72.
Ben
Song: New York, Falling Apart - Chris Lanzon
1 Jahr später
Ich ziehe meine Füße unter den Tisch und knete nervös meine Hände. Die Handflächen sind mit einem kalten Schweißfilm überzogen, an den ich mich bereits gewöhnt habe. Er ist eine Begleiterscheinung, ein Preis, den ich zahlen muss, wenn ich mich außerhalb meiner Einzimmerwohnung aufhalte.
Ich kann mir nicht mehr leisten, weil ich nicht mein gesamtes Erbe für eine dämliche Wohnung ausgeben wollte. Dafür zu sorgen, einen halbwegs vollen Kühlschrank zu haben, ist erstmal eine meiner größten Herausforderungen. Und dieser volle Kühlschrank darf laut meiner Therapeutin nicht aus Tiefkühlpizza bestehen, was sich als eine extra Herausforderung herausstellt.
Die Bedienung stellt einen heißen Kaffee vor mir ab. Ich lächle zu ihr auf, doch bevor es zu ernsthaften Augenkontakt kommen kann, blicke ich auch schon wieder auf die Papierserviette vor mir.
Ihre Hand wischt noch ein paar unsichtbare Krümel fort, dann bin ich wieder allein.
Vor den Fenstern des kleinen Cafés scheint die Sonne, die Fußgänger ziehen ihre Reißverschlüsse herunter, schirmen ihre Augen vor dem grellen Licht ab, das in ihre verzerrten Gesichter scheint. Ein neuer Sommer liegt vor uns und er scheint wieder so heiß zu werden wie der Letzte.
Ich falte meine Hände und halte mich zurück, die Serviette in kleines Konfetti zu zerreißen.
"Hey, Mann, brauchst du den Stuhl noch?"
Ein Typ mit Hemd über dem T-Shirt und einer Zigarette hinter dem Ohr hat sich vor meinem Tisch aufgebaut.
Nicht das auch noch, denke ich und balle die Hände, bevor ich sie möglichst entspannt auf die Steinplatte presse.
Der Kaffee droht überzuschwappen.
"Ja, den brauche ich noch."
"Oh, okay. Sorry."
Er grinst.
Wären wir jetzt in einem Club, hätte ich ein "Kein Problem, Mann" rausgekriegt. Mehr noch, ich hätte zurückgegrinst.
Aber hier draußen unter der Sonne gibt es keinen Alkohol für mich, der mich locker werden lässt und meine Sorgen und Ängste im Zaum hält, sie ungefährlich für mich macht. Es gibt keine Tabletten, die meine Zweifel in Schwerelosigkeit verwandeln.
Hier draußen gibt es nur mich und ich kann mir kein Lächeln für diesen Typen im Holzfäller-Look abringen. Er verlässt den Tisch in unangenehmer Stille und ich hasse mich selbst für meine Unfähigkeit. Jeder Fünfjährige hätte in dieser Situation besseren Small Talk führen können, als ich gerade.
Aber ich soll mich nicht darauf konzentrieren, was in meinen Augen schiefgelaufen ist, sondern darauf, was geklappt hat, hallt mir die Frauenstimme durch den Kopf.
Ein Rat aus einer meiner ersten Sitzungen, der mit der Zeit mein neues Mantra geworden ist.
Ich habe die Zähne auseinander bekommen und es ist kein totales Desaster gewesen. Der Typ wird wahrscheinlich denken, dass ich ein arrogantes Arschloch bin. Damit kann ich leben.
Ich seufze und fahre durch meine Haare, die mir jetzt nur noch bis zum Kinn gehen. Eine Veränderung, die ich gebraucht habe.
Mein Daumen tippt so lange im Sechsachteltakt auf dem Tisch, bis ein blau geblümtes Kleid in meinem Sichtfeld auftaucht und der Duft von Veilchen in meine Nase kriecht.
Ich blicke in warme, braune Augen auf, in denen so viele Emotionen liegen, dass sich mein Hals plötzlich wie zugeschnürt anfühlt.
Ich brauche den Stuhl für meine Schwester. Das hätte ich dem Typen gerne gesagt.
"Hey", versuche ich herauszupressen.
"Hallo."
Ophelia setzt sich mir gegenüber, ohne den Umstand einer ausführlichen Begrüßung auszulösen.
