drei
THE PERFECT GIRL. mareux
D R E I
Die Dunkelheit erfasste mich, als ich durch verlassene Straßen rannte. Der Wind wehte meine Tränen trocken, und selbst, wenn meine Beine langsam nachließen, humpelte ich weiter. Betrunkene, auch Obdachlose blickten belustigt in meine Richtung, doch niemand regte sich. An den Geschmack von Eisen schien ich mich mittlerweile gewöhnt zu haben, nur mein Herz
konnte diese drastischen Bewegungen nicht aushalten. Mit jedem Schritt wurde es schwächer und zog sich zusammen.
»Kenya!« Ich blickte zurück, sah meinen Verlobten dicht hinter mir. Seine langen Beine hatten ihm schon immer einen Vorteil verliehen. Im Gegensatz zu mir war er auch immer ziemlich gut im Sport gewesen - zumindest sagten das die paar Medaillons aus, die er im Wohnzimmer aufgehängt hatte. »Warte!«
Also rannte ich weiter, doch die Gebäude bewegten sich in Zeitlupe an mich vorbei.
Einatmen. Ausatmen.
Einatmen. Ausatmen.
Ich stolperte weitere Minuten durch die dunklen Straßen, und tatsächlich verblassten irgendwann Marcels Morddrohungen hinter den mehrstöckigen Wohnhäusern. Es war mir ein Rätsel, ob mein Gehirn sie nur ausgeblendet hatte, oder er doch nur zehn Schritte hinter mir lag.
Das Brennen in meinem Hals wurde stärker, ich rang nach Luft, doch es schien so, als würde er mir sie nehmen. Mein Körper schluchzte, mein Herz flehte nach Erlösung. Ich ließ den Schmerz nicht zu, betete dafür, dass Marcel mich nicht bekommen würde.
Und zum ersten Mal seit Langem rief mein Herz nach Gott. Vor Jahren hatten sich unsere Wege getrennt und ich war davon überzeugt gewesen, dass ich es auch ohne ihn schaffen könnte, dass ich alles alleine tragen könnte. Ich hatte mich geirrt.
Sirenen ertönten in der tiefen Nacht, während ich in Richtung der Laternen auf die andere Straßenseite lief. Mein Tempo hatte seit eben deutlich abgenommen, das lag insbesondere an meinen Magenschmerzen, aber ich durfte nicht aufgeben.
Innerlich wusste ich, dass ich diese Leistung nur meiner Sportlehrerin zu verdanken hatte, die mich trotz meiner Faulheit immer zum Ausdauertraining gezwungen hatte. Ich nahm mir vor, ihr eines Tages dafür zu danken, aber nur wenn ich es lebendig aus dieser Stadt schaffe.
Irgendwann nahm ich das grelle Licht der Straßenlaternen wahr. Meine Augen brannten, ich blinzelte mehrere Male, blickte mich um: Ein Taxi?
Ein Taxi!
Der Motor des Wagens brummte ungeduldig, es gab mir Hoffnung, dieses leise unregelmäßige Geräusch. Ich musste mich zusammenreißen, nicht nachlassen. Die roten Buchstaben leuchteten so, als würden sie mir etwas sagen wollen. Bald, nur noch einige Meter trennten mich von dem dunklen Wagen.
»Hey«, rief ich, doch es ähnelte eher einem widerlichen Krächzen. Der Fahrer blickte stets gerade aus und tippte ungeduldig auf das Lenkrad. Seine Lippen bewegten sich regelmäßig, so als würde er die Lyrics eines Songs vor sich hinsummen. Meinen Hilferuf nahm er nicht war.
Ich konnte nicht mehr. Ich wollte nicht mehr.
Einatmen. Aus-.
Mit einem großen Ruck wurde meine Reisetasche zurückgezogen. Mein Körper baumelte nach hinten. Noch so gerade konnte ich mich davon abhalten, zustolpern.
»Dachtest du wirklich, du kannst mir einfach so entkommen?« Seine Stimme löste etwas Unbekanntes in mir aus. Das mulmige Gefühl in meinem Magen, welches ich dachte unterdrücken zu können, schaffte es dann schließlich doch an die Oberfläche. Die Krämpfe wurden stärker, der Geschmack von Erbrochenem stieg meine Speiseröhre langsam hoch. Ich übergab mich zwischen den überfüllten Mülltonnen. Verdammt, nicht jetzt. Marcel riss meine Reisetasche auf, lehrte meine wenigen Kleider auf dem nassen Betonboden.
