zwanzig
STILL DON'T KNOW MY NAME. labrinth
Z W A N Z I G
Nightlife Club, leuchteten die Buchstaben auffällig im Dunkeln. Ein Blick zum Eingang verriet mir, dass wir nicht die einzigen waren, die zu dieser Uhrzeit unterwegs waren. Dieser Anblick war gefolgt von einem Gefühl von Unsicherheit und Besorgnis.
Es waren gerade mal zwei Stunden her, seitdem Sarah und ich zum ersten Mal seit langem ein tiefgründiges Gesgeführt hatten. Wir hatten beide darunter gelitten, doch davon war in Sarahs Augen keine Spur mehr zu sehen. Die Idee, um diese Uhrzeit feiern zu gehen, war ja auch ihre gewesen. Laut ihr, würde das Feiern uns helfen, Beatrice ein für alle Mal aus unserem Leben zu verabschieden. Obwohl mir diese Idee nicht gefiel, hatte ich zugesagt, weil ich ihr einen Gefallen tun wollte. Sie hatte so verzweifelt ausgesehen und als Schwester war ich zu fast allem bereit, um sie lächeln zu sehen. Wenn das Feiern zu einer der Dinge zählte, würde ich es über mich ergehen lassen. Nun saß in diesem winzigen Wagen und hinterfragte mein Leben.
,,Ich denke noch immer nicht, dass das eine gute Idee ist-" Zögerlich öffnete ich die Autotür und trat in die kühle Dunkelheit. Von weitem hörte man bereits die Musik und das Lachen der Clubbesucher.
,,Komm schon Kenya", sprach Sarah und fuhr erneut mit dem blutroten Lippenstift über ihre Lippen.
Ich seufzte bei ihren Worten und dachte nach. Vielleicht hatte sie Recht und ich stellte mich wirklich an. Also zwang ich mich zu einem breiten Lächeln und hackte mich bei Sarah ein. Kaum hatten wir den Club betreten, bereute ich meinen Enthusiasmus.
Mit einem Schlag trafen mich verschiedene Gerüche, die ich nur mit viel Mühe zuordnen konnte. Schweiß, Alkohol und laute Musik. Sarah schien letzteres am meisten zu genießen, denn plötzlich tanzte sie genüsslich zur Melodie. Als sie mich anlächelte, lächelte ich gezwungen zurück, um ihr zu signalisieren, dass ich nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten aus dem Gebäude stürmen würde. Wobei dieser Gedanke ziemlich verführerisch klang.
Mein Körper verkrampfte sich bei dem Kontakt mit fremden, vollgeschwitzten Körpern. Wie lange war es wohl her, seit ich das letzte Mal feiern war? Zwei Jahre, vielleicht auch fünf. So ganz genau wusste ich es nicht, denn mit dieser Zeit hatte ich abgeschlossen. Es fühlte sich so an, als hätte ich das Tanzen und das Spaßhaben verlernt.
Ich fühlte mich nicht wohl, doch Sarah tat es, also zählte ich die Stunden bis der Club schließen würde. Tatsächlich hatte ich mich von Sarah zu diesem Ausflug in einen unbekannten Club in der nächsten Großstadt überreden lassen. Würde es nach mir gehen, wäre ich auf der Couch liegen geblieben. Sarahs schlagfertigen Argumente hatten mich dann doch umgestimmt und jetzt stand ich zwischen einer tanzenden Menge junger Menschen.
Sie tanzte zu der dröhnenden Musik, die nicht einmal ansatzweise mein Geschmack war. Nach einer Weile folgte ich Sarah zur Theke, die sie anscheinend auch im Dunkeln fand. Daraus schlussfolgerte ich, dass sie sicherlich nicht das erste Mal hier war. Meine Füße baumelten unbeholfen gegen den Barstuhl meiner Schwester, die sich schon ihren dritten Sex on the Beach bestellte. Ich legte mein Glas Cola an meine Lippen und versuchte das Gefühl der Leere mit Tonnen Zucker zu betäuben.
,,Sarah, du solltest nicht zu viel trinken!", schrie ich in Sarahs Richtung, doch sie hörte mich kaum. Ich musterte sie, wie sie gekrümmt auf dem Barhocker saß und versuchte dem Schmerz mit einigen Gläsern Alkohol zu entkommen.
,,Es tut mir leid, Ken", flüsterte Sarah. Ihr Lächeln war verschwunden und plötzlich erkannte ich ein Spur Mitleid in ihren Augen. ,,Es tut mir so leid." Die nächsten Sekunden blendete ich die Musik aus, ließ ihre Worte durch meine Gedanken schweifen. Ich verstand sie nicht, war davon überzeugt, dass das an ihrem viel zu hohen Alkoholkonsum lag. Ihr trauriger Ausdruck widersprach meinen Gedanken jedoch.
