16 Luftablassen
"Komm! Wir wärmen uns jetzt erst mal auf." Bella wirft mir ein Seil zu und faltet dann ein weiteres auseinander. Lässt es locker hin und her schwingen.
"Du bist doch schon mal Seilgesprungen? Oder?" erstaunt weiten sich ihre Augen, als ich das Teil in meiner Hand nur ungläubig ansehe. Nicke aber zustimmend bevor ich sie wieder ansehe.
Ist das ihr ernst? Seilspringen?! Mädchenkram! Schießt es mir durch den Sinn, doch entgeht mir nicht, dass dieser Krümel am anderen Ende des Raumes das gleiche macht und so nehme ich die Seilenden in die Hände und beginne wie Bella Schwung zu holen.
Doch habe ich kaum drei Sprünge gemacht, als Bella mich korrigiert.
"Nicht so verkrampft Ian. Lass die Hände ganz locker. Und immer nur leicht aus den Fußgelenken federn."
Ein gereiztes 'mach ich doch' liegt auf meinen Lippen, doch schlucke ich die Worte hinunter und versuche die ihren umzusetzen.
Scheinbar scheitere ich kläglich, denn missbilligend verdreht sie die Augen und schüttelt theatralisch den Kopf. Bleibt aber stumm.
Beginnt selbst auf der Stelle zu tänzeln und lässt wild ihr Seil durch die Luft fliegen. Bei ihr sieht es wirklich leicht aus. Ebenso bei Krümel, der mit dem Rücken zu uns steht. Nur Tigers Blick, ebenso den von einigen Anderen Männern sind auf uns gerichtet. Ich sehe, wie der Kickboxer mit verschränkten Armen den Kopf schüttelt, sich dann von der Wand abstützt und dem Jungen neben sich irgendwelche Anweisungen gibt.
Scheinbar bin ich ein hoffnungsloser Fall. Aber mal ganz ehrlich! Seilspringen ist doch echt scheiße! Sicher kommt Hula Hup als nächstes dran, denke ich gerade, als Bella mir ins Seil greift.
"Komm. Das reicht für den Anfang. Jetzt zeige ich dir, wie du richtig stehen musst. Und wie du schlägst."
Sie trägt die Seile zu einem Haken an die Wand, wo sie sie hin hängt, dann folge ich ihr zu einem der Sandsäcke, der frei ist. Überall um mich herum stehen Männer sich gegenüber und trainieren. Tiger nur wenige Meter neben uns. Doch ignoriert er uns gekonnt. Auch ich blende ihn aus. Stelle mich so hin, wie Bella es mir zeigt und sehe nur noch hin und wieder, wie wir von den Anderen beobachtet werden. Doch umso länger wir hier stehen, desto weniger gucken uns zu.
Aber entgehen mir die herablassenden Blicke nicht, mit denen sie meine kläglichen versuche den Sack zu treten, bedenken.
"Du musst dich mehr ausbalancieren, Ian. Fixiere deinen Blick auf einen Punkt und dann tritt zu."
Bella steht hinter dem Sack und hält ihn fest, doch egal wie zielgerichtet ich auch zutrete, so wirklich treffen tue ich nicht. Es ist nicht so, dass ich nicht wollen würde, doch habe ich schiss sie zu treffen.
"Los jetzt! Das kannst du besser!", feuert sie mich an und wieder hole ich aus, doch als sie wiederholt, was ich machen soll breche ich genervt ab.
"Lassen wir das. Okay! Ich bin halt kein Kickboxer.", weise ich sie zurück, als sie um den Sack herum auf mich zukommt und mich fragend ansieht.
"Was stimmt denn nicht?", will sie verwirrt wissen. Ihre blonden Haare wippen lustig hin und her und ihre Augen funkeln lebendig, doch ich fühle mich einfach nur ausgelaugt.
