16. Die Kraft des Bösen
Halb erstarrt schaute Samantha Hayden den jungen Mann vor sich an. "Warum sind Sie so sicher...", fragte sie mit leiser Stimme, "dass er dort ist."
Tobias schloss etwas länger die Augen und atmete tief durch. "Ich und meine Freundin...", gab er dann zögernd von sich, "haben Dinge mit ihrem Mann erlebt. Wirklich schreckliche Dinge...". Er hob hilflos die Hand und schüttelte halb den Kopf. Das alles musste sich in den Augen dieser gelehrten Frau doch total irrsinnig anhören.
"Der Talisman - stimmts?!", erwiderte Mrs. Hayden erregt und maß Tobias mit einem Blick der Erkenntnis. "Sie kamen mit ihm in Berührung, oder?!", fügte sie hinzu und neigte fragend den Kopf etwas vor.
Tobias verlor seine Gesichtsfarbe. Ein Bild schoss ihm in den Kopf. Wie er mit diesem verfluchten Artefakt in der Hand in eine andere Welt gezogen wurde, während das Symbol des Talismans dabei blutrot leuchtete... Er schüttelte sich einmal. "Woher... woher wissen Sie vom Talisman?", fragte er dann mit zitternder Stimme.
Mrs. Hayden schaute etwas versöhnlicher. "Ich habe es Ihnen doch schon gesagt", antwortete sie und machte eine Handbewegung zu Seite. "Mein Mann hat mir alles erzählt von dieser speziellen Reise. Und natürlich auch vom Talisman." Sie sah zur Seite und schüttelte langsam den Kopf, als konnte sie immer noch nicht begreifen, was eigentlich passiert war. Tobias schluckte und empfand Mitgefühl.
Samantha Hayden sah Tobias wieder an, kniff die Augen leicht zusammen und meinte: "Er war ja so stolz auf seine Entdeckung, als er von... diesem Ort... zurückkam. Er musste ihn mir sofort zeigen und platzte fast über vor Erklärungen."
Sie schüttelte den Kopf. "Aber ich habe gleich gespürt, dass dieses Ding Unheil in unser Haus bringt", ergänzte sie mit müdem Tonfall. "Doch Jonathan wollte nicht auf mich hören."
Tobias nickte wissend. Er erinnerte sich, wie freudig der Professor in den ersten Tagebucheinträgen nach dem Fund über den Talisman gesprochen hatte. In den späteren Eintragungen änderte sich der Tonfall darüber dann recht schnell...
"Und dann kamen die Träume...", sagte Samantha Hayden und schüttelte erneut fassungslos ihren Kopf. "Diese furchtbaren Alpträume, von denen er geplagt war."
Tobias schaute sie mitfühlend an. Auch darüber hatte der Prof im Tagebuch berichtet.
"Ich sagte ihm, er müsse das Ding loswerden, aber er wollte nicht hören." Mrs. Haydens Blick wurde wehmütig. "Man muss es irgendwie bändigen können, Sam - sagte er mir immer wieder. Es war ihm zu besonders. Jonathan hatte immer für Archäologie geschwärmt, wissen Sie. Und endlich hatte er selbst so einen einmaligen Fund entdeckt." Sie schüttelte den Kopf und starrte ergriffen auf ihren Laptop. "Er konnte sich einfach nicht davon trennen." Mrs. Hayden sah wieder zu Tobias auf. "Außerdem fühlte er sich dafür verantwortlich und wollte auf keinen Fall, dass jemand Anderes von diesen Kräften heimgesucht wird."
Tobias fröstelte es spürbar. Er dachte an die Macht des Blutes, das in dem Talisman versiegelt war. Das Blut von Alessa Gillespie...
"Anfangs wollte ich ihm das alles gar nicht glauben", gab die Frau des Professors zu, "doch dann bekam ich diese Kraft des Bösen selbst zu spüren..." Sie schüttelte sich einmal, als war ihr kalt. Verdrängte Erinnerungen kamen in ihr hoch. Sie atmete tief durch und begann zu erzählen...
