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•Nathaniel•
Mit zwei Gläsern und einer Flasche Wasser kommt Clay zurück auf die Terrasse und setzt sich mir gegenüber hin. Heute verbringe ich den Tag mit meiner Familie. Das erste Mal seit vier Monaten ohne Hope. Diese sitzt zu Hause und hat sich mit Lenny in sein Zimmer zurückgezogen, um einen Serienmarathon zu starten. Die letzten fünf in den letzten Wochen lasse ich außen vor und hoffe, dass sie ihre Freude hat. In wenigen Wochen ist der Geburtstermin, so lange soll sie noch alles machen, was ihr Spaß bereitet. Auch ohne mich.
»Vater ist zurück in die Firma.« Ich nicke und bedanke mich stumm bei meinem Bruder, als er mir mein Glas reicht. Mit meinem Vater habe ich seit der Hochzeit nicht mehr gesprochen und habe es in nächster Zeit auch nicht vor. Ich bin hier, um meine Geschwister und Mom zu sehen. Dass ich alleine mit Clay auf der Terrasse sitze, ist irgendwie passiert. Die Frauen des Hauses sind spazieren, jedoch hatten weder Clay noch ich Interesse, mitzukommen. Jetzt sitzen wir hier und wissen nicht, über was wir uns unterhalten können.
So lief es die letzten Treffen ebenfalls ab. Gesprochen haben wir nie viel, Clay ist seinen Gedanken nachgegangen. Die Denkfalte haben wir von unserer Mutter geerbt.
»Wie geht es Ashley? Sie hat am Sonntag Geburtstag, richtig?« Lächelnd nicke ich und fahre mir durch die Haare. Wir werden nicht groß feiern, aber ich möchte mit ihr essen gehen. Die Jungs gehen an dem Abend feiern, sodass Hope und ich ein wenig Zweisamkeit genießen können. Ich habe noch keine strickten Pläne gemacht, aber nach unserem Date allein auf der Couch liegen zu können, Hope zwischen meinen Beinen, mit dem Hinterkopf an meiner Brust, das stelle ich mir schön vor.
»Die Kleine tritt und dreht sich viel, aber sonst geht es ihr den Umständen entsprechend. Sie ist mit Lenny zu Hause geblieben und kuschelt sich gerade wahrscheinlich an seine Brust.« Ein wenig eifersüchtig darf ich sein, auch wenn ich weiß, dass Lenny an Männern interessiert ist.
»Bist du nicht eifersüchtig? Deine Verlobte kuschelt gerade mit einem anderen Mann, während du mit deinem großen Bruder in deinem Elternhaus sitzt.« Verwirrt legt er den Kopf schief und zuckt mit den Schultern, als ich mir ein Lachen verkneifen muss. Bis jetzt habe ich Clay noch nie mit einer Frau gesehen. Als sein kleiner Bruder habe ich wahrscheinlich schon das fünffache von dem erfahren, was Clay bis jetzt erlebt hat. Und darauf bin ich ein wenig stolz.
»Spurlos geht das natürlich nicht an mir vorbei. Aber ich vertraue Hope und ich vertraue Lenny. Die beiden haben eine enge Verbindung, die möchte ich nicht ruinieren. Sie liebt mich und das reicht mir fürs Erste. Lenny ist wie ein Bruder für sie. Die beiden reden über Themen, über die Hope nicht mit mir sprechen möchte. Sie hat nicht viele weibliche Freunde, weshalb ich mich über die Jahre damit angefreundet habe. Die drei Jungs aus der WG haben einen besonderen Stellenwert in Hopes Leben.« Ich trinke einen Schluck und fahre über das frisch gestochene Tattoo an meinem linken Unterarm.
Heaven
»Bevor ich von der Schwangerschaft erfahren habe und Hope mit Übelkeit zu kämpfen hatte, waren die Jungs für sie da und sind extra früher mit ihr aufgestanden, um ihr Beistand zu leisten. Das würde nicht jeder Mann machen und dafür haben sie etwas gut bei mir. Vor allem Lenny. Er ist der beste Freund, den ich mir für Hope vorstellen kann. Nach mir zumindest.« Dies entlockt meinem Bruder ein trockenes Schnauben, was mich wiederum grinsen lässt.
