6 So Nah und doch so Fern
Im Nachhinein würde ich sagen, verging das Wochenende wie im Flug und doch zog es sich ellenlang hin. Ich versuchte mich mit allem Möglichen abzulenken. Ich ritt so viele Pferde ich konnte. Mistete, fütterte, fegte, wo und wann immer ich konnte. Hin und wieder versuchte ich mich am Klavierspielen, doch fehlte mir die Ruhe und außerdem fraßen mich die Erinnerungen während des Spielens auf. Nicht nur die an Mia, auch die an meine Mutter zogen mich runter. Page tat was sie konnte um mich abzulenken, ebenso wie die Zwillinge, die mich immer wieder in ihre Spiele mit hineinzogen.
Felix hingegen, machte mich mit seiner anfänglichen Fragerei nach Mia beinahe wahnsinnig. Ich kann nicht sagen, wie lange er es versuchte, doch schließlich gab er auf, nachdem ich ihm tatsächlich ein blaues Auge verpasst hatte.
Er war stinksauer. Hielt mir irgendwas vor, von wegen, Mia sei auch seine Freundin und er wolle versuchen ihr zu helfen. Dass er auch mir damit helfen würde, darüber dachte ich in dem Moment noch nicht nach, auch nicht, als Page mich zur Schnecke machte, weil ich ihm eine verpasst hatte.
Doch so sehr ich auch versuchte nicht an sie zu denken und in die Arbeit zu stürzen, hier, wo mich alles an sie erinnerte, gelang es mir nicht. Auch nicht, als die Fragen weniger wurden. Peter mich ins Training einspannte und ich mich mit Mark anlegte.
Das kleine Arschloch blieb arrogant wie am ersten Tag, auch wenn er sich zusammenriss, wenn mein Vater in der Nähe war.
Doch hätte ich ihm am liebsten eines in die Fresse gehauen, als er mir versuchte einen hochnäsigen Rat zu erteilen, wie ich Stardust am besten dazu bringen könnte, seine Angst vor dem Wassergraben zu verlieren. Ich teilte seine Meinung nicht und blieb hartnäckig bei meiner Methode ihn ruhig an das Hindernis heranzuführen. Packte sogar demonstrativ die Gerte beiseite, als unser "Superspringer" meinte, ich solle ihm ordentlich eine überziehen.
Ich brauchte einige Tage, und fing schon an, an mir zu zweifeln, als der junge Hengst schließlich doch über den Graben hinüber setzte. Innerlich freute ich mich, doch fürchtete ich bis zum nächsten Tag, Marks Prophezeiung, dies könnte ein Einzelfall gewesen sein, könnte sich bewahrheiten.
Tat es nicht. Auch die nächsten Male sprang der 'Kleine' souverän über das Hindernis.
Doch umso näher wir dem Wochenende kamen, desto unruhiger wurde ich und so packte ich am Freitag schließlich meine Sachen zusammen. So viel wie möglich stopfte ich in meinen kleinen Sportwagen und verabschiedete mich von allen.
Ich wusste nicht, ob ich am nächsten Wochenende wieder zurückkommen würde, doch stand fest, dass am Montag mein Studiensemester beginnen würde und so sehr ich auch unter der Trennung von Mia litt, ich hatte nicht vor, mein Studium zu verschieben.
Vielmehr freute ich mich darauf, Dinge zu sehen und zu hören, die Nichts mit ihr zu tun hatten.
"Du weißt, wie du zu deiner Wohnung kommst?", fragt Page mit brüchiger Stimme. Sie macht sich mal wieder viel zu viele Sorgen, weshalb ich sie kurz in den Arm nehme.
"Ja, Mum. Ich find sie schon. So schwer ist das nicht.", versichere ich ihr, doch höre ich, wie sie etwas in mein T-Shirt murmelt.
"Aber du warst noch nie da."
"Ich bin schon groß. Und es gibt Navi's also mach dir keine Sorgen.", sage ich schmunzelnd und lasse von ihr ab. Sie legt mir ihre kleine Hand an die Wange und lächelt besorgt.
"Melde dich, wenn du angekommen bist.", ihre Stimme ist liebevoll, bevor uns die Zwillinge unterbrechen.
"Mach ich.", versichere ich ihr und nehme eines der Mädchen auf den Arm. Johanna klammert sich heulend an mein Bein und nuschelt irgendwas von wegen..."Nicht wieder so lange wegbleiben."
