02. 𝓢ein Lächeln
✎ᝰ┆LIAH
Die tickende Uhr. Eine dunkelrote, die Zeiger waren pechschwarz. Die Zeit war alles, was uns blieb. Jede einzelne Minute, jede einzelne Sekunde - die Zeit lief mir unkontrolliert davon.
Ich hatte noch nie in der Gegenwart gelebt - ich lebte in der Zukunft. Als Kind dachte ich an das Erwachsenwerden, als Erwachsener an das Sterben. Ich schätzte nicht das Wochenende, sondern trauerte um den bevorstehenden Montag. Meine Gedanken schwirrten umher, schienen lauter als je zuvor.
Ich war ein Überdenker.
»Liah?«, Giadas dunkelbraunen Augen versuchten meine zu durchbohren, während sie mir unsanft an die Schulter packte. »Geh.«
Es war nicht leicht für mich. Während andere Menschen ihren Tag ab dem Sonnenaufgang begannen, fürchtete ich mich vor dem Untergang. Ich musste mich intensiv beruhigen, bevor ich das Haus verließ.
»Giada. Du verstehst mich nicht.«, panisch blickte ich sie an, packte ihr ebenfalls an die Schulter. Ich bemerkte nicht einmal, wie zittrig meine Beine waren. »Ich brauche das Geld.«
Mein Bruder passte früher auf meine Eltern auf. Er war sanft mit ihnen, brachte ihnen passendes Geld vor die Türe. Malik war stur, wenn es um meinen Vater ging. Er liebte ihn, auch wenn diese Liebe ihn zerstörte.
Es waren die schmerzvollen Nächte, die meinen großen Bruder vernichteten. Die Nächte, in denen er kein Auge zu machte, vergeblich versuchte den brennenden Gestank von den Drogen meiner Eltern loszuwerden. Erschöpft stand er jede Nacht vor dem Fenster, hielt mich fest in seinen Armen, sodass ich nach kalter Luft schnappen konnte - er zog mich auf.
Und deswegen versprach er mir etwas. Er würde niemals das Gift anfassen. Das Gift, welches unsere Eltern tötete.
»Porco Dio - verschwinde aus diesem Laden. Ich werde dir das Doppelte nächste Woche geben.«
Es waren die verzweifelten Worte, die hilflose Mimik und das aufdringliche Verhalten, was mich plötzlich so neugierig machte. Leicht legte ich meinen Kopf schief, runzelte meine Stirn dabei. »Schläfst du mit ihm oder was?«
Ich konnte schon immer die Gedanken anderer Menschen lesen. Augen verrieten alles.
Ihr Gesicht verspannte sich verzweifelt, derweil sich ihre Finger in ihren braunen Locken verhedderten. Ihr dunkelblauer Nagellack bröckelte, die Mascara war schon längst verschmiert. Ein unerklärliches Geräusch entwich ihr, ließ sie unsicher wirken.
»Du musst mir nichts erklären.«, ich blickte sie innig an, versuchte ihr meine eigene Wärme zu schenken. Giada war erschöpft, kam kaum noch zur Ruhe. »Ich bin scheisse aufdringlich, ich weiß. Es ist nur-«
»Du kriegst das Doppelte. Nächste Woche wirst du das Doppelte kriegen. Ich möchte nur nicht, dass du ihn kennenlernst.«
Die Worte purzelten aus ihr hinaus, klangen dabei unbeschreiblich hilflos. Sie reagierte zu hektisch und fühlte sich höchstwahrscheinlich zu nervös, um die Situation vernünftig zu regeln. Dies erkannte ich an ihrem ständigen Schlucken. Giada war ein gelassener Mensch, also konnte es nur eins bedeuten - Denvers Neffe war ein Arschloch.
»Okay - fuck okay, ich verschwinde ja schon.«, langsam drehte ich mich um, griff nach meinem Handy, hielt dennoch für einen kurzen Moment inne. Die Italienerin war mittlerweile dabei das Chaos aufzuräumen, doch schenkte mir wenig später einen dankbaren Blick. »Ich liebe dich, Liah.«
Unsere Freundschaft war unerklärlich kompliziert. Sie brauchte mich erst, wenn es um Malik ging und ich klammerte nach ihr, wenn es mir an Geld fehlte.
Ich wollte meiner Freundin noch ein schwaches Lächeln schenken, doch bevor ich dies tun konnte, hörte ich ein altbekanntes Geräusch, welches mich sofort zu der Tür blicken ließ - die Eingangsglocke.
