66.
"Ophelia, bitte!"
Da ist so viel Schmerz in seiner Stimme.
So viel Trauer und Reue.
Ich halte inne, weil es mich regelrecht foltert, ihn so zu hören.
Seine grünen Augen müssen voller Tränen sein, die seine Iriden in die Tiefsee verwandeln, die ich schon so oft in ihnen gesehen habe.
"Ich habe Krebs."
Drei simple Worte, die mich bis ins Mark erschüttern.
Ich erfriere. So fühlt es sich an.
"Du hast was?"
Ich bin immer noch der Tür zugewandt, als ich diese Frage stelle.
Mit einem Mal sind alle meine Tränen versiegt.
"Ich habe Krebs, Ophelia. Ich bin krank."
Langsam drehe ich mich um, meine ausgestreckte Hand fällt kraftlos an meiner Seite herunter.
"Was?", hauche ich.
Ich glaube, er hört meine Frage nicht. Sie ist zu leise, zu kläglich, aber er liest meine Lippen.
Er sitzt so stark und erhaben, so selbstsicher und stolz auf der Bettkante und sieht mich an. Da sind keine Tränen in seinen Augen, sie sind nur in seiner Stimme. Es wirkt nicht so, als hätte er mir gerade eine desaströse, alles vernichtende Nachricht übermittelt.
Aber das hat er.
"Ich - Ich verstehe nicht."
Ohne meinem Körper den Befehl gegeben zu haben, trete ich näher.
"Ich weiß es schon eine ganze Weile. Die Drogen, sie ... sie helfen gegen die Schmerzen."
Es wirkt so, als wäre es ihm peinlich dies zuzugeben.
Schmerzen?
Meine Augen wandern an seinem entblößten Körper entlang.
Seine Füße und Waden sehen normal aus.
Alles, was über den Knien liegt, wird vom hellblauen Krankenhauskittel verdeckt.
"Du kannst es nicht sehen. Das passiert alles in mir."
"Jace, ich -"
"Das soll nichts an deiner Einstellung zu mir ändern", fährt er fort und lähmt damit meine Zunge.
"Ich wollte nur, dass du den Grund kennst. Die Drogen lindern Schmerzen, gegen die Medikamente schon längst nicht mehr wirken. Nur deshalb nehme ich sie. Es geht nicht anders."
"Aber es muss doch ..."
Meine Worte verlieren sich im kleinen Raum.
Jace schüttelt den Kopf.
Nein. Nein, es gibt keine Medikamente. Nein, es gibt keine Hoffnung auf Linderung.
Ich falle auf das Bett.
"Aber das kann doch ..."
Ich starre an die gegenüberliegende Wand und spüre Jaces Finger an meinem Handrücken.
Er sagt nichts, er greift auch nicht nach meiner Hand. Er streicht sie nur.
Als ich mich traue, den Kopf in seine Richtung zu drehen, bin ich schockiert über seinen normalen Gesichtsausdruck.
Er sieht ganz normal aus, wie immer. Wie damals, als er mich auf dem Bahnhof angesprochen und mich nach Hause begleitet hat.
Da ist immer noch dieses Funkeln, das eigentlich längst hätte erloschen sein müssen.
"Wie schlimm ..."
Wieder verlieren sich meine Worte im Raum.
"Wie schlimm es ist?", fragt er und schüttelt dabei langsam den Kopf. "Das will ich gar nicht wissen. Denn eines habe ich gelernt ..."
Jetzt umschließen seine Finger doch meine zitternde Hand.
"Es ist besser im Moment zu leben, als im Morgen. Und was nützt es mir, mir über Morgen den Kopf zu zerbrechen, wenn ich doch Jetzt habe?"
Meine Lippen teilen sich und ich fahre mit der Zunge über meine Unterlippe, sammle meine Worte.
"Aber, aber es gibt doch Behandlungen, es gibt doch ... Du kannst doch nicht einfach mit geschlossenen Augen gegen die Wand laufen!"
Ich versuche ihm meine Hand zu entziehen und komme dabei an den Zugang, der unter seiner Haut liegt.
Jace verzieht das Gesicht.
Ob wegen meiner Worte oder dem Schmerz, der sich in seinem Unterarm ausbreiten muss, bleibt offen.
"Was? Es gibt Chemos? Weißt du, wie es Menschen geht, die eine machen?"
"Aber danach kann es dir doch wieder besser gehen, du kannst gesund werden! Jace, dass kann gerade nicht dein Ernst sein."
Ich kenne mich mit Krebserkrankungen nicht aus.
Ich kenne niemanden, der darunter leidet.
Aber ich weiß, dass es Lösungen gibt. Heilmittel, wenn man so will.
Und ich weiß, dass sie helfen. Jedenfalls meistens. Manchmal. Nicht immer, aber meistens!
Ich blicke in Jaces Augen, die mir aufrichtig aber aus dem Schatten entgegenblicken.
Er schüttelt den Kopf.
"Ich habe dich nicht hierher gebeten, um mit dir über mögliche Behandlungen zu diskutieren. Ich wollte nur, dass du den Grund kennst, warum ich ... mit nicht ganz klarem Kopf vor dir stand."
Er kann doch nicht einfach so aufgeben.
Mir ist klar, dass er sich ein Stück weit aufgegeben hat, als er auf der Straße gelandet ist. Aber das hier ist eine andere Nummer. Hier geht es um seine Gesundheit, sein Leben.
"Warte mal ... Ist das etwa der Grund warum du ... warum du obdachlos bist?"
Ich kralle mich mit meiner freien Hand in die rauen Bettbezüge.
