fünf
SILENCE. marshmello & khalid
F Ü N F
Weiße Kittel und der Geruch von Desinfektionsmittel.
Die beiden Sachen, die ich wohl am meisten hasste, vereint in einem Gebäude. Ich brauchte nicht lange, um zu realisieren, dass ich mich in einem Krankenhaus befand. Dieser Ort war mir vertraut, und doch verfluchte ich ihn.
In den letzten Monaten war es häufig vorgekommen, dass ich eines Morgens auf der Notaufnahme erwachte. Die Ausrede, ich seie doch die Treppen runtergestürzt, glaubten die Ärzte mir mit einem leicht skeptischen Blick. Erst recht aber, als Marcel seine Schauspielkünste in den Vordergrund stellte, und sowohl die Krankenschwestern, als auch die Ärzte um seinen Finger wickelte. Heute war letzteres aber nicht der Fall, denn bei meinem Erwachen erkannte ich weder die Silhouette eines Arztes noch die meines Verlobten.
Skeptisch blickte ich mich um. Meine Kleider ruhten auf einem Stuhl, und abgesehen von einer Kommode und den brummenden Geräten war der Raum leer. Eins wusste ich aber: Er würde kommen. Er würde mich finden. Davon war ich überzeugt, und selbst wenn sein Geruch nicht durch meine Nase streifte , überkam mich erneut diese Panik gefangen zu sein und seine Finger wiederholt auf meinem Leib zu spüren. Mein Magen zog sich bei diesem Gedanken zusammen. Ich sah rot, warf die weiße Decke beiseite und fasste Fuß. Vor Schwindel hielt ich mich jedoch an dem eisernen Gelände fest und schloss meine Augen.
Ich durfte nicht nachlassen, denn sonst würde er mich finden.
Also legte ich einen Fuß nach dem anderen und schaffte es nach wenigen Minuten ins Bad. Eine winzige Toilette und ein verschmutzter Spiegel umgaben mich. Trotz der Kratzer erkannte ich die dunklen Augenringe und mein blasses Gesicht in der reflektierenden Glasfläche. Es jagte mir einen Schrecken ein, und zugleich zog sich mein Magen zusammen.
Noch rechtzeitig konnte ich die Kloschüssel aufreißen und schon überkam mich das unangenehme Gefühl. Als ich meine Haare nach mehreren Minuten beiseite strich, bemerkte ich erst, wie dreckig es mir in dem Moment ging. Mir war bewusst, dass ich es die nächste halbe Stunde nicht mehr auf die Füße schaffen würde. Dafür fehlte mir die Kraft. Die ganzen Abwehrmechanismen, die ich mir über die letzten Monate aufgebaut hatte, kamen ihren Aufgaben nicht mehr nach. Plötzlich stürzte alles auf mich herab - die Gefühle, die Erinnerungen und der Schmerz.
»Ich...Ich habe keine Angst«, glitt die Lüge über meine Lippen. Ich schluckte bei dem bitteren Nachgeschmack, den diese Verleumdung mit sich brachte. Und eh ich es bemerkte, rannten die Tränen - wie um die Wette - über meine Wangen. »Ich kann das-«, versuchte ich es erneut.
Rasch wurde die Zimmertür aufgerissen, zugleich nahm ich Schritte wahr. »Cécile, etwas ist mir leider dazwischengekommen. Ich werde erst Morgen da sein können« Diese Stimme - sie kam mir bekannt vor. Es konnte sich doch nicht um den Fremden handeln, dem ich gestern im Taxi begegnet war...oder etwa doch. »Familiensachen.«
»Ich weiß, wie wichtig das ist«, sprach er mit einer gewissen Strenge. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass diese Strenge kaum zu ihm passte, fast schon vorgespielt.
»Weißt du was? Ich rufe dich später zurück.« Anschließend legte er auf und kam der Toilettentür näher. Plötzlich klopfte er an.
»Sind Sie da?« Seine Stimme wurde weicher, rücksichtsvoller. Mein Herz umgab zugleich eine gewisse Wärme. Sollte ich dem Fremden öffnen? Ich entschied mich dagegen und gab keinen Ton von mir. Vielleicht würde er selbst irgendwann realisieren, dass er gehen sollte. Ich hatte die Nase voll von Männern. »W-Wie fühlen Sie sich?«, fuhr er fort. Mit der Hoffnung, er würde verschwinden, ließ ich seine Frage unbeantwortet und lehnte meinen Kopf gegen die Badezimmertür. Wenige Zentimeter Holz trennten uns voneinander, und doch bekam ich den Verdacht, dass er mein Schweigen auch so verstand.
»Der Arzt hat gesagt, dass Sie sehr viel Schlaf brauchen und...ehm ich habe Ihnen etwas zu Essen mitgebracht.« Beim Wort Essen sprang mein Herz vor Freude auf. Mein Kopf hingegen erinnerte mich daran, wie umstritten es doch war, denn wem würde ich gefallen, wenn ich zunahm? Marcel fand mich abstoßend.
»Bitte gehen Sie«, flüsterte ich.
»Wohin wollen Sie nach Ihrem Aufenthalt gehen?" Wie konnte ein Mensch denn so neugierig sein, fragte ich mich, als ich mir vor Verzweiflung übers Gesicht fuhr. Er sollte es bloß nicht noch komplizierter machen.