Er hat schon lange nicht mehr ernsthaft gelacht. Was auch immer mit ihm los ist, hoffe ich, dass es bald ein Ende hat. Er wird in wenigen Wochen Onkel. Ich möchte, dass er seine Nichte gern kennenlernt und Hopes und meine Beziehung endlich akzeptiert. Zwischen den beiden ist nie etwas vorgefallen, weshalb ich den Grund seiner Abneigung nicht verstehe.
»Ich habe mich auf der Terrasse des Cafés mit ihm unterhalten. Er scheint ganz okay zu sein.« Ganz okay?
»Hast du Fieber?« Ich stehe auf und beuge mich über den Tisch, um an seiner Stirn zu fühlen, werde jedoch von meinem klingelnden Telefon unterbrochen.
»Wenn man vom Teufel spricht.« Ich grinse breit und nehme den Anruf an.
Clay findet niemanden ganz okay. Ganz okay ist seine Definition von viel mehr. Vielleicht wird Lenny Clays erster Freund nach etlichen Jahren, in denen er Kontakt zu Leuten vermieden hat. Vielleicht kennt Lenny Frauen, die es mit meinem großen Bruder aushalten wollen.
»Lenny! Schön, dich zu hören. Wir haben gerade über dich...« Ich werde von einer aufheulenden Sirene unterbrochen, bevor ich Hopes Stimme höre.
»Nate... du... du musst nach Hause kommen. Bitte«, schluchzt sie, worauf ich mich wieder in den Stuhl fallen lasse und die Luft anhalte. Wieso sollte sie über Lennys Handy anrufen, während sie weint?
»Ashley, alles wird gut.« Es raschelt für einen Moment, bevor ich Lenny sich räuspern höre. »Kannst du ins Krankenhaus kommen? Ashleys Fruchtblase ist vor einer halben Stunde geplatzt. Wir sind auf dem Weg dorthin.«
Ihre Fruchtblase kann noch nicht geplatzt sein. Sie hat noch sechs Wochen vor sich. Vielleicht hat sie ihre Blase nur nicht unter Kontrolle gehabt und es ist ein wenig daneben gegangen. Aber ein Blasensprung? Das ist unmöglich.
»Nathaniel?« Ich zucke zusammen, als sich eine Hand auf meine Schulter legt und zudrückt.
»Gib mir dein Handy.« Ich unternehme nichts dagegen, als er es mir aus der Hand nimmt und anfängt, mit Lenny zu reden. Ich verstehe nicht, worüber sie reden. Zu laut ist das Rauschen in meinen Ohren. Ich hätte heute zu Hause bleiben sollen. Hätte ich es gewusst, wäre ich nicht in mein Auto gestiegen und zu meinen Eltern gefahren, die etwas mehr als eine halbe Stunde von der WG entfernt wohnen. Exklusive dem Stau auf den viel befahrenen Straßen.
»Muss ich dich ins Auto tragen?« Der Griff an meiner Schulter wird stärker, worauf ich meinen Blick hebe und mir schnell eine Träne von der Wange wische. Ich hoffe, das hier ist alles nur ein blöder Traum. Wenn ich aufwache, liege ich in meinem Bett. Mit Hope in meinen Armen.
»Ich muss zu Hope.« Schwankend stehe ich auf, bevor alle Dämme brechen und ich mich in den Armen meines Bruders wiederfinde. Es ist eine Ewigkeit her, seitdem wir uns das letztes Mal so richtig umarmt haben. Die Umarmung bei der Hochzeit unseres Cousins war ein Anfang, aber noch lange nicht das, was es damals war. Das hier schon eher. Als ich traurig war, kam Clay zu mir und hat mich in seinen Armen gehalten, bis ich aufgehört habe zu weinen. Selbst, als wir eigentlich schon viel zu alt dafür waren.
»Ich fahre dich. Mach dir keine Sorgen. Die Ärzte wissen schon, was sie machen. Die Sanitäter gehen davon aus, dass das Baby in den nächsten Stunden kommt. Aber sie konnten nichts negatives finden. Die Fruchtblase ist geplatzt, das passiert bei jeder Geburt.« Das ist mir bewusst. Aber es ist viel zu früh für eine Geburt. Ich bin noch nicht fertig, die Kommode der Kleinen aufzubauen.