...Es war ungefähr zwei Wochen, nachdem Jonathan aus Silent Hill zurückgekehrt war. Er beschäftigte sich viel mit dem Talisman, doch tat er auch allerhand andere Dinge an der Uni. Da sein Auslandssemester in Germany bevorstand, traf er sich oft mit Kollegen und übergab Seminarunterlagen und den aktuellen Stand seiner Forschungen. So war er trotz Semesterferien jeden Tag am Historischen Institut in Boston.
Da ich weitaus weniger Verpflichtungen in dieser Zeit hatte, war ich viel in unserem Haus außerhalb der Stadt und erledigte verschiedene Dinge. Gartenarbeit war für mich immer schon der beste Ausgleich und auch der Haushalt machte sich schließlich nicht von allein. Kinder hatten Jonathan und ich nicht - das war aufgrund unserer beider Karrieren in der Wissenschaft einfach nicht möglich gewesen. Doch wir waren ganz zufrieden und ich persönlich war froh, dass ich nicht überaus viel im Haus zu erledigen hatte und immer auch Zeit für mich fand. Gott sei Dank hatten wir auch immer eine überschaubare Wäsche.
An dem einen Tag war es aber wieder mal soweit, dass ein Waschgang notwendig geworden war. Also nahm ich alle Sachen, die ich finden konnte, und brachte sie nach unten in den Keller, wo wir einen Raum als Waschküche umfunktioniert hatten.
Als ich vor der Maschine stand und die Wäsche darauf kippte, klirrte es plötzlich. Verdutzt betrachtete ich den Wäscheberg, stellte den Korb ab und durchwühlte die Wäsche. In irgendeinem Kleidungsstück musste noch etwas drin sein, das dieses Klirren verursacht hatte.
Und dann fand ich den Übeltäter. In einer Anzughose von Jonathan ertastete ich etwas Rundes. Ich griff in die Hosentasche und holte es heraus. Es war der Talisman!
Mein Herz klopfte wild. Dieses verfluchte Ding! Erschrocken legte ich es schnell auf die Waschmaschine. Jonathan musste den Talisman vergessen haben. Er trug ihn sonst immer bei sich. Er hatte sich sogar eine Kette angefertigt, damit er das Siegel um den Hals tragen konnte. Ich starrte das Objekt argwöhnisch an. Unscheinbar lag es auf der Maschine, die Kette hing halb an der Seite herunter. Doch das Symbol auf dem Talisman schien mich spöttisch anzufunkeln. Meine Panik verflog allmählich. "Blödes Ding...", murmelte ich, bückte mich und warf die Wäscheteile vorne in die Trommel. Dann schloss ich die Maschine, schaltete sie an und verließ den Raum. Den Talisman ließ ich dort liegen, wo er war. Ich wollte dieses Ding nicht in meiner Nähe haben.
Nach etwa einer Stunde ging ich erneut in den Keller um zwischendurch mal nach der Maschine zu sehen. Sie war ja doch schon älter und einen Wasserschaden hatten wir auch schon mal gehabt.
Als ich den unteren Flur betrat, kam es zur ersten Merkwürdigkeit. Das Licht ging nämlich nicht. Kaum war mir das aufgefallen, hörte ich seltsame stöhnende Geräusche. Langsam näherte ich mich im Dunkeln der Waschküche. Was hatten diese Unlaute zu bedeuten??? Es klang fast, als befand sich in der Waschküche ein großes Tier.
Ich trat vor den Eingang der Waschküche, die offen stand. Sofort fiel mir der Talisman auf. Er leuchtete hell und vibrierte auf der Stelle. Außerdem war das Symbol plötzlich in einem gruseligen Rot zu sehen. In dem schaurigen Licht, das sich blutrot in dem Raum verlor, bemerkte ich, dass irgendwas mit der Waschmaschine nicht stimmte. Sie ruckelte auffällig auf der Stelle hin und her. Außerdem schienen die seltsamen Geräusche, die ich gehört hatte, direkt aus ihr zu kommen.
