Kapitel 56: Soldaten in der Apotheke
Das Hämmern wurde immer lauter und aggressiver. Ich machte mir schon Sorgen um das Gemälde, welches dadurch bestimmt beschädigt wurde.
„Friedo Der'berti! Im Namen des Königs, sofort aufmachen!", rief eine tiefe, krächzende Frauenstimme.
Friedo stand mit einem Zack auf und rannte zur Tür.
„Natürlich Kapitän Moruesn!", stammelte er dabei.
Noch bevor Hendrík und ich ihn davon abhalten konnten, riss Friedo die Tür auf und eine stämmige Soldatin mit eisgrauen Augen, Kapitän vom Rang her anscheinend, betrat trampelnd den Raum, gefolgt von drei Weiteren.
Da das Zimmer relativ klein war, war es dadurch auch plötzlich sehr eng geworden. Was aber meine geringste Sorge war.
Soldaten.
Richtige Soldaten.
Im Dienst meines Vaters.
Und sie standen nun genau vor mir.
Es war vorbei. Ich wusste, dass wir es niemals hätten schaffen können.
Links neben Kapitän Moruesn stand ein junger Soldat mit dunklem Hautton, welcher mich von Anfang an mit scharfem Blick bedachte. Ich versuchte gar nicht erst, mein Zittern zu versteckten, da ich wusste, dass ich keine Chance hatte, es zu unterdrücken. Ich klammerte meine Hände an dem Saum meines Kleides fest, hielt ihn in festen Fäusten.
„Inspektion.", sprach Kapitän Moruesn in einem sehr lauten Ton, „Alle Räume müssen durchsucht werden!".
Erst war ich noch leicht beruhigt. Zumindest waren sie nicht wegen uns hier. Noch nicht. Unsere Anwesenheit war den Soldaten mehr als offensichtlich und da Vater bestimmt das ganze Land nach mir suchen ließ... jeder Soldat hatte eine Beschreibung von Hendrík und mir. Sie würden uns erkennen. Es war nur eine Frage der Zeit. Mein Herz pochte so wild, dass ich glaubte, es könnte gleich aus mir herausspringen.
Friedo lief eingeschüchtert an Moruesn vorbei, anscheinend schien er oft mit ihr Probleme zu haben.
„Natürlich, natürlich!", stammelte Friedo, „Seht euch um!"
Moruesn und zwei der anderen Soldaten drehten sich sofort weg und liefen wieder zurück in den Laden. Ich weiß nicht, was genau sie taten, aber es klang so, als würde Friedo nach ihrer Inspektion ordentlich aufräumen müssen.
Der eine Soldat aber, welcher mich intensiv anstarrte, blieb erst noch genau stehen, von wo aus er mich auch beobachtete. Sein Blick wanderte finster zwischen mir und Hendrík, hin und her.
Ich traute mich nicht mehr zu atmen. Er erkannte uns. Jetzt grade. In diesem Augenblick. Es war vorbei. Ich war tot. Wir waren tot.
Hendrík stellte sich seitlich vor mich. Hätte ich mich bewegen können, hätte ich ihn verwirrt angestarrt.
Dann sprach er plötzlich: „Ein wunderschöner Morgen, nicht?"
Immer weiter stellte er sich langsam vor mich. Er schützte mich. Er opferte sich selbst, um mich zu schützen. Warum?
Der Soldat antwortete ihm mit einem Schnauben.
„Diese Inspektionen machen wohl nicht so viel Spaß, wie es aussieht.", witzelte Hendrík nun. Ich wusste nicht wie, doch er schaffte es tatsächlich, dass die dunklen Augen des Soldaten nicht mehr an mir haften blieben. Er schaffte es. Er schaffte es wirklich!
„Beginne Inspektion im Hinterzimmer!", schrie der Soldat plötzlich.
Ich zuckte zusammen und spürte Tränen in meinen Augen aufkommen. Ich durfte nicht so verängstigt wirken. Ich wusste, dass mich das nur noch verdächtiger wirken ließ. Aber ich konnte einfach nicht. Ich machte mich so klein, wie mir nur möglich war.
Der Soldat begann durch das komplette Zimmer herum zu stampfen. Alles, was in den Regalen stand, blickte er vielleicht eine halbe Sekunde an und warf es darauf unsanft auf den Boden. Zuckend lief Friedo ihm hinterher, versuchte einige der Gegenstände vor dem Fall zu retten und murmelte dabei abgebrochene Sätze, wie: „Das ist sehr wertvoll, ist... bitte aufpassen, ich... nein, nicht die Vase, sie..."
Schließlich kam der Soldat in unserer Ecke an. Hendrík und ich standen genau vor dem Bücherschrank und mit nur einem Millimeter abstand stellte der Soldat sich vor Hendrík. Schnaubend brüllte er ihn an: „Platz machen!"
Hendrík ging ihm sofort aus dem Weg, doch ich bewegte nicht einen Muskel. Ich war erstarrt und auch als die wütenden Augen des Soldaten tief in meine sahen, machte ich keine Anstalten mich weg zu bewegen, selbst wenn ich es gewollt hätte, war ich einfach nicht in der Lage dazu.
