Kapitel 50 ~ too much rubble
- Hinata -
Schnellen Schrittes laufe ich über den Schulhof, darauf achtend Kibum aus dem Weg zu gehen, der schon wieder dämlich grinsend am eisernen Zaun des Geländes steht. Natürlich hat er mich schon entdeckt und beobachtet mich, während er mit einem ebenso dummen Kumpanen über alles und jeden lästert. Hat der Idiot nichts besseres zu tun?
Ich verdrehe meine Augen und mache mich auf den Weg zu sympathischeren Menschen. Solche, wie die im Kifferviertel zum Beispiel.
Nach einer guten halben Stunde befinde ich mich nicht mehr auf gegnerischen Terrain, sondern bin umgeben von alten, zerfallenen Häusern mit Graffiti, kiffenden Leuten - und Ratten. Endlich zu Hause.
Eigentlich habe ich kein bestimmtes Ziel. Mein Unterbewusstsein scheinbar schon, denn ich stehe plötzlich vor dem Zaun der Lagerhalle, in der ich Yunai das erste Mal getroffen habe. Ich klettere wieder einmal über den Maschendraht, dieses Mal ohne herunterzufallen und biege um die Ecke des Gebäudes. Vor mir erscheint mein Graffito der beiden Mädchen - und Yunai, die mit dem Rücken zu mir gewandt ihre Spraydosen einpackt. Die Welt ist doch so klein.
"Eyo, Pinselpinguin", brülle ich erfreut und winke mit beiden Armen.
Yunai schrickt auf und dreht sich geschockt zu mir. Als sie mich erkennt, grinst sie mich an. Dieses Grinsen mag ich sehr viel lieber als das von gewissen anderen Personen. Sie kommt mir die letzten paar Meter entgegen und umarmt mich zur Begrüßung. Etwas überfordert erwidere ich es, kann aber nicht verhindern, dass sich mein Körper dabei leicht anspannt. Ich wurde die letzten zwei Jahren nur von meiner Schwester umarmt und das auch nur, weil sie durch Zufall einfach hier aufgetaucht ist.
"Na, wie geht's dir?" Yunai lächelt mich freundlich an, scheint nicht bemerkt zu haben wie unwohl ich mich eben noch gefühlt habe.
"Ganz gut. Davon abgesehen, dass ohne Yuki alles ziemlich langweilig ist."
"Yuki?"
"Mein Zwilling aus Deutschland."
"Ah ja. Logisch. Warum nicht? Ich habe da auch so einen Zwilling in Deutschland, ohne den es total langweilig ist", sagt sie ironisch. Mir ist vorher nie aufgefallen, wie absurd mein Leben für andere klingen muss.
"Wollen wir was zusammen machen?", unterbricht Yunai meine Überlegungen über den Sinn des Lebens. Ist wahrscheinlich besser so.
"Klar. Was schlägst du vor?"
"Ich suche neue Plätze für Graffiti. Hab von so 'ner Fabrik gehört. Die soll hier irgendwo in der Gegend sein."
Ich nicke und so machen wir uns gemeinsam auf den Weg. Wir laufen durch enge Gassen, die mir nach einiger Zeit überhaupt nicht mehr bekannt vorkommen. Auch die Menschen in den Hauseingängen werden weniger, bis wir schlussendlich ganz allein sind.
Wir treten zwischen den Häuserreihen hervor. Vor uns erstreckt sich ein ganzes Industriegelände. Es ist riesig und sieht absolut unheimlich aus. Die Fabrikgebäude scheinen uralt zu sein. Sie sind verfallen und grau, strahlen Einsamkeit aus. Es ist als würden sie etwas verbergen. Ein Geheimnis, das nie gelöst werden wird.
Um das ganze Gelände herum ist ein hoher Maschendraht mit einem Tor auf unserer Seite, das aber durch ein rostiges Schloss verriegelt ist. Yunai schaut überlegend an dem Zaun hinauf, der bestimmt so hoch wie zweieinhalb Menschen übereinander ist.
"Also entweder wir klettern drüber..." Abwägend betrachte ich das Hindernis. "Oder wir zerstören das Schloss."
"Also wenn wir das hinbekommen, finde ich diese Lösung um einiges besser."
"Okay." Yunai geht zum Tor und umfasst die verrostete Kette, die um die Maschen geschlungen ist und an der das Schloss hängt, mit beiden Händen und stützt einen Fuß am Zaun ab. Dann zieht sie mehrmals kräftig daran. Mit lautem Gerassel fällt die Kette samt Schloss zu Boden.
"Oh. Die scheint ja schon sehr alt gewesen zu sein." Das ist alles, was mir dazu einfällt. Yunai lacht. "Und wenn ich einfach nur unglaublich stark bin?"
"Ist klar." Ich schüttle meinen Kopf und wir betreten langsam das Gelände.
Der Boden ist mit Schutt und Steinen übersät. Es sieht aus, als wäre hier ein Erdbeben gewesen. In der Luft flimmern feine Staubwolken. Wir müssen über einige Mauerreste steigen, um zum ersten Fabrikgebäude zu gelangen. Es ist ein riesiger Klotz aus Metall mit Toren zum Schieben und angelaufenen Fenstern. Einige davon sind zerstört, andere sind einfach nur so schmutzig, dass man nicht hinein sehen kann.
