Düstere Stadt
Ja, der heutige Tag war anders. Jemand hatte uns in der Nacht angegriffen. Taras Mund war mit einem Klebeband zugeklebt. Als sie sich ihr T-Shirt über den Kopf zog, entglitt ihr ein Schrei. Auf ihrem Bauch waren überall Schnitte. Sie fing an zu weinen. "Scheiße!", fluchte ich und stand auf. Wir mussten uns einen Unterschlupf suchen. Einfach so konnten wir nicht da liegen.
"Kannst du gehen?", fragte ich und half Tara beim Aufstehen. Jedes Mal, wenn sich die Haut an ihrem Bauch bewegte, wimmerte sie und zuckte zusammen.
In einiger Entfernung entdeckte ich einen riesigen Felsen. Darunter war ein Loch, durch das man schlüpfen konnte. Perfekt - eine Höhle. Hoffentlich war keiner darin. Wir näherten uns unserem vielleicht bald eigenen Unterschlupf. Ich krabbelte durch die Öffnung und befand mich in schwarzer Dunkelheit.
"Hast du irgendwas, das Licht erzeugen kann?", fragte ich Tara, die sich gegen einen Baum lehnte und keuchte. Ich erhob mich sofort und eilte mit schnellen Schritten zu ihr hin.
"Arzt!", flüsterte sie mühsam. Ich handelte schnell und hob sie hoch, damit ich sie im Brautstyle tragen konnte. Dann ging ich auch schon richtung Ausgang des Waldes. Tara schien immer weniger Luft zu bekommen. Ich wurde schneller. Ich hatte schon unzählige Kratzer und Schürfwunden an meinem Körper, doch das war mir scheißegal. Ich hatte nur eines im Sinn: Ich musste Tara retten!
Endlich kam die Straße in Sicht. Ich beschleunigte noch einmal. Gleich in der Nähe musste ein Arzt sein. Hoffentlich hatte er Dienst ...
Ich konnte schon das weiße Haus mit den Holzfensterrahmen sehen. Endlich kamen wir an. Tara hatte die Augen geschlossen und auf ihrer Stirn waren Schweißperlen. Ich hatte Angst um sie. Ich hatte sie schon einmal fast verloren und sie mich auch. Was war nur mit dieser Welt geschehen? Wo waren die fröhlichen Gesichter hingekommen? Vor einigen Tagen war ich noch mit Paul und Colin in der Schule. Tara hat wahrscheinlich nie was anderes gekannt. Ich konnte mir das gar nicht vorstellen, einfach sein Leben irgendwie zu leben und darauf achten, dass man es halbwegs überlebt. Hat es dann überhaupt noch Sinn? Tara hatte eine Freundin - Mia. Das Mädchen gab es jetzr nicht mehr. Wieso herrschte plötzlich so eine Unruhe in der Stadt? Was war passiert, dass alle Menschen bedroht wurden? Das konnte doch nicht alles von Taras Vater und ihrem Bruder kommen, oder? Da musste noch mehr dahinterstecken! Vielleicht hatten Max und Lukas ja eine Armee oder so etwas Ähnliches? Oh jee ...
Ich drückte die Tür auf und - juhu - sie war offen. Drinnen saß eine hinter einem Schreibtisch und las eine Zeitschrift.
"Hallo, ich brauche Hilfe!", rief ich und man konnte den verzweifelten Ton in meiner Stimme hören. Eine der hinteren weißen Türen ging auf und der Arzt kam heraus. Ich kannte ihn. Früher war ich immer hierher gekommen.
"Sie hat eine Wunde, die schnell behandelt werden muss!" Herr Black - so hieß er - führte uns ins Behandlungszimmer und befahl mir, Tara auf die Liege zu legen. Der Doktor betrachtete ihren Bauch und desinfizierte dann die Schnitte.
"Ein paar Wunden sind tief. Ich muss sie zunähen", sagte Herr Black und holte Nadel und Faden. Ich schaute einstweilen weg, hielt aber trotzdem Taras Hand.
"Dem Mädchen geht es im Allgemeinen nicht sehr gut. Wo habt ihr euch rumgetrieben? Hast du sie etwa entführt?!"
"Nein, wir waren im Wald, weil ... äh. Na ja, Sie haben ja sicher schon von den Morden gehört und wir sind auf der Flucht."
"Oh. Ich verstehe nicht, was passiert ist. Die ganze Stadt ist auf einmal so düster." Das Gleiche hatte ich auch schon festgestellt.
