79.
Der Abend zieht sich wie das Kaugummi in Jessicas Mund, das ich alle paar Minuten zu Gesicht bekomme, wenn sie es mit Luft füllt.
AJ sitzt vor uns auf dem Boden und versucht mit Kommentaren über vorbeilaufende Gäste die Stimmung zu heben.
Ich weiß nicht, ob er und Jess sich abgesprochen haben, aber sein rubinrotes Hemd passt perfekt zu dem roten Tüll von Jess' Kleid.
"Und eine weitere Anwärterin auf den Titel 'Ich zeige Bein, obwohl ich keins habe!'"
"AJ!"
Ich trete ihm gegen den Oberarm. Nicht sonderlich stark, aber er rollt sich im Gras und stöhnt.
Was mich zum Lachen bringt, dass muss ich ihm lassen. Aber er zieht auch die Aufmerksamkeit meiner Mutter auf uns.
Kaum zu glauben, aber lautes Lachen fällt auf meiner Geburtstagsfeier wirklich auf.
Mit kleinen eleganten Schritten kommt sie auf uns zu.
Sofort setze ich mich aufrechter hin, mein Lächeln verrutscht.
"Na, ihr drei. Amüsiert ihr euch?", fragt ihr Stimme, die das aufgesetzte Lächeln vertont.
"Ja, Mrs. Rosethorn, eine ganz wunderbare Feier. Ich persönlich bin ja ein Fan von den Lichterketten", antwortet Jessica für uns alle.
Meine Mutter verzieht den Mund.
"Meinst du?", fragt sie skeptisch und dreht sich um. "Mirella hat sie aufgehängt. Ich finde sie etwas zu ... kindlich."
Ich mag die Lichterketten auch. Und ich weiß, dass Mirella sich die Mühe mit den kleinen goldenen Lichtbällen gemacht hat, damit wenigstens im Garten ein bisschen gemütliche Stimmung herrscht.
"Das sehen Sie völlig falsch, Mrs. Rosethorn", schaltet sich jetzt auch der Junge am Boden ein.
"Wenn du das sagst, AJ", schmunzelt meine Mutter.
Ich verfolge ihr oberflächliches Gespräch und hoffe, dass sich ihre Aufmerksamkeit nicht auf mich richten wird, doch sie dreht sich mir zu und lächelt.
"Packst du heute noch deine Geschenke aus? Wenigstens die von Dad und mir?"
Sie sieht mich hoffnungsvoll an.
Ich ziehe die Schultern hoch.
"Ich weiß noch nicht."
Ihre hellbraunen Augen trüben sich und plötzlich tut es mir unglaublich leid, sie enttäuscht zu haben.
Das beinahe ehrliche Lächeln, das eben noch ihr stark geschminktes Gesicht geziert hat, verblasst.
"Verstehe. Gut ich ... Ich werde dann mal lieber wieder zu deinem Vater gehen."
Sie nickt in die Runde.
"Damit ihr wieder eure Ruhe vor mir habt."
Noch ein kleines, schmales Lächeln, dann wendet sie sich ab und verschwindet.
Jess atmet laut aus.
"Was war das denn?"
Ich habe keine Zeit eine Antwort darauf zu finden, denn AJ knurrt im selben Moment: "Ophelia Rosethorn, dein anderer Freund kommt, auf drei Uhr."
Mit diesen Worten erhebt er sich und sammelt seine Bierflaschen ein.
Aus irgendeinem Grund kann er Sam nicht leiden. Dabei kennen sich die beiden gar nicht wirklich. Ich habe Sam meine Freunde aus der Uni noch nie vorgestellt.
Aber laut AJ ist Samuel ihm zu brav.
Meine Augen fallen auf den blonden Jungen, der von seiner Mutter aufgehalten wird und entnervt den Kopf schüttelt.
Er repräsentiert schon ziemlich das Gegenteil von AJ.
Ich winke Sam zu, als er zu mir herüberschaut und entschuldigend die Schultern hebt.
Doch Jess dirigiert mein Augenmerk in ihre Richtung, in dem sie mich zu sich zieht.
"Ist das nicht deine Tante dahinten?", flüstert sie in mein Ohr.
Ich folge ihrem unauffällig ausgestreckten Zeigefinger.
"Sieht mir nach ein bisschen zu viel Alkohol aus."
Tante Jennifer ist dabei einem Mann mit silbernem Haar zuzuprosten und legt den Kopf lachend in den Nacken.
Selbst aus der Entfernung kann ich sehen, wie sie den Inhalt ihres Glases verschüttet. Sie ist mehr als nur angetrunken.
"Ich meine ja nur", fährt Jessicas raunende Stimme fort, "nicht das ihre Zunge etwas zu locker wird."
Sie zieht die Augenbrauen hoch und sieht mich vielsagend an.
Jace. Unser kleines Geheimnis.
Mir wird schlecht und gleichzeitig merke ich, wie das Blut mein Gesicht verlässt.
"Ich muss zu ihr", ringe ich hervor und durchquere den Garten mit bestimmten Schritten.
Jemand ruft meinen Namen, doch ich ignoriere alles und jeden - außer meine Tante.
Bis jemand meinen Arm zu fassen bekommt.
"Jetzt warte doch mal! Ich hatte noch gar keine richtige Gelegenheit dir zu gratulieren".
Sam grinst in mein Gesicht.
Ich bin gezwungen, Tante Jennifer den Rücken zu zudreht und dieser tote Winkel gefällt mir ganz und gar nicht.
"Sam, Hi. Wie liebt. Ähm ... ich bin gleich ganz für dich da, es gibt da nur was, dass ich -"
"Du musst Sam sein!", schallt Jessicas aufgedrehte Stimme von meiner Rechten.
Erleichtert atme ich auf.
Sie wirft mir einen schnellen Blick zu und deutet hinter mich.
Bevor ich meinen Weg fortsetze, sehe ich noch, wie sie sich bei Sam unterhakt und höre wie sie säuselt: "Ich bin Jessica, Jess. Ophelias beeesteee Freundin. Ich habe schon so viel von dir gehört."
Für diese Aktion bin ich wirklich dankbar. Auch, wenn mir Sam in diesem Moment ein bisschen leid tut. Er steht völlig überfordert da.
Doch dafür, wie es meinem ältesten Freund geht, habe ich jetzt wirklich keine Zeit.
Meine Augen suchen nach Jennifer und treffen auf die breiten Schultern meines Vaters.
Ich habe zwei Sekunden meinen Blick abgewandt und schon steht Dad neben ihr!
Das darf doch nicht wahr sein.
Ich ringe nach Luft, eile auf die kleine Gruppe zu, in der sie stehen.
Die Nachtluft ist herrlich, immer noch warm, aber erfrischend im Vergleich zum Tag.
Ich kann sie jedoch nicht genießen, weil Dad plötzlich ein merkwürdiges Gesicht macht.
Er sieht ... wütend aus. Überrascht? Aufgebracht.
Es ist kein Geheimnis, dass Tante Jennifer kein besonders großer Fan von Dad ist und ihm gerne auf den Schlips tritt, aber in meiner Situation scheint jedes Wort, das ihre Lippen verlässt, eine Information über Jace und mich zu sein.
"Tante Jennifer! Ich habe dich schon überall gesucht", sage ich überschwänglich und drängle mich zwischen sie und meinen Vater.
"Spätzchen, genau dich habe ich gesucht", erklingt eine dunkle Stimme.
Mein Schultern spannen sich an und ich werfe einen verunsicherten Blick zu Jennifer.
"Ja? Warum denn?"
"Ich habe dir doch gesagt, dass du dich bitte im Haus aufhalten sollst. Und außerdem solltest du jetzt langsam mal mit dem Geschenkeauspacken anfangen. Deine Mutter hat mir schon gesagt, dass du nicht willst, aber es wäre doch sehr unhöflich deinen Gästen nicht mal aufrichtig Danke zu sagen."
Ich starre zu ihm hoch und verschränke die Arme.
"Das sind aber nicht meine Gäste, Dad", presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Tante Jennifer ist mein Gast. Und AJ und Jess und Sam. Den Rest der Anwesenden kenne ich noch nicht mal!"
Meine Tante gibt ein zufriedenes Lachen von sich und hebt ihr Weinglas an die Lippen.
Ich weiß, sie ist stolz darüber, dass ich meinem Dad die Stirn biete.
Dad lacht kalt auf und seine markanten Gesichtszüge verhärten sich.
"Das ist aber ganz sicherlich nicht mein Vergehen. Wenn du auch nur ein bisschen mehr mit Herz und Seele bei unseren Galas und Firmenfeiern dabei wärst, würdest du all diese Menschen kennen."
Er straft sein graues Jackett und sieht mich kopfschüttelt an, als wäre ich ein kleines bockiges Kind und nicht seine Tochter, die heute erwachen geworden ist.
"Ich will sie aber nicht kennen, Dad. Ich wollte einen ruhigen Geburtstag, keine ..."
Ich suche nach Worten und gestikuliere in der Luft herum.
"... Großveranstaltung mit Band."
Ich blicke in seine Augen und suche nach Verständnis. Doch alles, was ich finde, ist Ablehnung und Fassungslosigkeit.
"Ich wollte heute mit Mom ans Meer fahren, so wie wir es schon seit einer Ewigkeit geplant haben, ich -"
"Diese Pläne haben sich vor vielen Jahren erledigt, als sich dein Bruder nicht mehr unter Kontrolle hat, das weißt du genau", knurrt er mit gesenktem Kopf.
So schnell die Strenge über ihn gekommen ist, richtet er sich wieder auf und setzt sein Verhandlungslächeln auf.
"Aber wenn du unbedingt ans Wasser willst, könntest du doch mal wieder mit Sam segeln fahren, dass wolltet ihr diesen Sommer doch unbedingt noch machen."
Tante Jennifer existiert für keinen von uns mehr. Es gibt nur noch Vater und Tochter im Ring.
Den nächsten Schlag werde ich austeilen.
"Hör auf mein Leben zu planen. Ich bin erwachsen, mein eigener Mensch, verdammt!"
Sein Gesicht verdunkelt sich.
"Achte auf deinen Ton. Bitte."
Das 'Bitte' ist keine Bitte. Es ist eine schiere Drohung.
Ich schnaube.
"Nein, ich will -"
"Du hast überhaupt nichts zu wollen, solange du unter meinem Dach wohnst und von meinem Geld finanzierst wirst, junge Dame. Ich wollte mit dir sowieso einmal über Samuel reden. Ich habe ihm zugesagt, dass du dich mit ihm treffen wirst, hast du verstanden?"
Tränen brennen in meinen Augen.
Das macht er immer. Sobald ich argumentieren will, mich wehren will, macht er dicht und stellt mich vor vollendete Tatsachen.
"Paul, du solltest wirklich mal -"
"Halt dich da raus", unterbricht mein Vater den kläglichen Versuch meiner betrunkenen Tante mich zu verteidigen.
"Schon gut", lächle ich ihr zu und wische hastig über meine Wangen.
Nichts ist gut und das spiegeln mir ihre glasigen Augen wider.
Sie macht sich Sorgen um mich, ihr Stolz ist verschwunden. Wie sie da steht, in ihrem dunkelblauen Anzug, der bereits einen Fleck von ihrem Wein oder einem anderen Getränk trägt.
Ich mache sie traurig, weil ich mich nicht wehre.
Und das an meinem 21. Geburtstag, am Tag meiner Unabhängigkeit.
"Damit ist jetzt Schluss", spreche ich laut aus.
Dad und Tante Jennifer sehen mich überrascht an. Sie haben den Sieg wohl schon auf Dads Konto verbucht.
"Ich habe es statt, dass du alles, wirklich alles über meinen Kopf hinweg entscheidest. Mir reicht es, feiert, was ihr wollt, aber nicht mehr meinen Geburtstag!"
Nach diesen Worten mache ich kehrt und verlasse unseren Garten auf kürzestem Weg.
Das Geburtstagskind verlässt mit Tränen verschleierten Wangen vorzeitig seine eigene Feier.
Was für ein Abend!
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Song: Hard Feelings - Lorde
Hello,
hat Ophelia richtig gemacht, oder?
Wenn man seinen Vater nur mal so richtig schlagen könnte ... so richtig, richtig .... seufz xD
Ich habe heute Eiscreme gemacht, morgen kann ich sagen, ob es was geworden ist xD
Apropos morgen: Ich werde erst am Montag wieder hochladen, deswegen heute das längere Kapi ;) <3
Also bis Montag :) Genießt euern Sonntag!
All my Love,
Lisa xoxo
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