Was Mia wohl gerade macht? Ob Mike wohl noch bei ihr ist. Flüchtig huscht mein Blick zur Uhr an einer der Wände und fast erleichtert atme ich auf. Nein. Er kann nicht mehr bei ihr sein. Die Besuchszeit ist vorbei. Aber sein dämliches Grinsen geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Vielleicht auch deshalb, weil ein ähnlich dämlich grinsendes Gesicht neben Bella auftaucht und mich herablassend mustert.
"Brauchst du Hilfe Zierfisch?", fragt Tiger grinsend bevor er hinzufügt, "Oder hast du inzwischen eingesehen, dass du aus diesem Fischfutter keinen anständigen Hai machen wirst?"
Feixend stößt er sie an der Schulter, doch stößt sie ihn energisch zurück.
"Klappe Ti! Halt du einfach mal den Sack fest, dann kann ich Ian zeigen, wie es geht.", Bella deutet auf den Sandsack und Tiger tut was sie gesagt hat. Nicht jedoch ohne vorher noch mal klar zu stellen, das er es für vergeudete Zeit hält mit mir seine Zeit zu vertrödeln.
Bella jedoch ignoriert meinen Protest und fordert mich auf ihr zuzusehen. Zeigt mir erneut, wie ich die Füße hinstellen soll. Wie ich den Körper drehen soll und wie ich zutreten soll. Dann macht sie es vor und versetzt dem Sack recht ordentliche Tritte.
Eines ist mal sicher! Bella möchte ich nicht unbedingt in einer dunklen Gasse über den Weg laufen, wenn sie schlechte Laune hat. In ihrem zierlichen Körper steckt mehr Wumms als in so manchem männlichen. Mehr als in Ricardos ganz sicher.
"Und jetzt du!", reißt sie mich leicht verschwitzt aus meinen Gedanken und schiebt mich an ihre Position. Tigers hämisches Grinsen blitzt hinter dem Sack hervor und am liebsten würde ich nicht den Sack treten sondern ihn.
Dämlicher Idiot! Genau so einer wie Mike einer ist!
Wütend hole ich aus und versetzte dem Sack einen tritt. Okay, das Ganze ist bei weitem nicht so sicher wie bei Bella, aber ich finde, der Schmerz der sich durch mein Schienbein zieht ist auf jeden Fall deutlich fester als vorher.
"Besser, aber du musst mehr aus der Hüfte treten.", korrigiert sie meine Haltung und legt ihre Hände von hinten an meine Taille, "Tritt mal. Und ich führ dich.", verlangt sie von mir. Ich weiß nicht, was das bringen soll, aber ich wiederspreche auch nicht. Nehme nur ihre kleinen Hände an meiner Haut wahr. Ihren warmen Atem, der gegen meinen Rücken schlägt und kann mich kaum mehr darauf konzentrieren, was ich machen soll. Das scheint auch Tiger klar zu werden, denn gebietet er ihr schließlich brummend einhalt.
"Das reicht jetzt Zierfisch! Hol mal ein paar Handschuhe, dann kann er sich noch ein bisschen mit den Fäusten austoben.", sagt er gereizt und wirft mir einen tödlichen Blick zu, den ich gleichgültig erwidere.
"Wenn du meinst.", Bella seufzt, doch frage ich mich langsam, warum sie immer Zierfisch genannt wird. Wobei zierlich ist sie, wenn ich mal von ihrem etwas rundlichen Hinterteil absehe. Sie greift nach meiner Hand und legt ihre gegen meine.
Kurz habe ich das Bedürfnis sie miteinander zu verschränken, doch nur, weil ihre kleinen Hände in meinen aussehen, wie Mias. Wie damals, als ich sie noch in meinen halten konnte.
"Die von krümel sollten passen.", teilt sie ihre Einschätzung mit und lässt mich schließlich mit dem fauchenden Tiger allein. Und er scheint seine Chance zu wittern, denn mit drohendem Blick kommt er auf mich zu.