Die zwei sind schon niedlich, doch erinnern sie mich auch sehr an Charly, die ich sehr vermisse. Doch zu Charlie gehören auch Pascal und Mara. Doch vor allem auch Mia und an sie zu denken, tut noch immer weh.
Seit ich sie im Krankenhaus allein gelassen habe, habe ich nur einmal mit Mara telefoniert und als sie von Mia erzählen wollte, unterbrach ich sie.
Ich bin sicher, sie wusste, dass ich sie angelogen hatte, als ich ihr gesagt hatte, dass Page nach mir gerufen hätte, doch konnte ich daran nichts ändern. Ich wollte nicht wissen, wie glücklich Mia ohne mich war. Und das sie sich nicht an mich erinnerte, war mir bewusst, sonst hätte sie sich vielleicht bei mir gemeldet und so hatte ich Mara versprochen, mich bald mal wieder bei ihnen zu melden, wenn ich wieder in der Stadt war, denn dummerweise befand sich die Uni in eben jener Stadt, in der auch die Uniklinik stand, in der Mia untergebracht war.
Und somit befinde ich mich jetzt indirekt auf dem Weg zu ihr, nachdem ich mich von allen verabschiedet habe.
Meine Laune wird von Minute zu Minute schlechter, umso näher ich ihr komme. Noch schlimmer wird es, als mir klar wird, dass meine neue Wohnung nur wenige Minuten von Mia's Zuhause entfernt ist.
Katastrophaler hätte es wohl gar nicht werden können. Jetzt würde ich jedes Wochenende in ihrer Nähe sein, ob ich wollte oder nicht.
Wobei wollen tat ich schon, nur will ich ihr viel näher sein, als ich es darf. Als sie es zulässt. Denn selbst wenn sie wieder zu Hause in ihrem Zimmer wäre, und ich ihre Eltern und ihre Schwester besuchen würde, würde sie mich wohl nicht in ihre Nähe lassen.
Gedankenverloren lenke ich den Sportwagen durch die Straße, in der ich von nun an wohnen würde, als mich ein energisches Hupen aus meinen Träumen aufschreckte.
Abrupt trete ich auf die Bremse, als mir der Wagen auffällt, der von rechts aus einer Seitenstraße auf mich zuhält.
Mein Herz macht einen Satz und bleibt für den Bruchteil einer Sekunde stehen, bevor es heftig zu schlagen beginnt. Ich kann die erschreckten Augen der Fahrerin sehen, so dicht stehen die Autos beieinander.
Ich habe ihr die Vorfahrt genommen und hebe entschuldigend die Hand. Am Steuer sitzt eine junge Frau, die mich mit geweiteten Augen anstarrt.
"Tut mir leid.", forme ich mit den Lippen und fahre schließlich weiter. Ist ja nichts passiert, also warum noch lange stehen bleiben, doch fahre ich deutlich vorsichtiger, bis ich einen Parkplatz gefunden habe.
Von der Fahrerin ist längst nichts mehr zu sehen, als ich meine Sachen aus dem Kofferraum zerre und das vierstöckige, recht moderne Gebäude betrachte. Viel Grün gibt es hier nicht. Viel Platz auch nicht. Dafür ist gleich in der Nähe eine Bushaltestelle und auch eine Einkaufsmöglichkeit habe ich auf dem Weg hier her gesehen. Ich könnte also mit dem Bus zur Uni fahren und mir die ewige Parkplatz suche Sparen.
Neugierig gehe ich, nach der Hecke, den kurzen Weg entlang, der zu meiner neuen Bleibe führt und lasse meinen Blick die Fassade hinauf wandern. Sie ist aus dunklem Backstein. Rötlich braun. Mit einem Balkon in jedem Stockwerg. Die Fenster sind in dunklem Holz gehalten und sehen noch sehr neu aus. An der Tür befindet sich eine hochwertige Klingelanlage mit Kamera. Die Namen an den Klingeln überfliege ich nur kurz, bevor ich die Tür öffne. Doch gerade als ich den Schlüssel ins Schloss stecke kommt mir eine Frau entgegen. Sie ist vielleicht Mitte dreißig und trägt einen kleinen Hund unter dem Arm.
"Ach!", stößt sie lächelnd aus und hält mir einladend die Tür auf, "Sie müssen der neue sein. Jähn? Oder?"
