(Do 02.09.1999) Erkenntnis
Ich starrte in die Dunkelheit meines Zimmers. Es war bereits weit nach Mitternacht, doch ich konnte einfach keinen Schlaf finden. Heute war die Nacht gekommen, vor der ich mich schon so lange fürchtete. Remus' erster Vollmond, seit seiner Amnesie. Er war trotz des Wolfsbanntrankes, den uns netterweise Snape hat zukommen lassen, in die heulende Hütte gegangen. Typisch für ihn. Bloß kein Risiko eingegeben.
Unruhig drehte ich mich im Bett hin und her, doch der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Frustriert stand ich auf und ging zum Fenster hinüber. Da war er. Der Vollmond. Dieser große, runde, leuchtende Ball, der so viel Schönheit besaß und Remus doch so viel Schmerz und Kummer bereitete. Zu gern hätte ich ihm heute beigestanden. Doch ich wusste, das war nicht möglich. Remus.
Mit einer Sache hatte Ron recht gehabt. Meine ganze Welt drehte sich nur noch um Remus. So sehr ich es auch versuchte, ich musste immer an ihn denken. Eigentlich ja nicht ungewöhnlich, wie mir schien. Schließlich war Remus so ziemlich die Person, zu der ich neben Harry und Ginny, den engsten Kontakt hatte.
Doch waren da mehr als nur freundschaftliche Gefühle?
Ich hatte ihn noch nie als festen Freund, in Erwägung gezogen. Gut zugegeben, ich war nicht umhin gekommen, es in Betracht zu ziehen, weil Ron mich ja unmittelbar damit konfrontiert hatte. Doch ich hatte diese fixe Idee sofort wieder verworfen. Jetzt allerdings, wo ich so darüber nachdachte, schien es mir gar nicht mehr so abwegig. Obwohl Remus viel älter war als ich, musste ich mir doch eingestehen, dass ich ihn weitaus mehr für eine Beziehung in Erwägung zog, als Ron. Aber empfand ich wirklich etwas für ihn, oder war er einfach nur die Wahl, die ich am ehesten treffen würde?
Als ich am frühen Morgen erwachte, ich musste wohl doch irgendwann eingeschlafen sein, hatte ich auf diese Frage noch immer keine Antwort. Trotzdem galt mein erster Gedanke wieder Remus. Ob er sich schon zurück verwandelt hatte? Schnell flitzte ich ins Badezimmer und macht mich fertig. Keine fünfzehn Minuten später, stand ich auch schon vor der heulenden Hütte. Erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, in welchem Zustand sich Remus womöglich befand. Was wenn er lieber seine Ruhe haben wollte? Oder vielleicht wollte er ja auch gar nicht, dass ich ihn in diesem Zustand sah. Je länger ich vor der Eingangstür stand, desto unsicherer wurde ich. Sollte ich vielleicht doch lieber gehen und warten bis Remus von alleine zu mir kam? Doch was wenn er verletzt war und Hilfe benötigte? Nein, ich musste zu ihm!
Als ich das Zimmer im oberen Stockwerk betrat, fiel mir als Erstes die heruntergerisse Tapete, die mit Krallen und Zahnabdrücken versehenen Möbelstück und die vernagelten Fenster auf. Doch wo war Remus? Erst als ich weiter ins Zimmer hinein schritt, entdeckte ich eine zusammen gekauerte Gestalt hinter dem Bett.
Schnell stürzte ich auf Remus zu, der mit dem Rücken zu mir lag. Vorsichtig legte ich ihm eine Hand auf die Schulter, nur um festzustellen, dass seine Haut eiskalt war. Ohne groß darüber nachzudenken, griff ich nach der staubigen Bettdecke und breitete sie über seinen nackten Körper aus. Besorgt blickte ich in sein kreideweißes Gesicht.
Schlief er, oder war er bewusstlos? Nervös kramte ich in meiner Tasche, die ich vorsorglich mitgenommen hatte und wurde auch schnell fündig. Einen Stärkungstrank. Snape hatte mir diesen zähneknirschend überlassen.
>>Remus! <<, sprach ich ihn vorsichtig an und rüttelte leicht an seiner Schulter. Ich sah, wie sich seine Pupillen hinter den geschlossen Augenliedern langsam bewegten. Ein paar Mal kniff er sie noch zusammen, bevor er sie schwerfällig öffnete. Erschöpft blickte er sich im Raum um, ehe er mich entdeckte.