Ich habe dich schon so lange nicht mehr gesehen. Du siehst gut aus. So beginnt man solche Gespräche doch normalerweise, oder?
"Schön, dass du Zeit gefunden hast", sage ich, immerhin habe ich sie um dieses Treffen gebeten.
"Ja."
Sie streicht sich die Haare aus dem Gesicht. Ihre Nase ist von ungewöhnlich vielen Sommersprossen übersät. Sie zieht ihre Unterlippe zwischen die Zähne und beginnt, darauf herumzukauen.
"Es hat sich gepasst. Ich wollte mal wieder bei Jaces Grab vorbeischauen und Maggy und Isabell Hallo sagen."
Ihr Blick wird immer noch klar, wenn sie seinen Namen in den Mund nimmt.
Mittlerweile kenne ich die Geschichte von Jace.
Ich drehe den Ring an meinem Mittelfinger und beiße auf meine Wange.
Diese Situation zwischen uns ist unangenehm, aber sie muss sein. Ich weiß, dass sie mir wahrscheinlich nie vergeben wird, nie vergeben kann, aber ich muss das hier mit ihr bereden. Nicht nur um Fortschritte in der Therapie zu machen, sondern einfach, weil ich einen Teil von der Beziehung wieder haben will, die ich und meine Schwester einmal hatten.
"Das ist schön."
Wenn ich es mir erlauben würde, Schwäche zu zeigen, würde ich jetzt die Augen zusammenkneifen. Aber ich reiße mich zusammen und begegne ihrem Blick.
"Ich mag deine Haare", sagt sie. "Du hast ja keine Ahnung, wie oft ich nach einer Schere greifen wollte, um dir eine vernünftige Kurzhaarfrisur zu verpassen."
Sie lächelt.
Selbst nach allem, was passiert ist, sitzt sie hier und versucht es. Obwohl sie es jetzt mehr denn je nicht zu versuchen bräuchte.
Sie führt ihr eigenes Leben, verdient ihr eigenes Geld. Sie muss mich nicht mehr dulden, nur weil das Mom und Dad glücklicher macht.
Ich fahre durch meine mittlerweile honigblonden Strähnen.
"Ja, ich brauchte mal was Neues."
"Oder altes."
Ich halte inne.
"Ja. Oder so."
Wir grinsen uns an. Die Bedienung kommt und nimmt Ophelias Bestellung auf. Als sie weg ist, sehen wir uns wieder an. Mir fällt auf, wie wenig ich sie eigentlich angesehen habe, richtig angesehen habe. Eigentlich habe ich niemandem länger als fünf Sekunden ist Gesicht geblickt.
"Wie läuft es mit deinen Fotos?", frage ich dann und werde Zeuge von einem freudigen Leuchten auf dem rundlichen Gesicht meiner Schwester.
"Gut. Sehr gut. Ich habe für die nächsten drei Monate einen Großauftrag. Ein Bildband von Brasilien. Tante Jennifer hat mir Kontakte zu einigen ihrer Bekannten dort aufgebaut, ich werde also ganz nah an den Einheimischen und dem alltäglichen Leben sein."
Ich presse meine Füße bei dem Namen Jennifer zusammen. Einige Dinge werden sich vielleicht nie ändern. Ich kann diese Frau einfach nicht ausstehen.
Ophelia verfällt in einen halben Vortrag über ihre letzten Reisen und die kleine Ausstellung, die sie letzten Winter in Manhattan hatte.
Ich freue mich wirklich für sie, aber ich weiß nicht, ob ich fähig bin, ihr das auch so zu zeigen.
Irgendwann unterbricht sie sich selbst und nippt an ihrem Kaffee.
"Und wie läuft es bei dir?", will sie dann wissen.
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Und jetzt bitte mal ein ganz fettes AWWW von allen. :)
Danke.
Wie ihr vielleicht merkt, neigen wir uns so langsam dem Ende der Geschichte zu... And to be honest, ich bin gestern Abend richtig sad-happy geworden, als ich das hier geschrieben habe, weil damit ist ja ALLES rund um die Geschwister Rosethorns abgeschlossen.
Naja, noch ist es nicht so weit :) Und ich meine, ich könnte ja immer... wenn ich wollte... hrhr
Was anderes: Liebt ihr diesen Geruch nach Regen auch? Den hatten wir heute! Und junge, alle Fenster auf! hehe
All my Love,
Lisa xoxo
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