"Ja.", stimme ich mit gerunzelter Stirn zu, doch wundere ich mich nicht wirklich darüber, dass sie weiß, wie ich heiße. Immerhin steht der Name schon am Klingelknopf.
"Ich bin Frau Meißner. Aber sie können ruhig Nicole zu mir sagen. Ich wohne im Zweiten.", sie deutet mit der freien Hand auf die Treppe im Inneren.
"Und das ist Pelle.", teilt sie mir mit und setzt den kleinen, braun-schwarzen Hund auf dem Boden ab, wo er schnüffelnd um meine Beine herumstreicht.
"Wir sehen uns sicher noch öfter. Aber jetzt muss ich los. Auf wieder sehen, Herr Jähn."
"Ian.", schaffe ich es endlich ihren Redeschwall zu unterbrechen und sehe sie etwas überfahren an. Sie redet so schnell, dass ich gar nicht mitkomme. Hoffentlich ist die nicht immer so. Nicht, dass sie mir jeden Tag ihre Lebensgeschichte anhören muss.
"Ach Ian. Schöner Name. Aber jetzt muss ich los. Pelle hat es eilig.", sagt sie hektisch und stöckelt auf ihren hohen, schwarzen Schuhen dem Hund hinterher, der schon hinter der Hecke, die das Grundstück umgibt verschwunden ist.
"Ähm...", bringe ich noch hervor, doch schon ist sie weg. Sie wartet eine Antwort meinerseits gar nicht erst ab, doch soll es mir recht sein.
Im Treppenhaus riecht es nach frischer Farbe, aber ich glaube nicht, dass die Wände hier frisch gestrichen wurden. Hin und wieder befindet sich nämlich ein schwarzer Streifen, oder eine leichte Beschädigung an den Wänden. Hinzu kommt noch, dass der Geruch mit jedem Stockwerk intensiver wird, bis ich schließlich im vierten ankomme.
Es ist das oberste Stockwerk, in dem ich wohne, doch im Gegensatz zu all den anderen Stockwerken befindet sich hier nur eine Tür.
Meine. Um genau zu sein. Neugierig öffne ich sie und trete ein. Ich stehe in einem kleinen Raum. Links weitet er sich etwas und über die ganze Breite der Wand erstreckt sich ein heller Einbauschrank. Gleich links neben der Tür, an der weißen Wand, hängt eine Garderobe und ihr gegenüber steht ein Sideboard, auf dem eine Schale steht.
Wer auch immer, ich nehme mal an Mara, hat einen kleinen Willkommensgruß hier hinterlassen. Lächelnd stelle ich meine Tasche vor dem Schrank ab und nehme die Karte zur Hand.
"Herzlich Willkommen in deiner neuen Wohnung Schatz. Und alles Gute für dein Studium. Wir lieben dich. Mom und Dad."
Steht drinnen, was mich dann wohl eines besseren belehrt. Doch bin ich mir noch immer sicher, dass Mara die Karte hier rein gebracht hat. Auch die Raffaello werden wohl von ihr sein, denn dass ich diese Süße Nascherei vergöttere, weiß Page nämlich noch nicht.
Viel eher hat Mara mich auf den Geschmack gebracht, als sie mir immer wieder welche mit ins Krankenhaus gebracht hat.
Seufzend atme ich auf, nehme eine der Kugeln aus der Schale und werfe fürs erste einen Blick hinter die Tür zu meiner Rechten, wo sich ein geräumiges Badezimmer befindet.
Der Eingangstür direkt gegenüber ist die Küche. Eine offene Wohnküche, mit einem freundlich eingerichteten Wohnzimmer. Die Wände sind weiß. Die Möbel in einem Dunklen braun gehalten, aber Modern. Alles sieht neu aus und noch immer ist der Farbgeruch sehr intensiv, weshalb ich auch erst einmal das Fenster aufreiße. Doch staune ich nicht schlecht, als ich den großzügigen Balkon erblicke, der sich hinter meinem Wohnzimmer erstreckt. Auch der Blick, der sich mir bietet ist sehr angenehm. Ein weitläufiger Park, mit einem See befindet sich in unmittelbarer Nähe. Doch kommt er mir seltsam bekannt vor.
Nachdenklich starre ich auf die Wasserfläche, bis mir klar wird warum er mir so bekannt vorkommt. Es ist derselbe Park, durch den ich immer mit Charly gewandert bin. Und von dem man nur wenige Minuten bis zu ihr nach Hause braucht.
