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•Nathaniel•
Geburten sind definitiv nicht für mich gemacht. Mein Magen hat sich dazu entschieden, alles nach draußen zu befördern, was er hergeben kann.
Hope kämpft neben mir seit mehreren Stunden mit Wehen und ich kann nichts anderes, als jedes Mal erneut zu würgen. Zu stark ist die Aufregung.
»Geh für einen Moment raus. Ich muss sonst auch kotzen«, bittet Hope mich mit zusammengebissenen Zähnen und krallt sich im nächsten Moment beinahe schon kreischend in die Matratze. Trotzdem kann es noch nicht losgehen. Ihr Muttermund ist noch nicht genug geöffnet, um einen lebendigen Körper durch ihr Becken in die Welt zu befördern. Die letzten Stunden konnten wir nur warten und hoffen, dass es endlich bald losgehen kann.
»Es tut mir leid.« Ich streiche mir die Wangen trocken und schlucke laut. Ich möchte für meine Verlobte da sein, mich nicht immer und immer wieder übergeben müssen und ihr ein schlechtes Gewissen machen.
»Schon gut. Komm einfach wieder, bevor die Kleine auf der Welt ist.« Oh, das werde ich definitiv. In zehn Minuten hat Hope wieder ihren kotzenden Freund um sich herum, darauf schwöre ich.
»Ich liebe dich. Du machst das toll.« Ich presse meine Lippen auf ihre Stirn und merke, wie unsere Hebamme mich mitfühlend anschaut. Die anderen Männer müssen sicherlich nicht den Raum verlassen, weil sie nichts anderes als Kotzen können.
Mir durch die Haare fahrend und mit der Hoffnung, dass meine Hände aufhören zu zittern, gehe ich durch den langen Flur und hole immer wieder tief Luft.
In ein paar Minuten habe ich mich wieder unter Kontrolle. Dann werde ich für Hope da sein und ihre Hand halten und mich von ihr anschreien lassen. Ich werde ihr den Schweiß abwischen und ihr zuflüstern, wie toll sie das alles macht. Wie stolz ich auf sie bin.
Als ich am Wartezimmer vorbeigehe, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie Clay dort sitzt. Er hat die Augen geschlossen und den Kopf auf den von Lenny gestützt, der auf der Schulter meines Bruders liegt. Hätte ich mein Handy dabei, würde ich von diesem Bild vor mir ein Foto machen. Clay fand Nähe zu Fremden noch nie sonderlich schön, jetzt schläft er neben Lenny auf einem der ungemütlichen Stühle des Krankenhauses, während die beiden darauf warten, bis sie Informationen bekommen.
Ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal wieder herkomme, weshalb ich auf die beiden zugehe und sie vorsichtig wecke. Draußen ist es dunkel. Es muss schon spät sein.
»Ich will euch nicht stören, aber ich wollte mich bei euch bedanken«, flüstere ich, nachdem beide ihre Augen geöffnet haben und für einen Moment gegen das helle Licht anblinzeln. Clay ist der erste, der sich aus der Position löst und sich räuspert. Keine Sekunde später setzt Lenny sich aufrecht hin und bekommt rote Wangen. Bis er mich sieht und jegliche Farbe aus seinem Gesicht weicht.
»Ist etwas mit Ashley? Setz dich hin, du kippst ja gleich um.« Er will aufstehen, jedoch halte ich ihn davon ab und schlucke den ekelhaften Geschmack herunter.
»Ihre Wehen sind da, aber der Muttermund ist noch nicht vollständig geöffnet. Die Ärzte sagen, ihr geht es gut.« Ich merke, dass ich anfange zu schwanken und stütze mich an der Wand ab. Ich muss gleich unbedingt etwas trinken, um meinen Körper mit Flüssigkeit zu versorgen.
»Mach mal etwas langsamer. Du bist so weiß wie die Wand.« Clay steht auf und dirigiert mich zu seinem Stuhl.
