zwei
FOREVER. labrinth
Z W E I
Die Stille.
Diese unumgehbare Stille, als er einige Augenblicke nur ausdruckslos auf mich herabsah. Ich suchte währenddessen nach dem Marcel, den ich gelernt hatte zu lieben, doch ich fand ihn nicht. Die Wut in seinen Augen versperrte mir den Weg zu seinem - von Alkohol betäubten - Herz.
»Kenya?«
Ich zuckte zusammen. Mein Atem stockte, als mein Name seine Lippen mit einer Welle Ekel verließ. Ich spürte, wie sich Schweiß über meinen Körper ausbreitete und mein Plus sich erhöhte. Sein Blick verriet mir nichts, und genau das jagte mir ein Schauer ein.
»Marcel, Ich-«
Die einstigen Träger meines Universums hatten jeglichen Glanz versenkt, denn in dieser einen Nacht verlor er sich in der Bitterkeit des Alkohols, wie die Liebe, die er für mich empfunden hatte. Die passionierte Liebe, die uns beide verrückt gemacht hatte und nacheinander flehen ließ. Sie war verschwunden. Verblasst, wie sein verschmitztes Lächeln, getränkt in der Sehnsucht nach der gelblichen Brühe, die eine der Gründe für unser elendes Vergehen gewesen war.
Und jetzt?
Irgendwas musste da noch sein.
Irgendwo musste er noch für mich brennen, mich Sein nennen wollen und nicht "das Miststück".
Nein, das Biest in ihm hatte ihn gefasst. Es hatte ihn verschlungen, ihm - genauso wie mir - jegliche Würde geraubt. Ich wollte ihn zurück, den Mann, in den ich mich vor Jahren verliebt hatte. Ich schnappte nach Luft, fuhr über meinen trockenen Hals.
»Was...Was machst du da?« Er näherte sich mir, ich trat beiseite. Bald trafen meine Fersen auf den isolierten Esszimmerboden. Panisch blickte ich um mich herum, suchte nach einem Ausweg aus dieser Situation.
Währenddessen kam er mir näher. Er leckte sich über die Lippen, als er mit einem breiten Grinsen kopfschüttelnd auf mich zukam. Ich fasste nach hinten, knallte gegen den Esszimmertisch. Die Dekokerzen und der Obstkorb fielen zu Boden. Ihn störte es nicht. Er räumt das Durcheinander nämlich nie auf, ich tat es.
»I-Ich gehe«, murmelte ich und senkte meinen Blick zu Boden. Ich spielte mit meinem Verlobungsring, zog ihn an und aus. Er war schon immer etwas lose gewesen und vielleicht hätte ich ihm sagen sollen, dass ich eher einen goldenen Ring gewollt hätte.
»Hm, du gehst?«, lachte er mit einem unheimlichen Unterton. Seine dunklen Haare klebten an seiner schweißbedeckten Stirn und ein Grinsen schmückte seine Lippen. Ich musste fliehen, ihm entkommen, doch wie angewurzelt stand ich gekrümmt vor dieser verfluchten Wohnungstür und ließ meinen letzten Atemzug auf meiner Zunge zergehen.
»Ich...« Mein Körper zitterte, dabei war ich eben noch so entschlossen gewesen. Was passierte gerade mit mir? Das Zittern nahm nur zu, als ich irgendwelche Worte vor mir hinmurmelte. »Ich gehe«, wiederholte ich mich.
Stille und die Hoffnung, dass er mich gehen lassen würde. Bei dem Schweigen kam es mir sogar so vor, als könnte ich das Blut durch meine Adern fließen hören. Er atmete scharf ein, kam auf mich zu. Tränen verschwammen mir die Sicht. Verdammt! Fast hätte ich es geschafft, mein Leben erneut zusammenzukriegen. Fast hätte ich es geschafft, mich aus seinen giftigen Fängen zu befreien.
»Bitte nicht«, krächzte ich. Meine Finger tasteten nach irgendetwas, das mir diese Situation ersparen könnte. Sein Atem streifte meinen Nacken. So nah waren unsere Lippen und ich wollte ihn küssen, ja. Ich liebte diesen Mann und ich ekelte mich vor dem Biest mit seiner abscheulichen Art. Ich überlegte, was er wohl dieses Mal mit mir anstellen würde. Eine Ohrfeige? Einen Tritt in den Bauch? Oder würde er mich ins Schlafzimmer verfrachten und meinen Körper in Anspruch nehmen, wobei er Letzteres noch nie gewagt hatte.
