Kapitel 3 - Klarheit
Kapitel 3 - Klarheit
Der Abend brach herein und ich spürte langsam, wie erneut der Schmerz meiner Wunden entfachte. Eine plötzliche Schwäche überkam mich und ich sank ein wenig in ich zusammen. Hätte Boromir mich nicht aufgefangen, wäre ich wahrscheinlich gestürzt.
„Du bist müde und entkräftet. Komm, ich bring dich auf dein Zimmer!"
Da die Schmerzen immer quälender wurden, kehrte ich ohne Widerworte von Boromir an einem Arm gestützt, um.
Die Genesung war vielleicht doch noch nicht so rasch vorangeschritten, wie ich gedacht hatte. Aber am selben Morgen noch war ich voller Tatendrang gewesen. Das unerwartete Wiedersehen mit Legolas, das enthüllte Geheimnis um meine einstige Verlobung mit ihm, meine Sorgen und Gefühlswechsel waren einfach zu viel für meine Nerven gewesen.
Es war eigentlich erleichternd gewesen, mich ihm über meine Vergangenheit anvertrauen zu können. Wenn auch nur ein bisschen. So viele Jahre hatte ich versucht, die Erinnerungen an die Ereignisse damals zu verdrängen. Die Erinnerungen an ihn.
Erneut erfasste mich eine Welle der Wut und Enttäuschung. Tränen stiegen in mir auf.
„Arinya, was ist los? Sind es die Schmerzen?"
Doch ehe ich mich dazu bringen konnte, ihm etwas zu antworten, sank ich in seine Arme und stürzte erneut in tiefe Dunkelheit.
...
Ich erwachte beim ersten Lichtstrahl des nächsten Tages.
Bruchtal sah zu dieser Tageszeit meines Erachtens am schönsten aus. Wenn die ersten Strahlen des Tages in Lichtsäulen durch die Fenster- und Torbögen fiel und die einzelnen Turmbauten mit ihren weiten Terrassen golden aufleuchten ließen, sich dann seinen Weg weiter durch die dichten Bäume suchte und schließlich von den Wasserfällen in viele einzelne Strahlen zerschlagen zu werden. Diese ließen alles insgesamt noch einmal so hell strahlen, dass man kaum wagte hinzuschauen.
Vielleicht mochte ich diese Zeit des Tages aber auch nur so besonders, weil es das Erste gewesen war, das ich erblickt hatte, als ich auf diese Welt kam. An genau so einem wunderschönen Morgen.
Ich stieg aus meinem Bett und trat ans Fenster, um ganz Bruchtal in seiner Herrlichkeit zu betrachten. Ich hätte dies, meine einstige Heimat, nie verlassen sollen. Doch was hatte ich für eine Wahl gehabt? Mich hatte man nicht gefragt und ich hatte als junge Elbin einzig meine Pflicht tun wollen.
Nachdem meine Verlobung aufgelöst worden war und ich aus dem Elbenreich des Düsterwaldes verbannt worden war, konnte ich einfach nicht zurückkehren. In Bruchtal war ich zwar geboren worden, aber im Düsterwald war ich zu der Frau herangewachsen, die ich jetzt war. Ich hatte wahrscheinlich mehr gemeinsam mit den Waldelben als mit meiner eigenen Familie, die hier in Bruchtal verblieben war. Der Düsterwald war zu meiner Heimat geworden und das würde er wahrscheinlich auch immer bleiben.
Die Rückkehr nach Bruchtal war abgesehen von der Schmach, die ich über mich, meine Familie und mein Volk gebracht hatte, absolut außer Frage gewesen.
Wieder hier zu sein, fühlte sich so vertraut und doch so fremdartig an.
„Ich wusste, du würdest zu so einer frühen Zeit schon auf sein. Das warst du schon immer!"
Ich drehte mich um und erblickte meinen Vater im Türrahmen stehen.
„Guten Morgen, Vater", begrüßte ich ihn, begab mich wieder Richtung Bett und setzte mich darauf. Er tat es mir gleich und setzte sich mir gegenüber.
„Wie erfreut ich bin zu sehen, dass es dir schon wieder besser geht!"
Ich lächelte ihn zaghaft an und ließ meinen Blick für einen Moment auf meinem Bett entlang steifen. Ich wusste, er meinte, was er sagte, aber eigentlich war er wegen etwas anderem gekommen. Das konnte ich spüren.
„Danke, Vater. Aber das war nicht der einzige Grund, warum du zu mir gekommen bist. Noch dazu zu so einer frühen Stunde."
Jetzt musste er lächeln. „Dir kann man einfach nichts vormachen. Entweder das oder du kennst mich zu gut", er wartete keine Antwort ab. „Du hast recht. Ich wollte allein und ungestört mit dir reden."
