achtundzwanzig
Mein Herz pochte in unregelmäßigen Abständen gegen meinen Brustkorb. Die Zeit blieb stehen, nur noch Likas stechenden Blick nahm ich wahr. Ich verlor mich in seinen Augen, ertrank an dem Unwetter, welches in seinem Ozean wütete. Die Angst vor der Wahrheit packte mich. Sie kam so schnell und auffällig, dass ich nicht einmal Zeit hatte, mich vor ihr zu wappnen. Likas Blick brannte sich in meine Haut ein, und mein Kopf forderte mich dazu auf, zu gehen, aus Angst den wahren Lika kennenzulernen. Ich befürchtete, dass seine Worte meine Sichtweise komplett verändern würden. Trotz dieser Angst blieb ich sitzen, gelähmt und überwältigt.
,,Das Absurde ist, dass ich ihn nie wirklich als Täter gesehen habe. Ich war davon überzeugt, dass man Liebe verdienen muss. Ich war davon überzeugt, dass sie vielleicht das Problem war, denn zu mir war dieser Mann immer so gut gewesen...Ich vermutete, dass sie sich vielleicht etwas härter anstrengend musste, um auch seine Liebe zu gewinnen."
Ich beobachtete, wie Lika die ersten Tränen von seiner Wange strich. Als es zu viele wurden, gab er auf, und irgendwie fand ich seine Verletzlichkeit unglaublich attraktiv. Als Mann hatte er es gewagt sich so verletzlich und zerbrechlich zu zeigen, und das obwohl ich wusste, wie sehr er damit zu kämpfen hatte.
,,Mit der Zeit wurde meine Mutter leiser, sie lächelte nun vorsichtiger, s...so als könnte sie dadurch zerbrechen. Ihr Blick war...völlig leer." Lika schnappte nach Luft, so als würde er jeden Moment ersticken.
,,Als ich mit der Zeit bei Freunden zu Besuch war und sah, dass ihre Eltern ganz anders miteinander umgingen, wurde mir bewusst, dass nicht sie das Problem war, sondern er. Und bevor ich mich wirklich dafür entschuldigen konnte, ihr die Schuld in die Schuhe geschoben zu haben, war sie...weg. Ich hätte sie retten können, da bin ich mir sicher, aber ich habe es nicht getan."
,,I...Ich wollte sterben, weil ich bei der einzigen Person versagt hatte, die immer für mich da gewesen war. Also tat ich das, was ich am besten konnte: kochen. Ich überhäufte mich mit Kochbüchern, Tag und Nacht, verlor das Zeitgefühl, aber das war mir egal, denn wenigstens bekam ich somit das Gefühl meiner Mutter etwas näher zu sein. Ich schwor mir besser zu werden...für sie."
Der Lockenkopf verließ meinen Blick nicht. Die Gesichter der anderen verblassten um uns herum, nur noch Likas Worte nahm ich wahr. Jede einzige Silbe sog ich auf, auch wenn es schmerzte. Der Schmerz in seinen Augen zwang auch mich zu Grunde. Mein Kopf schrie: geh! Doch hier saß ich nun und wischte mir die erste Träne von der Wange.
,,Das wurde ich auch nach meiner Kochausbildung. Ich zerhackte Gemüse bis meine Finger wund wurden, kochte bis ich vergass, weshalb ich in aller erster Stelle mit dem Kochen angefangen hatte, und kaum hatte ich es bemerkt, funktionierte ich wie ein Roboter. Umso länger ich kochte, desto mehr Menschen verabschiedeten sich aus meinem Leben. Und umso mehr Menschen sich verabschiedeten desto stabiler wurde die Mauer, die ich mir über die Jahre aufgebaut hatte. Ich verlor das Zeitgefühl, schlief vielleicht mal zwei Stunden am Tag und irgendwann gehorchte mir nicht einmal mehr mein eigener Körper."
Stille.
,,Burnout, diagnostizierten mir die Ärzte damals und erst da begriff ich, dass ich mir fremd geworden war."
Langsam begriff ich wer der Lockenkopf wirklich war. Wie ein Puzzlestück ließen sich alle Teile zusammenfügen, sodass nun mehr und mehr von ihm zum Vorschein kam.
,,Naja, jetzt wo mein Körper sich alleine schon beim Anblick eines Messers verkrampfte, blieb mir endlos viel Zeit für das richtige Leben. Es schien mir fremd. Ich traf Menschen...lauter Menschen. Ich traf verdammt schöne Frauen...Frauen in die ich mich verliebte. Ich hätte schwören können, dass ich sie hätte heiraten können, doch irgendwie schaffte ich es nicht, sie länger als drei Monate an meiner Seite zu behalten. Die Worte ich liebe dich konnte ich noch nie erwidern, dafür sind sie viel zu...viel zu furchteinflössend, verstehst du? Was ist denn auch schon die Liebe? Ein sinnloses Gefühl, welches uns zu Grunde zwingt, uns schwach und zerbrechlich macht...uns zu den schlimmsten Taten zwingt."
,,Aber eins hatte ich mir geschworen: ich würde niemals wie der Lebensgefährte meiner Mutter sein. Also schnitt ich jegliche Dinge aus meinem Leben, die ihm ähnlich waren: Alkohol, Drogen und dann auch die Liebe. Und das ist okay so...vermute ich mal. Ich fühle mich nicht alleine, nur manchmal einsam, so als würde der Tag kein Ende nehmen. Ich arbeite seit zwei Jahren in diesem Restaurant...wieder. Da darf ich meinem eigenen Rhythmus folgen, werde nicht von allen Seiten angeschrien. Ich nehme mir Pausen, wenn ich sie...nein wenn mein Körper sie braucht. Ehm...ich habe mir ein Leben aufgebaut, welches ich lebbar finde. Freunde, die mich schätzen und unterstützen und trotzdem fühle ich mich manchmal verdammt leer...Verdammt leer, ja."
Lika beendete seinen letzten Satz in dem er seinen Blick wieder auf seine Hände richtete. Unsicher darüber, was ich sagen sollte, blieb ich still. Die anderen taten es mir gleich, also schwiegen wir.
Und als Astrids Wecker das Ende der Stunde ankündigte, verabschiedeten wir uns voneinander und verließen den Raum. Astrids Stöckelschuhe verblassten hinter der eisernen Tür, was eigentlich das Zeichen dafür sein sollte, dass nun auch Lika und ich gehen sollten.
Stattdessen blieben wir sitzen.
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