Verengt die Augen zu schlitzen und hebt drohend den Finger unter mein Kinn. Er setzt gerade zu einer harschen Erwiderung an, doch kommt er nicht weit, denn schon kommt Bella mit einem paar Trainingshandschuhen zurück.
"Hier zieh mal an.", sie übergeht Tigers finsteren Blick einfach. Ebenso meinen, den ich die ganze Zeit nicht aus seinen blauen Augen nehme. So blau, wie die von Mike. Die Haare so blond wie seine. Auch wenn Tigers nur wenige Millimeter lang sind. Sein Kiefer ist kantig. Nicht so rund wie der meines Wiedersachers und doch steigt in mir der Wunsch diesem Idioten eines in die Fresse zu hauen.
"Alles klar?", will Bella wissen und ruckelt an meinen Händen. Prüft, ob die Handschuhe auch wirklich fest sitzen. Und das tun sie.
"Ja.", knurre ich einsilbig, doch als sie selbst den Sack festhalten will hält Tiger sie auf.
"Ich mach schon!" kurzerhand schiebt er sie beiseite und hält den Sack mit beiden Händen fest, was mir geradezu gelegen kommt.
Und diesmal muss Bella mir nicht sagen, wie ich mich hinstellen soll. Meine Füße finden ganz von allein den besten stand und meine Fäuste den Weg zum dunkel bezogenen Leder. Anfangs etwas steif knallen meine Fäuste auf den Sack und mit jedem Schlag werden meine Hiebe fester. Meine Wut größer. Ich schlage einfach immer weiter auf ihn ein. Stelle mir vor, meine Fäuste würden nicht auf diesen Sack einprügeln sondern auf den Mann, der mir das Leben gerade zur Hölle macht. Das Tiger und nicht Mike vor mir steht, ist mir egal. Ich lasse einfach meine Wut an diesem Sack aus, hinter dem inzwischen ein recht verbissenes Gesicht zu sehen ist.
Ich weiß nicht, wie lange ich auf den Sack einhämmere, doch schließlich greift Bella mir in den Arm und hält mich auf.
"Man! Da hatte es aber mal einer nötig Dampf abzulassen.", sagt sie scherzhaft und reicht mir ein Handtuch, mit dem ich mir übers schweißbedeckte Gesicht wische. Mein T-Shirt klebt nass an meinem Körper und mein Atem geht stoßweise, so sehr habe ich mich verausgabt.
Als ich dem Sandsack jedoch meinen Blick zuwende ist von Tiger nichts mehr zu sehen.
"Komm. Ich spendier dir eine Flasche Wasser.", sagt Bella grinsend und zieht mich zum Büro ihres Vaters. Gerade als wir eintreten kommt uns Tiger entgegen. Er mustert mich stumm und geht einfach vorbei. Auch ich schenke ihm nur einen nüchternen Blick, bevor ich hinter Bella her den Raum betrete.
Ihr Vater sitzt noch immer, oder schon wieder, hinter seinem Schreibtisch und tippt etwas in seinen Computer.
"Mit Sprudel oder ohne?", will Bella wissen und hält mir zwei gekühlte Flaschen entgegen, von der ich eine nehme. "Setzt dich doch.", bietet sie mir an und deutet auf einen Stuhl.
Angeregt beginnt sie auf mich einzuplaudern und erzählt mir die Geschichte, wie dieser Club entstanden ist.
Im Grunde eine einfache Sache. Ein Mann mit seinen Kindern. Ein Haufen Teenies, die sich langweilten. Eine leer stehende Halle und ein Traum.
"Und so haben wir dieses Studio hier aufgebaut.", schließt sie schließlich ihre Geschichte ab, die schlicht, aber doch beeindruckend ist. Sie hatten nichts. Haben sogar in diesen Räumen geschlafen. Jeden Cent in die Entstehung dieser Trainingshalle gesteckt und es doch recht weit gebracht.
Mein Wasser ist inzwischen leer. Ebenso das von Bella. Und die Boxer an der Wand zeigen bereits eine recht weit fortgeschrittene Stunde an.