"Es gab eben ein gewaltige Veränderung. Dagegen müssen wir jetzt ankämpfen. Hier sind mehrere am Werk, das sage ich dir", meinte Herr Black und legte die Nadel beiseite. Er schien fertig zu sein. Er stand auf und machte ein Handtuch nass.
"Tut mir wirklich leid, dass ich das fragen muss, aber wie soll ich bezahlen? Wie schon gesagt: Meine Freundin und ich leben seit einigen Tagen nur mehr im Wald und verstecken uns vor zwei Männern."
"Mach dir keine Sorgen, das ist gratis. Es hätte sowieso keinen Sinn mehr. Wahrscheinlich muss ich die Praxis bald schließen, weil die ersten Bomben und Angriffe kommen", antwortete der Arzt. Ich sah verdutzt drein.
"Wieso denken Sie das?"
"Weil ich es spüre." Er legte Tara ein nasses Handtuch auf die Stirn und säuberte ihr Gesicht, das von Erde und Staub verschmutzt war. Für mich war das echt ungewohnt, so ... dreckig zu leben. Ich fragte mich, wo meine Familie gerade war.
"Gut, das müsste reichen. Ich habe die Wunden, die sehr tief waren, zugenäht und ein großes Pflaster darübergeklebt. Die Schnitte müssten bald wieder ganz weg sein. Habt ihr einen Unterschlupf? Das ist ja jetzt nicht mehr so sicher."
"Mhh .. Wir haben eine Höhle gefunden, sie aber noch nicht erkundet, das heißt, dass wir nicht wissen, ob sie leer ist oder frei", erklärte ich.
Herr Black nickte. "Na gut, sonst kann ich euch auch nicht weiterhelfen. Deiner Freundin wird es auf jeden Fall bald wieder gut gehen." Ich schaute meinem Retter in die grauen Augen. "Danke, Sie haben Tara wahrscheinlich das Leben gerettet", bedankte ich mich.
"Dafür bin ich schließlich da", erwiderte er und musste schmunzeln. Irgendwie sah er witzig aus, nicht böse gemeint, sondern ... eher als Kompliment.
In dem Moment gab Tara ein leises Stöhnen von sich und öffnete ihre Augen einen Spalt. "Wo bin ich? Justin?!" Sie schien etwas nervös zu werden, als sie mich nicht gleich sah, deshalb ging ich zu ihr und nahm ihre Hand. "Ich bin hier, keine Angst. Ich hab dich zu einem Arzt gebracht, der dir geholfen hat. Wie fühlst du dich?", fragte ich. Herr Black hielt sich im Hintergrund auf.
"Ich fühle mich etwas ... erschöpft", gab sie von sich und stöhnte wieder ganz leise.
"Das ist auch kein Wunder", erwiderte ich und streichelte sanft ihre Wange. "Aber dir wird es sicher bald wieder gut gehen."
Tara setzte sich vorsichtig auf und hielt sich den Kopf. Langsam stand sie auf und fand erst nach ein paar Sekunden das Gleichgewicht. Ich hielt sie ganz fest, damit sie nicht umfallen konnte. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich sah, dass alles noch einmal gut gegangen war. Herr Black erklärte ihr, was er gemacht hatte.
Danach verließen wir die Arztpraxis und blieben vor dem Haus stehen. Keine Sonne ließ sich am grauen, fast schwarzen Himmel blicken. Es sah aus, als würden jeden Moment Regentropfen herunterfallen.
"Danke, dass du mich hierher gebracht hast", bedankte sich Tara bei mir und lächelte mich an.
"Das ist doch klar; wie könnte ich dich verletzt lassen, oder vielleicht sogar sterben lassen? Ich würde dir immer helfen, Tara", sagte ich und sah ihr in die Augen. Sie senkte den Blick.
"Was machen wir jetzt?", war die nächste Frage von dem Mädchen, das gegenüber von mir stand.
"Zurück in den Wald gehen?"
"Ich weiß nicht so recht ... Das hat doch alles keinen Sinn! In der Nähe gibt es doch sicher ein Polizeirevier, oder? Dort gehen wir hin und melden das Ganze."
"Ähm, warte doch mal." Ich nahm Taras Hand und hielt sie zurück. "Glaubst du nicht, dass das schon jemand gemacht hat? Ich meine, hier ist doch nichts mehr normal. So ziemlich alle Menschen, die hier normalerweise jeden Tag herumgelaufen sind, sind spurlos verschwunden."
"Ja, und deswegen hat es auch noch keiner getan, und jetzt komm!", drängte sie und riss sich von mir los. Anscheinend ging es ihr schon wieder sehr gut ... Na ja, ich konnte nur froh darüber sein. Also liefen wir los und suchten ein Polizeigebäude.
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