dienstboten durch den Eingang schlüpften. Danach würden sie Eriks Wegbeschreibung folgen und sich zum Thronsaal entlang schleichen müssen. Kurz bevor man ihn betrat gab es eine kleine, fast schon unscheinbare Treppe, die zu dem Kerker führte. Während Lina hinuntergehen würde, würde Avan warten und Erik und Kerios würden sich von der anderen Seite an sie heranschleichen. Lina würde ihre Eltern befreien und zusammen mit ihnen zu Avan zurückkehren. Die beiden würden sich über den linken Flügel wieder hinaus schleichen und falls es zu Komplikationen kommen sollte, würden Erik und Kerios ihnen den Weg freiräumen. Zur Not würde Merin, der auf dem Dach Wache hielt, ihnen zur Hilfe kommen.
Sie hatten nicht viel Zeit gehabt, um sich genaueres zu Überlegen, doch es mustste reichen. Auch, wenn Avan es sich nicht eingestehen wollte, ihm war nicht ganz wohl bei der Sache und alles in ihm schrie wieder umzukehren, doch er hatte es Lina versprochen. Außerdem konnte er sich nicht vor den anderen drücken, schließlich war es seine Idee gewesen.
Merin gab einen Pfiff von sich und sie hielten, versteckt hinter einem Schornstein, an. Auch, wenn es Nacht war und keine Menschenseele zu sehen war, hielten sich die Assassinen trotz allem lieber versteckt. Kerios hockte sich auf das schräge Dach.
„Okay, alle wissen ihre Posten?" Er sah jeden einzelnen in der Runde in die Augen und diese nickten daraufhin. Avan musste es Lina gutheißen, dass sie bei Kerios Blick nicht einknickte.
Erik wies mit seinem Kopf auf die Straße unter ihnen und die anderen folgten seinem Blick. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite erhob sich eine hohe Mauer, gute 5 Meter hoch.
Hinter ihr erhob sich eine eindrucksvolle Wand, die bis in den Himmel reichte. „Das ist der Palast?", hauchte Lina, die sich als einzige eine Regung erlauben konnte. Kerios nickte. „Hier auf dieser Straße befindet sich der Haupteingang der Dienstboten und Angestellten." Er nickte Avan und Lina zu. „Am besten schnappt ihr euch jemanden und überwältigt ihn in einer der Gassen. Dort könnt ihr auch eure Kleidung tauschen." Avan gab einen zustimmenden Grunzlaut von sich und blickte zu Lina. „Bereit?" Sie starrte zu ihm hoch und nahm einen tiefen Atemzug.
„Bereit."
Avan wechselte einen Blick mit den Männern bevor er sich Lina schnappte und vom Hausdach sprang.
Als sie auf der Straße ankamen, zerrte Avan sie sofort in eine Gasse, woraufhin sie warteten. Die erste Zeit passierte nichts und Avan trommelte ungeduldig mit seinen Fingern gegen die Hauswand. Lina spähte vorsichtig um die Hauswand, um sie auf Dienstboten aufmerksam zu machen.
Gerade, als er Lina zu einem Gespräch verwickeln wollte, um die Wartezeit zu überbrücken durchschnitt ein leises Fußgetrippel die Luft und sie horchten auf. Beide spähten um die Ecke und sahen ein Mädchen, das zusammen mit einem Mann mittleren Alters den Weg entlang liefen. Beide hatten die typische Kleidung Bediensteter an, die selbst Avan, der zuvor noch nie in einem Haus mit Angestellten gelebt hatte, erkannte.
Das war die perfekte Chance für sie. Avan und Lina wechselten stumme Blicke und machten sich bereit.
Die ahnungslosen Bürger liefen an ihnen vorbei und genau in diesem Moment zog Avan den Mann in die Gasse hinein. Lina schnappte sich das Mädchen, das kaum älter, als sie selbst war. Mit einem Schlag in die Magengrube überwältigte Avan beide, ehe die armen Bürger reagieren konnte. Missmutig verzog er sein Gesicht. „Er nickte Lina zu. „Dann wollen wir mal."
Wenig später huschten sie beide auf die Straße und nahmen ihre neuen Rollen ein. Avan, zog eine gelangweilte Miene und tat so, als wäre er der Vater des Mädchens, das vor ihm herging. Lina sah in der Kleidung, der Dienerin echt süß aus, doch sicherheitshalber verkniff er sich jeden Kommentar.