Das alte Tor hängt klapprig in seinen Angel und ist einen Spalt breit offen. Wir quetschen uns hindurch und stehen mitten im Produktionsraum - denke ich. Überall stehen uralte Maschinen herum. Durch die teils kaputten Dachfenster scheint schwach die Sonne, in deren Strahlen der Staub tanzt.
Vorsichtig laufen wir Schritt für Schritt weiter durch die stickige Luft und schauen uns um. Alles ist von einer dicken Schmutzschicht bedeckt. Ich puste eine der Maschinen ab und muss prompt niesen.
"Schau mal hier!" Als ich mich zu Yunai umdrehe, hält sie mir einen Maschinengewehr entgegen. "Was zur Hölle! Leg das weg. Wenn das los geht!"
"Wird schon nichts passieren", lacht sie, folgt aber meiner Aufforderung. "Ich glaube, das hier war eine Rüstungsindustrie."
"Ist zumindest sehr nahe liegend", stimme ich ihr nickend zu, während ich mich weiter umsehe. Vor mir befindet sich eine metallene Wendeltreppe, die ziemlich gefährlich aussieht. "Woher wusstest du eigentlich von dieser Fabrik?"
Ich schaue über meine Schulter zu Yunai. Sie zuckt mit den Schultern und betrachtet weiter die gigantischen Maschinen. "In dem Viertel, in dem ich wohne, gibt es so einen uralten Mann. Es ist ein Wunder, dass er überhaupt noch lebt. Der muss älter sein als meine Schildkröte, die ich nie hatte. Jedenfalls erzählt er uns immer seine Geschichten und da hat er eben diese Fabrik erwähnt. Er muss wohl früher hier gearbeitet haben."
"Da muss er aber wirklich schon steinalt sein. Das sieht hier aus wie aus dem letzten Jahrhundert."
Yunai nickt und kommt auf mich zu. "Wollen wir mal da oben nachschauen?" Sie deutet Richtung Treppe.
"Ich weiß ja nicht. Die sieht nicht gerade sicher aus."
"Das war sie im letzten Jahrhundert wahrscheinlich auch nicht. Komm schon."
Sie sieht mich mit diesem Hundeblick an, den gut die Hälfte der Asiaten perfekt beherrscht. Na toll. Da ist man ausnahmsweise mal sozial gestimmt und dann wird man darum gebeten, sein Leben zu riskieren. Ich seufze. Yunai hüpft begeistert auf der Stelle und macht sich dann daran die Treppe zu erklimmen. Sie quietscht verdächtig und wackelt unter unserem Gewicht.
Nicht nach unten sehen! Bloß nicht nach unten sehen!
Zu spät. Ich sehe nach unten und mir wird augenblicklich schlecht. Ich hätte vielleicht erwähnen sollen, dass ich unter dezenter Höhenangst leide. Jetzt ist es zu spät. Ich habe schon die Hälfte hinter mir und ein bisschen interessiert es mich ja doch, was da oben ist. Mit vor Angst schwitzigen Fingern kralle ich mich am Geländer fest und bringe die letzten Stufen hinter mich.
Am Ende der Treppe befindet sich eine kleine Tür mit einem Fensterglas darin. Zu meinem Erstaunen ist es noch komplett. Yunai öffnet die Tür, die einen ekligen Quietschton von sich gibt, so wie der Rest hier.
Wir treten ein und stehen in einem Raum mit einem Schreibtisch und umgestürzten Regalen. Das muss so eine Art Verwaltung gewesen sein. Yunai geht direkt zum Schreibtisch und durchwühlt die Papiere dort. Ich steige über den Schutt zum anderen Ende des Büros, um mich bei dem Regal umzusehen.
Ich klettere über einen kaputten Stuhl und mache einen Satz über die Reste eines kleinen Tisches. Das stellt sich allerdings als Fehler heraus. Wie so viel in meinem Leben. Erst ertönt nur ein lautes Krachen, und dann kippt die Welt auf einmal. Der Boden bricht unter meinen Füßen zusammen und ich schlittere mitsamt Geröll eine Etage weiter nach unten.
Ich schreie erschrocken auf, ziehe meinen Kopf aus Reflex ein, als ich hart unten aufkomme und ein Haufen kleine Steine und Staub noch hinterher gerieselt kommen.
"Hinata!", ruft Yunai von oben. "Geht es dir gut?!"
Ich kann ihren Kopf sehen, wie sie ihn in das Loch über mir streckt, um mich besser erkennen zu können. Langsam richte ich mich auf. "Jaja. Alles gut."
"Sicher?"
"Geht schon", nicke ich ihr beruhigend zu und verziehe im selben Moment schmerzvoll mein Gesicht. Ist wohl doch nicht ganz so gut. Meine Hände und Knie brennen. Sie sind aufgeschürft und auch an meiner Wange ist scheinbar eine Schramme. Das ist aber alles nicht so wild, wäre da nicht mein Handgelenk, durch das ein stechender Schmerz zieht.
"Na geil! Und was jetzt?"
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-Joiy
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