Natürlich auch zu Mia nach Hause, doch den Gedanken verdränge ich mal lieber und wende mich wieder der Wohnung zu.
Es gibt nur noch ein weiteres Zimmer und das wartet auch nicht mit vielen Überraschungen auf. Außer einer zweiten Balkontür.
Irritiert öffne ich sie und gehe hinaus. Hier kann ich linkerhand den Park sehen, doch weitet sich der Balkon zu einer kleinen Dachterrasse aus, auf der sogar ein paar Blumen stehen, sowie eine kleine Sitzgelegenheit und ein Grill.
Belustigt schüttel ich den Kopf und frage mich, wofür ich bitte einen Grill auf dem Dach brauche. Ich habe nicht vor hier große Partys zu schmeißen. Lediglich zum Studieren bin ich hier. Aber wer weiß, wofür das alles gut ist. Vielleicht lerne ich doch ein paar Leute kennen, mit denen ich mir die Zeit vertreiben möchte.
Und wenn schon niemanden von der Uni, dann kann ich Jason ja mal zu einem Saufgelage einladen. Und so schieße ich kurzerhand ein Foto vom Park und setzte mich auf einen der Liegestühle, bevor ich Page eine Nachricht schreibe.
Nach der Pflicht folgt die Kür und so steige ich zurück nach unten, um meine letzten Sachen aus dem Auto zu holen.
Als ich jedoch meine Klomotten im Schlafzimmerschrank verstaut habe und mich gerade dem Kühlschrank zuwenden will klingelt es an der Tür.
Verwundert gehe ich in den Flur, wo die Überwachungsanlage hängt und schaue auf den kleinen Monitor.
Erfreut drücke ich den Knopf, dann nehme ich meinen Schlüssel und sprinte die Treppe nach unten.
"Du verlierst auch keine Minute was?", schließe ich Mara lächelnd in die Arme, dann hebe ich Charlie aus dem Kinderwagen.
"Hey Mäuschen.", flüstere ich der Kleinen zu und drücke sie liebevoll an mich. Dass mir das Mädchen so fehlen würde hätte ich nicht gedacht, doch so ist es. Mara lächelt strahlend während ich mit Charlie schäkere und zerrt dann unter dem Kinderwagen eine große Tüte hervor.
"Ich kann dich doch nicht verhungern lassen.", sagt sie schließlich und deutet auf die Einkäufe, die sie mitgebracht hat.
"So schnell verhungere ich schon nicht. Außerdem hätte ich ja einkaufen gehen können.", sage ich grinsend. Trenne mich zögerlich von Charlie und nehme Mara die schwere Tüte ab.
"Magst du noch mit rauf kommen? Oder musst du gleich wieder los?", will ich wissen und sehe Mara fragend an.
"Ich komme gern noch mit hoch.", versichert Mara mir. Sie schiebt den Kinderwagen an die Seite und steigt dann hinter mir die Treppe rauf.
"Die hätten hier ruhig mal einen Fahrstuhl einbauen können!", schnauft sie erschöpft, als wir oben ankommen und betritt hinter mir die Wohnung. Zielstrebig steuert sie einen Sessel an und lässt sich seufzend drauf fallen.
Schmunzelnd wende ich mich dem Kühlschrank zu und beginne die Einkäufe einzuräumen. Es ist nicht viel. Ein wenig Brot, Käse, Eier, Milch, Margarine, Obst und Gemüse. Aber für den Anfang reicht es.
"Magst du ein Wasser?", biete ich ihr an, nachdem ich alles verstaut habe und hole aus einem der Oberschränke, er hat eine Glastür, ein Glas heraus. "Ich habe aber nur Leitungswasser.", füge ich entschuldigend hinzu und sehe sie Achselzuckend an.
"Leitungswasser ist völlig in Ordnung, aber vorne in dem Schrank müsste auch Sprudelwasser sein. Pascal hat gestern schon welches hergebracht.", teilt sie mir mit, was mich kurz erstaunt, doch da ich weiß, dass Mara Leitungswasser nicht so mag, schaue ich in dem Einbauschrank nach und finde tatsächlich einen Sechserträger Wasser im Schrank. Ebenso einen Staubsauger und Putzmittel. Tja, wie es aussieht werde ich von nun an wohl tatsächlich selber saubermachen müssen. Seufze ich innerlich und kehre mit einer Flasche ins Wohnzimmer zurück, wo Mara Charlie inzwischen auf den Fußboden gelegt hat.