»Denkst du wirklich, du kannst mir entkommen? Du gehörst mir....hörst du? Mir!« Er fasste mein Kinn und presste seine Lippen erneut auf meine. Ich zog mich zurück, doch sein Griff war zu fest und bald spürte ich, wie seine Zunge über meine Unterlippe streifte. »Ich will dich.«
»Lass mich los! Ich will gehen.«
Er lachte. Ein hässliches Geräusch, das mir einen Schauer einjagte. »Ich brauche dich. Ich liebe dich, Kenya. Ich brauche dich«, wiederholte er mehrmals. Mit einem Mal bahnten sich sein Hände einen Weg über meinen unteren Rücken, und da fasste er meinen Hintern. »Fuck, Kenya. Wir gehören zusammen. Du bist Mein. Mein«, flüsterte er.
»Hör auf«, hauchte ich, versuchte dabei seine Hände von meinem Körper zu befreien. »Alles außer das, bitte. Du weißt, dass...dass-«
Er war noch nie so weit gegangen, doch heute schien die Barriere umso durchsichtiger. Wir beide wussten, dass diese eine Geste mich zerstören würde.
»Ich dachte, du magst das.« Mein Kleid schob er beiseite, fuhr mit seinen Fingern über meine nackten Oberschenkel, ich schluckte. Wie angewurzelt stand ich hier, spürte, wie er sehnsüchtig meinen Körper mit seinen Lippen erkundigte.
»Nicht so. Nicht das hier.« Ich weinte erneut, denn der Gedanke an das, was er mir in den nächsten Minuten antun wollte, jagte mir ein Schauer ein. Bevor ich etwas erwidern konnte, schlug er mir mit seiner Faust ins Gesicht. Die warme Flüssigkeit, die mir aus der Nase lief, kannte ich zu gut.
»Sowas passiert, wenn man seine Schnauze nicht halten kann.« Seine Mundwinkel zuckten hoch, doch es kam mir eher wie eine Grimasse vor. Ich erstickte fast an dem Geruch von Alkohol. »Ich brauche dich.« Immer wieder murmelte er diese Worte vor sich hin, während ich mich bemühte die Augen aufzuhalten.
»Fass mich nicht an.« Ein Wunder, dass ich diese Worte zwischen meinem Schluchzen herausbrachte. Mein Herzschlag nahm zu. Es ging plötzlich alles so schnell. Seine Lippen fuhren erneut über meinen Hals, ich verkrampfte mich.
»Ich liebe dich, das weißt du. Wir brauchen einander, Baby.«
»Du tust mir weh.« Meine Worte schienen nur an ihm abzuprallen, denn plötzlich fuhr er mit seinen Fingern höher, griff nach dem dünnen Stoff.
»I-Ich liebe dich nicht mehr«, sprach ich schlussendlich lauter als gedacht. Diese Worte waren hart. Am meisten brachten sie aber ihn aus dem Konzept, denn plötzlich hörte er auf an meinem Schlüpfer zuzerren und trat mehrere Schritte zurück.
»Nein, nein...du lügst. D-Du bist eine verdammte Lügnerin.«
Ich hätte das niemals sagen sollen, nein. Vielleicht liebte ich ihn noch immer, denn Liebe kann doch nicht einfach so verblassen. Vor einigen Tagen wollte ich noch Sein sein, ihm gehören, doch heute zerbrach diese Illusion und die Realität schmerzte umso mehr. Mein Blick streifte durch den verwüsteten Raum. Äpfel lagen auf dem Boden, eine leere Weinflasche, meine Reisetasche vor der Wohnungstür.
»D-Du liebst mich, Kenya...du musst mich lieben. Wenn nicht du, wer dann?«, wiederholte er mehrmals. Marcel raufte seine Haare, biss sich auf seine Unterlippe und ich blickte nur sprachlos dabei zu, wie er langsam die Fassung verlor.
»Ich habe dich geliebt, Marcel« Ich sah, wie er hysterisch durch den Raum stampfte. »Ich habe dich geliebt, ja. Ich habe alles für dich getan. Verdammt! Du hast mir alles genommen!», schrie ich schlussendlich und ließ alles über mich ergehen.
Es stimmte, er hatte mir alles genommen. Meine Familie, mein Selbstwertgefühl, alles. Jetzt verspürte ich nur noch Ekel, wenn ich mich im Spiegel betrachtete, mit den blauen Flecken und manchen Wunden. Das Mädchen im Spiegel schrie nach Hilfe, sie stand am Abgrund. Ich flüsterte ihr zu, dass alles wieder gut werden würde, dass er sie liebte, dass er wieder zu dem Mann werden würde, dem sie gelernt hatte zu vertrauen.