Ich tastete nach dem Lichtschalter neben der offenen Tür, ohne mich von der Stelle zu bewegen. Doch auch dieser Schalter ging nicht.
Plötzlich hörte ich ein unmenschliches Aufbrüllen. Im blutroten Schummerlicht sah ich, wie sich die Waschmaschine dabei auf der Stelle bewegte, so als sprang sie auf und ab.
"Was im Namen von Marcus Cicero...", murmelte ich verunsichert, ging aus dem Raum und griff mir eine der Taschenlampen, die Jonathan neuerdings immer auf dem Regal im Keller zu liegen hatte.
Als ich die Lampe einschaltete und in den Raum leuchtete, stockte mir der Atem. Die Waschmaschine war kein normaler Gegenstand mehr! Ich erblickte ein grauenvolles, eckiges Wesen aus matschiger brauner Haut, das auf der Stelle rumpelte und stampfte, als wollte es sich vom Fußboden loseisen. Es hatte grüne Glubschaugen, die dort waren, wo sonst die Bedienungsknöpfe der Maschine zu finden waren.
Doch das Schlimmste war der rotierende Mund. Dort, wo sich sonst die Trommel drehte, befand sich ein großer geöffneter Mund, in dem rundherum spitze Zähne immer wieder im Kreis rotierten.
"Aaahhh!", schrie ich und sprang ein Stück zurück. "Das... das ist doch nicht möglich!", entfuhr es mir. Das Wesen brüllte unmenschlich auf, während der mit Zähnen gespickte Mund sich unablässig drehte. Allerdings befanden sich dort drinnen keine Kleidungsstücke, wie ich jetzt erst sah, sondern mehrere abgeschnittene Hände und Füße.
"Oh Gott...", stöhnte ich. Mir wurde schlecht und ich hielt mir eine Hand vor den Mund. Gleichzeitig konnte ich nicht aufhören, dieses abscheuliche Ding anzustarren.
Ich beobachtete, wie der Talisman unentwegt leuchtete und wie ab und zu blaue Blitze von dem Wesen und den Leitungen dahinter in ihn strömten. Hatte der Talisman das verursacht? Hatte er etwa die Waschmaschine in ein groteskes Wesen verwandelt?! Sowas kann es doch gar nicht geben!
Unsicher leuchtete ich in dem Raum umher und bemerkte plötzlich die Dunkelheit an den Wänden hinter dem Ungeheuer. Sonst in tadellosem Weiß, waren die Wände nun dunkelbraun und metallisch. Erschrocken fiel mir auf, wie auch der Fußboden in der Nähe der Maschine sich verändert hatte. Er war nicht mehr aus Stein, sondern aus eine Art metallenem Gitter, das ziemlich verrostet aussah.
Mir rutschte das Herz in die Hose, als ich bemerkte, wie dieses Eisengitter sich immer weiter im Raum ausbreitete und allmählich auf mich zukam.
Halb gelähmt ging ich rückwärts bis auf den Flur. Plötzlich bemerkte ich einen Schatten links neben mir. Ich wirbelte mit der Lampe herum und erblickte eine Frauengestalt, die von Kopf bis Fuß komplett pechschwarz aussah.
"Aargh!!!", schrie ich auf und ließ die Lampe fallen. Es klirrte und sie war aus. Im letzten Licht hatte ich noch weiße Zähne gesehen, die inmitten des nachtschwarzen Gesichtes ein höhnisches Grinsen gezeigt hatten.
Ich wirbelte herum und stolperte schreiend zur Treppe und dann schnurstracks nach oben.
Mit rasendem Herzen eilte ich zum Sicherungskasten. Ich weiß nicht warum, aber irgendetwas sagte mir, dass der Talisman diese böse Kraft durch den Strom erzeugen konnte. Es war der erste Gedanke, der mir intuitiv gekommen war.