Munter mit den Beinen strampelnd robbt das Mädchen auf mich zu, als ich Mara ihr Wasser reiche.
"Wie geht es euch denn?", frage ich schließlich und setzte mich zu der Kleinen auf den Boden.
"Ach, ", beginnt Mara abwinkend, "...du weißt doch. Nachts schreit die Kleine, tagsüber die Große. So ist das halt mit den Gören."
Erstaunt sehe ich sie an und komme ihren Worten nicht ganz nach. Ich meine, warum Charlie schreit ist mir schon klar, aber Mia...
"Was hat sie denn?", frage ich zögerlich und ziehe Charlie auf den Schoß, während Mara an ihrem Wasser nippt.
"Ach immer dasselbe. Zähne, Bauchweh und du fehlst ihr. Uns allen eigentlich.", sagt sie wie nebenbei und obwohl ich Charlie ansehe, spüre ich ihren Blick auf mir.
"Ich meinte zwar eigentlich Mia, aber...", mit schmerzender Brust breche ich ab und konzentriere mich ganz auf das Kind auf meinem Schoß, die mir schmerzhaft in den Finger beißt.
"Ach Mia...", Mara seufzt, "...es ist alles wie damals. Nachdem sie die Papiere gefunden hat. Sie will uns nicht sehen. Lässt uns nicht an sich ran. Also manchmal zumindest und dann...", verlegen bricht sie ab, holt dann tief Luft, bevor sie leise hinzufügt, "...dann ist da Mike, der es irgendwie geschafft hat, sie wiedermal um den Finger zu wickeln. Ich weiß einfach nicht, was dieser Mann an sich hat, dass er es immer wieder schafft, sich in ihr Leben zu schleichen."
Während sie spricht wird ihre Stimme immer Lauter, bis sie geradezu ärgerlich klingt.
"Er ist im Moment der Einzige, den sie sehen will. Doch wenigstens kommt Mel bald wieder. Vielleicht kann sie sie ja zur Vernunft bringen. Ich hoffe es zumindest!", seufzt sie schließlich und dreht nachdenklich ihr Glas in Händen.
Erzürnt, verletzt, wütend und traurig sitze ich mit Charlie auf dem Boden und balle angespannt die Hand zur Faust. Ich kann Mara nur zustimmen und würde Mike am liebsten den Hals umdrehen, doch wenn er Mia glücklicher macht, sollte ich ihm eigentlich dankbar sein.
Beherrscht atme ich auf, dann lege ich Mara mitfühlend die Hand aufs Knie. Ich weiß nicht was ich sagen soll, doch scheint sie auch so zu verstehen, was ich ihr mit dieser Geste sagen will, denn sie legt ihre weiche Hand auf meine und tätschelt mich leicht.
"Das wird schon.", sagt sie zuversichtlich, doch in ihrer Stimme klingt so viel Trauer mit, dass ich schreien könnte!
Als hätten Mara und Pascal nicht schon genug durchgemacht die letzten Jahre! Warum muss jetzt wieder alles von vorne beginnen.
"Ich rede mal mit Mike.", sage ich schließlich verhalten. Ich hoffe, dass ich überhaupt in Ruhe mit ihm reden kann, doch glaube ich es fast nicht, aber vielleicht schafft er es ja, Mia zu überreden, ihren Eltern eine Chance zu geben. Dass er sie dazu bringt, MIR eine Chance zu geben, da wage ich nicht einmal dran zu denken, denn sicher wird er wieder nur dieses eine Ziel verfolgen. Nämlich Mia für sich zu gewinnen. Ich kann nur hoffen, dass es ihm diesmal nicht gelingen wird.
"Das würdest du tun?", sagt Mara erstaunt und sieht mich mit erhobener Augenbraue an. Ich bringe nur ein zustimmendes Nicken zu Stande, weil der Kloß in meinem Hals das Sprechen gerade unmöglich macht.
"Das wäre wirklich lieb von dir Ian.", sagt sie dankbar bevor sie mir Charlie abnimmt, die langsam unruhig wird.
Wir unterhalten uns noch eine Weile über andere Dinge, doch bin ich nicht wirklich bei der Sache. Zum Glück wird Charlie immer Lauter, bis Mara schließlich mit ihr die Flucht ergreift.
