Kapitel 13 ~ Vergebung
- Hinata -
Endlich Schulschluss! Schnell verabschiede ich mich von allen und renne aus der Schule.
Zufrieden hüpfe ich über die Straße. Mein Magen macht sich schon wieder bemerkbar, also fasse ich den Entschluss in die Bäckerei von Shin-hye zu gehen. Ich liebe ihre heiße Schokolade einfach über alles.
Von der Schule aus ist es allerdings fast eine halbe Stunde zu Fuß bis dorthin. Da ich keine Lust habe jegliche öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, mache ich mir Musik an und betrachte auf meinem Weg die vielen Gebäude, die ich vielleicht noch abmalen werde.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, die ich in der Frühlingssonne verbrachte, sehe ich das kleine, niedliche Geschäft. Als ich die Glastür öffne, ertönen die Glöckchen über dem Eingang.
"Annyeonghaseo", grüße ich die ältere Dame hinter der Theke mit einer flüchtigen Verbeugung.
"Annyeong", grüßt mich Shin-hye zurück. "Du siehst ja heute sehr zufrieden mit dir und der Welt aus. Was darf's denn sein?"
"Ja. Ich habe endlich die Schule geschafft für heute und habe das Gefühl, dass heute noch etwas Gutes passieren wird. Und ich nehme so wie immer. Heiße Schokolade und ein Stück Fruchtkuchen, bitte."
Ich setze mich an einen der kleinen Tische und warte auf meine Bestellung. Es dauert nicht lange und ein Mädchen in meinem Alter kommt mit einem Teller, auf dem mein Kuchen steht, und einer dampfenden Tasse in der Hand zu mir.
Shila trägt eine blau-rote Bomberjacke, ein einfaches T-Shirt und eine Jeans. Sie ist ziemlich hübsch, hat aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund noch keinen Freund.
Sie setzt sich lächelnd zu mir und schiebt mir Teller und Tasse über den Tisch. Dieses Mädchen scheint immer glücklich zu sein - wie ihre Großmutter. Ich habe Shin-hye noch nie betrübt gesehen.
"Und wo warst du heute so?", fragt Shila mich interessiert.
"Schule", antworte ich knapp und schiebe mir ein Stück von dem leckeren Kuchen hinterher.
"Echt? Du warst in der Schule? Respekt! Das hätte ich nicht von dir erwartet."
Als ich aufsehe, grinst sie mich an. Ich schüttle den Kopf, muss aber auch ein vorsichtiges Grinsen auf meinen Lippen bemerken. Ich widme mich wieder meinem Essen, da mir nichts einfällt, was ich darauf sagen könnte.
"Warum hast du denn keine Schuluniform an? Du warst doch noch nicht zu Hause oder irre ich mich da?" Shila sieht mich nachdenklich an. Ich schiele unter meinem Pony zu ihr hin. Seufzend richte ich mich auf und lehne mich an die Lehne der Eckbank.
"Vielleicht habe ich die Nacht nicht zu Hause verbracht und wurde möglicherweise heute Morgen von Lee und Nyu gezwungen zur Schule zu gehen. Wenn das so wäre, hätte ich allerdings keine Uniform gehabt und dann hätte ich von unserem liebenswerten Direx auch eine Verwarnung bekommen." Ich lächle Shila schief an. Auf einmal ist mir die Sache irgendwie peinlich.
"Euer Schulsystem ist aber auch der letzte Dreck. In Deutschland muss man keine Uniform tragen, der Unterricht ist viel kürzer und außerdem haben sie da jetzt Feiertage."
Shila seufzt und reibt sich die Stirn. "Bin ich froh, dass ich schon abgeschlossen und hier in der Bäckerei angefangen habe. Ich muss dann auch mal wieder. Ich komme nachher nochmal her." Damit verschwindet sie wieder im hinteren Teil des Geschäfts.
Ich nicke ihr zum Abschied zu. Gedankenverloren umschließe ich meine Tasse mit beiden Händen und starre aus den großen Fenstern neben der Tür. Von hier aus kann man das Geschehen auf der Straße wunderbar beobachten.
Zum Beispiel sehe ich gerade eine ziemlich coole Limousine vorbei fahren. Die Südkoreaner sind alle voll im Stress und sprinten beinahe über den Gehweg. Da ist so ein Mädchen mit Handy in der Hand. Wenn die jetzt irgendwo dagegen rennt, lache ich. Vertieft in diese Vorstellung bemerke ich den Jungen erst gar nicht. Doch dann steht er direkt vor der Tür. Er kommt doch nicht wirklich hier rein?
So schnell und unauffällig wie möglich kralle ich mir die Eiskarte und verstecke mich dahinter. Hoffentlich erkennt er mich nicht! Diese unnütze Hoffnung zerfällt praktisch sofort wieder in Staub, als er mir auf die Schulter tippt. Ich kann sie förmlich davonwehen sehen, die Hoffnung.
"Ist hier noch frei?"
