19: Besuch
"Erwartest du etwa immernoch, dass dein Bruder kommt?"
Sasori's Frage hängt noch in der Luft als seine Stimme schon längst verklungen ist und hinterlässt eine wirklich merkwürdige Atmosphäre. Nervös wandert Deidara's Blick von einem zum anderen, wobei er Itachi nicht länger als für den Bruchteil einer Sekunde streift, während Hidan neben mir die Luft anzuhalten scheint. Ich mustere kurz Sasori's Gesicht, welches nicht die kleinste Spur von Nervosität oder dergleichen zeigt. Der Junge scheint auch die ganze Stimmung nicht wirklich wahrzunehmen, nimmt einen Schluck aus seinem Wasserglas und schiebt sich anschließend unbeeindruckt einen Bissen von dem Essen auf seinem Teller in den Mund.
"Er wird kommen.", meint Itachi ruhig und ich löse meinen Blick von dem Rotschopf mir gegenüber, um ihn anzusehen.
Sein Blick ist stur auf den Tisch gerichtet, sein ganzer Körper angespannt. Kalt ist der Ausdruck seiner pechschwarzen Augen. So kalt, dass mir augenblicklich ein Schauder durch meinen Körper fährt.
"Irgendwann wird er kommen.", murmelt Itachi ein wenig leiser und schließt für einen Moment die Augen bevor er sie wieder öffnet und sich von seinem Platz erhebt.
"Ihr entschuldigt mich.", sagt er noch kurz bevor er sich umdreht und davon läuft.
Erst als die Türe des Speisesaals hinter ihm zu fällt verlässt ein tiefer Seufzer Deidara's Mund und er lehnt sich etwas entspannter in seinem Stuhl zurück.
"Mann, Sasori. Denkst du auch mal nach bevor du redest oder wieso verdammt noch Mal stellst du so dämliche Fragen?", entfährt es Hidan, der sich dabei am Hinterkopf kratzt.
Der Rotschopf begegnet seinem Blick fragend.
"Es war eine berechtigte Frage. Itachi wartet jedes Mal darauf, dass sein Bruder kommt. Bisher ist er noch nie aufgetaucht und ich wollte nur wissen, ob er immernoch darauf hofft.", erklärt er sich und Deidara verdreht die Augen.
"Ja... Nur ist gut, un. Du weißt doch, dass er sehr empfindlich reagiert, wenn es um Sasuke oder seine Familie geht. Erinnerst du dich nicht an die Gruppensitzung, in der Itachi beinahe jemanden verprügelt hätte, weil der schlecht über seine Familie geredet hat, un?", erinnert der Blonde den Jungen neben sich, der nur gleichgültig mit den Schultern zuckt.
Ich verfolge das Gespräch still und versuche zu begreifen, worüber sie eigentlich reden.
Dass Itachi einen kleinen Bruder hat ist mir ja schon neu aber dass er deshalb quasi durchdrehen kann ist mir nicht nur bisher unbekannt gewesen, sondern auch völlig unvorstellbar.
Vielleicht, wenn ich recht darüber nachdenke, ist es doch nicht so unwahrscheinlich. Itachi hat versucht seine Familie zu töten, wieso auch immer.
Er ist krank, auch, wenn er bisher auf mich immer einen guten Eindruck gemacht hat.
Tja, wir alle hier sind krank, doch nicht jedem sieht man es sofort an. Manchmal braucht es einen Blick hinter die Maske, unter die Oberfläche.
"Also was machen wir jetzt? Mit dem Besuchstag meine ich. Latschen wir in den Raum mit den Besuchern, sehen uns kurz um und verschwinden dann wieder?", will Hidan wissen.
Wahrscheinlich, um das Thema von Itachi abzulenken.
"Meinetwegen.", stimme ich zu und sehe zu Sasori.
"Ich sagte ich gehe nicht hin."
"Ach, Sasori. Schau wenigstens kurz rein und winke deiner Großmutter zu oder so, un.", versucht es Deidara und nach einer kurzen Pause nickt der Rotschopf schließlich doch seufzend.
"Aber nur damit sie sieht, dass ich noch lebe.", fügt er seiner stillen Zustimmung hinzu, was den Blonden neben ihm anscheinend endlich zufrieden stellt.
Ein wenig später, Deidara hat sich vorerst wieder von uns verabschiedet um nach Hause zu gehen, stehen Sasori, Hidan und ich am Rand eines großen Raumes, in dem einige kleine Tische mit jeweils zwei oder drei Stühlen aufgestellt sind. Dutzende Pfleger und Psychologen sind überall verteilt und Patienten wie Besucher füllen das Zimmer. Familien liegen sich in den Armen, reden gedämpft miteinander oder lauschen den Worten des Fachpersonals. Aus dem Wirrwarr an Stimmen und Geräuschen ist nicht wirklich irgendetwas spezifisches herauszuhören und Hidan lehnt sich seufzend an die Wand hinter uns. Die Ärmel seines Pullovers verdecken die Narben an seinen Armen, von denen ich weiß, dass sie da sind, und seine Hände sind tief in den Taschen seiner Hose vergraben.
