22. Im alptraumhaften Amerika
Universität von Boston, Massachusetts
zurück in der Otherworld...
Unschlüssig standen Laura und Tobias da und betrachteten die metallische Umgebung vor sich.
"Was meinst du mit Otherworld?", fragte Laura verunsichert. "Was soll das sein?"
Tobias schluckte und leuchtete wieder nach vorn. "So eine Art verdrehte Welt von der normalen", erwiderte er mit Kloß im Hals. "Siehst du das eiserne Regal dort vorn? Das ist das lange Regal mit der alten Dame davor." Er leuchtete nach rechts und weiter weg. "Und dahinten - siehst du diese metallenen Tische?"
Laura sah es, konnte aber nur verwundert die Stirn runzeln.
"Das ist immer noch der Lernraum, in dem wir gerade waren", erklärte Tobias weiter, "allerdings eine gruselige Variante davon. Eine Art Alptraumwelt..."
"Scheiße... das gibt's doch nicht...", meinte Laura fassungslos, als sie erkannte, dass das wirklich der Lernraum war. "Das kann doch gar nicht sein!"
"Leider doch", meinte Tobias schwermütig. Dann trat er ein paar Schritte nach vorn und leuchtete mit klopfendem Herzen weitläufig umher. "Wir müssen auf jeden Fall vorsichtig sein...", sagte er zaghaft und dachte dabei an mögliche Monster. Instinktiv leuchtete er neben und hinter sich. Doch als der Lichtstrahl die Wand direkt neben ihm erhellte, prallte er erschrocken zurück und fiel fast zu Boden. "Ach du Scheiße!", entfuhr es ihm.
Laura drehte sich sofort in diese Richtung und schrie auf. "Was ist das denn???", schrillte sie.
An der Wand neben Tobias sah sie zwei übergroße, menschlich aussehende Körper hängen. Wie zwei ausgestellte Trophäen hatte jemand sie langgestreckt in einem Gittergestell befestigt, das an den Seiten nur von vier Hauptstangen zusammengehalten wurden. Beide Gestelle boten somit gute Sicht auf den Inhalt und waren mit einem gewissen Abstand an der Wand befestigt worden.
"Igitt...", meinte Laura, keuchte und hielt sich eine Hand vor den Mund. Auch Tobias wurde leicht schlecht. Das Licht der Taschenlampe reichte aus, um zu sehen, wie total entstellt diese Kadaver waren: Hände und Arme fehlten völlig, es gab mehrere offene Wunden, darüber hinaus waren sie über und über mit Blut verschmiert. Im Scheinwerferlicht sah man auch Stacheldrähte, die kreuz und quer durch Torso und Beine gingen und sich blutig ins Fleisch schnitten...
"Oh nee...", keuchte Tobias und musste einmal schwer schlucken. "Nicht das wieder..."
"Was für ne kranke Scheiße ist das nur?", gab Laura von sich. "Und wieso sind wir überhaupt hier?!"
Tobias fasste sich wieder. "Schätze, daran ist der Dolch schuld", vermutete er.
Lauras Gesicht ruckte in seine Richtung. "Was? Aber wieso???"
Tobias schloss zu ihr auf und stellte sich neben sie. Er leuchtete auf den Dolch, den er immer noch in der linken Hand hielt. Laura konnte nichts Ungewöhnliches erkennen.
"Er muss irgendwie aktiviert worden sein", meinte Tobias, dem nicht entging, dass der Blutfleck an der Spitze der Klinge nicht mehr da war. Doch das behielt er lieber für sich. "Viel wichtiger ist, wie wir hier wieder rauskommen", sagte er zu Laura und leuchtete auf ihre Hände. "Ah - den Turm hast du noch dabei - das ist schon mal gut."
Seine Begleiterin bekam einen fragenden Gesichtsausdruck. "Du meinst, weil er ein Gegenstand des Metatron ist?"
Tobias nickte. "Damit haben wir schon mal eine gute Chance, wegzukommen. Vermutlich müssen wir das Siegel von Metatron aktivieren, das da oben drauf ist."