»Oder willst du dich auf den Boden legen und die Beine auf den Stuhl legen? Du kippst hier jetzt aber nicht um. Deine Verlobte liegt da in einem Zimmer und presst euer Kind aus sich heraus. Was machst du? Du kriegst deine Gefühle nicht unter Kontrolle und kotzt alles aus, was in einem Körper vorhanden ist.« Natürlich weiß er genau, was los ist. Weil er mein Bruder ist und weiß, wie ich ticke.
»Ich glaube, das wäre eine gute Idee. Ich muss mich nur kurz hinsetzen. Macht mich das hier zu einem schlechten Verlobten?« Ich sitze gerade mal eine Sekunde, da kniet Clay sich vor mich und drapiert meine Füße auf seinem Oberschenkel.
»Du atmest jetzt einmal tief ein und aus. Dann kriegst du ein Kaugummi von mir und gehst dir etwas zu trinken holen. Danach wollen wir dich erst wieder sehen, wenn du Vater geworden bist. Wir warten hier.« Ich schüttle den Kopf und schaue zu Lenny, als er eine Hand auf meine Schulter legt.
»Wir werden hier nicht weg gehen. Ashley braucht dich jetzt. Nimm dir einen Moment und hör auf deinen Bruder.« Er nähert sich meinem Ohr und flüstert mir Worte ins Ohr, die mich schmunzeln lassen.
»Manchmal sagt er auch schlaue Sachen. Hör auf den alten Mann und verschwinde.«
Ausnahmsweise haben die beiden recht. Ich sollte wirklich wieder zu Hope gehen und ihr beistehen.
»Das bedeutet mir echt viel. Dankeschön.« Ich stehe langsam wieder auf und bleibe für einen Moment vor Clay stehen, der sich ein Gähnen unterdrückt.
»Vor allem, dass du hier bist.« Er nickt und lässt sich von mir umarmen, bevor er sich wieder auf seinen Stuhl setzt. In den nächsten Stunden werde ich die beiden nicht mehr beim Schlafen stören. Lenny wird in Zukunft nachts ebenfalls so oft aufgeweckt, wie Hope und ich. Wir haben den Jungs angeboten, uns eine eigene Wohnung zu holen, damit die drei nicht von der Kleinen gestört werden, jedoch waren sich alle drei ziemlich schnell einig, dass wir in der WG bleiben sollten.
Das wird nicht für immer so sein, aber in naher Zukunft bleiben wir dort noch wohnen. Spätestens, wenn Hope und ich heiraten werden, möchte ich aus der Wohnung raus sein. Ich möchte nackt durchs Wohnzimmer spazieren können und nicht immer aufpassen müssen, wo ich mit Hope was mache.
»Sag Ashley, dass sie es großartig macht. Ihr werdet tolle Eltern.« Lächelnd nicke ich und wende mich zum Gehen. Diese Worte aus Clays Mund zu hören, lassen mich hoffen, dass sich unsere Beziehung in den nächsten Monaten wieder zum Guten wendet.
Wieder in ihrem Krankenzimmer angekommen, bleibe ich für einen Moment wie angewurzelt stehen. Sie kniet auf allen vieren und schreit in das Kissen, in welchem sie ihren Kopf vergraben hat.
»Sie kommen zur richtigen Zeit. Der Muttermund ist vollständig geöffnet.« Die Ärztin, die vor Hope sitzt, winkt mich zu sich, worauf ich schnell nicke und einen Moment später neben Hope stehe, die blind nach meiner Hand greift.
»Den Großteil der Zeit haben Sie hinter sich. Sie sind seit acht Stunden bei uns, morgen um diese Zeit sind sie schon beinahe einen Tag glückliche Eltern.« Die Hebamme stellt sich neben mich und misst Hopes Puls an ihrem Handgelenk.
»Besser ist das. Nate, wir schlafen nie wieder ohne Kondome, verstanden? Oder du bringst das nächste Kind...« Sie unterbricht sich selbst, ehe sie erneut ins Kissen schreit und meine Hand beinahe zerquetscht.