So schnell ich konnte, drehte ich alle Sicherungen für den Keller heraus. Dann pustete ich erstmal durch und strich mir die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Durch das hektische Laufen sah ich doch etwas wild aus.
Erst nach längerem Zögern schlich ich erneut zur Kellertreppe und lauschte angespannt nach unten. Doch solange ich auch dort stand - es war absolut nichts zu hören. Schließlich sprach ich mir Mut zu, nahm eine andere Taschenlampe zur Hand und ging langsam nach unten. Doch auch im Kellerflur hörte man nichts. Spätestens hier konnte man sonst das Rotieren der Wäschetrommel hören. Oder auch andere Geräusche aus der Waschküche...
Von der schwarzen Schattengestalt war ebenfalls nichts mehr zu sehen. Am Ende des Kellerflurs stand - wie immer - nur Jonathans volles Regal mit den Werkstattsachen.
Allmählich löste sich meine Beklemmung auf. Ich leuchtete in die Waschküche. Alles sah total normal aus. Als wäre überhaupt nichts passiert. Die weiße Maschine stand stumm auf ihrer Stelle. Durch das Fenster der Waschtrommel konnte ich die unfertige Wäsche sehen.
Erleichtert atmete ich auf. Dann fiel mein Blick auf den Talisman. Völlig unscheinbar lag er auf der Waschmaschine, als könnte er kein Wässerchen trüben. Das Symbol war jetzt wieder schmucklos grau, die Kette halb verrutscht. Weil er umher gesprungen war. Es war keine Einbildung gewesen - nein, ganz sicher nicht.
Ich schnappte mir den erstbesten leeren Stoffbeutel, den ich im Raum finden konnte. Mit klopfendem Herzen legte ich ihn vorsichtig mit der offenen Seite über den Talisman und klaubte das Unding damit auf. Ich wollte dieses gefährliche Siegel auf keinen Fall anfassen. Gleich darauf drehte ich den Beutel um, wodurch der Talisman nach unten in den Beutel rutschte. Sofort drehte ich den Stoffbeutel mehrmals um sich selbst und verschnürte ihn sorgsam.
Erst danach kümmerte ich mich um die Wäsche.
Später hing der Beutel dann in der Flurgarderobe. Ich wollte das Ding auf keinen Fall in der Nähe des Wohn- oder Schlafzimmers haben.
Als Jonathan nach Hause kam, zeigte ich ihm den Stoffbeutel und erklärte ihm, was das war. Er entschuldigte sich dafür, dass ich ihm damit einen Schrecken eingejagt hatte. Er würde das Siegel fortan bei sich tragen. Er bemerkte meine Verängstigung und fragte nach, was denn passiert sei.
Doch ich konnte ihm das nicht erzählen. Ich hatte ja selbst noch nicht begriffen, was ich gesehen hatte. Ich war eine gebildete Frau, hatte Beziehungen zu den bekanntesten Senatoren und Richtern des Landes. Ich konnte einfach keine solche Schauergeschichte erzählen, die auf unwissenschaftlichen Tatsachen beruhte.
Jonathan war sehr besorgt, schien etwas zu ahnen, doch ich flehte ihn nur eindringlich an, den Talisman aus dem Haus zu verbannen und nicht weiter nachzufragen. Schließlich wich er mir auch immer aus, wenn ich ihn darum bat, mir von Silent Hill zu erzählen und was genau er dort erlebt hatte.
Aber so langsam bekam ich nun eine Ahnung, was er gesehen hatte. Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt wirklich mehr darüber erfahren wollte. Scheinbar gab es doch Orte und Dinge auf dieser Welt, denen etwas Böses anhaftet, das sich mit normalem Sachverstand nicht erklären lässt...
Samantha Hayden atmete einmal tief aus und starrte aufgewühlt auf ihren Laptop.
Tobias stand wie gebannt da, hatte jedes ihrer Worte förmlich aufgesogen.