Laura betrachtete ungläubig den Turm, doch Tobias ging bereits ein paar Schritte in den Raum hinein und schien entschlossen. "Normalerweise gibt es in dieser Welt irgendwelche Hinweise, wo wir hinmüssen. Die gilt's zu finden."
"Ach - echt?", erwiderte Laura unsicher. "Das ist mir alles immer noch unbegreiflich." Langsam setzte sie sich in Bewegung und schloss zu Tobias auf, der gerade am Ende der Raumnische stand. Gleich konnte er den ganzen Raum einmal ableuchten. Allerdings zögerte er und blickte Laura nach ihrer Bemerkung fest an. "Ehrlich gesagt, wundert es mich ziemlich, dass du diese Welt noch nicht gesehen hast."
"Was???", erwiderte Laura fassungslos.
Tobias zuckte mit der Achsel und meinte: "Na ja - laut Professor Hayden ist Silent Hill der Ort, wo diese Otherworld herstammt und auch am meisten auftaucht. Und da du ziemlich oft da warst, war ich mir sicher, dass du auch schon mal..."
Im Scheinwerferlicht sah Tobias, wie Laura vehement den Kopf schüttelte. "Nein - nie! Ich kann nicht glauben, dass es sowas geben soll."
"Ja, aber wie konntest du immer...", setzte Tobias an.
"Und ich versteh auch nicht, woher du das alles kennst", fuhr Laura ihm dazwischen. "Wir verschwinden, sind plötzlich hier in diesem Gruselkabinett und du plauderst von Begriffen wie Alptraumwelt, als wär dir das alles total bekannt. Wie kann das sein!"
Tobias seufzte und ließ die Taschenlampe ein Stück sinken. "Glaub mir", meinte er leise, "ich fühl mich auch alles andere als wohl hier. Aber ich und meine Freundin waren damals schon mal in dieser Welt. Wir hatten das Tagebuch des Professors und wollten ihn suchen, als wir..."
"Moment, was ist das?!", unterbrach ihn Laura und hielt ihn am Arm fest. Gleichzeitig nahm sie mit ihrem Kopf eine lauschende Haltung ein.
Tobias verhielt sich sofort still. Da hörte er es auch. Ein schleppendes Tapsen. Etwas bewegte sich langsam, aber eindeutig beim langen Regal entlang in ihre Richtung. Tobias legte sofort einen Finger auf seine Lippen und winkte Laura von der Seite der Raumnische weg auf die andere Seite, zur Wand mit den Kadavern. Dort gingen sie vorsichtig weiter ins Rauminnere und leuchteten rüber zum langen Regal, dessen Vorderseite sie gleich in Augenschein nehmen konnten.
Und dann sahen sie es! Vor dem Regal watschelte ein seltsamer Körper, der aus einer grauen Masse bestand, auf sie zu. Er hatte kräftige Beine mit Klumpfüßen, aber keine Arme und keinen Kopf. Stattdessen verzweigte sich der Torso oberhalb der Brust in unzählige Fangarme, die gefährlich herumwuselten.
"Aaaaahhhh!!!", schrie Laura. Tobias erschrak doppelt, einmal wegen des Anblicks und dann wegen Lauras gellender Stimme. Sein Herz klopfte stark.
"Wir sollten hier unbedingt raus", sagte er hastig und leuchtete nach rechts. Vorerst war kein zweites Monster zu sehen.
"Was ist das nur für eine Scheiße!", gab Laura gequält von sich.
"Komm mit", sagte Tobias und zog Laura am Arm nach rechts. Wenn sie Richtung Tische gingen, konnten sie weitläufig um das Monster herumgehen. Beunruhigend sah Tobias, wie das Ding seine Richtung anpasste und ihnen folgte. Das Licht, verdammt! Aber es war zu gefährlich, es abzuschalten. Noch kannten sie den Raum nicht.
Als wollte die Otherworld ihm das beweisen, tauchte plötzlich vor ihnen ein Abgrund auf. "Uooh", entfuhr es Laura. Erschrocken blieb sie stehen.
