Kapitel 26 ~ Jede Menge Essen
- Hinata -
Eigentlich hatten wir vorgehabt, etwas zu essen, haben uns dann aber doch entschlossen, erst einmal Nam-gi Bescheid zu sagen.
Angewidert sehe ich mich in seinem Laden um. Der Zigarettenrauch steht heute förmlich in der Luft. Es ist drückend heiß und stinkt nach einer Mischung aus Alkohol, Rauch und Schweiß.
Wo ist Nam-gi denn schon wieder? Hinter der Theke auf jeden Fall nicht.
Aber ich habe weder die Geduld noch die Zeit zu warten, bis er seinen stinkenden Körper von alleine hier herbewegt.
"Nam-gi!", rufe ich also so laut wie möglich, sodass Sewon neben mir erschrocken zusammenzuckt und sich an dem Brötchen verschluckt, welches er gerade isst.
Schon irgendwie niedlich, wie schreckhaft er ist - obwohl es bei mir wahrscheinlich noch schlimmer ist.
"Was dauert das denn so lange?", murre ich vor mich hin. Sewon zuckt nur mit den Schultern und kaut weiter.
Gerade will ich nochmal nach Nam-gi rufen, als er schließlich doch aus einem Hinterraum seines Ladens kommt. Bei meinem Anblick verzieht er sein Gesicht zu einem genervten Ausdruck, sodass ich mich beherrschen muss, ihm nicht gleich eine zu scheuern.
"Was willst du schon wieder, hm? Deine Schulden bezahlen?", fragt er mit seiner kratzigen Raucherstimme.
Ich lache empört auf und rechtfertige mich: "Ich muss dir überhaupt keine Schulden bezahlen. Du Schwein hast mich beschissen! Die Spraydosen waren nur halbvoll!"
Er schnaubt nur gleichgültig und verdreht die Augen.
"Warum bist du dann hier?"
Ich atme tief durch, um mich zu beruhigen und erkläre ihm dann mit einer halbwegs ruhigen Stimme: "Wegen Ye-seo. Sie hatte einen Unfall und ist im Krankenhaus."
Nam-gi hebt aber zu meiner Überraschung nur unbeeindruckt eine Augenbraue und scheint zu warten, ob noch was kommt. Da ich einfach schweige, fragt er gelangweilt: "Noch was? Oder ist das alles?"
Ich balle die Hände zu Fäusten. Was ist er bitte für ein schrecklicher Vater? Doch Sewon kommt mir zuvor, schiebt sich vor mich, stützt die Hände auf der Theke ab und beginnt ihn zu beschimpfen: "Alter, hast du sie noch alle? Was geht bitte in deinem nicht vorhandenem Gehirn falsch? Deine Tochter liegt im Krankenhaus und du machst dir nicht mal Sorgen?"
Überrascht sauge ich die Luft ein und warte gespannt auf Nam-gis Reaktion. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass Sewon sich so wenig unter Kontrolle haben könnte. Man sieht förmlich, wie sehr er sich zusammenreißen muss, um nicht auf Nam-gi loszugehen. Dieser jedoch lehnt sich unbeeindruckt über die Theke zu Sewon, bis ihre Gesichter nur noch millimeterweit voneinander entfernt sind.
"Hör mir jetzt mal genau zu, du Bengel", beginnt der Ladenbesitzer bedrohlich leise. "Erstens geht es dich einen Scheiß an, wie ich mit meiner Tochter umgehe und zweitens lasse ich mir nichts von einer Schwuchtel sagen."
Bei diesen Worten wird Sewons Blick noch wütender und er gibt ein leises Knurren von sich.
"Und drittens hält mich nichts davon ab, dich zusammenzuschlagen, wenn du mich noch einmal anschreist."
Damit lehnt er sich wieder zurück, löst seinen Blick aber nicht von Sewon. Mich scheinen die beiden ganz vergessen zu haben.
Sewon will gerade wieder zum Sprechen ansetzen, als Nam-gi ihm zuvorkommt: "Ich würde vorschlagen, dass du jetzt ganz schnell abhaust, bevor ich wirklich zuschlage."
Dann schweift sein Blick zu mir. "Und nimm die da gleich mit."