"Ich glaube, wir sollten langsam.", gebe ich meine Einschätzung zum Besten, was Bella mit einem Nicken bestätigt.
"Klar. Komm. Wir gehen duschen." Quirlig springt sie auf und will schon den Raum verlassen, als ihr Vater sie mit strengen Worten zum bleiben auffordert.
"Geh schon mal vor. Ich komme gleich nach.", versichert sie mir, doch ist es mir gerade gar nicht unrecht, dass ich doch alleine Duschen kann.
Und so beeile ich mich etwas, damit ich fertig bin, wenn sie nachkommt. Kommt sie aber erst, als ich bereits fertig angezogen aus der Umkleidekabine trete.
"Hast du noch Zeit? Sonst dusche ich zu Hause. Papa hatte noch was mit mir zu besprechen.", klärt sie mich auf und hüpft dann an mir vorbei unter die Dusche, nachdem ich ihr versichert habe, dass sie sich ruhig Zeit lassen kann.
Der Trainingsraum ist inzwischen leer. Nur noch Krümel steht an den Rahmen der Bürotür gelehnt und dreht mir den Rücken zu.
Es dauert nicht lange und Bella kommt mit nassen Haaren zurück. Verabschiedet sich noch schnell von ihrem Vater und kommt dann mit Krümel im Schlepptau zurück.
"Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn er mit kommt." Sie lächelt mich fröhlich an, doch warum sollte es mich stören, wenn uns ihr Freund begleitet. Weshalb ich gleichgültig mit dem Kopf schüttele.
Die Fahrt nach Hause verläuft recht ruhig. Also wenn man mal davon absieht, dass Bella ununterbrochen redet. Krümel hingegen schweigt. Er hat den Platz hinter Bella eingenommen und hat eine Hand lässig auf ihrem Sitz und ihrer Schulter liegen.
Vor unserer Haustür hält Bella an und lässt mich aussteigen. Auch Krümel steigt aus und nimmt auf dem Beifahrersitzt Platz.
"Bis bald Ian. Du kommst doch Samstag wieder mit ja? Wieder 19 Uhr?", ruft sie mir noch durchs Fenster zu doch zucke ich nur lapidar mit den Schultern.
"Mal sehen.", gebe ich einsilbig wieder. Wobei, wenn ich an das letzte Mal denke, hätte ich vielleicht direkt NEIN sagen sollen. So hingegen grinst sie mich begeistert an und scheint mein vielleicht als begeistertes Ja zu nehmen.
Ergeben rolle ich mit den Augen und wende mich vom Auto ab. Gehe inzwischen recht Müde in meine Wohnung und falle ins Bett.
Essen wird wirklich überbewertet denke ich noch flüchtig, bevor mir die Augen zufallen.
Am Morgen quäle ich mich stöhnend aus dem Bett. Die Muskeln in meinen Armen brennen und selbst im Bauch habe ich Muskelkater.
In der Uni schleppe ich mich in den Hörsaal und bleibe erstaunt stehen, als ich doch tatsächlich Ricardo neben Kiran in der letzten Reihe sitzen sehe.
Langsam nähere ich mich ihnen und lasse mich neben Liandra auf einen leeren Sitz fallen.
"Morgen!", trällert sie gut gelaunt und sieht mich dann mit gerunzelter Stirn an, "Noch immer schlechte Laune? Und ich dachte schon deine wäre auch weg. Wie die von Kiran."
"Baby!", säuselt er ihr zu und legt ihr einen Arm um die Schulter, "Hab dir doch gesagt, das ich nur schlecht geschlafen habe, aber der da...", er deutet auf mich, "...sieht aus, als wäre er von einem Bus überrollt worden."
Grinsend sieht er mich an und stößt dann auch Ricardo mit der Hand an.
"Weißt du was er hat?", fragt er ihn, doch schüttelt er verneinend den Kopf und senkt ihn schüchtern.