Zu zweit, ganz in ihrer neuen Rolle schlenderten sie den Weg, ohne große Eile entlang. Die Straße schlängelte sich in großen Kurven, um die immer weniger werdenden Häuser herum. Avan prägte sich jedes Bild, jede Straßenseite, jedes Haus ein, damit er sie später problemlos hinaus führen konnte.
Die Häuser wurden immer weniger und die Grundstücke umso größer.
Lina bestaunten die vielen Pflanzen und die hohen Kiefern, die den Weg säumten, als die Straße einen weiteren Knick machte und sie endlich den Eingang des Palastes erkennen konnten. Lina, die auf dem ganzen Weg nicht viel gesagt hatte, stieß ein dankbaren Seufzer aus. Schnell beeilten sie sich rechtzeitig an dem großen Tor anzukommen, das in das innere des Palastes führte. Auch, wenn dies nur der Eingang der Dienstboten war, sah das große Steintor mit den zwei runden Säulen eindrucksvoll aus, dass den Eingang säumte. Wie mussten dann erst die anderen Eingänge aussehen?
Um die Straße herum, wuchsen fein, säuberliche gestutzte Bäume. Er beobachtete Lina, doch zu Avans Erstaunen, schien sie keine Furcht zu verspüren, ganz im Gegenteil. Ihr Gesicht schien schon fast zu strahlen, als sie die Umgebung beobachtete. Sie drehte ihren Kopf zu Avan, doch, als sie bemerkte, dass er sie beobachtete erstarb ihr Lächeln sofort und wurde zu einer ernsten Miene. Avan zog fragend eine Augenbraue hoch, doch er verkniff sich eine Bemerkung. Sie streckte den Rücken durch und stolzierte weiter nach vorne. Wenig später begriff Avan auch wieso.
Jeweils links und rechts, des Einganges hatten sich ein paar Soldaten positioniert, die jeden der ins Innerste wollte, kontrollierten. Lina fing heftig an, in der Tasche ihres Kleides zu kramen und bedeutete Avan das selbe zu tun.
„Was ist?", zischte Avan so unauffällig wie möglich. „Der Ausweis", flüsterte Lina zu ihm zurück, beließ ihren Blick aber nach vorne gerichtet. „Jeder der hinein will, braucht eine Karte von sich". Avan begriff und kramte schnell in den Taschen der Hemden. Zum Glück fand er den kleinen Zettel schon bald, doch zu seinem Misstrauen war dort ein Bild des Mannes abgebildet, die sie überfallen hatten. Lina könnte mit Glück, als das Mädchen, auf ihrem Foto durchgehen, doch Avan hatte nicht die geringste Ähnlichkeit, mit dem schlaksigen Mann auf seinem Bild. Er musste wohl hoffen, dass die Soldaten keinen genauen Wert auf das Aussehen legten.
Lina bedeutete ihm den Kopf einzuziehen und ihr nachzumachen. Sie versteckte ihr Gesicht unter dem breiten Hut und verlangsamte ihre Schritte. Wenn, sie zu entschlossen auf die Soldaten zu gingen, würde man sie sofort enthaupten. Also passten Avan und Lina sich den anderen Leuten an und stellten sich in die Schlange. Avans Herz pochte heftig. Würden sie hier nicht durchkommen, wäre ihr gesamter Plan gescheitert.
Lina streckte ihre Karte aus und starrte an dem Soldaten vorbei. Sie spielte ihre Rolle wirklich gut. Machte den Anschein, als würde sie schon mit ihren Gedanken bei der Arbeit hängen. Der Soldat warf einen kurzen Blick zu ihr, dann nickte er und wandte sich Avan zu. Avan streckte ihm vorsichtig seine Karte entgegen. Der Mann warf einen Blick auf das Papier und alles in Avan verkrampfte sich. Er betete, er würde nicht auffliegen. Der Soldat blickte zu ihm und Avan wandte seinen Blick unauffällig zur Seite, sodass man sein Gesicht nicht erkennen konnte. „Scheinst ja ordentlich trainiert zu haben", scherzte der Soldat und reichte ihm den Schnipsel zurück.
Avan konnte sein Glück kaum fassen. Er nickte hektisch und lief mit gesenktem Blick durch das massive Eingangstor, um den Blicken der Soldaten schnell entgehen zu können. Als er hindurch lief, bemerkte er Lina, die sich hingehockt hatte, und so tat, als sammelte sie etwas auf dem Boden auf. Schnell lief er an ihr vorbei und berührte sie mit dem Fuß. Ihr Kopf fuhr erschrocken hoch, doch als sie Avan erkannte lächelte sie und hakte sich bei ihm unter. Zusammen folgten sie dem Weg ,bemühten sich ganz ihre Rollen einzuhalten.