„Nur zu!", antwortete ich ihm. Er hatte jedes Recht, nach so langer Zeit auf all seine Fragen eine Antwort zu kriegen.
„Ich war überrascht, gestern von deiner Verlobung zu erfahren. Noch dazu mit einem Menschen."
Ich hatte nicht erwartet, dass er gleich mit diesem Thema anfangen würde. Dennoch war er mein Vater und Boromir und ich hatten uns ohne sein Wissen verlobt.
„Wie du sicher weißt wurde meine einstige Verlobung aufgelöst und ich wurde des Reiches des Düsterwaldelben verbannt."
„König Thanduil hat es mir zugetragen. Grund dafür schien eine Horde Zwerge, die sich deines Beiwissens unerlaubt Zutritt in sein Reich verschafft hatten und auch wieder aus seiner Gefangenschaft entkommen waren."
„Ganz so hatte es sich nicht zugetragen. Ich habe Thorin und seine Gefolgschaft auf dem Elbenweg geführt. Einzig die Stursinnigkeit der Zwerge hat sie dazu gebracht, meinen Rat nicht mehr Folge zu leisten und sie mehr oder weniger direkt in die Arme der Elben gebracht. Mit der Flucht aus der Gefangenschaft hatte ich nichts zu tun. Meine Unterstützung für die Unternehmung der Zwerge war Verrat genug für den Elbenkönig."
„Nun gut. Jetzt habe ich den Grund erfahren, warum du seines Reiches verbannt wurdest und die Verlobung aufgehoben wurde. Dennoch erklärt dies nicht deinen Groll gegen den jungen Prinzen, Legolas."
„War das so offensichtlich?", fragte ich hoffnungslos.
„Für einen Vater ist es unschwer zu erkennen, wie seine Kinder fühlen, egal wie sehr sie versuchen, ihre wahren Gefühle zu verschließen."
Ich seufzte schwer aus.
„Diese Sache hat nur geringfügig etwas mit der Auflösung unserer Verlobung zu tun. Viel mehr waren es die Gefühle für eine andere und sein Verrat an mir, der meine Gefühle ihm gegenüber bis in den letzten Keim erstickte und nichts als Enttäuschung und Verachtung zurückließen für den Mann, in den ich mich verliebt hatte."
Mein Vater wurde hellhörig. In mir stiegen erneut Tränen der Wut auf.
„Was hat er dir angetan, mein Kind?"
„Er verliebte sich in eine Kämpferin seiner Garde. Natürlich durfte es nicht sein. Doch die Zeichen seiner Liebe zu ihr wurden immer deutlicher. Wahrscheinlich war dies überhaupt mein Antrieb, Mithrandirs Bitte, in der Unternehmung der Zwerge beteiligt zu sein, nachzukommen."
Dass ich meinerseits Gefühle für einen der Zwerge dieser Gruppe verspürt und nachgegangen war, behielt ich dennoch für mich. Dieses Kapitel war längst abgeschlossen, auch wenn die Erinnerungen an ihn immer noch schmerzlich und wie eine nie gänzlich zu verheilende Wunde, immer wieder neu aufzureißen, wenn ich auch nur wagte an sein Gesicht und diese tiefblauen Augen zu denken.
Vor meinem geistlichen Auge sah ich ihn wieder. Oben auf dem Felsen stehen. Wie Azog der Schänder seine Klinge durch seine Brust stieß und er leblos in die Tiefe fiel, ohne dass ich etwas hätte ausrichten können.
„Als ich in der Schlacht um den Erebor tödlich verletzt wurde, waren es die Zwerge, die mich gefunden und meine Wunden versorgt hatten. Die Truppen Thranduils ließen mich zurück. Und nicht einmal Legolas hatte sich die Mühe gemacht, nach mir zu suchen. Mein eigenes Volk hat mich dort zum Sterben zurückgelassen."
„Vergib mir, Adar!" Ich konnte es nicht mehr zurückhalten und die gesamte Enttäuschung brach in einem Schwall Tränen aus mir heraus.
Mein Vater nahm mich in seine Arme und flüsterte mir zu: „Vergibst du mir?"
In diesem Moment wurde mir bewusst, was sich mir eigentlich schon eher hätte offenbaren sollen. Der wahre Grund, warum ich all diese Jahrzehnte nie heimgekehrt war und das Elbenvolk um jeden Preis gemieden habe. Die wahren Gefühle, die ich für Legolas hegte, waren nicht minder die Gefühle, die ich bisher für fast gänzlich für jeden Elben gehegt hatte. Es war keine Wut aus Abscheu oder Hass. Ich fühlte mich verlassen und verraten vom eigenen Volk. Ich fühlte mich enttäuscht. Und Enttäuschung brachte Wut.
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