Ich würde Sewon verstehen, wenn er sich das nicht gefallen lassen würde, aber es soll nicht unbedingt auf eine Schlägerei hinauslaufen. Es reicht vollkommen aus, wenn Ye-seo im Krankenhaus ist. Also packe ich ihn am Arm und ziehe ihn aus dem stickigen Laden.
"Was soll das?", protestiert er, als wir draußen sind.
"Ich rette dir das Leben?"
"Den Kerl hätte ich schon fertig gemacht!"
"Hättest du nicht."
Er schnaubt beleidigt, lässt sich aber von mir wegschleifen.
Nach einer Weile fragt er: "Wohin gehen wir eigentlich?"
"Essen. Ich habe Hunger und wenn ich Hunger habe bekomme ich schlechte Laune."
"Gute Idee. Ich hab auch Hunger."
Einerseits freue ich mich, dass es jemanden gibt, der genau wie ich immer Hunger hat, andererseits bin ich aber auch leicht irritiert.
"Du hast schon wieder Hunger? Es ist keine viertel Stunde her, seit du ein doppeltes Brötchen verdrückt hast."
Er zuckt mit den Schultern. "Ist halt so. Kann ich nicht ändern."
"Aha", murmle ich vor mich hin, als mir plötzlich etwas einfällt. Etwas unwohl schaue ich zu meinem neuen Freund auf. "Nam-gi hat dich vorhin Schwuchtel genannt. Wollte er dich einfach nur beleidigen oder bist du wirklich schwul?"
"Ja, ich bin schwul, hast du ein Problem damit?"
Ich winke lachend ab und erkläre mich: "Von wegen! Ich wollte schon immer einen schwulen Freund wie in den ganzen Klischee-Lovestories!"
"Das muss ich nicht verstehen, oder? Aber wir sind Freunde?" Er grinst breit.
"Na klar sind wir Freunde"
Jetzt strahlt er richtig, bevor er noch hinzufügt: "Du bist schon echt komisch, Hinata. Aber ich mag dich."
"Du bist auch komisch", lache ich und wir laufen in neu gewonnener Eintracht nebeneinander weiter.
Endlich kommen wir bei Shin-hyes kleinem Café an. Zusammen lassen wir uns auf meinen Lieblingsplatz gegenüber der Theke fallen. Es ist heute ziemlich voll, sodass Shila nur schnell unsere Bestellungen aufnimmt und dann schon weiter zu den nächsten Kunden eilt.
"Was machst du heute noch so?", fragt Sewon, während er in ein belegtes Brötchen beißt.
Ich überlege. Mein Plan war eigentlich, Yuki hier zu treffen und dann zu den Jungs zu gehen und ihnen beim Training zuzusehen. Das kann ich Sewon aber so nicht sagen, da so wenige wie möglich wissen sollen, wie viel Zeit ich mit ihnen verbringe - zum einen wegen den ganzen gestörten Fangirls, zum anderen, weil es mein Stolz nicht zulässt.
Also antworte ich einfach: " Ich habe mich mit meiner Schwester hier verabredet. Wie spät ist es denn?" Er schaut auf sein Handy. "Fünfzehn Uhr dreißig."
Da Yuki davon ausgeht, dass ich heute in der Schule war, haben wir uns gleich nach Schulschluss hier verabredet. Heute wären ein paar Stunden ausgefallen, deshalb haben wir uns sechzehn Uhr ausgemacht .
"Eine halbe Stunde noch, bis sie da ist", erkenne ich dank meiner grandiosen Mathekenntnisse. Wer sagt, ich wäre schlecht in diesem Fach?
"Okay, ich warte noch mit dir. Dann sollte ich mich mal wieder zu Hause blicken lassen. Meine Eltern wissen bestimmt schon gar nicht mehr, dass ich überhaupt existiere."
Ich schaue ihn überrascht an.
"Du lebst noch bei deinen Eltern? Wie alt bist du denn?"
"Zwanzig und ja, ich lebe noch bei meinen Eltern. So bekomme ich wenigstens gratis Essen."
Ich muss schmunzeln.
Zusammen warten wir bis sechzehn Uhr. Dann bis sechzehn Uhr fünfzehn. Sechzehn Uhr dreißig. Siebzehn Uhr.
"Langsam mache ich mir echt Sorgen. Wo bleibt sie nur?"