»Aber Hope... sie braucht mich jetzt. Ich bin der Vater des Kindes. Ich bin ihr Verlobter, scheiße!« Ich löse mich aus der Umarmung und drehe mich um, bevor ich schon beinahe ins Haus laufe. Jede Minute, in der ich nicht bei Hope bin, ist schlecht. Sie hat Angst und ich kann nicht bei ihr sein, um sie in meine Arme zu ziehen und ihr ins Ohr zu flüstern, dass alles gut wird.
Beinahe laufe ich in Darla, die mit meiner Mom und Addy gerade um die Ecke kommt. Schnell entschuldige ich mich und will weitergehen, als meine Mutter mich schweigend in eine Umarmung zieht. Ich habe keine Zeit für Umarmungen.
»Was ist passiert, Nene? Haben du und Clay euch gestritten?« Bei einem Streit mit meinem Bruder weine ich schon lange nicht mehr.
»Hopes Fruchtblase ist geplatzt. Clay fährt mich. Ich muss zu ihr.« Mom verstärkt ihren Griff, anstatt sich von mir zu lösen, was mich frustriert aufstöhnen lässt. Gekuschelt werden kann nachher.
»Mom, lass mich los.« Einen Moment später schaffe ich es, mich aus der Umarmung zu lösen und gehe schnellen Schrittes zur Haustür, bevor ich einen Moment später vor Clays Wagen warte und unruhig mit meinen Fingern spiele. Eine halbe Stunde, dann bin ich bei ihr. Alles wird gut werden. Dem Kind und Hope wird es gut gehen.
»Hier, falls du kotzen musst.« Clay drückt mir eine Tüte in die Hand und umrundet seinen Wagen schließlich.
Als kleines Kind habe ich mich immer übergeben, wenn ich zu aufgeregt war. Und bevor es seit Jahren das erste Mal wieder in dem Wagen meines Bruders passiert, ist die Tüte keine schlechte Idee. Absolut keine schlechte Idee.
Kurz vor dem Krankenhaus passiert es nämlich. Seit knapp sieben Jahren muss ich mich übergeben, weil ich mit meinen Gefühlen nicht klarkomme.
»Hättest du nicht noch fünf Minuten aushalten können?« Clay fährt sein Fenster runter und gibt ein Kotzgeräusch von sich, trotzdem fährt er mit seiner Hand über meinen Rücken und lässt mich so lange über die Tüte gebeugt sitzen, bis wir am Parkplatz der Notaufnahme ankommen.
Mit einem undefinierbaren Laut bedanke ich mich bei Clay und öffne die Beifahrertür zitternd, bevor ich die warme Luft San Franciscos einatme. Besser als die Luft der Klimaanlage im Auto.
»Gib mir die Tüte.« Clay steht neben mir und schlingt einen Arm um meine Hüfte, bevor er mir die Tüte aus der Hand nimmt und sie wenig später in den Mülleimer neben dem Eingang wirft. Gleich werde ich Hope sehen.
»Hast du ein Kaugummi?«, frage ich leise und wische mir über die Augen, um meine Tränen abzuwischen.
Schweigend hält er mir eins hin, welches ich direkt in meinen Mund stecke und zur Anmeldung gehe, hinter der eine ältere Frau in knallpinkem Kasack sitzt.
»Ashley Collins wurde eben eingeliefert. Ich muss zu ihr«, erkläre ich und schaue hilfesuchend zu Clay, als mich die Frau schweigend anschaut und nach einem Moment auf den Wartebereich zeigt. Den Teufel werde ich tun, mich dort hinzusetzen.
»Nur Familienangehörige dürfen zu ihr. Ihre drei Freunde sitzen auch schon im Wartezimmer. Setzen Sie sich zu ihnen.« Ich lache auf und fahre mir durch die Haare. »Ich bin ihr Verlobter. Und das ist mein Kind in ihrem Bauch. Also bitte, lassen Sie mich zu ihr.« Seufzend schlägt sie eine Akte auf und überfliegt diese.
»Nathaniel von Livingston?« Ich nicke und habe das Gefühl, ich muss mich gleich erneut übergeben.
»Sie sind ihr Notfall-Kontakt. Warten Sie einen Moment hier, eine Schwester wird Sie abholen.« Erleichtert atme ich aus und lehne meinen Kopf gegen die Schulter von Clay, der nur brummt, trotzdem keinen Schritt zurück macht. Heute reißt er sich für mich zusammen und dafür liebe ich ihn.