Jace überlegt. Er scheint abzuwägen, wie viel er mir sagen kann, sagen sollte.
"Ja. Aber bevor du weitere Fragen stellst; ich möchte wirklich nicht darüber reden."
Sein Ton ist ernst und ich schlage die Augen nieder, betrachte seine hellblaue Garderobe.
Der Farbton steht ihm nicht, lässt ihn blass und krank aussehen. Oder kränker.
"Ich verstehe. Tut mir leid."
Jace seufzt und ich weiß, dass er mir sagen will, dass das soeben eine nicht nötige Entschuldigung war, aber er hält sich zurück, verbal jedenfalls.
"Und du wolltest abhauen, weil ... ich dir sowas wie ein Zuhause gegeben habe und du, wegen deiner Diagnose, also ..."
Die Worte in meinem Kopf formen sich nicht zu zusammenhängenden Sätzen.
Ich kann nicht viel mehr als herumdrucksen und die Röte, die sich auf meinen Wangen ausbreitet, akzeptieren.
"Ja", flüstert Jace neben mir und stupst mein Kinn an.
"Ich will dir nicht zur Last fallen. Jetzt hast du gesehen, was das bedeuten würde."
Er blickt an sich herunter.
"Was ist es für ein Krebs?", frage ich heiser.
"Lunge", lautet die knappe, harte Antwort, die ich erhalte.
Sein Husten.
Der verdammte Husten, den ich schon am ersten Tag, als ich ihn gesehen habe, bemerkte.
"Du solltest dich wieder hinlegen", merke ich an, im Inbegriff mich zu erheben, sodass er sich wieder ausruhen kann.
Er lacht auf. Der warme Ton erfüllt meine Ohren und mir wird klar, wie sehr ich ihn in den letzten Stunden vermisst habe.
"Mir geht es gut, Ophelia."
Ich verdrehe die Augen, stelle aber vorher sicher, dass er mein Gesicht nicht einsehen kann.
Dennoch vermittelt mir sein raues Glucksen, dass er weiß, was ich gerade getan habe.
"Genau das ist mein Punkt", sagt er dann. "Ich will nicht, dass du oder irgendjemand sich um mich sorgt, denn das Leben zu schön. Diese Sorgen werden von jetzt an unser Zusammensein dominieren und uns den Spaß nehmen. Das hindert dich und mich am Leben, verstehst du?"
Ich drehe meinen gesamten Körper zu ihm und blicke fest in seine grünen Augen.
"Aber du musst diese Last doch nicht mit dir allein herumtragen. Dafür sind Menschen, die dich lieben nämlich da; sie helfen dir damit klarzukommen und nehmen dir etwas von deiner Last ab, egal wie schwer sie ist."
"Und ich sehe diese Menschen dann leiden und fühle mich schlechter als zuvor. So läuft das nicht, Ophelia", beharrt er.
Ich beiße die Zähne fest zusammen und würde ihn am liebsten anschreien.
"Aber Drogen, auf der Straße leben, Geheimnisse mit dir herumtragen und vereinsamen, belasten dich nicht?"
"Das habe ich nicht gesagt", murmelt er und streicht mir eine von Tränen durchnässte Haarsträhne hinter das Ohr. "Aber damit kann ich umgehen. Damit, wie Menschen wegen mir in Trauer versinken, nicht."
Seine Wärme neben meiner Wange verschwindet, als er sich zurückzieht.
Ich beobachte seine Hand dabei, wie sie sich sachte neben seinen Oberschenkel legt.
Seine Nagelbetten sind schmutzig und er hat eine Schürfwunde am Handrücken.
Meine Augen treffen wieder auf seine.
"Dann sage ich dir jetzt mal was, du Blödmann."
Als ich dieses Mal Luft holte, fühlt sich meine Kehle wie zugeschnürt an.
"Du kannst nicht einfach jeden von dir stoßen, der dir seine Hand reicht! Im Leben verletzt man nun mal andere Menschen! Aber man hat immer die freie Entscheidung darüber, wie man es macht."
Ich lasse eine Pause zwischen uns entstehen, um den Worten tiefere Bedeutung zu verleihen.
"Du kannst mich verlassen, ohne je wieder ein Lebenszeichen von dir zu geben und mir damit das Herz brechen oder du kannst deinen Schmerz mit mir teilen und ich verspreche dir, dass ich ihn erträglicher machen werde."
Ich umschließe seine Hand mit beiden Händen und breche den Blickkontakt nicht eine Sekunde ab.
Er soll wissen, dass ich es ernst meine. Eine Rosethorn hält ihr Wort.
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Song: i know the end (Cover) - Chis Lanzon
hi, ich muss dieses Kapi teilen. Ich meine, es ist viel zu lang anyways ;) und zweitens gucke ich heute Abend FUßBALL!!!!!! Also kann ich nicht schreiben mööp
Und jetzt werde ich ernst. Weil ... naja. Ich glaube, das was jetzt rausgekommen ist, ist viel oder..? Also viel zu verkraften. Eine schlaue Leserin hat es tatsächlich schon vor 20 Kapiteln vermutet xD
Was sagt ihr? Zu allem, zu Jace, zu .... meiner Grausamkeit?
Ich habe gute Nachrichten: Ich nehme jetzt so eine Tablette gegen meinen Heuschnupfen & ich kann wieder draußen sitzen!!!!!!!!! yay, ich freue mich echt so!!! :) Die Nase läuft zwar noch, aber es ist absolut machbar.
Okay, i gotta go (just like in the lyrics)
all my Love,
Lisa xoxo
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