"Komm uns doch Morgen besuchen.", schlägt sie lächelnd vor, doch nehme ich sogleich eine abwehrende Haltung ein.
"Morgen geht nicht. Ich...ich werde vermutlich lange weg sein heute Nacht und wenn Mike nicht kommt, dann muss ich ja zu ihm... und...", sage ich stockend. Ich will nicht zu ihr. Noch nicht. Alles dort erinnert mich an Mia und reißt die Wunde in meiner Brust nur noch weiter auf. Außerdem befürchte ich, dass ich nach einer Nacht mit Jason UND Mike wohl nicht vor dem Nachmittag aus dem Bett komme.
"Ist schon gut.", unterbricht Mara mein Gestammel, "Komm einfach, wenn du Zeit hast. Wir würden uns freuen. Weißt du ja."
"Danke Mara. Ich komme, sobald ich mehr weiß.", sage ich dankbar und nehme Mutter und Kind ein letztes Mal in den Arm, bevor sie die Treppe nach unten geht. Doch ich kehre in meine Wohnung zurück, wo ich nach meinem Handy greife und Jason anrufe.
"Cool! Dann sehen wir uns also heute Abend, Dicker! Das wird spitze! Wie früher! Ein paar heiße Bräute. Knackige Ärsche und pralle Brüste. Wirst schon sehen. Da vergisst du die Kleine mal für ne Weile.", geht Jason begeistert auf meine Zusage ein, als ich ihm erkläre, dass ich jetzt doch mit ins Black Angel komme. Dass ich nur zu sage, um Mike auf den Zahn zu fühlen, muss er ja nicht wissen. Wobei...ein bisschen Ablenkung tut mir sicher gut.
Nicht das ich vorhätte irgendwelche Mädchen aufzureißen, doch alleine mal wieder mit ein paar Leuten in meinem Alter abzuhängen würde wohl schon reichen, um mich auf andere Gedanken zu bringen.
"Lass das mal nicht Melanie hören.", sage ich, über Jasons große Sprüche, belustigt, woraufhin er abwinkend erwidert: "Ach...was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß. Außerdem kommt sie ja erst morgen Abend wieder, bis dahin bin ich meine kleine Lückenfüllerin wieder los."
Augenverdrehend schüttele ich den Kopf, was Jason natürlich nicht sehen kann, doch mache ich schließlich Schluss, nachdem wir noch eine Zeit abgemacht haben, wann wir uns treffen.
Nach dem Essen, was aus etwas Brot mit Käse, sowie einem halben Liter Wasser besteht, lege ich mich auf meine breite, dunkelgraue Couch und schalte den Fernseher ein. Page und Peter haben wirklich an nichts gespart und die Wohnung vollständig eingerichtet. Es fehlt wirklich an nichts. Vielleicht sollte ich mich noch mal richtig bei ihnen bedanken. Wenn sie sich nicht um diese Wohnung für mich gekümmert hätten, würde ich vermutlich irgendwo in einem trostlosen WG Zimmer auf einem harten Boden schlafen. Oder auf einer Parkbank, wobei Mara und Pascal mich wohl von dort weggeschleppt hätten, wenn sie es gewusst hätten.
Nein. So ist es schon besser. Und mindestens ein Strauß Rosen sollte drin sein, wenn ich das nächste Mal nach Hause fahre.
Der Abend vergeht schnell, was vielleicht auch daran liegt, dass ich auf dem Sofa eingeschlafen bin, denn als ich wieder aufwache bleibt mir nur noch eine halbe Stunde um mich fertig zu machen.
Und so springe ich eilig unter die Dusche. Trockne mich mit meinem alten T-Shirt ab, weil eben leider doch nicht 'alles' da ist und ziehe mir ein einfaches, enges weißes Shirt an. Dazu eine schwarze Jeans. Die Haare lässig zerzaust mit Gel aufgestellt und noch schnell die Lederjacke über den Arm und schon bin ich fertig. Keine Minute zu früh, denn als ich gerade meine Sneakers anziehe klingelt es schon an der Tür.
"Ich komme schon.", teile ich Jason durch die Gegensprechanlage mit und ziehe die Tür hinter mir ins Schloss.