"Ich bin nur müde.", brumme ich und lasse wie gestern den Kopf auf die Tischplatte fallen, bevor ich hinzufüge, "Und mir tut alles weh." Vielleicht hat Kiran ja doch recht damit, dass ich von einem Bus überrollt wurde. Oder von einem Nashorn niedergetrampelt. Das dann zufälligerweise Mike heißt oder auch Tiger, denn noch immer sehe ich seine dämliche Fresse vor mir, wenn ich die Augen schließe. Fast kommt es mir so vor, als wären Tiger und Mike Brüder. Möglich wäre es, wenn es nicht so unmöglich wäre.
Sie haben zwar beide blonde Haare und blaue Augen aber ansonsten gibt es Null Ähnlichkeit.
"Mensch Junge! Stöhn hier mal nicht so rum! Oder hast du ein Mädchen unter dem Tisch versteckt?", belustigt beugt sich der Idiot doch tatsächlich vor und guckt unter den Tisch, was mich brummend die Augen schließen lässt.
"Schön wär's.", murmel ich vor mich hin und bin beinahe froh, als Professor Sontner den Raum betritt und damit Ruhe einkehrt.
Es fällt mir schwer mich zu konzentrieren, doch zieht er mich immer mehr in seinen Bann, als er sich über die verzwickten Windungen des menschlichen Gehirns auslässt. Auf Amnesie und was man dagegen machen kann geht er zwar nicht ein, doch im Grunde haben uns die Professoren in der Klinik wohl schon alles Wissenswerte zu diesem Thema gesagt. Und so lausche ich angespannt seinen Worten und präge mir so gut es geht seine Worte ein. Was nicht wirklich erfolgreich ist, denn noch immer fliegen mir eine Menge Fachbegriffe um die Ohren, von denen ich keine Ahnung habe. Nicht alle sind mir unbekannt, doch in geballter Form, wie hier beginnt mir viel zu schnell der Kopf zu rauchen.
Sulcus centralis, Sulcus lateralis und Sulcus parieto occipitalis sind dann gerade noch die Worte, die ich mir umständlich notiere, bevor ich es aufgebe.
"Ich muss mir dringend ein Medizinisches Wörterbuch besorgen.", seufze ich am Ende der Stunde und reibe mir über die Stirn, "Wenn das so weitergeht ist mein Kopf bald nicht mehr zu gebrauchen."
"Ach was! Das gibt sich mit der Zeit. Nächste Woche wird besser und in der dritten wird's Richtig interessant. Da startet der Prep Kurs.", versucht Kiran mich aufzuheitern und zieht kurz gedankenverloren seinen langen Pferdeschwanz nach vorn. Wickelt ihn um die Hand und wirft ihn schließlich wieder nach hinten.
"Prep Kurs? Was ist denn das?", will Liandra wissen und auch an mir nagt der Hauch von Interesse.
"Der Preparationskurs.", teilt Kiran mit und tatsächlich überrascht auch Ricardo mit seinem Wissen.
"Da fangen wir an eine Leiche zu sezieren. Wir werden in Teams eingeteilt und..."
"Hey der Frosch hat aufgepasst!", freut sich Kiran gut gelaunt und haut Rico grinsend auf die Schulter, "Das ist echt das Beste am ersten Semester. Ich finde die Gerichtsmedizin genial! Die Leichen halten schön still. Reden nicht und nehmen dir auch nicht übel, wenn du mal ne Arterie durchtrennst. Abkratzen können die ja eh nicht mehr.", sagt er lapidar. Es fällt ihm überhaupt nicht auf, dass Rico leicht grünlich um die Nase wirkt und angespannt verstummt. Manchmal weiß ich nicht, ob ich Kiran leiden kann. Er ist so ein Trampel irgendwie. Auch Liandra fällt Ricardos Schweigsamkeit auf und sie stößt Kiran bedeutsam in die Seite.
"Was?!", fragt dieser empört und schaut sie erstaunt an.