"Sowas kann leider ab und zu mal auftauchen", sagte Tobias hektisch. "Genau wie die Monster." Schnell leuchtete er hinter sich. Der krakenarmige Torso kam allmählich näher.
"Monster?", entfuhr es Laura ungläubig.
Tobias nickte zu dem Ding hinter ihnen. "Wie würdest du sowas wohl sonst nennen?!"
Darauf wusste die redselige Laura keine Antwort zu geben. Eine Alptraumwelt mit verzogenen Räumen und Monstern. Wie konnte es das nur geben?
"Da lang", meinte Tobias und zeigte auf den Streifen Gitterfußboden, der direkt an der Wand langführte. Der Abgrund schloss nicht direkt an der Wand ab, sondern kurz davor, so dass ein begehbarer Streifen Eisengitter dort geblieben war.
"Oh Mann, das sieht aber ziemlich schmal aus", meinte Laura.
"Wir haben keine Wahl", sagte Tobias und leuchtete auf das Monster mit den Fangarmen.
Als Laura sah, wie dicht das Ding schon war, hatte sie mit dem schmalen Gitterstreifen kein Problem mehr und folgte Tobias sofort.
Mit dem Rücken an der Eisenwand gingen sie vorsichtig das schmale Stück Fußboden entlang. Mit Genugtuung sah Tobias, wie das tapsende Monster ihnen folgen wollte. Er leuchtete nach rechts und jetzt sah auch Laura, dass der Abgrund ein paar Meter weiter bereits wieder endete. Gleich würden sie problemlos auf der anderen Seite des Abgrundes Richtung Tür gehen können, während das Monster noch auf dem schmalen Gitterfußbodenstück herumtapsen würde.
Einen Moment später war es soweit. Erleichtert atmeten die Beiden aus, als sie auf Höhe der hinteren Tische wieder mehr Platz zum Stehen hatten.
Tobias sah kurz zu dem Monster, das wie erwartet noch etwas brauchen würde, um den schmalen Übergang zu überwinden.
"Okay, dann am besten raus hier", meinte Laura und ging den Abgrund entlang Richtung Tür.
"Warte, nicht so schnell", rief Tobias.
Laura drehte sich um und sah, dass er die Tische ableuchtete.
"Vielleicht gibt es hier noch einen Hinweis", erklärte er. Doch auf den Tischen lag nichts herum und auch kein Spruch war zu sehen. Tobias bemerkte, dass es hier auch viel weniger Tische gab, als im originalen Lernraum.
"Nichts da - dann mal raus hier", gab Tobias von sich, gesellte sich neben Laura und leuchtete für sie beide den Weg ab.
Am Ende des Abgrunds hörten sie von rechts ein stöhnendes Geräusch. Im Licht der Taschenlampe tauchte plötzlich ein weiteres Monster mit Fangarmen als Kopf auf. Es kam von rechts und wollte den Beiden den Weg abschneiden.
"Los - lauf!", rief Tobias und rannte auf das Ende des Abgrunds zu, der genau links neben ihnen war. Laura ließ sich das nicht zwei Mal sagen. Es schepperte metallisch, als die Absätze ihrer Schuhe über den Gitterfußboden sausten.
Das Monster war schon fast auf ihre Höhe. Im Licht der Taschenlampe sah Tobias aber das Ende des Abgrundes in Sicht kommen. Als sie die Ecke des Abgrundes erreichten, stöhnte das Ding unheilvoll auf und holte plötzlich mit den Fangarmen oberhalb seiner Brust aus.
"Ahh", schrie Tobias und sprang kurzerhand schräg über den Rand des Abgrundes auf die andere Seite der Ecke.
Laura sah, wie die Fangarme plötzlich wie in einer Art Peitschenhieb als gebündelter Strang nach vorne stieben. Tobias erbleichte, sah Laura schon in den Abgrund stürzen. "Los - spring doch!", rief er.
Doch das traute Laura sich nicht zu. Kurzerhand rollte sie sich nach vorne ab. Über sich hörte sie ein peitschendes Geräusch. Die Fangarme! Doch da war sie schon an dem Monster vorbei und richtete sich nahe bei Tobias wieder auf.
