Kapitel 24 ~ School, what's that?
- Hinata -
Ich werde von einer vertrauten Stimme sanft aus meinen Träumen gerissen. Und prompt habe ich diese wieder vergessen.
"Aufwachen, Prinzessin. Die Sonne scheint."
So hat er mich früher schon immer geweckt. Ungewollt zucke ich zusammen, als mein Vater mich am Arm streichelt, um mich wach zu bekommen.
"Komm schon. Du musst in die Schule. Erster Tag!"
Ich knurre und drehe mich auf die andere Seite. Ich hasse es geweckt zu werden - egal von wem, egal wie. Aufstehen kommt gleich danach auf meiner Liste der unnötigen Erfindungen der Menschheit. Mein Vater ist mittlerweile wieder verschwunden. Ich kuschle mich erneut tief in meine Decken und Kissen und nicke ein.
"Hinata! Du kommst zu spät!", ruft mein Vater da durch die halbe Wohnung.
Stöhnend ziehe ich mir die Decke über den Kopf, rolle mich dann aber aus meinem Bett und schleppe mich zu meinem Kleiderschrank. Ich öffne die Tür und runzle die Stirn, während ich mir meinen Pony aus dem Gesicht puste. Schwarz. Alle Klamotten sind schwarz. Ich habe heute aber keine Lust auf schwarz. Ich möchte mich lieber wieder so anziehen wie früher.
Ich nehme einen Stapel Klamotten und lege ihn auf den Boden. Dahinter kommen meine alten, farbenfrohen Pullis zum Vorschein.
"Hinata!", ruft mein Vater mich ungeduldig.
Schnell schlüpfe ich in die Klamotten, binde mein Haar mit einem leuchtend pinken Haargummi zu einem wippenden Zopf, schnappe mir meinen Rucksack und eile in die Küche. Mein Vater sitzt bereits am Tisch und schlürft seinen Kaffee, während er interessiert durch einen Stapel Zettel blättert.
"Morgen", nuschle ich und lasse mich auf meinen Stuhl ihm gegenüber fallen.
"Na, hast du gut geschlafen?" Ich zucke mit den Schultern. "Ist das das Testament?" Er nickt.
"Wetten du hast immer noch nichts rausgefunden?"
Diesmal nickt er nicht. Das nehme ich als 'Ja' und nippe vorsichtig an meinem heißen Tee. Vater gibt mir eines der warmen Brötchen, das er vorher für mich aufgeschnitten hat. Er weiß, dass ich nicht an das sogenannte Familiengeheimnis glaube. Wir lassen beide das Thema auf sich beruhen. Es würde sonst wieder zu Streit kommen und so früh am Morgen kann das einfach nicht gesund sein.
An diesen wichtigen Fakt denkend nehme ich das Brötchen dankend entgegen. Kurze Zeit später kaue ich auch schon lustlos darauf herum. Seufzend steht Vater auf, legt seine Zettel zusammen und kommt langsam um den Tisch. Er lächelt und zerzaust mein kurzes, schwarzes Haar mit seiner rauen Hand.
"Ich muss los. Viel Spaß in der Schule."
"Mh. Wir haben heute Mathe", stöhne ich, grinse dann aber.
"Du schaffst das schon."
Noch etwas, das er immer sagt. Hat er schon getan, als wir noch in Deutschland lebten. Er dreht sich um und geht in den Flur. Ich stehe auf und lehne mich in den Türrahmen der Küche, während ich ihm dabei zusehe, wie er sich die Schuhe anzieht.
"Wie lange bist du heute?"
"Mal sehen. Wenn ich Glück habe nur bis fünfzehn Uhr."
Ich nicke und umarme ihn fest zum Abschied. Wir streiten zwar ziemlich oft, das heißt aber nicht, dass ich ihn nicht trotzdem liebe. Er ist schließlich immer noch mein Vater. Wir dürfen eben nur nicht gewisse Themen ansprechen, dann ist alles gut. Vater erwidert die Umarmung und streichelt mir über den Kopf wie einem kleinen Mädchen. Er winkt mir noch einmal zu, bevor die Tür hinter ihm zufällt.
Seufzend mache ich mich daran den Tisch abzuräumen. Es dauert nicht lange, da habe ich es auch schon geschafft. Es ist und bleibt aber eine lästige Arbeit. Nebenbei schaue ich auf meine Armbanduhr.
Oh, scheiße! Schon so spät! Ich hätte nicht so lange liegen bleiben sollen.
Hastig packe ich meinen Rucksack, schmeiße noch eine Flasche Wasser und etwas Essbares rein und schlittere in den Flur. Ich knalle schmerzhaft gegen die Wand, reibe mir mit verzerrtem Gesicht die Stirn und schlüpfe in hellrosa Turnschuhe, die ich eben in irgendeiner Ecke gefunden habe. Wow, die habe ich schon ewig nicht mehr angehabt!