»Haben Sie eine Tüte für meinen Bruder?« Sieht man es mir an, wenn ich kurz davor bin, mich zu übergeben? Wunderbar.
Einen Moment später wird mit eine Nierenschale hingehalten, in die ich gerade noch rechtzeitig meinen Mageninhalt befördere.
»Nathaniel?« Ich hebe meine Hand, während ich noch für einen Moment über der Schale verharre und mich dann wieder aufrichte. Hoffentlich sollte es jetzt vorbei sein.
»Geht es wieder?« Ich drehe mich zu Clay und nicke kurz angebunden. Zu viel Bewegung für meinen Kopf ist nicht zielführend.
»Gut. Dann geh jetzt zu Ashley, ich setze mich ins Wartezimmer.« Er hätte auch wieder nach Hause fahren können. Wer weiß, wie lange ich hier heute noch sitzen werde.
»Ihrer Verlobten geht es den Umständen entsprechend gut. Sie ist in der dreiunddreißigsten Woche, richtig?« Ich räuspere mich und schüttle den Kopf. »Seit gestern in der vierunddreißigsten. Ist es gefährlich, dass die Fruchtblase heute schon geplatzt ist? Ist das Kind gefährdet? Oder Ashley?«, will ich wissen und spanne mich an, als die Schwester eine Hand auf meinen Rücken legt.
»Das Kind ist überlebensfähig, machen Sie sich keine Sorgen. Und Ihrer Verlobten passiert ebenfalls nichts. Die beiden sind in guten Händen.« Ich nicke und halte die Luft an, als sie eine Tür öffnet, hinter der Hope auf einem breiten Bett sitzt und laut aufschluchzt, als sie mich sieht.
»Hey«, flüstere ich und bedanke mich bei der Schwester, bevor ich zu Hope gehe und mich auf die Bettkante setze.
Sie antwortet nicht, lässt sich nur gegen meine Brust sinken, als ich meine Arme um sie schlinge.
»Alles wird gut.« Ich presse einen Kuss auf ihren Scheitel und lege eine Hand auf ihren Bauch.
»Du müffelst ein wenig«, bringt sie hervor und lässt sich zurück in das Kissen fallen. Sie trägt eins meiner Shirts, über ihrem Schoß liegt die Decke.
»Sorry. Ich habe mich eben ein paar Mal übergeben. Soll ich kurz ins Badezimmer gehen?« Hope schüttelt den Kopf und rutscht ein wenig auf die Seite, damit ich ein wenig mehr Platz habe.
»Kannst du dich einfach neben mich setzen? Ich habe Angst.« Ich streife mir meine Schuhe von den Füßen und schlüpfe wenig später unter die Decke.
»Hast du Schmerzen?«, will ich wissen und schlinge einen Arm um ihre Schulter, worauf Hope ihren Kopf an meiner Halsbeuge versteckt.
»Wehen. Aber noch in sehr großen Abständen. Ich habe mit Lenny nur im Bett gesessen und plötzlich war alles nass. Gott, das war so peinlich. Sein ganzes Bett ist wegen mir verschmutzt.« Ich streiche Hope die Tränen von den Wangen und atme ihren lieblichen Duft ein. Sie ist meine eigene, persönliche Blumenwiese.
»Das ist Lenny wahrscheinlich egal. Hauptsache, dir und unserer Prinzessin geht es gut. Ruh dich noch aus, solange es geht. Die Geburt ist nicht in einer Stunde geschafft.« Mom lag über mehrere Stunden in den Wehen, als sie Addy zur Welt gebracht hat. Aber sie sagt selbst, dass sie jede einzelne, schmerzhafte Sekunde wieder erleben würde, wenn sie noch ein weiteres Kind bekommen sollte.
»Bis jetzt konnte ich mich nicht ausruhen. Ich bin froh, dass du hier bist.« Ich lächle und lehne mich zu ihr vor, um ihr einen Kuss auf die Lippen zu hauchen. Wir werden Eltern. Wenn die Wehen stärker und regelmäßiger werden, können wir morgen schon Eltern werden.
»Ich werde bei dir bleiben. Alles wird gut, das verspreche ich dir.«
Ohhh, vorletztes Kapitel 🥲
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