Der atmete erleichtert auf. "Puh - das war knapp...", ächzte er. "Kein schlechter Move übrigens." Er lächelte etwas und zeigte seinen Daumen hoch.
"Ich war schon immer recht wendig", erwiderte sie und versuchte dabei, den rostigen Schmutz von ihren Klamotten abzuklopfen. "Aber mein Kleid ist wohl nicht die ganz passende Klamotte für so eine Otherworld."
"Hauptsache, es ist noch alles dran", meinte Tobias dazu. Schnell leuchtete er hinter sich, sah sich um. "Der Weg zur Tür ist frei", sagte er hoffnungsvoll und bedeutete Laura mitzukommen.
Die tat das nur zu gern, sah sie doch genau, wie das krakenarmige Ding bereits wieder näher kam.
Neben der Tür hing ein weiteres Gittergestell mit einem Kadaver darin. "Oh nee", keuchte Laura und hielt sich halb die Nase zu. Direkt in der Nähe von so einem Ding war der Geruch nach Verwesung sehr durchdringend.
"Einfach nicht drauf achten", meinte Tobias, der sich sogleich der Tür zuwandte und dem toten Körper damit die kalte Schulter zeigte. Die Tür zum Lernraum war nun ebenfalls komplett aus Eisen. Erleichterung durchflutete ihn, als Tobias bemerkte, dass die Tür aufging.
Im nächsten Moment standen sie auf dem Flur der 2. Etage. Was würde wohl hier auf sie lauern?
Laura stellte sich neben Tobias und sah sich im Schummerlicht um. "Scheinbar geht die Welt hier so weiter", vermutete sie laut.
"Ja", meinte Tobias, "und das bedeutet leider: das ist erst der Anfang..."
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Ludlow, Massachusetts
ebenfalls in der Otherworld...
Ungefähr zur selben Zeit versuchte Anne sich zu beruhigen und zu akzeptieren, wo sie war. Alles um sie herum war verrostet und bestand aus Eisen. Die Otherworld! Es war alles so schnell gegangen. Sie schaute zu Heather, die vorsichtig mit ihrer Taschenlampe die Gegend ableuchtete. Sie schien verunsichert, war aber nicht ganz so überrascht wie sie selbst, bemerkte Anne.
"Das ist echt unheimlich", meinte Heather gerade. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich das nochmal sehe." Sie ließ die Taschenlampe sinken und ihren Kopf gleich dazu. "Verdammt, Gabriel...", gab sie leise von sich. "Wie konnte ich so blind sein..."
Anne runzelte die Stirn, weil ihr etwas aufgefallen war. "Was meinst du damit, du dachtest nicht, dass du sie nochmal siehst?", fragte sie Heather und stellte sich genau neben sie. "Du kennst die Otherworld also bereits?"
Heather nickte nur. "Von früher", gab sie zaghaft von sich. "Damals, als meine Mutter noch nicht..." Abrupt brach sie den Satz ab und schaute kurz nervös zu Anne.
"Was?", hakte Anne sofort nach. "Was hat deine Mutter immer wieder damit zu tun?"
Heathers Blick wurde fester. "Wie ich schon sagte, sie stammt aus Silent Hill", sagte sie abwehrend. "Da kann sowas ja nunmal vorkommen." Sie zeigte mit einer Hand um sich. "Den Rest erzähl ich dir, wenn wir hier rauskommen." Kaum gesagt, schaute sie demonstrativ nach vorne und suchte mit der Taschenlampe die Gasse ab.
Anne trat ein paar Schritte zur Seite und blickte verunsichert umher. "Ich hoffe, das geht überhaupt..."
Heather schnaubte leicht. "Es muss einen Weg geben", meinte sie mit Bestimmtheit und leuchtete einmal um sich. Als sie die Taschenlampe hinter sich hielt, staunte sie nicht schlecht. "Also, zurück zu mir nach Hause können wir schon mal nicht mehr..."