Silhouetten streiften an uns vorbei. Das Lachen einiger Bewohner erreichte uns, doch niemand wagte es etwas zu sagen. Sie waren den ganzen Diebstahl und die Schlägereien in dieser Gegend gewohnt. In dieser Gegend war sowas normal, denn hier hatte niemand Zeit, sich um die Probleme der anderen zu kümmern.
»Du bist geisteskrank! Du brauchst Hilfe, hörst du?«
Mein Verlobter lachte nur kopfschüttelnd und leerte den weiteren Inhalt meiner Tasche. Hysterie überkam mich, als mir bewusst wurde, in welchen Teufelskreislauf ich geraten war: Die Gefühle, die Schläge und die Sehnsucht. Alles drehte sich vor meinen Augen, die Stimmen wurden lauter, aufdringlicher.
Ich schrie voller Wucht. Mein Brustkorb vibrierte bei diesem schrillen Geräusch, das durch die Gassen hallte. Und plötzlich verstummten alles: die Stimmen, der Schmerz und diese verfluchten Gefühle. Auch Marcel schien das zu erschrecken, denn er ließ meine Tasche nun fallen.
»Ich hasse dich. Ich hasse dich so sehr«, keifte ich.
»Das tust du nicht, du liebst mich. Du brauchst mich.« Marcel zog mich an seine verschwitze Brust. Meine Gedanken lagen noch immer ungeordnet vor mir, also reagierte ich nicht auf seine Worte. Seine Arme fassten meinen kleinen, zerbrechlichen Körper mit einer Leichtigkeit, die mich seufzen ließ. Ich brauchte ihn...nicht. Nicht mehr.
»Nein, ich hasse dich. Ich will, dass du krepierst...dass du für das bezahlst, was du mir angetan hast.« Ich grub meine Locken nun tiefer in seinen Brustkorb, ließ die Sirenen und das Lachen der Passanten verblassen. Auf einmal schien mein Gegenüber mir so zerbrechlich und klein. Nur so halb nahm ich das leise Schluchzen wahr.
War ich der Grund für seinen Schmerz?
»Du liebst mich, Kenya. Schau mich an.« Er hob mein Kinn, schloss die winzige Lücke zwischen uns. Nichts: Weder Eckel noch Wut erfasste mich bei dieser Geste. So, als seien meine Gefühle erloschen, doch eins wusste ich: Dieser Abend würde unser Letzter sein. Also stieß ich ihn von mir, griff nach der halbleeren Reisetasche und rannte.
Das Taxi. Es hatte sich keinen Zentimeter bewegt, also ergriff ich meine Chance.
»Kenya!«
»Cécile, ich rufe später zurück.« Gefährliche blaue Augen blitzten mich an.
»Sind Sie verrückt?! Ich habe dieses Taxi bestellt, also warten Sie gefälligst auf Ihr eigenes!« Ertönte eine dunkle Stimme neben mir. Mein Blick folgte den Worten, auf dem Sitz einige Zentimeter neben mir. Eine dunkle Silhouette, die der eines Mannes ähnelte. Ich hatte kaum Zeit, um mir Gedanken darüber zu machen, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Allerdings wusste ich, dass dieser Mann ohne eine Antwort nicht nachlassen würde.
»Fahren Sie! Bitte, ich muss hier weg-«
Ein lautes Hämmern unterbrach meine Worte. »Öffne die Tür, Baby. Es tut mir leid, hörst du? Komm nach Hause.« Das Hämmern wurde stärker, unkontrollierter. Marcels dunkle Augen blitzten vor Wut. Seine Finger klammerten sich an die Wagentür, als er erneut auf das Glas einschlug, welches nun von lauter Rissen geschmückt war. Das Blut tropfte, doch das hielt Marcel nicht auf, im Gegenteil: Er schlug stärker.
»Treten Sie zurück, oder ich rufe die Polizei!«, schrie der Taxifahrer nun. Seine Stimme bebte, während er den Motor erneut startete.
»Baby.« Er schrie nun lauter, der Motor lief, ich schluchzte.
»Bitte, lass mich gehen", waren meine letzten Worte, bevor der Taxifahrer aufs Gas drückte und losfuhr. Marcel hielt sich fest, so gut er konnte, bis er abrutschte. Sein tränenverschmiertes Gesicht nistete sich in mein Gehirn ein, während er hinter den Hausblöcken nun immer kleiner wurde und irgendwann verschwand.
©madeincameroon
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Endlich wieder ein neues Kapitel! Hoffentlich hat es euch auch gefallen. Was haltet ihr von Kenyas Fluchtversuch? Denkt ihr, sie wird es schaffen?
-kiss kiss, loves
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