Ich linse über die Karte und nicke kaum merklich. Er grinst und setzt sich zu mir. Sofort kommt Shila und nimmt seine Bestellung auf. Sie muss wohl gesehen haben, wie unwohl ich mich fühle, denn kaum ist sie verschwunden, bekomme ich eine SMS von ihr.
›Sag, wenn ich dich retten soll!‹
›Passt schon - noch‹
Ich sehe Shila seit einiger Zeit, als eine meiner besten Freundinnen an. Ungefähr so wie Lee, Nyu und Ning. Ich kann mit ihr über alles reden und besuche sie auch regelmäßig.
›Woher kenne ich den? Das Gesicht habe ich schon mal gesehen!
Blöder Mundschutz‹
›Ist J-Hope von BTS‹
›Lmao was macht der in unserem Café?
Und vor dem soll ich dich retten?
Vergiss es!‹
›Na toll...‹
›Viel Glück!‹
J-Hope schaut mich die gesamte Zeit, in der ich mit Shila schreibe, an. Ich spüre seinen Blick praktisch auf mir. Da ich keine Lust habe mit ihm zu sprechen, trinke ich meinen mittlerweile nur noch lauwarmen Kakao.
Langsam wird mir das Schweigen zwischen uns unheimlich, doch da kommt zum Glück Shila mit Hoseoks Kuchen und Tee. Sie lächelt mir aufmunternd zu.
Kaum ist sie weg, beginnt wieder diese bedrückende Stille. Wieder wird es mir unangenehm. Wieder überlege ich, was ich am besten tun soll. Und wieder werde ich durch einen glücklichen Zufall gerettet.
Mein Handy klingelt. Laut erschallt Bad Medicin von Bon Jovi durch das Café. Grinsend greife ich danach. Mein Gegenüber sieht mich äußerst verstört an. Ich schaue auf das Display. Darauf blinkt "Mein zweites Ich" auf. Mein Herz pocht vor Freude. Ich wusste, heute passiert noch etwas Gutes!
* * *
Es dauert ewig, ehe wir uns das Neueste der letzten Tage erzählt haben. Letztendlich haben wir es dann doch geschafft.
Yuki hat mich aus irgendeinem Grund dann noch über das Haus der Jungs ausgefragt. Ich hoffe, dass sie nicht das tun wird, was ich denke, dass sie das tun will.
Während ich mit ihr telefoniere, schwebt mir immer wieder ihr Satz durch den Kopf.
So wie du es mir erzählt hast, waren sie doch immer freundlich zu dir.
Ich brauche eine Weile, bis es auch mir auffällt. Eigentlich können sie ja nichts für die Dummheit meines Vaters. Ich habe eine plötzliche Eingebung.
"Ich muss erstmal Schluss machen. Tut mir leid. Aber ich mache dir ein Foto!", entschuldige ich mich bei Yuki und lege auf.
Ich seufze und gebe mir die größte Mühe mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Ich schaue Hoseok an und denke daran, wie er mich einfach raus gelassen hat. Hinter dem Rücken der anderen.
"Danke", flüsterte ich beinahe. Dieses Wort scheint mir momentan sehr angebracht.
"Wofür?", fragt er mich stirnrunzelnd.
"Naja. Für heute morgen. Du hast mich einfach raus gelassen."
"Und?"
"War doch selbstverständlich", fügt er hinzu, als ich nichts erwidere.
"Nicht wirklich. Weißt du, ich habe schon seit Ewigkeiten keine so netten Menschen mehr getroffen, wie ihr es seid, von meinem Freundinnen mal abgesehen. Und ich danke es euch noch nicht einmal. Ihr habt mich nicht mal bei meinem Vater verpfiffen und ich bin so unhöflich. Es tut mir leid." Beschämt starre ich auf die Tischplatte.
Plötzlich wechselt er das Thema - zumindest ansatzweise.
"Hey, sag mal, was wirst du heute noch so machen?" Er sieht mich schüchtern mit diesen braunen Augen an.
"Ich habe absolut keine Ahnung", gebe ich ehrlich zu.
"Uhm, was hältst du davon mit zu uns zu kommen? Wir haben heute frei, weißt du? Das wird bestimmt lustig."
Hoseok kratzt sich verlegen am Hinterkopf. Er sieht irgendwie niedlich aus, wenn er schüchtern ist.
Was denke ich da überhaupt?
"Wahrscheinlich eher nicht, was?"
"Naja. Ich weiß nicht..."
"Gut. Auch nicht schlimm. Dann gehe ich jetzt besser mal wieder."
Er steht auf und verschwindet einfach. Was soll ich bloß tun? Er sah so verletzt aus, so traurig, als ich nein gesagt habe.
Soll ich vielleicht einfach hinterher gehen?
Doch da wird mir diese Entscheidung auch schon abgenommen. Shila steht plötzlich neben mir.
"Steh auf und beeile dich. Sonst ist er weg, bevor du ihn einholst."
"Du meinst, ich soll ihm einfach hinterher rennen?"