"Eine Woche später", ergänzte Mrs. Hayden mit müder Stimme, "flog Jonathan nach Germany und nahm den Talisman mit. Ich wollte, dass er das Ding irgendwo einschließt, aber... aber er hörte auch hierbei wieder nicht auf mich..." Ihr kamen die Tränen. Sie beugte ihren Kopf zur Seite und wischte sich ein paar aus den Augen.
Tobias nickte mitfühlend und trat ein paar Schritte näher an den Schreibtisch heran. "Hören Sie, dafür können Sie doch nichts", sagte er warmherzig. "Dieser Talisman... wir alle haben seine Kräfte unterschätzt. Denn in Greifswald... da offenbarte sich erst seine ganze Macht..."
Die Frau des Professors schaute wieder zu Tobias. Die Traurigkeit in ihrer Miene war ein Stück weit der Neugier gewichen. Was meinte dieser junge Mann damit?
Tobias bemerkte dies, hob eine Hand und erklärte vorsichtig: "Das, was Sie gesehen haben - diese metallisch veränderte Räumlichkeit... Es gibt eine Art andere Welt, wo es ständig so aussieht..."
Samantha Hayden starrte Tobias ungläubig an.
Der schnaufte einmal durch und nickte wissend. "Ich weiß, wie sich das anhört - aber genau das ist Ihrem Mann passiert." Sein Blick schweifte leicht durch den Raum. Er suchte nach den passenden Worten. Schließlich meinte er: "Als der Professor in Greifswald war, aktivierte der Talisman sich irgendwie und zog Ihren Mann in diese andere Welt. Deshalb war er für alle verschwunden, verstehen Sie?"
Samantha Hayden sah Tobias zweifelhaft an. Ihr Mund stand leicht offen. "Aber... das kann doch gar nicht... so etwas gibt es doch nicht..."
Tobias zog seinen Mund schief. "Ich wünschte, es wäre so. Aber Sie haben es doch selber gesagt, dass man manchmal nicht alles erklären kann." Er neigte seinen Kopf und schaute versöhnlich. "Jedenfalls fanden meine Freundin Anne und ich den Talisman und verschwanden ebenfalls in diese Welt." Tobias musste schlucken. Ein Schaudern kroch ihm den Rücken hoch. "Wir waren in einer Art gruseligen Version von Greifswald", berichtete er mit belegter Stimme weiter, "in der alles dunkelbraun verrostet und metallisch war - so wie Ihre Waschküche."
Mrs. Hayden schüttelte erstaunt einmal den Kopf hin und her.
"Und es gab auch seltsame Wesen, die uns an den Kragen wollten..." Diesmal konnte Tobias nicht verhindern, dass er sich einmal schütteln musste.
"Grundgütiger...", murmelte Samantha Hayden mit erbleichter Miene.
"Ja...", meinte Tobias nur mit ergriffener Miene. "Aber wir fanden den Professor - Ihren Mann."
Mrs. Hayden stand der Mund offen.
"Doch da war eine gefährliche Frau", erzählte Tobias weiter, "aus Silent Hill. Sie entriss uns den Professor und verschwand mit ihm. Deswegen, Mrs. Hayden, deswegen bin ich mir ziemlich sicher, dass er jetzt an diesem Ort ist. Vermutlich hält ihn diese Frau gefangen."
"Verstehe...", meinte Samantha Hayden und nickte langsam. Noch immer enthielt ihre Miene eine Spur von Ungläubigkeit.
Tobias sah sie unsicher an und überlegte sich seine nächsten Worte. "Man müsste irgendwie die Polizei oder das FBI dazu anstacheln, dass sie nach Silent Hill gehen und diese Frau aufsuchen", sagte er vorsichtig. "Dann würde man sicher auch ihren Mann finden... Und diese Kinder..."