"Die selben Spasten wie immer...", grummelt er leise vor sich hin und lässt seinen Blick über die Menschenansammlung schweifen.
Auch, wenn er vorhin betont hat, dass ihn eh niemand besuchen wird, so sehe ich an dem beinahe schon sehnsüchtigen Ausdruck seiner lilafarbenen Augen, dass er dennoch hofft ein ihm wirklich bekanntes Gesicht zu sehen.
Ich weiß genau wie es ist jemanden zu erwarten, der nicht kommen wird. Nach dem Tod meines Vaters ist mein Herz jedes Mal fast stehen geblieben, als ein Mann durch die Tür getreten ist.
Sehnsucht ist das allergrößte Miststück...
"Sie ist da.", sagt Sasori leise und ich folge seinem Blick zu einer alten, grauhaarigen Frau, die allein an einem Tisch sitzt.
Die Lippen streng aufeinander gepresst und die Hände vor ihr auf der Platte gefaltet scheint sie geduldig zu warten.
"Du solltest zu ihr gehen.", setze ich vorsichtig an und Sasori seufzt tief.
"Ich hasse diese Frau."
"Sie ist deine Familie, Zwerg. Sie hat dich großgezogen und dafür gesorgt, dass du trotz deiner Probleme überlebst. Die Alte hätte dich auch verhungern lassen können. Du schuldest ihr also mindestens fünf Minuten sinnlosen Small-Talk.", sagt Hidan streng und für ein paar Sekunden starren die beiden Jungen sich stumm an bevor der Rotschopf ohne ein weiteres Wort auf seine Großmutter zugeht und sich vor ihr an den Tisch setzt.
"Sehr gefühlvoll, Hidan.", murmel ich und der Angesprochene schnaubt amüsiert.
"Mein Spezialgebiet, Süße."
"Siehst du Itachi?"
Der Grauhaarige nickt knapp und zeigt auf einen Tisch weiter hinten. Ich kann den Schwarzhaarigen daran sitzen sehen und erkenne auch einen Mann ihm gegenüber, doch selbst, als ich mich auf Zehenspitzen stelle, sehe ich nicht mehr als einen von blauem Haar bedeckten Hinterkopf und breite Schultern. Dennoch weiß ich, dass er älter ist als Itachi und somit unmöglich Sasuke sein kann.
"Das ist nicht sein Bruder.", stelle ich fest und wieder nickt Hidan neben mir.
"Natürlich nicht. Wieso sollte der hier auftauchen nachdem sein Bruder versucht hat seine Eltern umzulegen? Ganz ehrlich? Ich würde auch nicht herkommen, wenn ich er wäre."
"Und wer ist der Mann bei Itachi?"
"Kisame. Der Uchiha erzählt nicht viel von ihm, aber die beiden sind schon ewig befreundet. Er ist der einzige, der zu jedem einzigen Besuchstag kommt, um ihn zu sehen."
Ich nicke langsam und lehne mich neben Hidan an die Wand.
Einige Leute strömen in den Raum, andere verlassen ihn wieder. Ich kann nichts dagegen tun, dass ich nach einem Rollstuhl Ausschau halte.
Ja...
Die Sehnsucht ist wirklich das größte Miststück.
Aber Pain würde nicht hier her kommen. Nagato vielleicht, doch er scheint sich nicht wirklich gegen die Gottheit durchsetzen zu können.
Vielleicht könnte ich ihm helfen, würde es einen Weg geben, mit Nagato zu sprechen...
Könnte ich doch nur zu ihm durchdringen...
"Na wie sieht's aus, Süße? Brechen wir in die Küche ein und klauen den Pudding?"
Hidan's Stimme neben mir reißt mich aus meinen Gedanken und ein Grinsen zupft an meinen Mundwinkeln, als ich das aufgeregte Glänzen in seinen Augen sehe.
Wie ein kleines Kind...
"Und Kakuzu?", frage ich flüsternd und deute mit einem Kopfnicken auf den ständigen Begleiter des Jungen, der ein wenig von uns entfernt im Raum steht und seinen Blick über die Menschenansammlung gleiten lässt.
"Den werde ich schon los, vertrau mir. Wir treffen uns in zehn Minuten in der Küche."
Verschwörerisch zwinkert er mir zu bevor er sich von der Wand ab stößt und das Zimmer verlässt.
Ich schüttel leicht den Kopf und seufze leise bevor ich mich ebenfalls in Bewegung setze.
Doch ich komme nicht weit, da eine bekannte Stimme sofort dafür sorgt, dass ich wie angewurzelt stehen bleibe.
"Konan?"
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