Kapitel 1 - Wiedersehen
Als ich erwachte, zwang mich gleißendes Licht die Augen sofort wieder zu verschließen. Es brauchte ein paar Momente, bis ich mich von der ewigen Dunkelheit, die mich umschlossen hatte, lösen konnte und das Tageslicht erblickte.
Das Erste, was ich sah, waren schneeweiße Leinentücher über mir, die mit goldenen Runen meiner Muttersprache bestickt waren. Unter mir spürte ich weichen, sanften Stoff, der vollständig meinen leichten, schlanken Körper zu tragen schien. Mein Kopf lag in einem großen, ebenso weichen Kissen. Ich lag in einem Bett.
Als ich die Schrift auf dem Baldachin über mir nochmals ansah, wurde mir klar: Ich lag nicht nur in einem Bett. Ich lag in meinem Bett. Mein Bett in meinem früheren Heim. In Bruchtal.
Ich atmete erleichtert aus. Ich hatte es geschafft! Aber wie? Ich, ich konnte mich nicht erinnern.
Ich wusste noch, wie ich verzweifelt mit Sador versucht hatte, die geheime Pforte zu erreichen. Dass eine Wargmeute hinter mir her war und ich von irgendetwas oder irgendjemandem vom Pferd gerissen wurde. Danach war alles schwarz.
Ich versuchte, mich aufzurichten, um noch mehr von meinem Zimmer zu sehen. Um einen Ausblick auf die so vertrauten Türme, Brücken und Wasserfälle von Bruchtal zu gewinnen. Doch ein reißender Schmerz, der durch meinen gesamten Körper fuhr, ließ mich zurücksinken.
„Du solltest dich noch schonen. Mindestens für einen Tag!", erklang eine mir sehr vertraute Stimme.
Ich biss auf die Zähne und drehte meinen Kopf zur Seite, um ihn sehen zu können. Den Mann, der gerade zu mir gesprochen hatte. Den Mann, den ich seit so vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte.
„Adar!" Tränen stiegen in mir auf.
„Nín hên!", er kam auf mich zu. Setzte sich an meine Seite und legte seine warme Hand auf meine weniger verletzte Wange. Tränen rannen sein Gesicht herunter.
„Ich dachte schon, ich hätte dich vielleicht endgültig verloren."
Ich erfasste seine Hand, die auf meiner Wange lag, und verschränkte sie in meine. Dann verlangte ich mir ein schwaches Lächeln ab.
„Mir geht es gut!"
...
Er war noch den restlichen Tag bei mir geblieben und hatte mich während meiner Genesung nicht aus den Augen gelassen. Während ich die meiste Zeit verschlief, um schnell wieder zu Kräften zu kommen.
Es dauerte zwei ganze Tage, bis die Schmerzen nachließen und ich mich in meinem Zimmer bewegen konnte.
Mich quälte immer noch die Frage, wie zum Teufel ich hierhergekommen war und wem ich mein Leben zu verdanken hatte. Doch auch das sollte sich bald aufklären.
Vater hatte mir erzählt, dass er den Rat um eine Woche verschieben lassen wollte, bis ich wieder vollkommen geheilt und zu Kräften gekommen war. Ich versicherte ihm, dass dies nicht nötig wäre.
Da ich, sobald seine Nachricht in Gondor eintraf, sofort losgeritten war, war ich ohnehin viel zu früh dran.
„Mir wird es in 3 Tagen gut genug gehen, um mich für ein paar Stunden auf einen Stuhl zu setzen!", hatte ich ihm trotzig geantwortet. Und da mit mir, verletzt oder genesen, sowieso nicht gut zu diskutieren war, gab es auch keine Widerworte.
Diesen starken Willen hatte ich von ihm. Damit musste er klarkommen. Das hatte er schon früh gelernt.
Nun war der Tag der Versammlung gekommen. Ich stand am Fenster und beobachtete das Treiben im Garten, als plötzlich meine Zimmertür aufgeschlagen wurde. Ich drehte mich instinktiv um.
„Warum erfahre ich erst jetzt davon!", blaffte Boromir im Vorbeigehen Elrond und meine Brüder an, die ihn offensichtlich zu meinen Gemächern geleitet hatten.
Doch eine Antwort wartete er gar nicht erst ab und kam schnellen Schrittes auf mich zu.
Er musste gerade erst angekommen sein. Seine Kleidung war von Wind und Wetter ein wenig verschmutzt, und sein Haar war vom Reiten ganz zerzaust. Dennoch strahlte er eine Selbstbestimmung und eine Art von Heroik aus, die ich schon vom ersten Momentan an ihm bewundert hatte.