Handy, Portemonnaie und Schlüssel lasse ich in der Jackentasche verschwinden und laufe die vielen Stufen nach unten, wo ich beinahe eine junge Frau über den Haufen renne, die gerade im zweiten Stock aus ihrer Wohnungstür kommt.
"Sorry!", sage ich flüchtig und werfe ihr nur einen schnellen Blick zu. Grüne Augen, blonde Haare, schlanke Taille, Sommersprossen, breite Hüften und eine kleine Oberweite, speichere ich in Gedanken ab und versuche die Wohnung den Informationen zuzuordnen, die ich bereits habe. Doch da Nicole Meißner selbst erst Anfang dreißig ist, wird dieses weibliche Wesen, dass wohl ungefähr in meinem Alter ist, sicher nicht zu ihr gehören. Aber da ich ohnehin keine Zeit habe nicke ich ihr nur lächelnd zu, als sie mir versichert, dass nichts passiert sei und nehme auch die letzten beiden Absätze im Laufschritt.
Unten angekommen, ist von Jason nichts zu sehen, doch als ich den Fußweg erreiche steht sein kleiner, gelber Jeep nur wenige Meter weiter mitten auf der Straße. Von einem Parkplatz ist weit und breit nichts zu sehen, was wohl erklärt, das er leicht genervt aussieht.
"Da bist du ja endlich!", begrüßt er mich ungeduldig und fährt los, kaum dass ich sitze.
"Wer hat dir denn in den Baccardi gepisst?", frage ich erstaunt. Greife nach dem Sicherheitsgurt und schnalle mich an.
"Ach, nur mein scheiß Vater. Will unbedingt, dass ich zu Hause wohnen bleibe.", genervt fährt er sich durch die schwarzen Haare und verdreht die Augen, "Man! Verdammt! Ich bin einundzwanzig Jahre alt! Hab die Ausbildung durch und er meint mich noch immer ans Bett kennen zu müssen. Wie alt ist er zehn?!"
"Bleib mal locker Jason! Er hat halt nur dich. Der kriegt sich schon wieder ein, wenn du erst mal weg bist.", sage ich grinsend. Auf den Straßen ist nicht viel los. Immerhin ist es schon nach elf, doch die Ampeln schalten trotzdem von Grün auf Rot, was Jason gekonnt ignoriert.
"Weißt du was er vorgeschlagen hat?", stößt er erregt aus, "Es würde ihn nicht stören, wenn Mel bei uns einziehen würde. Er würde auch mit mir das Zimmer tauschen!"
Ein freudloses Schnauben dringt aus seinem Mund, dass mich zum Lachen bringt.
"Nicht dein ernst!" Schmunzelnd sehe ich ihn an. Er hat nicht viel Ähnlichkeit mit seinem Vater. Weder äußerlich noch innerlich, doch das sein Vater so weit gehen würde, um ihn im Haus zu behalten, hätte ich jetzt nicht gedacht. Doch wenn ich an den kleinen Mann denke, den ich kennengelernt habe, als ich von zuhause abgehauen bin, wird mir ganz warm ums Herz. Er ist ein netter Typ. Etwas klein vielleicht, aber sehr fürsorglich und witzig.
"Was sagt Mel denn dazu? Wollt ihr wirklich schon zusammen ziehen?"
"Was? Nein! Du glaubst doch nicht, dass ich Melanie fragen würde, bei meinem Vater einzuziehen. Kannst du vergessen. Wenn überhaupt ziehen wir in eine eigene Wohnung weit weg von unseren Alten!", sagt Jason entrüstet und geht diesmal doch scharf in die Bremsen, als vor uns die Ampel auf Rot springt. Doch vielleicht hat er auch nur gebremst, weil in der Querstraße ein Polizeiauto nur darauf wartet, ihn anzuhalten.
"Was hat sie denn gegen deinen Dad?", wundere ich mich, "Der ist doch ganz in Ordnung."
"Gar nichts hat sie gegen ihn! Das ist es ja! Sie würde ihn glatt dazu einladen, mit uns gemeinsam einen Film zu schauen, und das in unserem Bett! Vergiss es man! Nicht mit mir!"
Amüsiert lache ich auf und schüttel innerlich über Jasons Freundin den Kopf. "Und was ist mit ihren Eltern?", frage ich weiter, "Wollt ihr da einziehen?"