Er liebt sie, doch er liebt mich nicht.
Das Mädchen im Spiegel liebt ihn, doch ich, ich liebe ihn nicht...nicht mehr.
»Ich kann nicht mehr«, hauchte ich ein letztes Mal.
»Ich liebe dich.« Seine Hand griff nach meiner, doch ich war stur und zog sie zurück.
»Wieso tust du mir dann so weh?«
Erneute Stille, denn eine Antwort darauf hatte keiner. »Wieso verletzt man die Menschen, die man liebt? Wieso?«
»Aus Angst, sie könnten es vor einem tun.« Er hielt inne, sah mir in die Augen. Was meinte er damit? Ich sah den Schmerz in seinen Augen, die Verzweiflung. »Du bist alles was mir bleibt und du...du brauchst mich, Kenya«, sagte er dazu nur. »Ohne mich bist du auf dieser Welt aufgeschmissen, denn ohne mich bist du nichts.«
Er hatte Recht.
Teller flogen durch den Raum, Fotos unserer Verlobung, Vasen, die ich über alles liebte. Ich gewöhnte mich langsam an das Geräusch der brechenden Teller, der verblassenden Erinnerungen und Gefühle für diesen Mann. Der Schmerz wurde unertragbar, mein Herz verfiel dem Stechen, ich fasste mir an die Brust. Langsam bahnte ich mir einen Weg zur Haustür, mein Magen schmerzte.
»Kenya? Denkst du wirklich, du kannst mir so einfach enkommen?«, grinste Marcel. Er griff nach einer Rotweinflasche und goss sich erneut etwas ein. Dabei schien er ziemlich ruhig. Viel zu ruhig.
»D-Du brauchst Hilfe, Marcel.«
»Ich habe dir alles gegeben!«, spuckte er und trat wiederholt näher. Eh ich etwas erwidern konnte, fasste er meine Kehle. Seine Hände legten sich um meinen Hals und mit seinem Daumen drückte er gegen meine Luftröhre. »Aber jetzt... jetzt werde ich dir alles nehmen.«Mein Rücken knallte gegen die beige Wand, während er bemüht versuchte seinen Gürtel zu öffnen. Einige der Bilderrahmen waren zu Boden gefallen, doch das interessierte mich in dem Moment am wenigsten. Ich fasste seinen Arm, versuchte seine Finger von meinem Hals zu befreien, doch er ließ nicht nach.
Sekunden vergingen, in denen er in dieser Position verharrte. Seine Hose streifte er runter, mein Kleid hoch. Ich hatte mir den Tod noch nie so sehr gewünscht, wie zu dem Zeitpunkt, und ich verstand, dass ich dem Jenseits näher stand, als meine Augen drohten zuzufallen. Mein Körper machte schlapp, die Atemnot wurde immer präsenter.
Marcel blickte auf mich, sein Opfer, leckte sich - wie schon so oft heute - über die Lippen. Die Beule rieb er gegen meinen Oberschenkel, ich schluchzte, spürte, wie die letzte Kraft mein Leib verließ.
»Ich wollte nicht, dass das zwischen uns so endet. Wirklich nicht. Es tut mir so leid. Er hat mich zu dem gemacht. Er. I-Ich wollte nie wie mein Vater werden« Ermüdet streiften meine Augen seine tränengefüllten. Seine Stimme schien nun einen sanften Ton angenommen zu haben. Zum ersten Mal erlebte ich ihn so verletzlich und klein. »Ich brauche dich mehr als alles andere auf dieser Welt. Ich liebe dich, hö-«
Plötzlich bekam ich mit, wie die letzten drei Jahre meiner Existenz in Asche zerfielen. Meine Umgebung verschwamm vor meinen Augen, nur so gerade erkannte ich meinen Verlobten vor mir. Sein Gesicht war rot vor Wut.
Nur so halb nahm ich das Klopfen an der Wohnungstür war. Marcel zögerte nicht, er ließ los und ich krachte zu Boden. Hustend fasste ich mir ans Herz, krümmte mich vor Schmerz.
»Die Alte schon wieder«, murmelte er, nachdem er durchs Türloch gespickt hatte.
Frau Bachmann, die wahrscheinlich netteste Person, die ich in dieser Stadt kennengelernt hatte und die einzigste, die mein Leiden bemerkt hat. Sie hatte durch meine Lügen lesen können, und seitdem Marcel davon wusste, wurden seine Ausraster immer regelmäßiger.
»Wehe du sagst etwas«, brummte er und zog seine Hose zurecht. Marcel schloss die Tür auf und öffnete sie, aber nur im kleinen Spalt.
