Kapitel 28 ~ Kibum, Sewon und ein Unbekannter
- Yuki -
Es ist später Nachmittag und ich bin gemeinsam mit Sewon und Hinata auf dem Weg ins Krankenhaus. Sie haben mir erzählt, dass Nam-gi sich nicht um seine Tochter kümmert. Da könnte ich mich den ganzen Tag drüber aufregen.
Unser Entschluss stand praktisch sofort fest: Wenn er sie nicht besucht, übernehmen wir das eben!
Hoffentlich freut sie sich, uns zu sehen. Aber ich denke schon. Man muss sich einfach freuen, wenn wir einen besuchen! Mittlerweile stehen wir an der Rezeption im Foyer.
"Annyeonghaseyo. Wir sind Freunde von Ye-seo. Können Sie uns sagen, wo wir sie finden?"
Nach kurzem Suchen in ihrem PC findet die Asiatin hinter der Rezeption unsere Freundin.
"Zimmer 241."
Wir betreten den Fahrstuhl und fahren in die zweite Etage. Eine Zeit lang irren wir auf dem hellen Korridor entlang. Unsere Schritte hallen viel zu laut in dem langen Fluren wider. Dann stehen wir vor dem angegebenen Zimmer und Sewon klopft an.
Ein leises "Herein" ertönt und wir betreten den Raum. Ye-seo liegt mit ihrem Handy im Bett. Ihr rechter Arm ist eingegipst und an eine Metallstange über ihrem Kopf gebunden, damit sie ihn nicht bewegt. Ich kann mir vorstellen, dass diese Lage sehr ungemütlich ist.
Lächelnd gehe ich auf sie zu. Sie sieht auf.
"Hallo, Ye-seo."
"Annyeong. Was macht ihr hier?" Sie klingt äußerst verwundert.
"Naja..." Ich ziehe mir einen Stuhl heran. "Wir dachten, wenn dein Vater sich schon einen Dreck für dich interessiert, dann kommen wenigstens wir dich besuchen."
Sofort verpasst mir meine Schwester einen Schlag auf den Hinterkopf. Ich ziehe die Schultern hoch und sehe sie fragend an, während ich mir den schmerzenden Schädel reibe. Hinata schüttelt nur den Kopf.
"Keinen Sinn für die Gefühle anderer! Du bist so furchtbar unsensibel", schimpft sie auf Deutsch.
Ich verdrehe die Augen und wende mich wieder Ye-seo zu. Diese sieht mich schockiert an.
"Das klang gerade wie eine Mordandrohung!"
Ich wechsle mit meinem Zwilling einen Blick und wir beginnen gleichzeitig zu lachen.
"Ah. Warte! Ich habe doch noch etwas für dich!" Sewon kramt in der Innentasche seiner Jacke, die ziemlich weiträumig zu sein scheint, so lange wie er da sucht, und hält dann stolz eine Tafel Schokolade in die Luft. Sein Gesicht strahlt, als er sie dem kranken Mädchen übergibt.
"Gamsahabnida. Aber ich kann sie leider nicht essen."
"Was? Wieso nicht?" Sewon sieht furchtbar enttäuscht aus. Doch sie deutet mit ihrem Kinn auf ihren Arm.
"Ich kann sie weder öffnen, noch kann ich sie zerbrechen."
"Oh..."
"Mensch, Sewon! Hilf ihr doch einfach." Hinata bekommt schon wieder einen halben Anfall wegen der Unfähigkeit dieser Menschen hier.
Sie greift nach der Schokolade und zerbricht sie in kleine Stücke. Dann gibt sie sie Ye-seo zurück, allerdings nicht ohne sich vorher selbst etwas genommen zu haben. Sie ist noch verfressener, als ich sie in Erinnerung habe.
"Gamsahabnida."
"Jetzt erzähl mal; was hat der Arzt gesagt?"
"Er meinte, ich muss noch ungefähr zwei Wochen hier bleiben." Sie zuckt mit den Schultern - oder so gut es eben geht mit angebundenem Arm.
"Das tut mir voll leid."
"Ich hätte besser aufpassen müssen..."
Hinata blickt die Kranke mitfühlend an, bevor sie plötzlich aufspringt und sagt: "Oh. Wir müssen dann auch schon wieder los. Wir sind noch mit ein paar Freundinnen verabredet."
"Oha. Ist es schon so spät?" Meine Schwester hält mir wortlos ihren Arm mit der Uhr hin. Tatsächlich!
"Naja dann. Viel Spaß euch noch!"
Ich lächle Ye-seo an. "Wir kommen bestimmt bald wieder. Also, wenn es dir Recht ist."
"Klar. Warum nicht."
"Okay! Na dann. Los geht's!"
