kapitel 2
„Bis später, Mama", seufze ich und steige aus unserem Familienauto.
Lustlos werfe ich mir meine Schultasche über die Schulter. Heute ist Donnerstag, also habe ich bis 15:30 Uhr Unterricht. Ich steige die Treppen bis zum Haupteingang unserer Schule hinauf und trete durch die bereits geöffneten Türen. Neben mir versuchen sich irgendwelche Fünftklässler durchzudrängeln. Genervt verdrehe ich die Augen. Nur noch zwei verdammte Jahre, dann muss ich mich nicht mehr mit dem ganzen Scheiß hier rumschlagen. Während ich meine Ellbogen ausfahre und mir einen Weg durch die kleinen Kinder bahne, werfe ich meinem besten Freund Minho, der schon breit grinsend an einer Spindreihe wenige Meter vor mir lehnt, einen giftigen Blick zu.
„Oh fuck, was ist denn mit dir heute los?", fragt er als ich bei ihm ankomme. Wir führen unseren typischen Handschlag aus. „Siehst du das denn nicht?! Das geht mir alles auf den Sack!" Wild fuchtle ich vor ihm mit meinen Armen herum. Minho kommt einen Schritt näher und blickt mich prüfend an. „Ich weiß, dass es wegen Luisa ist. Fang ja nicht wieder mit dem Drama an. Das habe ich wirklich satt! Reiß dich endlich mal zusammen, Dillan!" Seine Stimme ist nur so laut wie ein Flüstern, besitzt aber für mich dieselbe Wirkung, als hätte er jedes einzelne Wort in die Welt hinausgebrüllt. Minhos Augen haben sich zu noch schmaleren Schlitzen als sowieso für ihn als Asiaten schon üblich verzogen. Irgendwie sieht er tatsächlich etwas wütend aus. „Okay, okay. Ich versuche es ja. Dieses Mädchen hat einfach eine unglaubliche Wirkung auf mich" Diese Aussage steigert seine Stimmung nicht gerade. „Kommt jetzt wieder der Teil, in dem ich dir zum tausendsten Mal verspreche, dass ich dich nicht mehr mit meinem dummen Geschwärme über sie nerve und mir generell auch keine Gedanken mehr über sie mache? Mittlerweile solltest du begriffen haben, dass das nie aufhören wird!"
Langsam nickt er, bringt wieder etwas mehr Abstand zwischen uns und ich kann sehen, wie er über meine letzten Sätze nachdenkt. „Dillan, ich habe es verstanden. Es ist nicht cool von mir, dich wegen ihr so zu behandeln. Sorry" „Kein Ding, Mann.. Da kommt sie" Wie jeden Tag bleibt die Zeit für eine Sekunde stehen, mein Atem stockt und ich kann nicht glauben, wie schön sie ist. Michelle, eine ihrer Bewunderinnen, die sich außerdem zum auserwählten Kreis ihrer weiten Freundinnen zählen darf, erzählt ihr anscheinend eine Geschichte. Genau als sie an meinem besten Freund und mir vorbei läuft, wirft Luisa lachend ihren Kopf zurück. Werde ich sie jemals zum Lachen bringen? Könnte ich sie überhaupt glücklich machen?
Ein sehr unangenehmer Schmerz, der von meinem linken Ohr ausgeht, durchzuckt meinen Körper. Gut, im Grunde kommt er nicht von meinem Ohr, sondern vielmehr von Minho, der scheinbar daran geschnipst hat.
„Was soll denn das?!", zische ich ihn an. Ein selbstgefälliges Grinsen tritt auf sein Gesicht.