"Du bist so ein Idiot!", faucht sie ihn an und deutet unauffällig in Ricos Richtung. Er geht mit gesenktem Kopf vor uns her und versucht unauffällig Abstand zwischen uns zu bringen.
Kiran scheint jedoch zu raffen, was sie ihm sagen wollte und schließt zu ihm auf. Wuschelt ihm spaßig durch die grünlichen Haare und legt freundschaftlich einen Arm um ihn.
"Hey Frogger, jetzt sag mir nicht, du nimmst es mir übel, dass ich dich Frosch genannt habe. Ich meine...dass deine Verwandten Wasserbewohner gewesen sein müssen sieht man doch schon von weitem.", sagt er feixend. Sicher meint er es nur gut, aber die Art und Weise...unter aller würde.
Das findet wohl auch Rico, denn er schiebt Kirans Arm unbehaglich von seiner Schulter und macht die Fliege.
Kiran scheint die Welt nicht mehr zu verstehen und sieht uns ratlos an.
Liandra verpasst ihm eine Kopfnuss und auch ich kann nur die Augen verdrehen.
"Du bist der größte Idiot, den ich kenne Kiran Wagner! Da traut sich Ricardo mal in die Nähe von jemandem und dann vertreibst du ihn! Ich möchte mal wissen, was genau bei deiner Geburt eigentlich schief gelaufen ist. Oder haben sie dir das Gehirn durch die Nase rausgezogen.", giftet sie ihn an und stapft wütend hinter Rico her.
"Was hat sie denn?", wendet er sich verwirrt an mich, doch mache ich mir nicht die Mühe ihn aufzuklären, sondern gehe mit ihm zur nächsten Vorlesung.
"Das zu erklären würde echt zu lange dauern. Aber vielleicht versuchst du es mal mit ein bisschen mehr Feingefühl."
"Feingefühl? Was ist das?", will Kiran schon wieder recht gut gelaunt wissen und spielt schon wieder an seinem Zopf herum. Er wirkt etwas nachdenklich, doch kehrt er recht schnell aus seiner Gedankenwelt zurück und scheint wieder ganz der alte Spaßvogel zu sein. Im Vorlesungsaal lässt er mich einfach stehen und eilt auf Rico und Liandra zu, wo er sich vor den beiden Zum Affen macht. Ich weiß nicht, ob ich mich zu ihnen setzten soll, doch da ich andernfalls zu Jean-Paul gehen müsste, nehme ich lieber das kleinere Übel und das ist definitiv Kiran der sich tatsächlich zu bemühen scheint, sich bei Ricardo zu entschuldigen.
"Warum überhaupt die grünen Haare?", höre ich ihn sagen, "Das war doch sicher keine Absicht."
"Ich hatte mal rote Haare, aber die gefielen mir nicht. Ich habe sie blondiert und das da ist dabei raus gekommen. Meine Mutter hat gebrüllt."
"Lass mich raten...sie hat verboten, dass du es weiter färbst?", lacht Liandra und Rico nickt unbehaglich.
"Das sieht so scheiße aus! Kein Wunder das mich alle Frosch nennen.", murmelt er vor sich hin, doch überrascht Kiran mich.
"Ich hab zu Hause noch was von dem Schwarz. Wenn du willst komm vorbei und wir machen aus dir wieder einen Menschen. Aber ich werde dich auch weiterhin Frogger nennen.", Lachend wirft Kiran den Kopf in den Nacken, doch Ricardo sieht ihn mit großen Augen an.
"Wirklich?!", fragt er erstaunt, was Kiran in Tränen ausbrechen lässt. Als er sich schließlich wieder beruhigt hat, stimmt er atemlos zu.
"Wenn ich es doch sage."
"Cool!", freut sich Rico und wirft einen Blick nach oben, wo ihm grünliche Fransen in die Stirn hängen.