Wie winken der Asiatin zum Abschied noch einmal zu und verschwinden durch die Tür in den Flur. Schweigend stehen wir vor dem Fahrstuhl, dessen Türen sich endlich mit einem Pling öffnen. Ich werde beinahe umgerannt, als ein junger Mann die Kabine verlässt ohne zu schauen, ob davor jemand steht. Vor Schreck springe ich einen halben Meter rückwärts.
"Mianhae", grummelt er und ich sehe ihm kopfschüttelnd nach. Dieses Kopfschütteln verwandelt sich aber sofort in ein Stirnrunzeln, als ich sehe, in welches Zimmer er geht.
"Yuki? Kommst du?", weckt mich Hinatas Stimme aus meiner Starre. Schnell mache ich einen Satz in den Fahrstuhl, damit er nicht ohne mich losfährt.
"Hast du den Kerl gesehen?"
"Ja klar. Er ist immerhin gegen uns gerannt. Warum?"
"Er ist zu Ye-seo..."
"Sicher?"
"Nein, ich verarsche dich! Natürlich!"
"Ist ja gut! Ich habe doch nur gefragt."
"Wer das wohl war?"
"Keine Ahnung. Er trug ja Mundschutz und Kapuze", mischt sich jetzt auch Sewon ein.
Bei diesem Satz wird Hinata nachdenklich. Ob sie weiß, wer es war? Oder wenigstens einen Verdacht hat? Aber dann würde sie es mir sagen. Ich werde sie später fragen müssen.
* * *
Es dauert vielleicht ein halbe Stunde, bis wir vor einem niedlichen Café stehen bleiben. Kaum sind wir drinnen, muss ich feststellen, dass es, entgegen meiner Erwartungen, nicht so ist wie das von Shilas Oma, Shin-hye.
Sofort zücke ich meine Kamera und filme den großen Raum. Der erste Unterschied ist, dass es keine Bäckerei ist sondern ein richtiges, waschechtes Café. Es ist ziemlich verwinkelt, sodass ein paar der Tische eine Art eigenen Raum haben. Die Wände sind in einem dunklen, fast schwarzem Rot gestrichen, das in perfektem Kontrast zu den weißen Gardinen vor den zahlreichen kleinen Fenstern steht.
Ich zoome eines der Fenster heran, sodass man die wunderschönen Bilder erkennen kann, die darauf eingraviert wurden. Wenn die Sonne hindurch scheint, glitzern sie in allen Regenbogenfarben.
Ganz hinten befindet sich eine Theke aus dunklem Holz mit Barhockern, die mit schwarzem Kunstleder überzogen sind. Ziemlich in der Nähe davon steht ein langer Tisch mit schwarzer Tischplatte und roten Kerzen in einer Ecke, an dem Hinatas Freundinnen es sich bereits gemütlich gemacht haben.
Wir gehen auf sie zu. Als Nyu uns entdeckt, springt sie aufgeregt auf, lässt sich aber genauso schnell enttäuscht wieder fallen. Ich sehe sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, kann mir aber schon fast denken, was los ist.
Als sie aber nicht reagiert, übernimmt Lee die Erklärung: "Sie hatte auf BTS gehofft."
"Die müssen trainieren."
Wir setzen uns zu ihnen und bestellen uns jeder etwas zu trinken. Außer Sewon. Der bestellt sich noch ein Stück Kuchen. Meine Augen wandern durch die Runde, da sehe ich Nings fragenden Blick. Ich folge ihm rechts neben mich und sehe Sewon.
"Oh. Das ist übrigens Sewon", erkläre ich, schaue auffordernd zu Hinata und stoße sie mit meinem Ellenbogen an. Erschrocken dreht sie sich zu mir um.
"Was?! Ja. Aus dem Skaterpark. Ein Freund."
Sie nickt einmal und wendet sich dann Lee zu.
"Was ist jetzt eigentlich mit Kibum?"
"Mh?" Lee ist verwirrt, genau wie ich.
"Na gestern, als du mich angerufen hast, meintest du doch, er hätte schon wieder irgendwas dummes gemacht."
"Ach so. Ja. Du kennst doch Shinji? Den kleinen Jungen zwei Jahrgänge unter uns?"
Hinata nickt. Ich bin verwirrt, noch mehr als vorher. Falls das überhaupt möglich ist.
"Kibum hat ihn vor Kurzem an der Bushalte beleidigt und er und seine Freunde haben ihn geschubst, dass er fast auf der Straße gelandet ist. Das war wirklich gefährlich und niemand, wirklich niemand hat eingegriffen! Wir wissen es allerdings auch nur vom Erzählen. Du weißt ja, dass wir immer noch eine Weile in der Kantine bleiben."
"Heilige Scheiße. Irgendwann bringe ich diesen Kerl nochmal um! Was hat ihm Shinji bitte getan? Ganz davon abgesehen, hat dieser Idiot nur Stroh im Kopf und es wäre absolut nicht schade um ihn! Außerdem-"
"Hinata. Beruhige dich." Shila sieht sie streng an. Meine Schwester holt tief Luft und verschränkt dann ihre Arme. Sie pustet sich den Pony aus der Stirn, wie sie es so oft tut, und starrt griesgrämig vor sich hin. Wow. Shila hat meine Schwester echt im Griff! Es gibt selten jemanden, auf den sie so hört.
