18.
Eric
Ich kneife meine Augen zusammen und versuche mir bereits aus der Ferne ein Bild über Bens Zustand zu machen.
Er versucht selbstsicher auf meinen Wangen zuzulaufen, durchgedrückter Rücken, den linken Arm an seinen Körper gepresst. Doch ich kann sehen, wie er beinahe über seine eigenen Füße stolpert.
Ich bin enttäuscht von ihm.
Und diese Erkenntnis trifft mich schwer. Er hat Schwierigkeiten, die Tür zu öffnen, sein gebrochener Arm scheint dabei irgendwie im Weg zu sein.
Ich habe wenig Zeit sein Erscheinungsbild in mich aufzunehmen, aber das grüne Hemd ist typisch für ihn. Jedenfalls für den Ben, der nachts vor die Tür geht.
"Hey", sage ich, als er die Tür zugeknallt hat.
Dunkle Augen mit Pupillen so groß wie der Vollmond über den Dächern der Stadt fallen auf mein Gesicht.
"Können wir fahren?", fragt er und im gleichen Atemzug sagt er noch: "Und frag bitte einfach nicht."
Ich presse die Lippen zusammen und trete aufs Gas. Ich hatte mir mehr Gesprächigkeit von ihm erhofft.
Doch nach der ersten Kurve besinne ich mich. Ich werde nicht in dieselben Verhaltensmuster von vor fünf Jahren zurückfallen und einfach die Klappe halten, wenn er mich darum bittet.
"Ein 'Danke' ist vielleicht das Mindeste, was ich von dir verlangen könnte", presse ich hervor und raufe an der nächsten Kreuzung meine Haare.
"Es war dein Vorschlag, mich abzuholen. Ich habe dich um nichts gebeten."
"Sag mal, ist das eigentlich dein Ernst? Ich verstehe schon, der großartige, taffe Ben Rosethorn zeigt keine Gefühle und niemand kann ihm das Wasser reichen, aber ehrlich, geht's noch? Ich bin hier, mitten in der Nacht, um dich aus irgendeiner scheiß Gegend abzuholen! Es sieht mir nicht danach aus, als ob sich andere um diese Aufgabe gerissen hätten."
Sein Eyeliner ist verschmiert, als ich ihm einen bösen Seitenblick zuwerfe.
"Ich meine ... ich mache das hier aus reiner Gefälligkeit und das, nachdem wir nicht gerade im Guten auseinander gegangen sind."
Ich ringe nach Atem und bereue es, an mein Handy gegangen zu sein. Überhaupt bereue ich es, ihm wieder geschrieben zu haben, nachdem er all meine Versuche, Kontakt aufzunehmen, hat abblitzen lassen. Wenn ich ihm nicht geschrieben hätte, wären wir uns wahrscheinlich nie wieder begegnet und das wäre besser so gewesen.
"Kannst du bitte aufhören, dich wie ein Arsch zu verhalten?"
Die Antwort lautet 'Nein', auch wenn sie nicht akustisch zu hören ist.
Ben beginnt auf dem Ledersitz nach vorn zu rutschen und angelt etwas aus der Gesäßtasche seiner engen Jeans. Eine Packung Zigaretten kommt zum Vorschein.
"Oh nein!", unterbreche ich seine erstaunlich flüssige Bewegung.
"Komm schon, stellt dich nicht so an, ich -"
"Nein! Nicht in meinem Auto!"
Die rot-weiße Packung fliegt gegen die Windschutzscheibe.
Ich habe genug, werfe einen schnellen Blick in den Rückspiegel, um sicherzustellen, dass die Straße hinter uns frei ist, dann lege ich eine Vollbremsung hin und schleudere Ben aus seinem Sitz.
Er hat sich natürlich nicht angeschnallt.
Laut fluchend stützt er sich am Armaturenbrett ab, natürlich mit verzögerter Reaktionszeit.
"Du wirst gleich aus diesem Auto geschmissen, einzige und letzte Warnung. Sowas muss ich mir doch nicht geben!"
Ich nehme die Hände vom Lenkrad und lege sie in meinen Schoß. Beobachte den Jüngeren dabei, wie er sich wieder aufrecht gegen die Lehen lehnt.
Er sieht mich nicht an, aber ich weiß, dass er meine Blicke auf sich spürt.
Scheiße, rede mit mir, will ich ihn anschreien, aber gleichzeitig will ich auch, dass er seinen Mund hält und ihn nie wieder aufmacht.
So könnte er wenigstens nie wieder etwas sagen, dass andere und ihn verletzt.
Ben spielt mit einem seiner Ringe, dreht ihn immer wieder zwischen den Fingern. Ich frage mich, ob er den Ring noch hat, den ich ihm geschenkt habe.
"Ich hab Scheiße gebaut", durchbricht er überraschend die Stille.
Am liebsten würde ich meine Hand über seine Lippen schlagen und sie nie wieder wegnehmen. Wehrlos im Krankenhausbett hat er mir irgendwie besser gefallen.
"Kannst du vielleicht mal aufhören, ständig dieses Wort zu sagen?"
"Scheiße."
Ein Knurren bahnt sich den Weg aus meiner Kehle.
Dieser kleine ...
"Meine Mutter. Sie hat sich bis zur Ohnmacht betrunken."
Seine Unterlippe zuckt, die lange Nase im Seitenprofil kraus gezogen. Er ist wirklich mitgenommen.
"Ich habe vorher, also gestern, ein paar nicht so schöne Dinge zu ihr gesagt."
"Oh Ben ..."
Ich kenne Georgia gut genug, um zu glauben, dass seine böse Vorahnung wahr ist und er indirekt etwas mit ihrem selbstzerstörerischen Verhalten zu tun hat.
"Sie ist jetzt im Krankenhaus, hoffentlich weisen sie sie in die Geschlossene ein."
Er kneift die Haut seiner blauen Finger des gebrochenen Arms.
"Sag so was nicht. Das ist abscheulich."
Sein Blick trifft mich wie ein Peitschenhieb.
"Abscheulich?"
Sein Speichel landet auf meiner Wange. Ich blinzle.
"Mein ganzes verdammtes Leben ist abscheulich! Aber davon kannst du ja nichts ahnen. Fahr einfach, desto schneller haben wir es hinter uns."
Ich wünschte, ich könnte mich gegen ihn stemmen, aber ich lege einfach den ersten Gang ein und fahre an. Schneller als eigentlich erlaubt, aber er hat recht, wir sollten das hier schnellstmöglich hinter uns bringen.
Auch wenn ich es bereue, aufgestanden zu sein, immerhin habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass sich zwischen uns nichts geändert hat, dass er sich nicht geändert hat.
Er kann sich nicht ändern, er braucht Hilfe, das weiß ich, aber ich kann ihm diese Hilfe nicht bieten.
"Hör auf, über mich nachzudenken", sagt Ben nach einer Weile.
Ich werfe ihm einen ausdruckslosen Blick zu, doch als ich einen flüchtigen Blick auf meine roten Wangen im Rückspiegel erhasche, weiß ich, dass mein Blick doch nicht so ausdruckslos gewesen sein kann.
"Kannst du nicht wie andere Menschen, die zugedröhnt sind, anhänglich, verletzlich und ohne Blatt vor dem Mund sein?", frage ich, um von mir abzulenken.
Ben klopft einen Rhythmus auf seinem Gips.
"Na gut, wie wäre es hiermit ...", überlegt er laut. "Ich habe mich wirklich gefreut, dass du mich im Krankenhaus besucht hast. Es war schön dich mal wiedergesehen zu haben."
"Wir sehen uns doch jetzt auch."
Aber wir wissen beide, dass es nicht dasselbe ist.
Im Krankenhaus war Ben bei klarerem Verstand, wir befanden uns Stück weit auf neutralem Boden.
Das hier, das ist zu viel Vergangenheit, die Wiederholung einer Geschichte, die längst beendet und verbrannt sein sollte. Bis vor kurzem glaubte ich auch, dass sie beendet sei.
Noch vor ein paar Tagen sind wir uns neu begegnet. Es wäre zu schön, um wahr zu sein, wenn dieser Zustand länger als ein paar Stunden angehalten hätte.
Da ist so viel Wut in ihm.
"Habe ich gerne gemacht", flüstere ich dann.
Ich hasse es, wie schwach meine Stimme klingt.
"Eric?"
"Hm?"
"Nichts."
Ich schüttele den Kopf und fahre ihn nach Hause. Wir sagen nichts mehr, kein einziges Wort. Als wir vor der langen Auffahrt seines Elternhauses zum Halten kommen, tauschen wir lediglich einen langen Blick, den Ben als erster bricht und aus dem Auto rutscht.
An diesem einen Abend vor all den Jahren haben wir uns geküsst. Zum ersten mal.
Ich weiß noch, als wäre es gestern gewesen, wie seine Hände gezittert haben, als er sich an meiner Jacke festgehalten hat. Die Dunkelheit hat uns umgeben, eingehüllt, vor neugierigen Blicken geschützt.
Jetzt blickt ich seinem Schatten nach, wie er taumelnd die Auffahrt hinaufläuft, dich ich an diesem einen Abend mit einem breiten Lächeln im Gesicht heruntergekommen bin.
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Song: Paradigms - Sam Fender
happy saturday everybody!
Für alle, die nach dem Namen des Nachtischs gefragt haben: Pavlova.
Gestern war ich mit meiner Mam im Buchlanden von unserem kleinen Kaff und ich wollte mir wirklich etwas kaufen. Kennt ihr das, wenn ihr einfach Geld ausgeben wollt? Tja, long story short ich habe nix gefunden. Irgendwie kaufen die da echt scheiße ein.
Was ist das letzte Buch, das ihr euch gekauft habt?
Okay es gibt Mittag, have to go, bis morgen <3
All my Love,
Lisa xoxo
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