"Und wenn du nicht mehr wie ein Frosch aussiehst, dann gehen wir zu Ian auf die Einweihungsparty! Und dann geht die Post ab!", verlangt Kiran grinsend und beginnt auf seinem Stuhl zu Kippeln. Von mir hingegen bekommt er einen finsteren Blick.
"Schon vergessen! Ich habe nur eine zwei Zimmerwohnung! Wie viele willst du denn noch zu mir einladen?"
"Und einen Balkon hast du gesagt. Also stell dich nicht so an. DA passen bestimmt...wie viele...20 Leute drauf. Also bleiben noch...", kurz zählt er uns durch, scheint auch noch einige andere mit einzurechnen, bevor er hinzufügt, "...10 Leute, die ich einladen kann."
"Vergiss es man! Mein Freund mit seiner Freundin sind auch schon da und sicher bringt er noch weitere Freunde mit.", seufzend verdrehe ich die Augen bei dem Gedanken an die Freunde, die er noch mitbringen könnte und hoffe beinahe, dass Mike und dieser Ozzi hoffentlich nicht dabei sind. Gegen Luke und die Mädchen habe ich hingegen nichts.
"Ach...lass mich nur machen. Dass passt schon."
"Auf deine Verantwortung, aber wenn du dann vor der Tür stehen musst, hast du selber schuld!", stoße ich, mich geschlagen gebend, aus. Wuschel mir durch die Haare und wende meine Aufmerksamkeit dann unserem Dozenten zu.
Doch mit den Gedanken bin ich tatsächlich bei Morgen Abend. Jason hat ja gesagt, er würde sich um die Getränke kümmern, doch reicht das sicher nicht für zwanzig Leute. Vermutlich nicht mal für zehn, weshalb ich Kiran am Ende des Tages noch mal beiseite nehme.
"Für die Getränke musst du aber selber Sorgen ich bin schon für das Fleisch zuständig.", teile ich ihm mit, doch nickt er lediglich und wünscht mir dann noch einen schönen Nachmittag.
Mit Rico im Schlepptau wendet er sich seiner Rosa zu, die scheinbar aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht ist. Sehr zum Leidwesen von Liandra.
"Nimmst du mich mit zur Klinik?", fragt sie hoffnungsvoll, doch habe ich heute frei und das sage ich ihr auch.
"Ach Mist!", stößt sie fluchend aus und will Kiran schon hinterher, als ich sie aufhalte.
"Warte! Ich bring dich trotzdem hin. Ich muss ja noch einkaufen, da kann ich dich auch kurz rumfahren."
"Wirklich?!", sie klingt geradezu erleichtert als sie Kiran auch schon zuruft, dass sie bei mir mitfährt.
Er hebt nur kurz die Hand und scheint in ein anregendes Gespräch mit Frogger...ich meine Natürlich Ricardo vertieft zu sein, denn er hebt nur kurz die Hand, bevor er sich an dem Schloss der Beifahrertür zu schaffen macht.
Am Krankenhaus lasse ich Liandra nur kurz raus. Meine Adresse für morgen hat sie sich notiert und auch Kiran zugeschickt.
Ich bin mir zwar nicht so sicher, dass das eine so gute Idee ist, doch was soll ich machen. Außerdem ist eine Party ja doch erst eine Party, wenn mehrere Leute da sind. Ich hoffe nur mal, dass er nicht irgendwelche Vollpfosten einlädt, die meine ganze Bude verwüsten.
Nach dem der Einkauf jeden Winkel meines Kühlschrankes zum Platzen bringt, setzte ich mich an meine Bücher und lerne all den Kram, den sie uns in der Uni versuchen beizubringen.
Der Abend verfliegt wie im nu und auch der nächste Tag, der nicht so ganz einfach für mich ist. Ich meine...Mia und Mike...geistern mir immer wieder durch den Sinn, doch werde ich den Teufel tun und mich ihr aufdrängen. Wie im letzten Jahr halte ich Abstand zu ihr, dabei hat mir die Erfahrung doch eigentlich gezeigt, dass das nicht unbedingt die Richtige Richtung ist, die ich ansteuere.