Ich springe die Treppe zur Straße runter, nachdem ich die Tür hinter mir abgeschlossen habe. Im Rennen werfe ich den Schlüssel in meinen Rucksack, in der Hoffnung ihn später auch wiederzufinden.
Nach kurzer Zeit befinde ich mich in einem belebteren Teil von Yongsang-gu. Mit den Ellenbogen voran schiebe ich mich durch schimpfende, gestresste Koreaner. Irgendwann gebe ich es dann jedoch auf.
Es hat doch keinen Sinn. Ich habe sowieso keine Lust auf Schule. Also warum beeilen?
Mit diesem Gedanken verlangsame ich mein Tempo.
Ist doch nur Mathe. Den Müll mit den Parabeln braucht doch keiner. Wenn ich das verpasse, ist es kein Verlust... Vielleicht sollte ich auch gar nicht zur Schule gehen? Es gibt eindeutig wichtigere Sachen. Zum Beispiel Graffiti. Ich habe mir einfach so viele Dosen gekauft und sie nie benutzt.
Kurz versuche ich den Stundenplan von heute durchzugehen, um zu schauen, ob es sich lohnt hinzugehen, gebe es aber schnell wieder auf. Ich werde den nie auf die Reihe bekommen. Wird schon nichts wichtiges dabei sein.
Außerdem ist Yuki diesmal nicht dabei, was heißt, ich kann auch mal wieder etwas riskanteres machen, ohne Angst um sie zu haben. Was denke ich überhaupt noch so viel nach? Ich habe sowieso schon den Entschluss gefasst. Kurzerhand biege ich Richtung Kifferpark ab.
Auf dem Weg dahin muss ich wieder daran denken, wie ich Yoongi in so einem ähnlichen getroffen habe. Der war allerdings weiter weg von hier. Was er wohl dort gemacht hat? Kann er sich das überhaupt leisten als Idol etwas illegales zu machen? Vielleicht hatte er sich auch einfach verirrt.
Ich schüttle meinen Kopf, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen. Es dauert nicht mehr lange, schon bin ich angekommen und sehe mich um.
Betonwände, zerstörte Häuser und - Betonwände. Wunderschön.
Allerdings gibt es keine einzige freie Fläche mehr. Na toll. Übersprayen ist Verschwendung. Dann muss ich wohl suchen. So schlendere ich durch die Gassen und schaue mich nach einem geeigneten Fleck um. Es ist so furchtbar warm hier und durchs Laufen wird es auch nicht besser.
Letztendlich komme ich zu der Erkenntnis, dass ich es genauso gut auch aufgeben kann, als mein Blick auf eine nicht weit entfernte Lagerhalle fällt. Ich grinse und laufe darauf zu.
Vor mir teilen sich die Häuserreihen und hässlichen Betonwände und plötzlich stehe ich auf einer großen, freien Fläche. Ein Gitterzaun mit einem Betreten-Verboten-Schild umschließt die große Halle. Unschlüssig bleibe ich davor stehen und kratze mich an meinem Hinterkopf.
Wie zur Hölle soll ich da bitte drüber kommen?
Mein Blick wandert an der Abgrenzung entlang. Zerstören? Wird nichts. Der ist viel zu stabil gebaut. Nach kurzem Zögern setze ich einfach einen Fuß in eine der Maschen des Zauns. Ich kralle meine Finger in eine der oberen und ziehe mich hoch. So geht's.
Ich bin furchtbar stolz auf mich, als ich oben angekommen über den Zaun auf die andere Seite klettere. Ich beginne gerade mit dem Abstieg, da grölt auf einmal Bon Jovi laut "Bad Medicine". Ich erschrecke mich dermaßen, dass ich rückwärts falle und unsanft auf meinem Hintern lande.
Ich stöhne. Wie oft verletze ich mich heute bitte noch? Ich sollte dringend meinen Klingelton ändern. Bon Jovi singt immer weiter ohne mich zu beachten. Schnell nehme ich meinen Rucksack von meinem Rücken und suche panisch nach meinem Handy.
Hoffentlich ist das nicht mein Vater, weil er mitbekommen hat, dass ich schwänze! Schon wieder...
Endlich habe ich es gefunden. Auf dem Display blinkt aber nicht Vati sondern Teddy auf. Was Lee wohl von mir will? Sie ist doch in der Schule? Ich klicke auf Annehmen und halte mir das Handy ans Ohr.
"Was'n los?", frage ich meine Freundin ohne sie zu begrüßen.
"Hinata! Warum bist du schon wieder nicht in der Schule?", regt sie sich sofort auf.