Samantha Hayden brummte verärgert auf. "Ja - diese Sache mit den Kindern", gab sie resigniert von sich. "Dass sie das meinem Mann in die Schuhe schieben wollen, ist wirklich der Höhepunkt. Einem jahrelang Verschollenem." Sie sah Tobias fest an. "Aber es ist natürlich eine schlimme Sache - ohne jeden Zweifel. Die arme Mutter kann einem nur leid tun."
Tobias nickte zustimmend. "Und deshalb sollte sich das FBI und die Polizei endlich auf diese Frau konzentrieren, diese Dahlia Gillespie", meinte er mit Groll in der Stimme. "Die ist ziemlich gerissen und steckt sicherlich auch hinter der Kindesentführung."
Mrs. Hayden hob ergeben die Hand. "Und wer sollte uns glauben? Wir haben keine Beweise und das, was wir erlebt haben, können wir nicht erzählen. Das könnte uns eher in Schwierigkeiten bringen."
Tobias zuckte mit einer Schulter und meinte beiläufig: "Ich dachte nur - diese guten Beziehungen, die sie haben... Vielleicht könnte jemand von diesen Leuten..."
"Hhm", erwiderte Samantha Hayden, ging in sich und überlegte. Dann hob sie den Zeigefinger, als sei ihr was eingefallen. "Das könnte zumindest einen Versuch wert sein", sagte sie mit etwas mehr Enthusiasmus in der Stimme. "Junger Mann - vielleicht können wir doch etwas anschieben."
Tobias lächelte leicht. Endlich ging das Gespräch in die richtige Richtung. Samantha Hayden machte sich eine Notiz und ließ sich von ihm noch einmal den Namen dieser gefährlichen Frau geben. "Es muss sich doch zumindest herausfinden lassen, ob diese Person nicht Dreck am Stecken hat", meinte sie nachdenklich. "Dann nämlich wäre es ein Leichtes, gewisse Leute zu einer Intervention zu veranlassen." Sie schmunzelte etwas und dachte an ihre Bekannte im Weißen Haus...
"Sehr gut", sagte Tobias freundlich. "Und ich kann auch noch etwas tun. Ich kam nämlich auch nach Boston, um am Institut Ihres Mannes nach Hinweisen über Silent Hill zu forschen. Vielleicht gibt es in seinem Büro noch Aufzeichnungen über den Ort und dessen Kult. Vielleicht finden wir so eine Spur, die uns zu ihm führt."
Samantha Hayden musterte ihn. "Na gut - da gibt's sicherlich noch Aufzeichnungen darüber, aber die habe ich damals doch alle schon selbst durchgeforstet. Ich glaube nicht, dass Sie da mehr finden werden."
Tobias senkte den Blick und schien in sich zu gehen. Dann schaute er die Frau des Professors durchdringend an. "Es kommt darauf an, wonach man Ausschau hält", gab er in ruhiger Weise von sich. "Es gibt auch noch andere Gegenstände aus Silent Hill, die etwas Besonderes vermögen - allerdings zum Guten."
Samantha Hayden schaute ihn verblüfft an. "Was meinen Sie?", fragte sie ungläubig.
Tobias räusperte sich und fuhr mit möglichst fester Stimme fort: "Ich rede von besonderen Artefakten, die ähnlich wie der Talisman Kräfte besitzen - allerdings gute Kräfte, mit denen man das Böse durchbrechen kann." Er wedelte abwehrend mit der Hand. "Und bevor Sie das als etwas Absurdes abtun: Anne, ich und Ihr Mann fanden solche Gegenstände damals in Greifswald. Sie halfen uns, aus der dunklen Welt zu entkommen. Wir konnten sogar den Talisman damit zerstören - vor dem Sie sich nun nicht mehr fürchten müssen. Nur bei der Rettung Ihres Mannes waren wir leider nicht schnell genug..."
Tobias schlug die Augen nieder und fing an zu zittern. Wieder tauchte vor ihm das Bild von Dahlia auf, die im Schummerlicht des magischen Siegels einen pyramidenartigen Gegenstand hervorholte. "It is NOT over yet...", hörte er ihre gruselige Stimme.