,,Was? Was tut dir leid?", schrie ich sie an. Sarah hingehen war schon längst wieder in ihrer Welt abgetaucht und kippt sich ein wenig mehr der Brühe in die Kehle. Verzweifelt fasst ich meiner Schwester an den Arm.
,,Alles", formte sie das Wort mit ihren Lippen. Anschließend zog sie ihr Kleid zurecht.
Das schwarze Kleid, was sie in der heutigen Nacht trug, stand Sarah verdammt gut. Sie hatte schon immer einen schönen Körper gehabt, mit den langen schlanken Beinen und der Tatsache, dass sie auch nach zwei Kilo Pommes nicht zunahm. Meine Schwester besaß nunmal das, was die Männer wollten. Keine fünf Minuten später bekam sie ein Glas Bier angeboten, nachdem ich mich vergewissert hatte, dass der Typ ihr nicht irgendwas reingeschüttet hatte.
Seufzend ließ ich meinen Kopf in meine Hände fallen und rieb mir über meine Augen. Der heutige Tag war anstrengend gewesen, obwohl ich Likas Anwesenheit insgeheim sehr genoss. Trotzdem hätte ich nie damit gerechnet, dass die Arbeit als Putzkraft so anstrengend sein könnte.
,,Hey", riss mich eine unbekannte Stimme aus meinen Gedanken. Grinsend lehnte sich ein Fremder in meine Richtung und fuhr sich durch sein fettiges Haar. ,,Willst du etwas trinken? Du siehst so aus, als könntest du das ganz gut gebrauchen."
Zumindest ging ich davon aus, dass er das gesagt hatte. Mein Fokus hatte in den letzten Sekunden eher auf seinen gelben, ranzigen Zähnen gehangen. Dann war da auch noch der strenge Whiskygeruch. ,,Zwei Pink Panthers", bestellte der Blindhaarige für uns ohne auf meine Antwort zu warten.
,,Nein Danke, ich habe schon meine Cola."
Mit meiner Antwort gab er sich aber nicht zufrieden, sondern versuchte es nun auf eine andere Art. Seine schmutzigen Finger legte er auf meinen Oberschenkel und wanderte diesen gefährlich hoch. ,,Du und ich, wir könnten ziemlich viel Spaß zusammen haben. Mein Vetter hat mir erzählt, dass ihr Schwarzen im Bett ziemlich temperamentvoll seid."
Seine Hand auf meinem Oberschenkel, seine Worte, der Whiskygeruch ließen die Panik in mir steigen. Und dann waren da noch seine Worte, die in mir gemischte Gefühle auslösten. ,,Fass mich nicht an, du Vollpfosten!", keifte ich ihn an. Was fiel ihm ein, zu denken, dass er sich bei einer Frau alles erlauben konnte.
,,Ach komm schon-."
Bevor er aussprechen konnte, unterbrach ich ihn mit einer Backpfeife. Verdammt, tat das weh.
Im nächsten Moment stolperte ich von meinem Hocker, auf der Flucht vor dieser verstörenden Begegnung. Anscheinend war der Fremde viel zu betrunken gewesen, um einen Fuß vor den anderen zu setzen, geschweige mir zu folgen. Mit schnellen Schritten suchte ich nach den Toiletten, denn Sarah würde ich in dieser Menge niemals finden.
Die Toiletten waren vor diesem Übergriff meine letzte Hoffnung, runterzukommen. Doch das schaffte ich in dem geschätzt drei Meter breiten Raum kaum. Ich traute mich nicht einmal, mich an die Wand zu lehnen. Worte wie Fick mich unter 01... standen mit Edding auf den mittlerweile grauen Fliesen. Der Spiegel war verschmutzt, voller Lippenstift und Staub. Ich zuckte bei diesem Anblick zusammen, hielt die Luft bei dem strengen Gestank von Urin an.
Mein Hals brannte, als wäre ich einen Marathon gelaufen und das ohne Grund. Plötzlich fühlte ich mich schmutzig. Sein Handabdruck hatte sich wie eine Nadel in meine Haut eingebrannt und egal, wie oft ich über die Stelle für, das Gefühl verschwand nicht. Dieses Gefühl hatte ich auch damals, denn jede von Marcels Berührungen hatte sich wie ein Nadelstich angefühlt und an manchen Tagen spürte ich den Abdruck noch immer. Heute war einer dieser Tage, nur war es heute nicht Marcels Hand gewesen. Meine Gedanken spielten plötzlich verrückt, schmissen mich wieder in den Käfig zurück, den ich vor einiger Zeit Zuhause genannt hatte.
,,Nein, nein", murmelte ich leise und versuchte meinen Atem zu kontrollieren. Ohne Erfolg.