"Hatte eben keine Lust..."
"Dein Ernst?! Du hast sie doch nicht mehr alle! Schon mal was von Vorprüfungen gehört? Die sind nämlich bald!"
"Ist doch nur Mathe."
"Nur? Du kapierst das doch so schon nicht! Da bringt es auch nichts, wenn du gar nicht kommst! Ganz im Gegenteil!"
Ich verdrehe genervt die Augen.
"Ich kann doch eh nicht studieren. Was soll ich dann in der Schule? Und wenn ich nun einmal keine Lust habe, dann ist das halt so..."
"Deine Ausreden sind das letzte, was ich jetzt hören will! Und wo bist du überhaupt? Etwa wieder in diesen widerlichen, verkifften Stadtteilen? Da gehörst du nicht hin und das weißt du auch! Also bewege deinen Hintern hier her!"
"Es ist sinnlos sich mit dir zu streiten. Du hast ja doch immer Unrecht", murmle ich leise zwischen ihren endlosen Redeschwall.
"Was hast du gesagt?"
"Nichts, nichts. Aber das kannst du vergessen, dass ich heute noch in die Schule komme."
"Schön! Dann melden wir dich für heute krank. Aber morgen bist du da! Ist das klar?! Sonst nehmen wir dich nicht mehr in Schutz!"
"Ja", lenke ich schließlich ein, damit sie mich endlich in Ruhe lässt.
"Gut. Außerdem brauchen wir noch jemanden, der Kibum mal wieder die Meinung sagt..."
"Was hat er denn jetzt schon wieder gemacht?", stöhne ich genervt auf und reibe mir mit der freien Hand die Stirn.
"Erzähle ich dir später mal. Es klingelt gleich zur Stunde... Also dann: Tschüss, Hinata. Und mach keinen Scheiß!"
"Ich doch nicht. Tschüss", seufze ich ins Telefon und lege auf.
Gott, dieses Mädel kann so anstrengend sein. Ich hieve mich hoch, schmeiße mir meinen Rucksack wieder über die Schultern und marschiere auf die stillgelegte Fabrik zu. Das große Tor ist ganz rostig und quietscht und scheppert, als ich es mit beiden Händen aufschiebe. Vorsichtig spähe ich um die Ecke.
Durch die verdreckten Dachfenster scheint schwach die Sonne auf den verstaubten Boden. Am Rand stehen ein paar uralte Maschinen und rechts von mir führt eine ziemlich instabil aussehende Metalltreppe an der Wand nach oben auf eine Plattform.
Ich stelle mich in die Mitte des gigantischen Raums und drehe mich staunend im Kreis. So viele freie Flächen! Ein Traum wird wahr.
Grinsend reibe ich mir die Hände. Die Metallwand unter der Plattform ist perfekt geeignet. Aus meinem Rucksack suche ich die Spraydosen heraus und stelle sie daneben. Glücklicherweise habe ich immer einige der Farben dabei. Das ist zwar riskant, falls ich mal erwischt werden sollte... Werde ich aber nicht.
Ich nehme die schwarze Dose in die Hand und stelle mich überlegend vor die schöne, große, rostige Fläche. Dann gehe ich direkt darauf zu und beginne einfach.
Das Bild bekommt immer mehr Farben. Irgendwann bin ich zu klein, um die oberen Flächen auszumalen. Kurzerhand staple ich ein paar nebenstehende Metallkisten übereinander. Das dauert allerdings seine Zeit, da diese nicht besonders leicht sind. Mit Hilfe der Kisten gelange ich nun auch an die oberen Ränder meiner Zeichnung.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, als ich vom Kistenstapel runterspringe, etwas rückwärts gehe und stolz mein begonnenes Werk betrachte.
Es zeigt einen Ausschnitt der Weltkarte. Man kann bereits Südkorea und Ansätze von Deutschland erkennen. Auf Südkorea steht ein Mädchen, das seine Hände Richtung Westen ausstreckt. Ein zweites ist zu erahnen, das von Deutschland aus die Hände des ersten mit seinen eigenen umschließt.
Die Entfernung kann die beiden nicht trennen. Genauso wenig wie Yuki und mich. Ich weiß, sie muss bald wieder zurück, aber ich werde sie niemals vergessen.
Ich gehe auf die linke Seite der Zeichnung zu, um sie zu beenden. Die Dose vorher schüttelnd will ich die Schuhe des deutschen Mädchens färben. Aber es kommt keine Farbe mehr raus.
Wie jetzt? Das hätte doch locker noch reichen müssen? Ich habe mit dieser Menge doch schon viel größere Bilder gesprayt. Nam-gi muss wohl davon ausgehen, dass man mich so einfach bescheißen kann.
~~~
-Joiy
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