»Das geht Sie nichts an, also bitte gehen Sie.«
»Ich lasse Sie in Ruhe, aber bitte versprechen Sie mir, dass Sie auf sich aufpassen werden.« Ich hörte die Verzweiflung und das Mitleid in seinen Worten. Die Wände waren zu dünn, um sie zu überhören, aber ich war davon überzeugt, es alleine schaffen zu können, wie ich bis jetzt schon alles in meinem Leben gemeistert hatte.
»Bitte gehen Sie einfach. Es ist besser, wenn wir das alles vergessen, verstehen Sie?«
»Ich kann Ihnen helfen, es gibt...es gibt da Organisationen, die Frauen wie Ihnen helfen. Sie...Sie müssen mir nur vertrauen.« Er lehnte sich an die Toilettentür und seufzte.
Mein Blick tastete die weißen Fliesen des Badezimmers ab, während ich seine Worte in mir sickern ließ. Das Wort Vertrauen löste in mir etwas Unbeschreibliches aus.
»Frauen wie mir also? Sie wollen mir helfen? Sie würden uns beiden einen großen Gefallen tun, in dem sie verschwinden. Egal, was ich tue, er wird mich finden, verstehen Sie«, flehte ich ihn an. »Machen Sie es bitte nicht noch komplizierter!«
»Aber-«
»Ich brauche Ihre Hilfe nicht!«
Die Lüge glitt mit einer Leichtigkeit über meine Lippen, die mich selbst an meinen Worten zweifeln liess. Dabei benötigte ich dringend Hilfe, doch wie sollte ich einem Fremden vertrauen, wenn ich in dem Bereich sogar bei meinen Geliebten scheiterte? Vielleicht war er wie alle anderen, wie diese Menschen, die unsere Schwachstellen ausnutzten, um uns noch tiefer in den Abgrund zu ziehen...wie Marcel.
»Sie können da draußen nicht alleine überleben...nicht ohne Hilfe.«
»Was geht Sie das bitte an?! Wenn ich die letzten drei Jahre überlebt habe, dann wird das da draußen ein Kinderspiel«, murmelte ich sarkastisch. »Also gehen Sie!«
»Okay.« Zögernd stieß er sich von der Toilettentür ab und verließ den Raum schlussendlich.
Wenige Minuten später verließ ich das Bad. Ungewollt zogen sich meine Lippen zu einem Lächeln, als ich die Papiertüte mit einem Sandwich entdeckte. Ein mulmiges Gefühl überkam mich und drückte meinen Hunger in den Hintergrund. Vielleicht sollte ich es essen, nur einen Bissen. Ich hatte verdammt Hunger, aber-
Genüsslich biss ich in das Sandwich, und eh ich mich versah, blieben nur einige Krümel auf meinen Kleidern zurück. Schuldgefühle machten es sich in mir bequem, doch so richtig Zeit hatte ich nicht, um mich um sie zu kümmern. Ein Zettel und ein winziger Blumenstrauß auf der Fensterbank gewannen meine Aufmerksamkeit. Andere Frauen hätten sich über diese kleine Überraschung sicherlich gefreut, ich hingegen fand es merkwürdig. Vom Schnuppern an den weißen Tulpen konnte ich mich aber nicht abhalten. Anschließend öffnete ich auch den Zettel.
»Es ist leider das Beste, was ich in der Nähe habe finden können. Lassen Sie es sich schmecken. Sie haben meinen Glücksbringer bestimmt schon entdeckt. Er hat mir schon in vielen Situationen aus der Patsche geholfen, also wenn sie sich schon nicht helfen lassen wollen, tragen sie den wenigstens bei sich. Hoffentlich beschützt er Sie genauso sehr, wie er es für mich getan hat.«
Tatsächlich lag neben dem Brief eine goldene Kette - der sogenannte Glücksbringer. Als wären seine Worte nicht schon genug, erblickte ich nun auch die vier Geldscheine im Briefumschlag. 200 Euro, eine gewaltige Summe, die mir in den nächsten Tagen das Leben retten würde.
Zögernd musterte ich den Glücksbringer. Die goldene Farbe war an manchen Stellen bereits verblasst, sodass blaue Flecken entstanden war. Das einzige, was noch völlig intakt zu sein schien, war der Anhänger. Ohne mir länger Gedanken über das absurde Schmuckstück zu machen, packte ich es mit dem Geld in meine Reisetasche.
»Ich schaffe das.«
Ich war davon überzeugt, diese Krise alleine meistern zu müssen. In der Vergangenheit war ich keinem netten Fremden begegnet, der darauf bestanden hatte, mir zu helfen. Also beschloss ich, mein Leben endlich wieder in den Griff zu bekommen. Ein tiefer Schmerz grub sich in meine Brust, als ich meinen Verlobungsring auszog und ihn genauso wie den Zettel auf der Fensterbank zurückließ.
Dann ging ich.
Ich blickte nicht zurück, nein. Es musste das Richtige sein, denn irgendwann würde der Schmerz verblassen.
Alles ist vergänglich.
Die Liebe. Das Leben. Auch der Schmerz.
Erst, als die kühle Herbstluft meine Wangen streifte und ich zum ersten Mal seit langem wieder ruhig atmen konnte, wusste ich, dass ich es schaffen würde.
©madeincameroon
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Hey meine Lieben.
Ich freue mich, euch das neue Kapitel vorstellen zu dürfen. Hoffentlich gefällt es euch auch.
Bis zum nächsten Mal.
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