Bevor der Soldat aber etwas sagen oder tun konnte (und anhand seiner sich zügig hebenden Hand, vermutete ich einen gewaltsamen Schubser, wenn nicht sogar Schlag), zog mich Hendrík plötzlich an meinem Arm aus dem Weg des Soldaten. Er hielt mich an den Schultern und rüttelte mich sanft.
„Komm zu dir!", nuschelte er, „Bitte, komm sofort zu dir!"
Mit einem Mal atmete ich aus. Ich hatte noch immer Angst, doch ich war wieder in der Realität angekommen und sah mich um. Der Soldat bewegte jedes Buch im Regal, zog jedes einmal aus dem Fach, drehte auch an den Dekofiguren. Er schien nach etwas Bestimmten zu suchen, was er aber nicht finden konnte.
Ich stellte mich näher an Hendrík. Seine Hände lagen noch immer auf meinen Schultern und seine Körperwärme schien mich weiter zu beruhigen.
Als der Soldat schließlich fertig mit seiner Inspektion zu sein schien, kamen auch die anderen wieder.
„Das Schlafzimmer ist als nächstes dran!", rief Kapitän Moruesn.
Friedo zuckte zusammen. Zitternd zeigte er auf den kleinen gepolsterten Stuhl, auf welchen er eben noch auch gesessen hatte.
Moruesn schnalzte mit der Zunge.
„Das Schlaf-zimmer.", rief sie und betonte die letzten beiden Silben dabei intensiv.
Friedo kratzte sich am Kopf.
„Mein... mein Schlafzimmer habe ich vermietet. Ich kann mir den Unterhalt nicht mehr leisten... hier schlafe ich nun.", erklärte er.
Sofort tat Friedo mir leid. Hier schlief er? Auf diesem kleinen Stuhl?
„Dann bringt mir euren Untermieter her und lasst ihn das Schlafzimmer aufschließen, damit wir uns endlich umsehen können!", rief sie.
Diese Frau schien keinerlei Erbarmen zu zeigen, keiner von ihnen. Ich hatte Soldaten schon immer als sehr steif und... gefühlslos empfunden. Doch hatten sie sonst immer jeden mit Respekt behandelt. Was war hier los?
Wieder fing Friedo an zu stammeln: „Professor Quasimir, er wohnt dort. Allerdings hält er noch bis heute Abend Vorlesung..."
Moruesn stöhnte.
„Gut, dann kommen wir heute Abend wieder! Und das Schlafzimmer ist bis dahin am besten aufgeschlossen, ansonsten Friedo..."
Friedo nickte eifrig.
„Gut. Kommt Soldaten!", rief sie.
Sie alle drehten sich auf ihren Versen um und wollten im selben Tempo den Raum und auch den Laden verlassen. Doch grade, als ich erleichtert ausatmen wollte, hörte man plötzlich ein räuspern. Der eine Soldat, welcher mich und Hendrík angestarrt hatte, stand noch immer da und funkelte uns an.
Hendrík hatte seine Hände inzwischen etwas weiter runter gleiten lassen und hielt meine Oberarme. Während der Soldat uns weiter anstarrte, schaute ich zu ihm.
„Halt!", rief der der Soldat. Sofort blieb der komplette Trupp von ihnen stehen.
„Wer sind die?", fragte er in Friedos Richtung.
Friedo starrte uns zitternd an.
Mist, Mist, Mist, dachte ich. Auch wenn ich inzwischen Friedo vertraute, war sehr gut zu erkennen, dass er grade nicht in der Lage war, sich auch nur irgendeine plausible Ausrede einfallen zu lassen.
Zum Glück war aber Hendrík auch noch anwesend.
„Wir sind Studenten. Professor Der'berti hilft uns bei einer wissenschaftlichen Arbeit, weswegen wir in seine Apotheke gekommen sind."
„Ich habe nicht euch gefragt!", rief der Soldat. Er drehte sich schneller als ich Blinzeln konnte zu Friedo, „Stimmt das!?"
Ein paar Sekunden lang tat Friedo nichts und starrte den Soldaten mit leerem Blick an. Schließlich schüttelte er sich aber und erklärte mit nickendem Kopf: „Ja, ja! Studenten, genau!"
Moruesn kam wieder vor, mit gehobener Augenbraue.
„Also keine Kunden? Ausweise, sofort!"
Sie starrte uns an.
Ausweise? WAS FÜR AUSWEISE?!
Bevor ich wieder anfangen konnte zu zittern brummte Hendrík neben mir mit zusammengekniffenen Augen: "Unsere Studentenausweise haben wir im Hörsaal liegen lassen. Für normale Personalausweise sind wir zu arm."
Moruesn erwiderte seinen Blick und zischte darauf: „Dann hoffe ich für euch, dass ihr eure Ausweise bei euch habt, wenn wir später wieder kommen!"
Ein letztes Mal starrte sie noch Friedo an, dann drehte sie sich endlich um und nach einem kurzen Handzeichen von ihr verließen sie alle das Haus. Erst als ich die Tür sich schließen hörte, konnte ich endlich wieder normal atmen.
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