Nur haben sich einige Dinge geändert. Nicht zuletzt, dass sie mich nicht mehr liebt.
Am frühen Nachmittag beginnt mir die Decke auf den Kopf zu fallen und so mache ich einen kurzen Abstecher zu Mara und Charly. Schnappe mir den Kinderwaagen und schleife Mutter und Kind vor die Tür.
Mara scheint sich über irgendwas zu freuen, doch rückt sie nicht so recht mit der Sprache raus. Meint nur, dass sie froh ist, dass ich mal wieder vorbeischaue und fragt mich nach dem Studium.
Im Grunde gibt es noch nicht viel zu erzählen und aus der Klinik darf ich ihr nichts erzählen. Nur von Schwester Fröhlich erzähle ich ihr.
"Oh Gott! Ja. An den Drachen erinnere ich mich! Wir hatten damals Glück, dass sie bald nachdem wir dort waren Feierabend hatte. Was für eine unsympathische Person!", gibt sie ihre Meinung energisch zum Besten.
Wir sind schon eine Weile unterwegs und so gehen wir schließlich zurück. Immerhin muss ich noch eine Party vorbereiten und...
"Hey! Du bist schon wieder zu spät!", empfängt mich Bella, als ich die Treppe nach oben stiefele.
"Zu spät? Wozu?"
"Das Training!", sagt sie als wäre ich unterbelichtet und so ganz unrecht hat sie damit auch nicht.
"Ach shit! Hab ich voll vergessen. Ich hab gar keine Zeit.", erkläre ich kurz angebunden, "Ich erwarte heute Abend noch Besuch. Aber komm doch vorbei wenn du willst.", schlage ich vor. Auf eine Person mehr kommt es jetzt auch nicht mehr an.
"Wann denn?"
"Um zehn."
Kurz scheint sie nachzurechnen, doch ehe sie meine Gedanken ausspricht unterbreche ich sie.
"Ich muss jetzt echt hoch. Ich hab noch so viel vorzubereiten." Also eigentlich nicht, aber bevor sie noch meint, das drei Stunden für eine Einheit Kickboxen ausreicht, tue ich lieber mal so. Außerdem brennt draußen die Luft. So heiß ist es.
"Na gut. Aber ich weiß noch nicht, ob ich vorbeikomme. Mal sehen. Okay."
"Mach dir keinen Stress. Ich lauf nicht weg. Bis später 'Zierfisch'", sage ich mit einem verschmitzten Grinsen und schließe meinen Tür auf.
"Nicht du auch noch!", seufzt Bella genervt, "Es reicht schon, wenn mich die Jungs im Club immer so nennen."
"Warum eigentlich?", frage ich interessiert nach und streiche mir die Schuhe von den Füßen. Schiebe sie unter die Garderobe und sehe sie abwartend an.
"Ist doch logo. Ich bin die einzige Frau dort. Ein kleiner Fisch zwischen den ganzen Haien. Deshalb Zierfisch. Aber die meisten Wissen, das sie mir lieber nicht zu blöd von der Seite kommen sollten.", sie zwinkert mir zu. Dann lehnt sie meine Einladung hereinzukommen ab und beginnt die Treppe nach unten zu hüpfen.
"Spätestens bis Donnerstag! Und dann gibt es keine Ausreden mehr!", ruft sie mir noch zu, bevor sie nicht mehr zu sehen ist.
Seufzend schließe ich die Tür hinter mir. Na da habe ich mir ja was Schönes eingebrockt. Denke ich noch, bevor ich alles was ich an Stühlen besitze nach draußen schleppe. Ebenso den Couchtisch, damit wir draußen sitzen können. Mehr ist eigentlich auch nicht zu tun. Na außer vielleicht die wenigen, zerbrechlichen Sachen in Sicherheit zu bringen.
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4315 Worte
19.07.17
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