Sofort schossen mir Bilder ins Gedächtnis. Bilder von dem ersten Mal, dass ich ihn erblickte. Wie er mit genau diesem schnellen, bestimmenden Schritt auf mich zukam und ich mich, ehe ich mich versah, in diesen Mann verliebte.
„Geht es dir gut?", er fasst mich sanft an den Unterarmen. „Ja, Boromir!"
Kopfschüttelnd musterte er mich von Kopf bis Fuß. „Ich hätte das verhindern können. Ich hätte dich niemals allein losreiten lassen sollen! Ich hätte bei dir sein sollen!"
„Du wurdest an anderer Stelle gebraucht! Und mir ist nichts Schlimmeres passiert."
„Nichts Schlimmeres! Du wurdest beinahe umgebracht! Und ich hätte dich beinahe verloren! Und erst Tage später davon erfahren!" Tränen schossen ihm in die Augen.
Ich umfasste sein von Wut und Verzweiflung gezeichnetes Gesicht.
„Aber mir geht es gut. Ich bin noch lange nicht tot. Ich bin hier. Hier bei dir!"
Ich zog ihn näher an mich heran und legte meine Lippen auf seine. Sofort spürte ich, wie seine Gesichtszüge weicher wurden und er sich immer und immer mehr in den Kuss fallen ließ. Er umschloss meine Hüften, zog mich näher zu sich heran.
Als wir unseren Kuss lösten, schaute ich zu meinem Vater und meinen Brüdern hinüber, die beide verlegen, den Kopf zur Seite geneigt und ihren Blick abwechselnd auf mich und den Boden gerichtet hatten.
„Vater ...", er kam auf mich zu.
„Es freut mich zu sehen, dass du wieder auf den Beinen bist!"
„Danke, dass du Boromir sogleich zu mir gebracht hast.", ich löste mich aus Boromirs Armen und drehte mich zu meinem Vater.
„Aber sag mir, wem habe ich mein Leben zu verdanken?"
„Das hast du wohl ihm", mein Vater schritt zur Seite und eröffnete mir den Blick auf meinen Retter.
Sofort versteinerte ich. Er war wirklich der Letzte gewesen, den ich hier erwartet hatte.
Doch da war er. Legolas Grünblatt trat auf mich zu.
„Du?!", fragte ich und versuchte mir weder meine Verwunderung noch meine aufkommende Wut anmerken zu lassen. Sofort fing ich mich: „Dann muss ich dir wohl danken!" Sagte ich höflich, konnte aber meinen kühlen Unterton nicht ganz verstecken.
„Gern geschehen. Glücklicherweise war ich in der Nähe war", antwortete Legolas und nickte mir zu.
Ich musste ein verächtliches Lachen unterdrücken. "Das warst du beim letzten Mal auch!", dachte ich stumm.
„Dann muss ich mich wohl auch bedanken.", hörte ich Boromir das Wort ergreifen, als er an mir vorbei auf Legolas zuschritt. „Und dürfe ich auch den Namen des Retters erfahren?"
„Legolas. Sohn des Thranduils, der Elbenkönig vom Düsterwald ist."
„Dann, vielen Dank, dass Sie meine Verlobten vor dem Tod bewahrt haben."
Bei dem Wort „Verlobten" wechselte Legolas Blick kurz zu mir.
Doch ich ging gar nicht weiter auf Legolas ein. Ich hatte mich bedankt und mehr war ich ihm auch nicht schuldig. Nicht, nachdem, was er für mich getan hat oder besser gesagt nicht getan hat.
Ich wandte mich erneut an meinen Vater: „Ich würde gerne in die Gärten gehen!"
„Du kannst tun, was auch immer dir beliebt und wenn deine Kräfte es zulassen.", antwortete er.
Ich nickte ihm zu. „Boromir. Würdest du mich begleiten?"
„Aber selbstverständlich!", lächelnd hielt er mir seinen Arm hin und ich hackte mich bei ihm ein. Ich schenkte ihm ein großes Lächeln zurück und wir beide schritten Arm in Arm an meinem Vater, meinen Brüdern und Legolas vorbei.
Letzterer schien mich keine Sekunde aus den Augen zu lassen. Doch was er dachte oder fühlte, konnte ich ausmachen. Aber nach allem konnte es mir auch völlig egal sein. Und dennoch kam ich nicht davon ab. Ein Teil von mir wollte es wissen. Warum hatte er mich vor all diesen Jahren sterbend auf dem Erebor zurückgelassen? Trotz Eheversprechen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro