einundzwanzig
RESCUE MY HEART. liz longley
E I N U N D Z W A N Z I G
Es hatte eine halbe Stunde gedauert, bis Likas schwarzer Wagen hinter den kaum beleuchteten Strassen aufgetaucht war. Von weitem beobachtete ich, wie er versuchte die Müdigkeit mit einer simplen Geste wegzuwischen. Ob das funktioniert hatte, war mir ein Rätsel, denn bevor ich dieser Frage nachgehen konnte, trafen sich unsere Blicke.
Nur noch wenige Meter trennten uns voneinander und schon bereute ich meine Feigheit. Ich hätte ihn anlügen sollen oder vielleicht einfach nur auflegen sollen. Doch aus irgendeinem Grund, der mir fremd war, hatte ich es nicht übers Herz gebracht, aufzulegen. Nun musste ich mit den Konsequenzen leben und seinen mitleidigen Blick aushalten, während meine braunen Augen seinen entweichen würden.
Letzteres tat ich nun auch. Meine Handykamera diente mir als Spiegel, als ich mir mit einem Stück Klopapier die Tränen von der Wange strich. Der Anblick meiner verschmierten Mascara liess mich zusammenzucken. Lika durfte mich nicht so sehen, also schrubbte ich noch fester...so feste, bis meine Augen tränte.
,,Kenya", riss mich eine bekannte Stimme aus meinen Gedanken. Das Taschentuch, welches mittlerweile schwarze Flecken trug, landete auf dem betonierten Fussboden. Für einen kurzen Moment stand meine Atem still, nicht einmal mehr die kalte Brise störte mich. ,,Hey, ich bin hier", sprach er sanft und schenkte mir ein müdes Lächeln.
Hier stand er nun in einem schwarzen Pullover und einer genauso dunklen Hose. Sein Gesicht schmückten tiefe Augenringe, doch trotz der Müdigkeit schaffte er es, mir ein Lächeln zu schenken. Für dieses Lächeln war ich ihm unheimlich dankbar, denn es machte die Situation etwas erträglicher.
,,Es tut mir leid", murmelte ich vor mich hin. Hoffnungslos erkundeten meine Augen die Gegend um mich herum, doch mehr als einen halbleeren Parkplatz fand ich nicht vor. Ich suchte nach irgendetwas, was mich vor seinem Blick bewahren würde. Tief in meinem Inneren war mir nämlich bewusst, wie zerbrechlich meine Mauer in diesem Moment war. Ein falscher Blick könnte der Auslöser für mein Zerbrechen sein, also suchte ich in der Ferne nach etwas, was mir Kraft geben könnte.
Meine Unterlippe bebte vor Aufregung und vielleicht auch einfach wegen der Tatsache, dass ich bei fünf Grad ohne Jacke Draußen stand. Sanft hob er meinen Kopf, sodass ich nun keine andere Wahl mehr hatte, als mich in seinen Augen zu verlieren. Es war nicht das erste Mal, dass ich so tief fiel, heute fühlte es sich jedoch so an, als gäbe es kein Ende. Heute machte es mir nichts aus, zu fallen, denn er würde mich auffangen. Oder?
,,Hey...hey, alles ist gut. Ich bin jetzt hier. Alles wird gut, hörst du?" Nach einer unangenehmen Stille, trat er mir etwas näher und blickte mir skeptisch in die Augen. ,,Du frierst" stellte mein Gegenüber fest. Ohne auf meine Antwort zu warten, zog er seinen Pullover über seine Schultern und reichte mir ihn. ,,Hier, sonst fängst du dir noch eine Erkältung ein."
,,Sagt die Person, die selbst in einem T-Shirt vor mir steht-"
,,Ich bin selten erkältet und außerdem, wer soll mir in den späten Abendstunden im Restaurant sonst Gesellschaft leisten, wenn du dich erkältest?", unterbrach Lika mich und zwinkerte mir zu. Zum ersten Mal an diesem Abend zuckten meine Mundwinkel in die Höhe. Er wusste, wie man mich zum Lächeln brachte.
,,Na gut, aber nur, weil ich mir deine Gerichte nicht entgehen lassen könnte." Als ich realisierte, dass das Diskutieren mit ihm keinen Sinn hatte, zog ich den Pullover an und murmelte ein 'Dankeschön'.
,,Kenya, was ist passiert?"
Sein Blick brannte sich so tief in meine Haut, dass ich das Gefühl hatte, an ihm zu zerbrechen, doch das durfte ich nicht. Dabei hatte ich gedacht, dass ich meine Gefühle relativ gut unter Kontrolle gehabt hatte. Seine Worte bewiesen mir jedoch das Gegenteil.
,,Dieser Typ hat mich angefasst. E-Er hat mich nicht loslassen wollen. Ich hatte so eine Angst, obwohl ich von Menschen umgeben war." Bei meinen Worten spannte sich Likas Körper an. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, während er mir geduldig zuhörte. ,,I-Ich habe Sarah gesucht, aber sie hatte sich in Luft aufgelöst und dann habe ich Panik bekommen und-", murmelte ich im reinsten Durcheinander. Der Handabdruck des fremden Clubbesucher auf meinem Oberschenkel hatten sich wie ein Tattoo in meine Haut eingebrannt. Ich wollte nach Hause, mich unter die Dusche verkriechen und versuchen den Abend wegzuwaschen. Tief in meinem Inneren wusste ich allerdings, dass das nicht möglich war.
,,Der Vollidiot hatte kein Recht dich anzufassen", sprach Lika mit zusammengezogenen Augenbrauen. Besorgt sah er mich an, doch ich entweichte seinem Blick aus Scham. Er sollte mich nicht so sensibel erleben. Er durfte nicht sehen, wie schwach ich war. Dass ich nicht die offene Frau war, die ihm Abends Gesellschaft leistete. Dass ich vielleicht nur eine Fremde für ihn war.
,,E-Es tut mir leid, dass ich deinen Abend ruiniert habe. Ich wollte eigentlich meine Schwester anrufen, aber ich denke, sie trinkt wieder zu viel...wie damals", waren die einzigen Worte, die es über meine Lippen schafften. Vielleicht hätte ich ihm auch davon erzählen sollen, wieso Sarah wieder trank...dass es vielleicht meine Schuld war. ,,Ich denke, es ist meine Schuld." Kaum hatte ich es gemerkt, bahnte sich eine Träne einen Weg über meine Wange und spiegelte zugleich meine Schwäche wieder. Verdammt.
Statt Hass und Wut in Likas Augen zu sehen, erkannte ich etwas wie Mitgefühl und Trauer für meine Worte. Zu gerne hätte ich ihn gefragt, wieso er mich nicht wie alle anderen hasste. Immerhin war es doch immer meine Schuld gewesen. Bevor ich mir weitere Gedanken machen konnte, spürte ich wie Lika mich vorsichtig in eine Umarmung zog und ich ließ es wortlos zu. Seine Arme umfasste mich vorsichtig, als hätte er Angst mich zu verletzen.
Sein Geruch witterte durch meine Nase und ließ seufzen. Er roch so gut, so verdammt gut. Ich grub meinen Kopf etwas tiefer in seine Brust, aus Angst, seine Anwesenheit sei nur eine Halluzination. Ich wollte seine Arme nicht mehr verlassen, denn diese Nähe tat mir gut.
,,Du trägst keine Verantwortung für ihre Taten, Kenya. Du kannst Menschen nichts aufzwingen, aber du kannst höchstens versuchen, sie auf den richtigen Weg zu bringen. Welchen Weg sie am Ende gehen, entscheiden sie selbst und wenn dieser Weg sie in brennsliche Situationen führt, müssen sie mit den Konsequenzen leben. Also hör auf dir Vorwürfe zu machen. Deine Schwester ist eine erwachsene Frau und weiss, wie man Entscheidungen trifft. Du bist nicht für ihr Leben verantwortlich, also hör auf dich fertig zu machen."
Bei Likas Worten löste sich diese immense Last von meiner Brust, mein Körper entspannte sich, doch mein Schluchzen wurde lauter. ,,Es ist nicht deine Schuld", flüsterte der Lockenkopf erneut.
Wie oft hatte man mir für gewisse Dinge schon die Schuld gegeben. Sei es für die Male, als ich als große Schwester hatte Verantwortung übernehmen müssen oder für die Schläge. Er hatte mir für alles die Schuld gegeben und irgendwann hatte ich diese Worte in meinen inneren Monolog aufgenommen. Wieso sollte es denn die Schuld der anderen gewesen sein, wenn sie die Schuld immer bei mir gesucht hatten?
Heute hinterfragte ich meine eigene Denkweise und die Vorwürfe, die ich über die letzten Jahre verinnerlicht hatte. Vielleicht hatte Lika ja Recht. Vielleicht war ich wirklich unschuldig an dem Ganzen. Ich suchte in seinen Armen Frieden und das in dem ich meinen Gefühl die Oberhand ließ. Zwischen der dröhnenden Musik und den Gelächtern anderer Clubbesucher standen wir. Lika und ich.
Das Vibrieren meines Handys löste mich aus meiner Trance, sodass ich mich aus Likas Umarmung lösen musste. Mein Körper fühlte sich erneut so leer und ausgelaugt an. Mit einem kleinen Seufzen zog ich mein Handy aus meiner hinteren Hosentasche. Sarah, sprangen mir die fünf Buchstaben ins Auge. Panik machte sich in mir breit, als ich daran dachte, dass ihr vielleicht irgendwas zugestoßen war.
,,Sarah!?", rief ich in den Hörer. ,,Wo bist du? Ich habe mir so große Sorgen um dich gemacht." Während Lika geduldig an meiner Seite stand, versuchte ich nicht die Fassung zu verlieren.
,,Hallo, sind Sie ihre...Schwester?", erklang eine hohe Stimme. Erleichtert darüber, dass sie nicht in die Hände eines Mannes geraten war, schloss ich die Augen. ,,Keine Sorge, ich habe ihr Handy nicht gestohlen, sie ist eben nur auf dem Klo eingeschlafen. Ich habe sie gerade Mal an die frische Luft gebracht, damit sie wieder zu sich kommen kann", fuhr die Person fort.
,,Gott sei Dank", flüsterte ich und klemmte meine Hand in meine Hüfte. Vor Erleichterung verblasste nun auch die Panik, die ich vor einigen Sekunden nicht hatte bändigen können. ,,Ich-Ich stehe vorne am Eingang. Geht es ihr gut?'
,,Ich weiß nicht, ob man das als gut definieren kann. Wir stehen vor der blauen Mülltonne.", sprach die Frau am anderen Ende der Leitung. Mit meinem Blick suchte ich in der Dunkelheit nach einer blauen Mülltonne und tatsächlich erkannte ich einige Meter daneben zwei Silhouetten.
,,Ich bin gleich da", waren meine letzten Worte, bevor ich auflegte.
,,Und?"
,,Es geht ihr gut...also sie lebt. Diese Frau hat sie auf der Toilette gefunden. Da soll sie eingeschlafen sein und jetzt stehen sie dahinten." Mit meinem Zeigefinger zeigte ich auf die zwei Silhouetten. Ohne ein weiteres Wort miteinander zu wechseln, näherten wir uns der Unbekannten. Von weitem erkannte ich meine Schwester in einem aufgebrachten Zustand. Es fiel ihr schwer ihre Augen länger als zwei Sekunden offen zu halten. Das sie zu viel Alkohol getrunken hatte, roch man aus zwei Metern Entfernung.
,,Du musst Kenya sein?", fragte die blonde Clubbesucherin, die ebenfalls nur ein kurzes schwarzes Kleid trug. Im Gegensatz zu Sarah konnte sie noch auf beiden Füßen stehen. Den rechten Arm meiner Schwester hatte sie um ihren Nacken gelegt, um sie besser stützen zu können.
,,Ja genau die bin ich. Danke, wirklich", sprach ich während ich sie von der Last meiner Schwester löste. Ich legte Sarahs linken Arm um meine Schulter, während Lika sie auf der rechten Seite stützte.
,,Ach, ist nichts. Kommt gut nach Hause", waren ihre letzten Worte, bevor sie in ihren roten Stöckelschuhen wieder zum Clubeingang ging.
,,Man man man, Sarah was ist dir dabei nur eingefallen", murmelte ich vor mich hin, während wir mit vorsichtigen Schritten zu Likas Auto gingen. ,,Es tut mir so leid, Lika." Insbesondere war mir das nämlich peinlich. Der Lockenkopf hatte sich bis jetzt jedoch kein einziges Mal beschwert, im Gegensatz zu Marcel, denn er hätte uns hier sicherlich bis zum nächsten Morgen warten lassen.
Mit viel Mühe setzten wir Sarah auf die Rückbank. Ihren Kopf zuerst und dann ihre Füße, hatte Lika vorgeschrieben. Ich setzte mich genau neben sie, um sie etwas stützen zu können.
,,Geht das so für dich? Wenn ich anhalten muss, sag mir bitte frühzeitig Bescheid." Besorgt sah er uns beide an, bevor er den Motor startete und losfuhr.
Das würde eine lange Fahrt werden.
©madeincameroon
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro