7.
Der Zug bremst ab und meine müden Füße versuchen Halt zu finden.
Dieser Tag ist einfach nur anstrengend gewesen.
Ich warte auf den vollständigen Halten und drücke auf den abgenutzten Knopf, um die Tür zu öffnen.
Nicht mehr als drei weitere Passagiere steigen mit mir in Fitchburg aus.
Ich schultere meinen Rucksack und meine Handtasche und laufe Richtung Ausgang.
"Hey."
Eine Silhouette tritt aus dem Schatten. Erst schenke ich ihr keine Beachtung, doch als sie sich mir immer weiter nähert, hebe ich den Kopf.
Erschrocken blicke ich in das Gesicht des Taschendiebes.
"Du?!"
Ein Grinsen bildet sich auf seinen schmalen Lippen.
"Ja, ich."
Er breitet die Arme aus, ich zucke zurück, sehe ihn vor meinem inneren Augen schon, nach einer meiner Taschen greifen.
Er schaut mich fragend an, ein Mundwinkel zuckt.
"Willst du mir die Handtasche wieder klauen, oder warum lauerst du mir auf?"
Ich hoffe, dass er die Unsicherheit in meiner Stimme nicht hören kann.
"Ich glaube, da ist ein Unterschied zwischen jemandem auflauern und auf jemanden warten", sagt er gelassen.
Ich spüre, wie meine Augen größer werden. Dann stoße ich ein hysterisches Lachen aus.
"Hast du diesen Satz irgendwo gelesen? Oder nein ... Ich glaube, so jemand wie du liest überhaupt nicht. Bitte entschuldige."
Er lacht in sich hinein.
Erst jetzt bemerke ich, dass ich stehen geblieben bin. Auf dem Bahnsteig. Um mich indirekt mit einem Taschendieb zu unterhalten.
Ich mache einen Schritt nach vorn, sofort setzt auch er sich in Bewegung.
"Wenn du mich nicht in Ruhe lässt, schreie ich", drohe ich, etwas lauter als beabsichtigt.
Wieder lacht er.
"Ich glaube, das hättest du schon längst getan", stellt er dann fest.
Ich werfe ihm einen flüchtigen Blick zu und sehe ein schelmisches Funkeln in seinen Augen.
"Ich meine es ernst. Deine Anwesenheit ist nicht erwünscht."
"Gehört der Bahnhof dir?", fragt er mit ruhiger Stimme.
Perplex hebe ich meinen Kopf und sehe zu ihm auf.
"Na also. Dann darf ich mich hier auch aufhalten. Und ich meine genau hier."
Ich weiche seinem Blick aus und bemerke, dass sein Reiserucksack nicht auf seinem Rücken thront.
Ansonsten sieht er genauso aus wie heute Morgen.
Seine schwarze Regenjacke scheint ihm ein wenig zu groß zu sein. Beim Laufen kann ich deutlich erkennen, dass seine Schultern sie nicht ausfüllen.
Seine schwarze Mütze ist immer noch tief über die Ohren gezogen und kleine gelockte Strähnen schauen darunter hervor.
"Pass lieber auf, wo du hinläufst."
Seine tiefe Stimme reißt mich aus meinen Gedanken und ich schaue auf die Treppen vor mir, weiche im letzten Moment einer leeren Cola Dose aus.
"Danke", murmele ich und kneife im nächsten Moment verräterisch die Augen zusammen.
Wieso bedanke ich mich?
Ich sollte schneller laufen und um Hilfe rufen.
Oder die Polizei von meinem leeren Handy rufen, das schon vor einigen Stunden den Geist aufgegeben hat.
Mit einem Mal bekomme ich Angst.
Ich bemerke, wie leer der kleine Bahnhof ist und das ich praktisch alleine mit diesem Fremden durch die dunkle Unterführung laufe.
Meine Schultern versteifen sich und ich nehme den jungen Mann neben mir überdeutlich wahr.
Jede kleine Bewegung registriere ich in erhöhter Alarmbereitschaft.
Ich bin jeder Zeit bereit loszurennen, wenn er auch nur den Arm heben oder sich zu mir drehen würde.
Doch er tut nichts dergleichen.
Wir treten heraus in das letzte Tageslicht und ich atme erleichtert aus.
Jetzt befinden wir uns jedenfalls auf der offenen Straße.
"Ich würde jetzt gerne nach Hause gehen. Alleine", sage ich bestimmt, ohne ihn anzusehen.
"Und ich würde dich gerne begleiten."
Ich umklammere den Schultergurt meiner Tasche.
"Wieso?", kommt es heiser über meine Lippen.
"Weil ich dich gerne begleiten würde. Ich muss meine Tat doch irgendwie wieder gut machen."
Ich spüre seine Augen auf mir, wage es aber nicht den Blick zu heben.
Plötzlich erinnere ich mich daran, wie ich seine Hände bei der Kleideranprobe auf mir gespürt habe.
Das ist doch alles völlig verrückt.
"Du musst überhaupt nichts gut machen. Ich habe meine Tasche wieder. Das Geld behalte, es ist mir egal. Lass mich einfach in Frieden!"
Eine Hand greift nach meinem rechten Oberarm.
Ich will sie abschütteln, aber ich kann mich nicht bewegen. Er greift nicht fest zu, nur ganz sanft.
Ich könnte ihn jeder Zeit abschütteln.
"Du siehst aber so aus, als könntest du ein bisschen Gesellschaft gebrauchen."