"Nun mach schon! So jemanden findest du nicht so schnell wieder." Mit einem ermutigendem Lächeln schubst sie mich beinahe aus dem Geschäft.
Da stehe ich nun vor der Tür mit meinem Rucksack im Arm und suche nach Jung Hoseok. Endlich sehe ich ihn auf der anderen Straßenseite. Schnell werfe ich mir meinen Rucksack über die Schultern, schaue kurz nach links und rechts und sprinte zu ihm.
"Warte auf mich!", grinse ich ihn an. "Ich komme mit!" Immerhin muss ich noch ein Foto von eurem Haus machen, setze ich in Gedanken dazu.
"Wirklich?" Er scheint mir nicht zu glauben.
"Ja, wenn ich es doch sage. Außerdem muss ich mich noch bei Jin für das Essen bedanken." Jetzt bin ich diejenige, die schüchtern unter ihrem Pony hervorschielt.
"Fein. Dann komm. Die anderen warten sicher schon."
Er läuft einfach weiter. Hastig stolpere ich ihm hinterher.
"Wie meinst du das: Sie warten?", will ich wissen. Ich werde immer unsicherer.
"Auf mich, sie warten auf mich. Sie wissen natürlich nicht, dass ich dich mitbringe. Aber Taetae wird sich freuen."
Wieder grinst er mich auf diese unglaubliche Art und Weise an. Was zur Hölle denke ich hier schon wieder?! Schnell schüttle ich meinen Kopf, um die Gedanken da wieder raus zu bekommen.
"Alles in Ordnung?"
"Jap. Alles bestens!"
"Dann ist ja gut." Und schon läuft er weiter und ich so schnell es geht hinterher.
Nach einiger Zeit stehen wir vor der schönen Villa. Da fällt es mir wieder ein und ich zücke mein Handy. Ich versuche sie in einen guten Winkel zu bekommen und mache ein paar Fotos.
"Sag mal, was tust du da?" Hoseok sieht mich schon zum zweiten Mal heute ganz verstört an.
"Fotos, sieht man doch."
"Ja, klar. Das habe ich auch schon bemerkt. Aber wofür?", gibt er etwas genervt zurück.
"Für wen, wäre die korrekte Frage. Sie sind für meine Schwester. Sie wollte wissen, wie eure Villa aussieht."
"Ist dir klar, dass niemand wissen darf, wo wir wohnen?"
"Ja, logisch. Ich bin doch nicht blöd!"
"Na, dann ist gut. Kommst du jetzt?"
Ich nicke und folge dem Idol in sein Haus. Drinnen angekommen stellen wir unsere Schuhe ab und gehen ins Wohnzimmer, aus dem schallendes Gelächter zu hören ist. Sobald ich im Türrahmen stehe, ist alles still. Sechs Augenpaare starren mich an.
"Hey", versuche ich die peinliche Situation zu beenden und hebe meine Hand zum Gruß. Da springt Jin auch schon vom Sofa auf und kommt auf mich zu. Kurz vor mir bleibt er stehen. Plötzlich ist mir seine Nähe unangenehm. Ich blinzle ihn unsicher an.
"Warum bist du einfach abgehauen?" Die Hände in den Hüften schaut er auf mich herab.
"Mianhae, Seokjin. Es tut mir wirklich leid. Ich habe mich nicht einmal bedankt", entschuldige ich mich kleinlaut und verbeuge mich tief. Jin legt mir eine Hand auf die Schulter und lächelt mich an.
"Es ist alles in Ordnung. Wie lange willst du bleiben?"
"Ich weiß nicht..."
"Musst du nicht auch mal nach Hause?", ertönt da eine Stimme aus dem Hintergrund. Ich schaue um Jin herum und bemerke Namjoon, der mich fragend ansieht.
"Ich möchte eigentlich nicht wieder dahin." Ich sehe Jin mit einem Hundeblick an, der bei den Erwachsenen vor allem bei Lehrern immer funktioniert.
"Dein Vater wird sich sicher schon Sorgen machen."
Traurig lasse ich den Kopf sinken. Möglich, dass er sich Sorgen macht. Er hat mich schließlich jede freie Minute versucht anzurufen. Mit hängendem Kopf gebe ich schließlich nach.
"Willst du mit UNO spielen?", fragt da auf einmal Jimin. Ich muss lächeln und nicke. Das haben wir in Deutschland im Winter fast jeden Abend gespielt. Also setze ich mich zu den Jungs auf den Fußboden und lasse meinen Rucksack irgenwo im Raum fallen.
Wir schaffen es doch tatsächlich den ganzen restlichen Nachmittag irgendwelche Spiele zu spielen. Manche sind ziemlich sinnlos aber lustig. So viel habe ich in den letzten zwei Jahren nicht mehr gelacht.
Es wird schon dunkel, als die Jungs meinen, ich müsste jetzt nach Hause gehen. Mit einem traurigen Lächeln trete ich in die kalte Nacht hinaus.
~~~
-Joiy
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