"Ehm. Shila? Musst du heute nicht arbeiten?", versuche ich vom Thema abzulenken, sonst gibt es nur noch mehr Streit. Am Ende artet das hier noch aus. Zu meinem Ärger schüttelt sie nur mit dem Kopf und sieht weiterhin besorgt meinen Zwilling an.
Ich lehne mich auf den Tisch und sehe einem nach dem anderen in die Augen. Gleichzeitig überlege ich, wie ich sie alle auf andere Gedanken bringen könnte. Dann, plötzlich, fällt mir etwas ein.
"Wusstet ihr, dass Hinata heute Abend ein Date hat?"
Ich grinse sie an. Die Mädels bekommen ganz große Augen und reden alle durcheinander.
"Wirklich?"
"Oh mein Gott!"
"Warum wusste ich das noch nicht?"
"Wer ist es?"
"Was wirst du anziehen?"
"Wo geht ihr hin?"
"Ist er hübsch?"
Die einzige, die nichts sagt, ist Ning. Sie sitzt nur lächelnd in der Runde und beobachtet das Geschehen. Hinata wird prompt rot wie eine Tomate und vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen. Vielleicht tut sie mir ja doch ein bisschen leid.
"Nun sag schon! Wer ist es?"
"J-Hope", nuschelt sie in ihre Hände.
"WAS?!" Nyus Mund klappt auf. Lee kann sie gerade noch festhalten, sonst wäre das kleine Fangirl jetzt aufgesprungen und kreischend durchs ganze Café gerannt.
Ich bekomme mein Dauergrinsen nicht mehr aus dem Gesicht, während ich alles erläutere. Wie gebannt hängen sie an meinen Lippen. Normalerweise kann ich es nicht leiden im Mittelpunkt zu stehen, aber das hier ist es doch wert!
"Hobi hat sie gestern gefragt, als wir im Tanzstudio waren. Das war so süß! Tae musste ihn erst ewig dazu überreden, weil er sich nicht getraut hat. Das hat er mir später erzählt, also Taetae. Und dann ist Hobi total rot geworden und Hinata erst! Ihr hättet das sehen sollen. Sie konnte vor Schreck gar nicht antworten. Da habe ich das dann einfach übernommen und ja gesagt."
Ich lächle stolz und werde kurz darauf auch schon von Hinata geschlagen. Schon wieder. Wenn das nicht blau wird, weiß ich auch nicht.
"Was, wenn ich gar nicht mit ihm essen gehen wollte?"
"Ja, ne, ist klar! Lange nicht mehr so gelacht! So verliebt wie du bist. Auf keinen Fall!"
Ich bekomme den Lachanfall meines Lebens, während mein Schwesterherz nur wieder schmollt. Ich grinse und lehne mich zufrieden zurück. So lenkt man vom Thema ab!
"Was wirst du anziehen? Doch hoffentlich nicht das da?" Shila deutet abfällig auf Hinatas schwarzen Hoodie. Die Angesprochene schiebt beleidigt die Unterlippe vor und versteckt ihre Hände provokant in den Ärmeln.
"Pass auf. Ich gehe nachher mit zu dir und dann suchen wir was schönes für dich raus", schlägt Shila vor. Hinata bleibt nichts anderes übrig als brav zu nicken und zu tun, was von ihr verlangt wird.
"Aber ihr müsst ein Foto schicken!"
"Und morgen alles erzählen, klar?"
Hinata beißt sich auf die Lippe. Sie erwidert nichts zu alledem. Aber was soll sie auch anderes tun?
Ning sieht sie mitleidig an. Sie sagt immer noch nichts. Wahrscheinlich ist sie nur froh, dass Hinata dadurch gezwungen ist morgen zur Schule zu kommen. Dann ist sie nicht mehr so allein unter den ganzen K-Pop-Gestörten. Irgendwie kann ich sie ja verstehen. Nyu ist schon ziemlich abnormal. Und Lee ist auch nicht ganz ohne, auch wenn sie es nicht so ganz offensichtlich zeigt.
So vergeht auch dieser Nachmittag mit viel Quatsch und Lachen. Das Date rückt immer näher und Hinata neben mir wird immer nervöser. Es ist schon kaum noch auszuhalten. Sie rutscht die ganze Zeit auf ihrem Stuhl hin und her. Dann schaut sie mal auf ihre Uhr, trinkt etwas, schaut wieder auf die Uhr. Zwischendurch starrt sie aus dem Fenster und ist absolut nicht ansprechbar.
Bald machen wir uns alle auf den Heimweg. Bis auf Shila. Die bereitet meine Schwester jetzt auf ihren großen Abend vor.
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-Joiy
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