Anne drehte sich um und erfasste sofort die Situation. Direkt hinter ihnen begann ein riesiger Abgrund, der nicht enden wollte. Als wenn die ganze Welt dort begann, wo sie gerade standen. "Na großartig...", murmelte Anne.
Heather drehte sich aber sofort wieder um. Ihre Körperhaltung drückte Entschlossenheit aus. "Das heißt, wir sollen also Richtung U-Bahn. Von wo aus wir zu meiner Mum könnten."
Anne drehte sich ebenfalls wieder um und fasste neuen Mut. "Da könntest du Recht haben."
Heather sah sie an und nickte. "Dann sollten wir mal los", sagte sie entschlussfreudig, schaute nach vorn und setzte sich in Bewegung.
Anne überlegte nicht lange und ging sogleich neben sie her. Die sowieso schon menschenleere Gasse sah in ihrer metallenen Form und in der Dunkelheit noch verlassener aus. Langsam näherten sich Heather und Anne dem Ende der Gasse.
Plötzlich hörten sie ein Tapsen. Gleich darauf knurrte etwas vor ihnen. Anne blieb erstarrt stehen. "Verdammt, was ist das???"
Heather blieb ebenfalls stehen und nahm eine gespannte Haltung an. "Werden wir gleich sehen, fürchte ich...", gab sie leise von sich.
Im nächsten Augenblick kam am Ende der Gasse ein verunstalteter Hund zum Vorschein. Er tapste von der Seite auf den Platz - von dort, wo zuvor in der normalen Welt Gabriel aufgetaucht war.
Anne sog erschrocken die Luft ein. Auch Heather schluckte nervös. Der Hund hatte kein Fell. Man konnte sein blankes Fleisch sehen, auf dem blutige Striemen zu sehen waren. Sein Kopf war gespalten durch sein übergroßes Maul, dass er vertikal aufreißen konnte. Aus dem Maul schaute zudem eine bizarre, lange Zunge hervor, die wie eine blutige Peitsche aussah.
Der Hund kam ein paar Schritte näher und knurrte böse. Dann riss er sein bizarres Maul unnatürlich weit auf, wodurch sein Kopf in zwei Hälften auseinander klaffte.
Anne gefror das Blut in den Adern.
"Hier, halt mal", sagte Heather plötzlich und hielt Anne die Taschenlampe hin. Anne erschreckte halb, dann nahm sie ihrer Begleiterin die Lampe ab. Kaum hatte sie die Hände frei, griff Heather in ihre Handtasche und holte etwas hervor.
Der Hund schloss derweil sein Maul wieder und kam knurrend ein paar weitere Schritte näher.
Anne erkannte derweil, was Heather in der Hand hielt. "Du hast eine Waffe?", staunte sie.
"Ja - schon eine ganze Weile", erwiderte Heather, während sie mit ihrer Pistole den Monsterhund anvisierte. "Leuchte ihn schön an", sagte sie zu Anne, ohne das Vieh aus den Augen zu lassen.
Langsam rückten die Frauen noch ein paar Schritte vor. Plötzlich gab sich der Hund einen Ruck und schnellte auf Anne zu. Vielleicht störte er sich an dem Licht, das wusste keiner der Frauen.
Heather zögerte keine Sekunde. Sie kniff ein Auge zu, zielte und drückte ab.
Anne erschrak von dem Knall, doch im gleichen Moment sah sie beim Hund Blut aufspritzen. Das Ding jaulte kurz, dann kippte das Vieh auf der Stelle um. Heather hatte ihm auf Anhieb einen Kopftreffer verpasst.
"Woah!", rief Anne und hielt sich eine Hand ans Ohr. "Du hast ihn glatt gekillt."
Heather stand immer noch angespannt da und ließ erst einen Moment später die Pistole sinken.
"Wo hast du so gut schießen gelernt?", wunderte sich Anne.
Heather seufzte und sah zu ihr rüber. "Hab ich auch meiner Mum zu verdanken. Seit ich Teenagerin war, hat sie darauf bestanden, dass ich eine Schießausbildung mache."
Anne nickte anerkennend.