>>Remus, ich habe hier einen Stärkungstrank für dich. Du solltest ihn trinken. Dann geht es dir gleich viel besser. << Müde nickte er mir zu. Darauf versuchte er sich mühselig aufzurichten, doch seine Arme wollten ihn noch nicht halten. Schnell eilte ich ihm zur Hilfe und zog ihn in eine sitzende Position. Ich wollte ihm den Trank reichen, doch seine Hand zitterte so sehr, sodass ich es lieber bleiben ließ. Stattdessen hielt ich ihm das kleine Fläschchen an die geschundenen Lippen und wartete, bis er alles ausgetrunken hatte.
>>Und, fühlst du dich schon etwas besser? << Remus schien kurz in sich hineinzuhören, ehe er mir wieder mit einem Nicken antwortete. Konnte er so kurz nach der Verwandlung noch nicht sprechen, oder war er einfach zu erschöpft dazu? Mir wurde schmerzlich bewusst, wie wenig ich doch über Werwölfe wusste. Dabei lebte ich nun schon seit einem Monat mit einem zusammen.
>>Vielleicht solltest du dich noch eine Weile ins Bett legen<<, schlug ich vor. Ich half Remus dabei, sich halbwegs aufzurichten. Zum Glück waren es nur ein paar Schritte bis zum Bett. Ich stützte ihn, so gut ich konnte und als wir endlich am Bett ankamen, ließ Remus sich entkräftet darauf nieder. Ich deckte ihn wieder ordentlich zu und keine zwei Sekunden später war er eingeschlafen.
Besorgt setze ich mich zu ihm auf die Bettkante. Noch nie hatte ich die Gelegenheit gehabt, ihn so ungestört und genau zu betrachten. Sein fransiges Haar war zerzaust von der Verwandlung, braun, jetzt wieder mit einigen grauen Strähnen durchzogen. Ich blickte in sein noch junges, aber erschöpftes Gesicht. Seine gerade Nase und die geschwungenen Lippen, machten Remus wirklich zu einem schönen Mann. Die vereinzelten Narben unterstrichen seine Natürlichkeit und ließen ihn sehr reif und wissend wirken. Vorsichtig strich ich ihm ein paar Haare aus der Stirn und konnte es nicht mehr leugnen, irgendwas an Remus zog mich magisch an. Aber konnte man das schon als Liebe bezeichne, nur weil ich mich zu ihm hingezogen fühlte? Lange saß ich da und dachte darüber nach. Ich hatte mich sehr an Remus Anwesenheit gewöhnt und ich musste mir selbst eingestehen, dass ich ihn schrecklich vermissen würde, wenn er nicht da wäre. Wenn er in meiner Nähe war, fühlte ich mich immer geborgen und beschützt. Außerdem mochte ich seinen Charakter. Er war ein Stratege mit viel Kampferfahrung. Mutig, aber Frauen gegenüber doch recht schüchtern. Er scheute sich nicht vor Arbeit und war stets pünktlich, noch dazu ein geborener Gentleman, der immer erst an andere dachte.
...Und plötzlich traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag. Wie lange sehnte ich mich jetzt schon nach einen Mann, der immer für mich da war und meine Interessen teilte? Wie dumm war ich gewesen, nicht zu erkennen, dass ebendieser die ganze Zeit schon bei mir war. Wie konnte man nur so blind sein? Ich schüttelte über mich selbst den Kopf und sprang von Bett auf. Ich liebte Remus Lupin. Ich konnte es noch immer nicht fassen. Diese Erkenntnis erschütterte mich bis ins Mark. Völlig überrumpelt von meinen eigenen Gedankengängen, schaute ich aus dem halb zugenagelten Fenster. Die Sonne war schon weit über den Horizont geglitten und ich realisierte erst jetzt, wie spät es schon war. Hatte ich Remus so lange angestarrt? Immer noch konfus im Kopf, wandte ich mich wieder dem Bett zu.
Da lag er. Der Mann der sich in so kurzer Zeit, in mein Herz geschlichen hatte. Mein Puls beschleunigte sich, als ich ihn so friedlich daliegen sah. Ob er mich auch liebte? Wohl eher nicht. Durch seine Amnesie kannte er mich ja strenggenommen erst seit 2 Wochen. Nachdenklich verließ ich die heulende Hütte und machte mich auf den Weg nach Hause. Ich wollte für Remus etwas Schönes kochen, denn wenn er später erwachte, hatte er bestimmt Hunger.
