54.
Ben
Song: Trees - Twenty One Pilots
Jessica stellt mein Glas auf der Kommode unter der Marmortreppe ab. Als sie sich wieder umdreht und das Licht des Kronleuchters in ihr Gesicht fällt, bemerke ich auf, dass die beiden hier im Partnerlook aufgekreuzt sind.
Jessica trägt ein seltsames, rotes Kleid mit Tüllrock. Einer Dreijährigen würde es vielleicht stehen, aber nicht Jessica mit ihren hochgesteckten Haaren und der üppigen Oberweite.
AJ trägt ebenfalls Rot. War das ein Kleiderkodex, von dem ich nichts mitbekommen habe, in den ich mal wieder nicht eingeweiht wurde?
Sein rubinrotes Hemd erinnert mich an ein Schachbrett.
Sie sehen komisch aus, wenn sie so dicht nebeneinander stehen und mich anschauen.
"Was hast du dir wieder eingeworfen, du verdammter Idiot?", schneidet die höhere von beiden Stimmen mein Trommelfell. "Siehst du nicht, was du anrichtest? Alle gucken schon!"
Sie flucht - etwas, dass ich ihr gar nicht zugetraut hätte.
Ich bin gerade dabei, mir mein Glas zurückzuholen, da greift AJ nach meinem Handgelenk und zieht mich mit.
"Komm wir gehen jetzt", sagt er gefasst.
"Lass mich los, AJ. Ich bin kein kleines Kind und du bist hier kein Bodyguard oder so", lache ich in sein Gesicht und versuche mich, aus seinem Griff zu befreien, doch dieser wird dadurch nur stärker um mein Handgelenk.
"Wie sollen wir ihn in sein Zimmer kriegen? Ich will nichts sagen, aber die Treppe ist lang", merkt Jessica an und schaut dem Blonden tief in die Augen.
"Das kriegen wir schon hin. Wir müssen. Das letzte, was Ophelia jetzt noch gebrauchen kann, ist ihr unter Drogen stehender Bruder."
"Ich habe überhaupt keine -", setze ich an, doch keiner der beiden hört mir zu.
"Ich werde ihn stützen, du gehst auf seine andere Seite. Mr. Rosethorn wird uns umbringen, wenn er ihn sieht."
"Der kann mich mal, ganz ehrlich", seufzt Jessica und ich spüre, wie sich ihr Arm um meine Hüfte schlingt.
Sie tun so, als wäre ich gar nicht da.
"Lass mich los! Immerhin ist das hier der Geburtstag meiner Schwester! Ich bin eingeladen!", versuche ich mich zu wehren.
Zu diesem Zeitpunkt tue ich es nur noch aus dem Grund, um Unruhe zu stiften und die Aufmerksamkeit von Dads Bekannten, Freunden und Partner auf uns zu richten, denn etwas anderes waren diese Menschen hier nicht.
Ophelia wird sicherlich keine Ehepaare und grauhaarige Greise zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstags eingeladen haben.
"Ben, ich bitte dich jetzt als Ophelias beste Freundin; bitte, bitte halt einfach die Klappe und ruiniere den Abend nicht noch weiter für uns."
Für uns. Sie gegen mich. Ich gegen sie. So wie immer.
Ich habe beinahe gar nicht bemerkt, wie wir bereits dabei sind, die ersten Treppenstufen zu erklimmen. Jetzt befinden wir uns wie auf dem Präsentierteller für die Anwesenden in der Halle. Das Licht blendet mich, als ich einen Blick nach unten werfe und feststelle, dass der Großteil von ihnen den Anstand besitzt, ihre Gespräche unbeirrt weiterzuführen und keinen Blick zu uns zu heben.
Für die Zeit des Aufstiegs in den ersten Stock bin ich wirklich unsichtbar.
AJ und Jessica halten neben mir spürbar die Luft an und wagen es nicht, einen Blick nach unten auf die Gäste zu werfen.
Es wäre beinah zu schön um wahr zu sein gewesen, wenn mein Vater jetzt durch die Halle brüllen und alle zum Zusammenzucken bringen würde, weil er mich doch noch auf den oberen Treppenstufen entdeckt hat.
Doch alles geht glatt - jedenfalls für Ophelias Freunde -, für mich auf der anderen Seite geht gar nichts glatt.
Mir ist schlecht und als wir zu dritt durch meine offene Zimmertür stolpern, kann ich nur noch mit größter Mühe die Tränen in meinen Augen halten, denn Jessica hält mir gerade einen Vortrag über das Verhalten eines großen Bruders, den Ophelia verdient hätte.
"Lass gut sein, Jess", unterbricht AJ sie und zieht seinen Arm unter meinem weg, lässt mich auf dem Bett zusammenbrechen. "Siehst du nicht, dass er genug für heute hat?"
"Ich kann es einfach nicht verstehen! Wie kann man so etwas immer und immer wieder machen? Wann hast du endlich mal genug von der ganzen Scheiße und dem ganzen Ärger und bemühst dich mal in deinem Leben, hm?"
Bei der letzten Frage taucht Jessicas Gesicht unmittelbar vor meinem auf. Sie riecht nach Alkohol und Rosen.
"Jess, lass -"
"Nein! Weil wir müssen da gleich wieder runtergehen und einen auf gute Miene machen! Und das nur seinetwegen! Nur weil seine Eltern unfähig sind, ihm in den Arsch zu treten, heißt das nicht, dass ich das auch bin!"
Sie knurrt, als sie sich AJ zuwendet, der sich bei dem Anblick der vor Wut beinahe überkochenden Jessica nur die Haare raufen kann.
"Und genau für Ophelia und weil heute ihr Geburtstag ist, sollten wir jetzt wieder runtergehen und das hier einfach vergessen", entgegnet AJ, für den ich in diesem Augenblick regelrecht Sympathie entwickle.
Er legt einen Arm um ihre Schultern und sieht dann mich an.
"Brauchst du noch irgendwas?"
Er braucht sich gar nicht zu verstellen und mir falsche Nettigkeiten vorgaukeln. Ich weiß, dass er mich hasst, so wie alle anderen.
"Nein."
Ich ziehe die Nase hoch und baumle mit den Beinen.
"Wenn ich mich dazu entscheiden sollte, meinen Abend frei zu gestalten, so wie ich es will, werde ich einfach den Hinterausgang zusammen mit dem Personal benutzen, damit ich nicht gesehen werde - kein Problem."
Jetzt gelingt mir das falsche Lachen, dass die Auseinandersetzung mit meinem Vater heute Morgen perfekt gemacht hätte.
"Mann, ich weiß, dass ist scheiße, aber -"
"Ich kann mir das nicht länger anhören", ringt Jessica hervor und verlässt den Raum.
"Kommst du, AJ?", ruft sie aus dem Flur, als AJ ihr nicht augenblicklich folgt.
"Ja!"
Mir wirft er noch einen letzten Blick zu, der merkwürdigerweise nicht nur Vorwurf, sondern auch verständnisvoll ist. Und zieht die Tür hinter sich fest ins Schloss.
Hätten sie einen Schlüssel, würden sie mich einschließen, dessen bin ich mir sicher.
Ich sitze eine ganze Weile einfach nur da und starre ausdruckslos an die Wand, denke noch nicht mal darüber nach, was gerade passiert ist.
Ist das mein Leben?
Kein Wunder, dass ich es beenden wollte.
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Jetzt wissen die von euch, die almost Hate gelesen haben, was während Ophelias B-Day Party noch so vorgefallen ist ... ;)
Es soll ja ein ganz schöner Sturm aufkommen ... Gerad liegt wieder eine ordentliche Böe auf meinem Fenster XD
Okay, mein Kaffee wartet, bis morgen my loves <3
All my Love,
Lisa xoxo
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