Nach ein paar Minuten erreichten sie den eigentlichen Eingang, der zu den Räumen der Dienerschaft führte. Der Eingang bestand aus einer großen, schlichten Steinwand, doch selbst die Säulen, die die Decke stützen sahen schon so eindrucksvoll aus, das Avan sich gar nicht vorstellen konnte, wie erst die anderen Räume aussehen würden. Sie durchquerten die Eingangshalle und achteten auf alle Möglichen Gefahrenquellen.
Die Mädchen, alle ungefähr in Linas Alter oder auch schon jünger wuselten in der großen Küche herum und beeilten sich den Forderungen, der Köchinnen nachzugehen.
„Was jetzt?", murmelte Avan zu Lina. Diese schien zu überlegen, dann hellte sich ihre Miene auf. „Geh den Weg entlang und tu so, als hättest du ein Ziel. Ich versuche eine Bestellung zu bekommen, damit wir versuchen können, so zu dem Kerker zu gelangen."
Avan wollte gerade etwas einwenden, doch im selben Moment hatte Lina sich schon abgewandt und lief zu der Küche. Avan beobachtete sie einen Moment, doch dann fiel ihm ihre Worte wieder ein und er beeilte sich den Gang entlang zu laufen. Es kostete ihn Mühe sich nicht sofort hinter der nächsten Gardine oder Ecke zu verstecken. Ohne seinen Umhang fühlte er sich seltsam schutzlos und das fehlende Gewichts seiner Waffen machte ihn hektisch. Wie hielt Lina das bloß aus? Bei jedem anderen Diener, der an ihm vorbei kam wurde er unsicher, doch diese ignorierten ihn und steuerten auf die Küche zu, die hinter ihm lag.
Nach einigen Metern durchquerte Avan einen breiten Durchgang und das helle Licht, das in den nächsten Raum fiel, blendete ihn kurz. Zu seiner Überraschung handelte es sich bei diesem Raum nicht um ein Zimmer, nein. Stattdessen befand er sich auf einem leicht erhöhter Gang, dessen weißer Marmorboden unter seinen Füßen makellos glänzte. Die Wände waren offen und wurden nur durch die regelmäßigen Säulen getrennt, die die Decke stützen. Neben den Säulen hatte man einen tollen Blick auf den bewundernswerten Garten, der einmal um den kompletten Palast wuchs. Die Bäume, die dort wuchsen, hatte Avan noch nie zuvor in seinen ganzen Leben gesehen und ein kleiner Bachlauf plätscherte fein, säuberlich durch den kunstvollen Garten.
Fast wäre er stehengeblieben und hätte den Garten angegafft, doch ein kleines Stimmchen in seinem Hinterkopf erinnerte ihn an sein eigentliches Ziel, dieser Mission. Also raffte er die Schultern und durchquerte mit große Schritten den Raum, bis ihm einfiel, dass er ja als Diener hier war und zu einem unauffälligeren Gang wechselte.
Nach einer Weile, als er sich schon fragte, ob Lina überhaupt noch kommen würde, ertönten hinter ihm das Geräusch der Absätze, die über den Boden streiften.
Er lugte unauffällig nach hinten und erkannte eine Angestellte, die zwei schwere Tabletts auf ihren Armen bugsierte. Erst ihm näherkommen, bemerkte er, dass es sich um Lina handelte. Schnell eilte er zu ihr und nahm ihr eines der Tablette ab.
„Das hat aber gedauert", flüsterte er. Sie verdrehte bloß die Augen. „Die Köche dort sind echt widerspenstig." Avan drehte sich wieder nach vorne um und zusammen mit Lina an seiner Seite durchschritten sie den Gang.
„Weißt du wo wir hinmüssen?", fragte Avan sie auf halber Strecke. Lina sah ihn fragend an. „Ich habe in den vielen Gängen jegliche Orientierung verloren", gestand Avan. „Ahso." Erstaunlicherweise, ja. In der Küche hing ein Plan des Palastes. Wenn, wir uns hier befinden, wo ich denke, dass wir dort sind, müssten wir gleich in dem großen Saal ankommen. Von dort aus gehen die ganzen Flure zu den Zimmern hinaus. Es wird schwierig werden, wenn wir beide zu de Keller wollen", fügte sie hinzu. Avan, der nachdenklich gelauscht hatte, blickte zu ihr.
„Uns bliebt wohl nichts anderes übrig, oder?"
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