Er hielt sich eine Hand vor's Gesicht.
"Das ist... ziemlich verwirrend alles...", sagte Mrs. Hayden schließlich.
Tobias kehrte wieder in das Hier und Jetzt zurück. Er seufzte und meinte: "Das mag sein. Aber wir haben das genauso real erlebt, wie alles Ungute. Und es könnte gut sein, dass es noch mehr Gegenstände dieser Art gibt." Er straffte seine Schultern und sah die Frau des Professors fest an. "Auch deshalb bin ich hier. Wenn jemand etwas über derartige Artefakte herausgefunden hat, dann war es Ihr Mann und seine Helfer vom Historischen Institut."
Samantha Hayden nickte langsam. "Ah ja . ich verstehe." Sie schaute auf den Laptop und schien etwas zu überlegen. Plötzlich schreckte sie auf. "Du lieber Himmel - es ist ja schon nach 10 Uhr!" Hecktisch schloss sie alle Fenster auf dem Laptop und fuhr ihn herunter.
Dann schaute sie zu Tobias. "Hören Sie - ich muss dringend in meine Vorlesung. Aber dass Sie ins Historische Institut wollen, finde ich eine gute Idee. Ich hätte sowieso keine Zeit, mir das noch einmal anzuschauen. Vielleicht finden Sie ja wirklich etwas."
Tobias' Gesicht nahm einen freudigen Ausdruck an.
Samantha Hayden riss derweil ein Blatt aus Ihrem Notizblock und schrieb eilig etwas darauf. "Ich notiere Ihnen fix die Adresse vom Sekretariat des Instituts. Dort sitzt eine Mrs. Smith. Sagen Sie ihr, dass Sie von mir kommen und was Sie wollen. Ich füge noch eine Bemerkung von mir dazu, dann wird Sie Ihnen glauben."
Gleich darauf hielt sie Tobias den Zettel hin. "Fragen Sie Mrs. Smith nach einer Laura", sagte sie, während Tobias ihr die Notiz abnahm. "Laura ist eine wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut, die Jonathan bei seiner Recherche über Silent Hill geholfen hat. Sie weiß im Prinzip alles über diesen Ort. Sie hat sich dort auch schon oft aufgehalten."
Tobias steckte sich die Notiz in die Brusttasche und nickte. Dann runzelte er die Stirn. "Wer zum Geier hält sich dort freiwillig auf", fragte er halb im Scherz.
"Oh - Vorsicht, junger Mann", konterte Mrs. Hayden. "Sie sollten in Lauras Gegenwart nichts Schlechtes über Silent Hill sagen. Die macht aus Ihnen sonst Lametta - das sag ich Ihnen." Samantha Hayden schmunzelte wissend. "Sie ist ziemlich direkt mit Ihrem Mundwerk."
Tobias guckte verblüfft und zog fragend eine Augenbraue hoch.
Die Frau des Professors ließ ihn aber so stehen und machte sich zum Aufbruch bereit. Sie klappte den Laptop zu, steckte ihn in die dazugehörige Tasche und schnappte sich ihre Utensilien. "Also - ich muss dann jetzt", meinte sie und drängelte Tobias quasi aus ihrem Büro hinaus.
Als sie beide auf dem Flur standen, sagte sie beim Zuschließen der Tür noch: "Und wegen der anderen Sache reden wir später noch einmal." Dann nickte sie Tobias einmal zu und eilte den Flur entlang.
Halb verdutzt schaute Tobias ihr hinterher. Langsam fischte er ihre Notiz hervor und überflog sie. Dann sah er die Handynummer. Mrs. Hayden hatte ihm ihre persönliche Telefonnummer mit aufgeschrieben.
"Hhm", murmelte Tobias leise vor sich hin, "lief doch besser, als ich dachte." Mit sich zufrieden steckte er die Notiz wieder weg und ging mit guter Laune auf den Treppengang zu. Er freute sich schon auf das Historische Institut und was er da wohl entdecken würde.
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