Meine Verzweiflung konnte man alleine schon im Spiegel anhand meiner zitternden Unterlippe erkennen. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass es so schlimm sein würde? Dabei hatte ich mir das alles doch ganz anders vorgestellt. Mit viel weniger Dingen, die mich an Marcel erinnerten. Ich drehte den Wasserhahn auf und spritzte mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht. Ich fühlte mich müde, ausgelaugt, leer.
,,Scheiße, Kenya", flüsterte ich. Meine Unterlippe schob ich zwischen meine Zähne. ,,Reiß dich zusammen."
Er ist nicht hier. Er wird mich nicht mehr verletzen. Keiner wird mich jemals wieder so sehr verletzen, wie Marcel. Keiner, das hatte ich mir versprochen. In diesem Moment verschwamm dieses Versprechen und erloch langsam in meinen Erinnerungen. Stattdessen überrollte mich der Gedanke, alles verdient zu haben. Den Schmerz, die Wunden und seine verletzenden Worte.
Mein Gedankenstrom wurde von einem lauten Stöhnen unterbrochen, was aus der rechten Kabine kam. Ich musste weg, das stand fest. Weitere zehn Minuten würde ich zwischen diesem Lärm nicht aushalten. Ich musste raus, so schnell wie möglich, das stand fest.
,,Sarah!", schrie ich, als ich in der Menge nach meiner Schwester suchte. Auch nach weiteren fünf Minuten tauchte meine Schwester nicht auf. War sie weg? Vielleicht war ihr etwas passiert oder war sie in den Armen eines Typen gelandet? An das schlimmste wollte ich nicht denken, also steuerte ich zum Ausgang. Aus meiner Hosentasche kramte ich mein Handy und suchte nach ihrer Nummer. Nur noch fünf Prozent, zeigte mein Handy an und die Tatsache, dass der Bildschirm im Energiesparmodus war. Hoffentlich reichte das für den Anruf, denn sonst war ich aufgeschmissen.
,,Sarah?" Aufgebracht hielt ich mir das Handy gegen mein Ohr und wartete einige Sekunden auf eine Antwort. Doch nichts. ,,Sarah, wo bist du? Ich habe Angst. Das wird mir gerade alles zu viel. Ich weiß, dass du Spaß haben wolltest, aber ich kann das einfach nicht. Es tut mir leid, dass ich dir das wieder versauen muss. Ich habe es wirklich versucht, aber es geht nicht. Bitte komm zurück. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich kenne mich in dieser Gegend kaum aus. I-Ich habe so Angst." Vor Verzweiflung rannten nun einige Tränen meine Wange runter. ,,Bitte komm zurück", wiederholte ich leise und versuchte meine Tränen zu bändigen. Ohne Erfolg, denn ein leises Schluchzen konnte ich mir dabei nicht verkneifen. Eine Weile kam keine Antwort von der anderen Seite des Hörers. Fast hätte ich die Hoffnung aufgegeben.
,,Hallo Kenya?" Das hört sich alles andere, als nach Sarah an. Dafür war die Stimme viel zu tief, viel zu besänftigend. Ich konnte mich doch nicht vertippt haben, oder? Ich sah sicherheitshalber nach. Das Display leuchtete auf und ich laß den Namen "Toscana/Lika". Mein Atme stockte. Also hatte ich mich bei den Kontakten wirklich vertippt. Am liebsten hätte ich jetzt aufgelegt und mich in den nächsten Graben gelegt. Lika legte auch nach zwei weiteren Minuten nicht auf, stattdessen hörte ich ihn sogar schwer atmen. ,,Kenya?"
Noch hatte ich Zeit aufzulegen und so zu tun, als wäre nichts passiert, doch da war seine Stimme, die einen viel zu beruhigenden Effekt auf mich hatte. Verdammt. Seine Stimme.
,,Lika?", flüsterte ich.
,,Mhm?" Die Müdigkeit ließ seine Stimme noch tiefer klingen, als sie es bereits war. Plötzlich schnappte ich nach Luft und versuchte meinen Atmen unter Kontrolle zu bekommen.
Am liebsten wäre ich vom Erdboden verschluckt worden und nie wieder aufgetaucht.
,,Ich habe mich vertippt. Es tut mir leid, ich wollte dich nicht wecken...wirklich nicht. Ich-"
,,Wo bist du?", unterbrach er mich. Ich zögerte beim Antworten, denn vielleicht war es besser, wenn ich einfach auflegte und bis in die Frühe auf Sarah vorm Eingang wartete.
,,Beim Nightlife Club." Schlussendlich verriet ich ihm meinen Standort mit einem schlechten Gewissen. Mir war bewusst, dass er morgen arbeitete und ich wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass er nicht ausgeschlafen war. Für einen kurzen Moment bereute ich meine Antwort, allerdings unterbrachen seine Worte diesen Gedanken.
,,Der neben dem McDonald's?"
Mein Schweigen schien Antwort genug zu sein, also erwiderte er folgendes. ,,Ich komme."
©madeincameroon
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