Als ich eine Stunde später die Hütte wieder betrat, stellte ich überrascht fest, dass Remus bereits wach war. Erschöpft lächelte er mich an, als ich durch die Tür trat. Mir war vorher noch nie aufgefallen, wie süß sein Lächeln eigentlich war. Mein Herz schlug augenblicklich doppelt so schnell.
>>Wie geht es dir? <<, fragte ich, um meine plötzliche Nervosität zu überspielen.
>>Ganz gut. Dank der Stärkungstränke von Snape. Hmm, was riecht hier denn so köstlich? << Langsam setzt sich Remus im Bett auf, wodurch die Decke verrutschte und ich nun seinen bloßen Oberkörper betrachten konnte. Ich hatte ihn zwar schon einmal oben ohne gesehen, doch diesmal war es etwas anderes. Bloß wo anders hinschauen, Hermine! Ich zwang mich, meinen Blick auf seine Augen zu richten.
>>Ich hab dir eine Suppe gekocht. Ich...ich wusste nicht, ob du Hunger hast<<, meinte ich leicht verlegen und stellte die Schüssel mit der Fleischsuppe auf den Nachttisch.
>>Und wie ich Hunger habe<<, antwortete Remus begeistert und setzte sich auf die Bettkante. Lächelnd überreichte ich ihm einen Löffel. Sofort zog er die Schüssel zu sich und fing an zu essen. Mit klopfendem Herz setzte ich mich neben ihn und sah ihm zu.
>>Wirklich köstlich, Hermine. Was würde ich nur ohne dich machen? <<, nuschelte Remus mit vollen Mund. Ich spürte wie mir das Blut in die Wangen schoss.
>>Schön das es dir schmeckt<<, murmelte ich und senkte verlegen den Blick. In Windeseile hatte Remus die Schüssel gelehrt und lächelte mich darauf glücklich und zufrieden an. Besorgt musterte ich darauf, sein noch immer sehr blasses Gesicht.
>>Meinst du, du schaffst es mit nach Hause zu kommen, oder willst du dich hier noch etwas ausruhen? <<, fragte ich und nahm Remus die Suppenschüssel ab.
>>Nein, ich denke mit deiner Hilfe werde ich es schon bis ins Dorf schaffen...aber momentan hab ich noch ein anderes Problem. << Nun senkte Remus seinerseits verlegen den Blick.
>>Was meinst du? <<, wollte ich verwirrt wissen. Hatte ich etwas vergessen?
>>Ich bin nackt<<, antwortet Remus darauf knapp. Und wieder lief ich dunkelrot an.
>>Oh...ähm. Wo hast du deine Sachen denn hingelegt? <<, stotterte ich peinlich berührt und schaute mich suchend im Zimmer um.
>>Unten im Flur. Damit der Wolf sie nicht zerfetzt. << Schnell eilte ich aus dem Raum, um diesem peinlichen Moment zu entfliehen. Schnell fand ich seine Klamotten, auf einer schäbigen Kommode. Auf dem Weg die Treppe hoch viel mir ein, dass ich Remus gar nicht gefragt hatte, wie seine erste Verwandlung nach der Amnesie, verlaufen war. Vielleicht hatte die Verwandlung ein paar seiner Erinnerungen wieder hervorgerufen? Oben im Zimmer wieder angekommen, reichte ich Remus seine Sachen. Anstandshalber wartete ich im Flur, bis er sich vollständig angekleidet hatte.
>>Sag mal Remus, du wurdest ja schon als Kind gebissen und verwandelst dich seither jeden Monat. Hat die Verwandlung, letzte Nacht, keine Erinnerung bei dir geweckt? <<, fragte ich neugierig.
>>Nicht wirklich. Die Schmerzen, bei der Transformation, kamen mir bekannt vor, aber ansonsten...Eine angenehme Erfahrung war es jedenfalls nicht. Ich kann gar nicht verstehen, wie ich das 30 Jahren aushalten konnte<<, hörte ich Remus gedämpfte Stimme, durch die geschlossene Tür.
>>Konntest du auch nicht<<, flüsterte ich so leise, sodass es Remus nicht hören konnte. Traurig blickte ich die Tür an. Schmerzhaft kam wieder die Erinnerung hoch, als er vor knapp einem Monat, weinend in meinem Wohnzimmer stand. Schnell verscheuchte ich den Gedanken wieder...Ich sollte nicht in der Vergangenheit verweilen, sondern in die Zukunft schauen.
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