»Frau Bachmann!« Übertrieben lächelte er die Rentnerin an, diese erwiderte sein Lächeln vorerst aber nicht.
»Ich habe Geräusche gehört, ist alles in Ordnung bei Ihnen?« Neugierig versuchte sie in unsere Ein-Zimmer-Wohnung reinzuschauen, doch Marcels breite Figur versperrte ihr den Weg.
»Mir sind einige Teller runtergefallen, also nichts Schlimmes. Sie wissen ja, wie tollpatschig ich manchmal sein kann«, raufte er erneut die gleiche Ausrede zusammen, die er ihr auch vor drei Tagen gegeben hatte.
»Das weiß ich. Ich versuche zu schlafen, außerdem ist es schon fast Mitternacht«, beschwerte sich die 70-jährige vor meinem Verlobten und stemmte ihre Hände in die Hüften.
»Ich kann Ihnen wirklich versichern, dass ich das nächste Mal leiser sein werde.« Marcel fuhr sich durch die glatten Haare und wollte schon gehen, doch sie hielt ihn auf.
»Ich habe auch Geschrei gehört. Geht es dem lieben Mädchen gut?«
»Das liegt dann wahrscheinlich am Fernseher und Kenya? Sie ist momentan erkältet. Zu dieser Periode erkälten sich die meisten schnell. Ich muss Sie aber jetzt bitten zu gehen, denn ich lege mich jetzt auch wieder hin.«
Skeptisch musterte die Rentnerin meine Verlobten, erwidern tat sie allerdings nichts. Sie ließ nach und zog sich wieder in ihre eigene Wohnung zurück, nachdem Marcel ihr die Tür vor der Nase zugeknallt hatte. Anschließend drehte er sich wieder zu mir, die ihn entgeistert ansah. Auch er schien erst jetzt zu realisieren, was gerade passiert war und was er fast getan hätte.
»Es tut mir leid, hör mir zu.« Er fasste meine Hand, ich reagierte auf diese Geste aber nicht. Es war so, als hätte mein Geist meinen Körper verlassen, denn ich konnte nicht fassen, dass er diese Barriere fast überschritten hätte. »Kenya, ich wollte das nicht. Du machst mich verrückt. Wärst du einfach nur still geblieben, wäre ich gar nicht erst so weit gegangen. Es tut mir leid, Baby.«
Er zog mich in seine Arme, überhäufte mich mit Küssen. Sie halfen nicht, nein, sie heilten die Wunden, die er nach zehn Jahren erneut aufgerissen hatte, nicht mehr. Sie waren nutzlos, denn mein Körper war leer. »Es ist alles deine Schuld. Du hast damit angefangen. Wenn..wenn-.«
Ich fühlte nichts mehr, auch als er seine Worte mehrmals wiederholte, seine Lippen auf meine presste. Erst als er bemerkte, dass das nichts nützte, trat er zurück und zog sich ins Bad zurück. Ich hörte das Poltern, das Zerbrechen eines Spiegels, lauter Schimpfwörter.
Ich atmete regelmäßig ein und aus. Mein Körper schien mir fremd, ich hatte das Gefühl, an meinem eigenen Speichel zu ersticken. Langsam rappelte ich mich aus der Ecke auf, bahnte mir einen Weg durch die Scherben. Mein Kopf war leer, mein Körper zitterte, als ich die Reisetasche ergriff und die Wohnungstür aufriss.
Mein Verschwinden bemerkte er erst, als ich die erste Treppe des mehrstöckigen Gebäudes gefasst hatte. Meine Reisetasche klemmte ich am meinen Magen, versuchte den Schmerz zu lindern. Mir fehlte fürs Leben jegliche Kraft, denn mit einem Mal fassten mich die Müdigkeit, der Schwindel und ein Haufen Gefühle. Ich stolperte die Treppen runter, hielt mich an dem eisernen Gelände fest.
»Kenya!«, hörte ich ihn von weitem schreien. Mein Atem verschnellerte sich, meine Schritte wurden größer und auf einmal ging es um Leben und Tod. »Du bist sowas von tot, wenn ich dich kriege!«
©madeincameroon
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Hallo meine Lieben, natürlich hoffe ich, dass euch das zweite Kapitel aich gefallen hat.
Lasst euren Gedanken und Gefühlen in den Kommentaren gerne freien Lauf und falls euch irgendwelche Schreibfehler oder sogar Logik-/Handlungsfehler auffallen sollten, könnt ihr mir das natürlich auch sagen.
Bis zum nächsten Mal.
-kiss kiss
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