„Du kannst froh sein. Wenn ihr dein verzücktes Starren aufgefallen wäre, würdest du jetzt wahrscheinlich vor lauter Scham im Boden versinken wollen. Sehr nett von mir, dich mal wieder zu retten" Geräuschvoll atme ich ein und lege mir meine nächsten Kommentare zurecht. „Dillan, halt mal die Luft an. Wir haben jetzt Bio." Zwar gebe ich es nicht gerne zu, aber ich bin Minho wirklich dankbar. Ohne diesen kleinen Asiaten wäre ich sicher aufgeschmissen. Nachdem ich die ersten Wochen alleine herumgestreunt bin, hat er mich irgendwann angesprochen und wir sind Freunde geworden. Beste Freunde. Er spielt auch gerne Basketball - nur hat er im Gegensatz zu mir ein Team. Und das trotz seiner Größe. Im Ernst: er ist mindestens einen Kopf kleiner als ich. Aber er hat es verdient, auf dem Platz zu stehen. Seine Dribblings sind genial - wenn auch manchmal etwas unüberlegt.
„Hast du es gelernt?", erkundigt er sich. „Was? Bio? Sehe ich denn so aus?!" „Nein. Nur bist du der Einzige, der noch nicht ausgefragt wurde.." Gelangweilt zucke ich mit den Schultern. „Na und? Ich wette, dass ich nicht dran komme"„Lieber Dillan, nimm mir das jetzt bitte nicht übel, aber..-" „Nichts aber. Du wirst schon sehen", unterbreche ich ihn.
Selbstsicher betrete ich den Biologiesaal. Natürlich wäre ich heute bei der Ausfrage dran gewesen, hätte ich unserer Lehrerin letzte Stunde nicht erzählt, dass ich auf die goldene Hochzeit meiner Großeltern müsse, die leider drei Stunden von hier weg wohnen. Da ist es mir selbstverständlich nicht möglich gewesen, zu lernen. Jetzt die Wahrheit: ich blicke dieses Thema einfach überhaupt nicht und will nicht riskieren, null Punkte in der anstehenden Ausfrage zu bekommen. Diese kleine Notlüge hat mir sehr geholfen und, wie sich nach den ersten paar Unterrichtsminuten herausstellt, auch hervorragend gewirkt. Lena steht jetzt an der Tafel und muss sich den Fragen der Lehrerin stellen. Arme Lena.
Wie ich diese sinnlosen Stunden Rumgesitze hasse. Wieso verplempere ich meine Zeit hier, wenn ich stattdessen Dinge tun könnte, die mir im späteren Leben wirklich helfen würden?! „Das Gymnasium lehrt eben Allgemeinwissen", heißt es immer, aber warum sagt mir keiner, wie ich meine Träume verwirklichen kann, oder später mal im Alltag zurechtkommen soll? Schule, du machst mir echt viel Hoffnung für meine Zukunft, ich kann es gar nicht erwarten, das wahre Leben kennenzulernen. „Mit deinem Abschluss kannst du dir deinen Beruf dann immerhin aussuchen", betet mir meine Mom immer vor. Vielleicht will ich das aber gar nicht. Vielleicht will ich nicht die Visionen meiner Mutter von einem Medizin- oder Jurastudenten als Sohn verwirklichen. Vielleicht wäre ich zufrieden und glücklicher mit einem einfachen Job. Für den ich nicht auch noch studieren muss. Ich will frei und unabhängig sein. Leider braucht man dazu Geld, das ich durch einen Arbeitsplatz verdienen muss.
Wenn ich älter bin, will ich die Welt bereisen. Ich will nach Alaska, auf die Bahamas. Nach Mexiko, nach Island. All die Orte erkunden, die normale, langweilige Menschen nie zu Gesicht bekommen. Orte, deren verstecke Schönheit nur in Momenten der absoluten Ruhe und Ausgeglichenheit erlebt werden kann. Auf dem Hügel in Corfe Castle (Dorset, England) sitzen und den Sonnenuntergang beobachten. Fast alles würde ich dafür geben, diese Situationen jetzt zu erleben. Stattdessen starre ich aus dem Fenster und sehne mich weiter nach der Ferne.
Teilt Luisa diese Leidenschaft mit mir? An was denkt sie gerade?
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