"Man! Hab doch gesagt, wir wollen nicht zusammenziehen. Außerdem nervt ihre Mutter mega! Die will ständig dass Mel mehr für die Schule tut. Dabei ist sie auch so schon Klassenbeste. Oder war es zumindest mal."
Kurz schweigt er, bevor er nachdenklich den Kopf schüttelt und schließlich das Thema wechselt.
"Wieso kommst du jetzt eigentlich doch mit?", will er wissen.
"Hatte gerade nichts anderes zu tun. Und die erste eigene Wohnung muss doch gefeiert werden oder nicht?", sage ich grinsend, doch kurz durchzuckt mich ein Gefühl, das ich lieber verdrängen würde, als ich an Mike denke und worüber ich mit ihm reden muss.
Skeptisch mustert er mich, doch grinst er schließlich breit, ohne auf meinen Sinneswandel einzugehen. Immerhin hatte ich ihm gerade erst gesagt, ich würde nicht mitkommen. Aber so ist Jason halt. Immer froh, wenn er jemanden hat, der mit ihm um die Häuser zieht.
Den Rest der Fahrt unterhalten wir uns über belangloses Zeug. Seine Arbeit, mein Studium, Sport und langsam rücken meine Probleme mit Mia in den Hintergrund.
Zumindest solange, bis wir am Black Angels ankommen und direkt mit Mike und einem seiner Freunde zusammenstoßen. Jason nennt in Luke. Ein Typ mit langen, braunen Haaren. Er ist nicht sonderlich groß. Hat weder breite Schultern und wirkt auch sonst nicht gerade beeindruckend, doch scheint das, das brünette, schlanke Mädchen neben ihm nicht zu stören.
Arm in Arm stehen sie da und knutschen ab und an ungeniert herum. Ich weiß, dass ich sie schon mal gesehen habe, doch wenn, kann ich mich nicht mehr an ihren Namen erinnern.
Nur an das WO und das mit WEM ich sie gesehen habe, ist mir noch allzu deutlich in Erinnerung und lässt mich unbehaglich aufatmen.
"Hey Leute!", grüßt Jason seine Clique gut gelaunt und schlägt mit den Jungs ein, bevor er das Mädchen umarmt.
"Erinnert ihr euch an Ian. Mias Freund.", stellt er mich vor, was mir den Magen zusammenpresst. Ex-Freund würde es vielleicht eher treffen.
"Klar.", sagt Mike sofort, doch ist er auch der Einzige von den dreien, den ich schon öfter gesehen habe, doch auch der langhaarige Junge und das Mädchen scheinen sich an mich zu erinnern.
"Natürlich! Du hast Mia doch aus dem Wald geholt. Wie könnte ich dich vergessen. Das war vielleicht ne Nacht!", lacht das Mädchen und beugt sich vor um mich zu umarmen. Dabei weht mir ein intensiver, blumiger Duft in die Nase, der mir den Atem raubt. Auf nicht ganz angenehme Weise. Sie riecht nicht schlecht, doch etwas weniger Parfum hätte es wohl auch getan. Als sie jedoch meinen nachdenklichen Blick bemerkt stellt sie sich kurzerhand vor.
"Kathy. Und das ist Luke.", deutet sie auf ihren Begleiter, der mich eingehend mustert, bevor er mir die Hand reicht. Den Arm hat er locker um Kathy's Rücken gelegt und zieht sie wieder an seine Seite, als sie von mir zurück tritt.
Nun denn...da wären wir also. Mal sehen, wie der Abend verlaufen wird. Ich kann nur hoffen, dass es nicht allzu schlimm wird. All das hier sind Mias Freunde. Auch wenn ich sie nie im Krankenhaus gesehen habe. So werden sie sicher die eine oder andere Frage haben, insofern Mike sie ihnen noch nicht beantwortet hat.
Während wir warten halte ich mich etwas abseits und höre den Gesprächen zu, die sich viel um Freunde, die ich nicht kenne, Arbeit oder die Schule drehen. Kathy ist scheinbar gerade im letzten Ausbildungsjahr, nachdem sie die erste Prüfung vermasselt hat. Luke ist wie ich, gerade mit dem Abi durch und will Maschinenbauwesen Studieren. Tja... und Mike... der mich immer wieder grinsend beobachtet...arbeitet schon seit einigen Jahren in einer Autowerkstatt.
Soweit so gut. Wenn ich nur wüsste, was diese Blicke zu bedeuten haben!
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4782 Worte
11.06.17
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