»Das sagst du nur, weil du Schmerzen hast. Aber ich bin verdammt stolz auf dich.« Ich hauche viele Küsse auf ihre schwitzende Kopfhaut und fahre mit meiner freien Hand über ihren Rücken.
»Ich kann nicht mehr, Nate. Ich will studieren und mein Leben mit dir genießen. Kein verdammtes Kind aus mir herauspressen!« Verstehend nicke ich und warte, bis die Wehe sich gelegt hat. Vielleicht hätten wir doch öfters zu diesem Geburtsvorbereitungskurs gehen sollen.
»Wir können unser Leben auch zu dritt genießen. Wir bekommen das mit der Kleinen hin. Das verspreche ich dir hoch und heilig.« Sie nickt und atmet immer wieder tief ein und aus. Bald hat sie es geschafft und wie halten unsere Tochter in unseren Händen. Unser eigen Fleisch und Blut.
»Pressen, Ashley!« Die Hebamme legt ihre Hände an Hopes Hüften und fährt sanft über diese, während Hope sich die Seele aus dem Leibe schreit. Wenn Clay und Lenny noch wach sein sollten, hören sie Hope sicherlich bis ins Wartezimmer.
»Ich sehe das Köpfchen, super machen Sie das.« Ich verstecke meinen Kopf in Hopes Halsbeuge und hauche ihr immer wieder sanfte Küsse auf die Haut, um sie bestmöglich entspannen zu lassen. Wenn das Köpfchen jetzt schon zu sehen ist, kann es nicht mehr lange dauern, bis wir sie in der Hand halten können.
»Ich kann nicht mehr. Ich muss mich anders hinlegen«, keucht Hope, während ihre Arme unter ihr nachgeben und ich sie noch gerade eben so halten kann, dass sie nicht auf ihren Bauch fällt. Sie hat mehr als sieben Monate ohne Komplikationen durchgehalten, jetzt wird ganz sicher auch nichts mehr passieren. Nicht in den letzten Minuten ihrer Schwangerschaft.
»Drehen Sie sich langsam. Sie sind gerade mitten in einer Geburt.« Ich helfe der Hebamme, Hope umzudrehen, sodass sie lauf dem Rücken liegt und erleichtert ausatmet.
»Kann er sich hinter mich setzen?« Hope deutet auf mich und schaut ihre Hebamme bittend an.
»Seien Sie vorsichtig. Keine Stöße oder ruckartigen Bewegungen bei ihrer Freundin auslösen, verstanden?« Ich nicke und streife mir die Schuhe von den Füßen, bevor ich hinter Hope klettere. Ihre Hände krallen sich beinahe sofort in meine Oberschenkel, bevor sie erneut beginnt zu pressen.
Knapp eine Stunde und zwei weitere Positionswechsel später ist es tatsächlich geschafft. Hope presst das letzte Mal in gehockter Position, bevor wenige Sekunden später ein hohes Schreien den Raum erfüllt.
»Ein Mädchen. Herzlichen Glückwunsch.« Ich ziehe Hope für einen Moment in eine starke Umarmung, während sie sich nur gegen meine Brust fallen lässt und die Tränen ignoriert, die über ihre Wangen laufen.
»Du hast das verdammt toll gemacht. Ich bin stolz auf dich.« Erschöpft nickt sie und öffnet erst ihre Augen, als ich die Nabelschnur durchtrennen darf. Direkt danach wird Hope das viel zu kleine Geschöpf auf die Brust gelegt.
Jetzt muss ich mit den Tränen kämpfen, verliere jedoch schnell und schlinge schluchzend meine Arme um meine Mädchen.
»Sie ist perfekt. Genau so wie du.« Hope fährt unserer Tochter über die Wange und schluchzt kichernd auf, als sie die Augen öffnet.
»Sie hat die gleichen Augen wie du.« Ich habe ihr meine Augenfarben weitervererbt. Ein hellblaues und ein braunes Auge.
Ich kann nur nicken und hauche Hope einen langen Kuss auf die Stirn, während sie nur Augen für unsere kleine Tochter hat. Für Heaven. Heaven von Livingston.
THE END🥲
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