Heather betrachtete jedoch nachdenklich die Pistole und überlegte. "Sie sagte immer, ich solle das machen, damit ich eines Tages bereit bin... Ich frag mich, ob sie das hier damals damit meinte..."
Anne zog den Mund schief und zuckte mit der Achsel. "Hat auf jeden Fall funktioniert", meinte sie gleichmütig.
"Hhm", brummte Heather nur. Anschließend setzten sich die beiden Frauen wieder in Bewegung und erreichten das Ende der Gasse. Sie bogen nach rechts ab, woher der Hund gekommen war, und dann gleich wieder nach links. Sogleich betraten sie die große Straße, die sie vorhin durch die Abkürzung erreichen wollten. Doch statt einer belebten Hauptstraße erwartete sie ein metallener Gitterboden, der hier und da Abgründe besaß.
"Verdammt, hoffentlich kommen wir überhaupt bis zur U-Bahn", argwöhnte Heather.
Anne leuchtete einmal über die ganze Straße. "Wir sollten es zumindest versuchen", meinte sie.
Heather nickte, doch dann hielt Anne sie zurück. "Warte - da kommen noch mehr Hunde!" Kaum hatte sie das gesagt, sah man von vorne einen verunstalteten Hund quer über die Straße auf sie zulaufen.
Heather machte sich mit ihrer Waffe bereit, doch dann sah sie auch den anderen Hund, der zugleich vom anderen Ende der Straße auf ihre Position zukam.
Anne schaute nervös von einem Hund zum anderen. "Oh nein - was jetzt?", fragte sie mit zitternder Stimme.
Heather versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren. Sie schaute mehrmals hin und her, versuchte zu erkennen, welcher Hund dichter war. Dann traf sie eine Entscheidung. Sie drehte sich um, ging in die Hocke und zielte auf das Untier, das von hinten auf sie zukam. Anne leuchtete intuitiv sofort dorthin. Einen Moment lang stürmte der Hund mit weit geöffnetem Maul geifernd heran. Dann knallte es und Anne sah erleichternd, wie das Ding am Kopf blutend auf die Seite stürzte.
Sofort wandte Heather sich um, ebenso wie Anne mit der Taschenlampe. Der andere Monsterhund war schon ziemlich nahe herangekommen. Er knurrte böse und sprang plötzlich auf die hockende Heather zu.
Heather ließ sich fallen und schoss in dem Moment, wo das geöffnete Maul direkt vor ihrer Waffe war. Es knallte erneut sehr laut. Blut spritzte auf und Anne sah schaudernd, wie der Körper des Hundes nach dem Treffer weiter Richtung Heather flog und schließlich auf sie fiel.
"Ähh - igitt!", schimpfte Heather und wälzte im nächsten Moment den Hund von sich, der mit weit geöffnetem Maul auf sie drauf gefallen war.
"Was für eklige Dinger", meinte Anne nur und schüttelte sich einmal. Gleich darauf leuchtete sie nochmals die Straße auf und ab. "Okay - weiter ist erstmal nichts zu sehen. Wir sollten weiter."
Heather erhob sich und ließ sich das nicht zweimal sagen. "Ja - und wir sollten zügig machen. Was Interessantes zu sehen gibt es hier ja sowieso nicht." Der bittere Sarkasmus in ihrer Stimme sprach Bände.
Gleich darauf eilten beide Frauen nebeneinander die metallene Straße hinunter. Immer wieder tauchten Abgründe auf, so dass sie mal mehr rechts und mal mehr links gehen mussten.
"Ich hoffe nur, die Monster halten sich in Grenzen", meinte Heather nebenbei. "So viel Munition habe ich nämlich auch nicht dabei."
"Das wird schon", erwiderte Anne keuchend. "Bis jetzt kommen wir schon mal gut voran."
Kaum hatte sie das gesagt, hörte sie im nächsten Moment über sich ein erschreckend bekanntes Geräusch: 'Flapp, flapp, flapp.'
"Wie? Was?", sagte Heather und versuchte, im Laufen über sich zu sehen.
Annes Herzschlag verdoppelte sich, während sie weiterlief.
Kein Zweifel - über ihnen in der Luft war etwas.
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