Ein Windstoß erfasst meinen Mantel, zerrt an meinen Haaren und wirbelt totes Laub über die Straße.
Kann man auf so eine unverschämte Aussage überhaupt irgendetwas antworten?
"Brauche ich nicht. Außerdem kenne ich nicht mal deinen Namen. Ich will nicht -"
"Jace."
Oh verdammt.
Ich lasse den Kopf nach hinten fallen.
Er zieht die Augenbrauen zusammen. Meine Augen weichen seinen aus. Ich ertrage die Intensität, die in ihnen liegt, nicht.
Eine ernüchternde Welle schwappt über mich. Ich bin machtlos und ich habe keine Möglichkeit Hilfe anzufordern.
Langsam setze ich einen Fuß vor den anderen. Hoffend, dass er vielleicht doch vor der Unterführung stehen bleibt und mich gehen lässt.
Er ist ein Penner. So wie meine Freunde es gesagt haben.
Und ich würde mich in ernsthafte Gefahr begeben, wenn ich blauäugig versuchen würde das Gute in ihm zu sehen.
So wie es die Träumerin in mir tun würde. AJ nennt mich schließlich nicht umsonst so.
Doch dieses Mal werde ich nicht die gottverdammte Träumerin sein. Er ist nicht einfach nur nett und will mich begleiten oder mit mir reden.
Meine Schritte werden schneller und ich atme durch den Mund, versuche mich auf die grauen Steine unter mir zu konzentrieren.
Jace folgt mir.
Jace. Ich wollte seinen Namen nicht wissen. Jetzt, wo ich ihn kenne verändert das irgendetwas.
Er folgt mir. Ich höre seine sicheren, langsamen Schritte im gleichmäßigen Rhythmus hinter mir.
An der ersten Straßenecke drehe ich mich zu ihm um.
"Ich bin Ophelia."
"Ich weiß."
"Trotzdem wäre es unhöflich, wenn ich mich nicht vorstellen würde."
Jace zuckt mit den Achseln.
Das hier ist wirklich mehr als komisch.
Ich wünschte, die Sonne würde immer noch scheinen und unsere Umgebung nicht ganz so trostlos erscheinen lassen.
Wir wechseln kein weiteres Wort mehr.
Auch nicht, als ein Auto vor uns über den Zebrastreifen heizt.
Wir wechseln lediglich einen kurzen Blick.
Sein Gesicht wirkt seltsam entspannt, fast so, als würden wir das hier jeden Tag machen.
Ich umfasse die Steine in meiner Manteltasche und lasse sie durch meine Finger fallen, um mich zu beruhigen.
Und tatsächlich hilft das auch. Jedenfalls rede ich mir ein, dass die Ruhe in mir nicht von Jaces Anwesenheit und seiner Ausstrahlung kommt.
Er läuft mit einigem Abstand neben mir her. Die Nase immer in den Wind gerichtet, er schaut nie zu Boden.
Ich mustere die Hausfassaden, die kahlen Vorgärten und die Schaufenster, die unseren Weg säumen. Ich tue alles, um nicht in seine Richtung zu blicken, auch wenn mir seine Anwesenheit mit brennender Gewissheit bewusst ist.
Der Weg zum Haus meiner Familie kommt mir plötzlich unheimlich kurz vor.
Viel zu schnell erreichen wir meine Straße.
"Da hinten wohne ich", sage ich nach einem Räuspern und bleibe stehen.
Jace sieht auf mich hinunter und ich komme mir seltsam klein und dumm vor.
Ich weiß immer noch nicht, was das hier soll.
"Ich muss ja hoffentlich keine Angst haben, dass du in den nächsten Tagen bei uns einbrechen wirst, oder?"
Jace sieht mich mit dunkelgrünen Augen an.
Eine Emotion, die ich nicht deuten kann, huscht über sein Gesicht.
"So jemand bin ich nicht. Ich habe dir gesagt, dass es mir leid tut und dass das, was ich getan habe, ein Fehler war und das ich so etwas normalerweise nicht mache."
"Ja, ja. Normalerweise", unterbreche ich ihn.
Plötzlich mutiger, weil mein sicheres Zuhause in unmittelbarer Nähe ist.
"Du musst dich nicht wiederholen. Nur weil ich blond bin, heißt das nicht, dass ich blöd bin."
Mein Kopf senkt sich etwas, dann lächle ich ihn an. Nur kurz.
Ein merkwürdiges Gefühl baut sich in mir auf.
Ich versuche mich dagegen zu wehren und ziehe die Hände aus meinen Taschen.
"Ich gehe dann mal. War ... interessant dich ... kennenzulernen", bringe ich zögernd hervor.
"Geht mir genauso."
Ich hebe die Hand und drehe mich um.
Erst als ich unsere Einfahrt erreicht habe, blicke ich noch einmal zurück.
Jace steht immer noch an derselben Stelle, an der ich ihn zurückgelassen habe und schaut mir nach.
Eine Gänsehaut überkommt mich und ich wende mich ab.
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Song: Play It Safe (Stripped) - WOLF (check her out! she's a-ma-zing!)
Hey Loves :)
Mal ein frühes Update - Applaus für mich bitte xD
Morgen ist einfach schon Ostern - ich verstehe es nicht! Zeit ....
So ... Jace and Ophelia.
Was sagt ihr?
Ich weiß, die Umstände sind merkwürdig, aber das will ich.
Denn genau dieser Vibe wird sich fortsetzen ;)
Hope u have a great day!
Sending u love!
All my Love,
Lisa xoxo
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