Während ich immer nervöser werde, verbringt Sewon die Zeit mit seiner Lieblingsbeschäftigung. Natürlich Essen. Er verschlingt ein belegtes Brötchen nach dem anderen, dazwischen einige Stücke Torte und anderes Gebäck.
Ungeduldig trommle ich mit meinen Fingern auf dem Tisch.
Wenn ihr bloß nichts passiert ist. "Scheiße man, kannst du nicht mal aufhören zu essen?" Langsam macht er mich echt wahnsinnig mit seinem Geschmatze.
Aber er grinst mich nur an und meint mit einem Zwinkern und immer noch kauend: "Nope, ich esse so lange, wie es noch etwas Essbares gibt. Wer weiß, vielleicht geht ja morgen die Welt unter. Dann habe ich wenigstens meinen letzten Tag mit etwas Sinnvollem verbracht."
"Mit Essen?"
"Mit Essen", bestätigt er und kaut seelenruhig weiter.
"Außerdem", spricht er weiter "wie hoch ist denn bitte die Wahrscheinlichkeit, dass deine Schwester zum Beispiel vergewaltigt wurde? Oder dass sie von einem Auto angefahren wurde? Es sind da draußen so viele Menschen, es könnte jeder getroffen werden, also warum ausgerechnet deine Schwester? Es sei denn, sie ist alleine unterwegs, dann ist die Wahrscheinlichkeit, vergewaltigt zu werden, natürlich wieder ein ganzes Stück höher. Außerdem-"
"Hör auf, du machst alles noch schlimmer!", unterbreche ich ihn energisch. Was hat dieser Typ nur für ein Problem?
"Was denn? Es war doch nur eine rein logische Analyse, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass-"
Ich blende die weiteren Erläuterungen von meinem neuen Freund einfach aus und konzentriere mich auf die saubere Glastür. Meine Nervosität und Angst um Yuki steigt mit jeder Minute, die vergeht, woran Sewon nicht ganz unschuldig ist.
Plötzlich ertönen zum hundertsten Mal an diesem Tag die Glöckchen über der Tür. Ich recke mich ein wenig, um zu sehen, ob es Yuki ist.
Und tatsächlich. Vollkommen aufgelöst springe ich auf, lasse den verdutzt schauenden Sewon ohne eine Erklärung sitzen und stürme auf meinen erschöpft aussehenden Zwilling zu.
Bei ihr angekommen, schließe ich sie sofort in meine Arme und flüstere: "Weißt du, was ich mir für Sorgen um dich gemacht habe? Wo warst du?"
Sie löst sich schnell aus meiner Umarmung und murmelt, den Blick fest auf den Boden gerichtet: "Es könnte sein, dass ich mich, rein theoretisch, ganz eventuell ein kleines bisschen verlaufen habe."
Ich starre sie geschockt an und drücke sie aus Reflex gleich nochmal fest an mich.
"Ist ja gut, es ist doch nichts passiert", versucht sie mich zu beruhigen und befreit sich schnell wieder von mir.
"Außerdem", fügt sie noch hinzu "sieht man ohne Orientierungssinn viel mehr von der Welt."
Dann stellt sie sich auf Zehenspitzen und sieht sich suchend um.
"Wo sitzt du? Ich hab mega Hunger."
Ich lache erleichtert auf und ziehe sie hinter mir her zu unserem Tisch, wo Sewon immer noch sitzt. Er stutzt, als er Yuki neben mir sieht und auch sie mustert meinen neuen Freund skeptisch.
Ich lasse mich auf meinen Stuhl fallen und stelle die beiden vor.
"Das hier", ich deute auf Sewon, "ist Sewon, mein... Freund."
"Und das", jetzt zeige ich auf Yuki, "ist meine Zwillingsschwester, Yuki."
Yuki starrt Sewon mit offenem Mund an und fragt schließlich: "Ihr seid zusammen? Seit wann? Warum weiß ich davon noch nichts?"
"Yuki, wir sind Freunde und nicht zusammen", berichtige ich sie kopfschüttelnd.
"Ach so." Sie schaut etwas enttäuscht zwischen uns hin und her. "Schade."
Nachdem auch Yuki etwas gegessen hat, verabschieden wir uns von Sewon. Er geht zu seinen Eltern und wir machen uns auf den Weg zum Tanzstudio der Jungs.
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-Mie
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