Ich verstand nie, weshalb Menschen so fokussiert nach Liebe auf den ersten Blick suchten, ohne jegliche Zweifel vor die Kugel sprangen oder von Schmetterlingen im Bauch sprachen. Die Liebe klang in meinen Ohren schon immer nach einem Fremdwort, welches ich täglich hörte, doch nie verstand.
Doch als ihn zum ersten Mal sah,
änderte sich meine ganze Sichtweise.
»Owen! Mein Lieblingsneffe.«
Mein Atem wurde immer schwerer, panisch griffen meine Hände nach Halt, während meine Augen fokussiert die bevorstehende Person ansahen.
Owen River würde mein zukünftiger Tod sein.
»Samchon.«, seine Stimme war rau - kratzig rau. Die Laute klangen wie nie ausgesprochen, so schnell und nuschelnd entwichen sie ihm. Seine pechschwarzen Haare versteckten sein Augenpaar, sodass ich keine einzige Mimik oder Emotion ablesen konnte. Denn Augen waren schon immer meine Stärke gewesen.
Giada räusperte sich schwer atmend, ihre Ohren waren auffallend rot und ihre beiden Hände griffen fest nach dem Besen. Ihr Kopf nickte immer wieder in die Richtung des Ausganges.
Doch ich wollte nicht mehr gehen.
»Noch mehr Getränke für meinen Liebling!«, Denver schrie wie noch nie, signalisierte seine extreme gute Laune, für die Owen scheinbar verantwortlich war.
Dieser stand jedoch immer noch unbeholfen am Eingang, derweil er zögernd seine schwarze Kapuze abnahm. Er schenkte mir keinen einzigen Blick, sah wortlos zu seinem Onkel, bevor er einige Schritte näher kam.
Unkontrolliert huschte mir ein leichtes Lächeln ins Gesicht. Er gefiel mir.
Owen begrüßte jeden einzelnen Freund von Denver mit einem kurzen Handschlag, ehe er seine volle Aufmerksamkeit seinem Onkel widmete.
Das Keuchen von Giada brachte mich wieder zurück in die Realität und zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit blickte ich von der unbekannten Person hinweg.
»Penso di stare impazzendo.«, sie murmelte, doch ihre Worte kamen bei mir an. Verstehen konnte ich das verzweifelte Mädchen jedoch nicht, weshalb ich verwirrt in ihre Richtung starrte.
Sie benutzte mittlerweile ihren ganzen Körper, um mich an mein Versprechen zu erinnern, dabei zeigte sie ständig zum Ausgang.
Doch mein Kopf drehte sich wieder zu den vielen Männern.
»Non può essere vero.«, nahm ich erneut wahr, bevor ein lautes, fast schon kreischendes »Liah!«, folgte.
All die verschiedenen Männer blickten erschrocken in unsere Richtung - alle bis auf Owen.
Schluckend drehte ich mich zu ihr um, fuhr mir kurz durch meine Haare. »Beruhig dich. Ich hole nur kurz meine Jacke.«
Sie war nicht zufrieden, doch konnte nicht wirklich etwas daran ändern. Stumm nickte sie, blickte ängstlich zu dem Männerkreis. Giada hatte Angst, doch ich konnte mir nicht vorstellen, was für eine Vergangenheit sie mit ihm hatte.
Kurz biss ich mir auf die Unterlippe, drehte mich dann mit einer schnellen Bewegung zu dem hinteren Raum, um nach meiner Jacke zu suchen. Es dauerte nicht lange, bis ich sie gefunden hatte, sodass ich nach einigen Sekunden wieder den Raum verließ.
Dieses Mal schlug ich den anderen Weg ein.
Es war nicht wirklich meine Art, jedoch war ich neugierig - scheisse neugierig.
Als ich mich endlich dem Tisch näherte, blieb ich abrupt davor stehen, sah fokussiert zu Denver, der mir ein irritierten Blick zu warf. »Geht meine Lieblingskellnerin schon?«
Ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln, versuchte den brennenden Blick den ich spürte, zu ignorieren. »Hab noch einiges zu tun. Ich wünsche dir noch einen schönen Geburtstag, Denver.«
Der ältere Mann lachte dankend auf, drückte mir plötzlich fest die Hand. »Du bist ein Sonnenschein, weißt du das?«
Noch nie kribbelten meine Fingerspitzen so intensiv, dass ich mich wirklich zusammenreißen musste. Die Luft wurde immer stickiger und die Musik rückte immer mehr in den Hintergrund.
Vorsichtig fielen meine Augen auf die Person, die mir diesen dauerhaft brennenden Blick schenkte.
Zum ersten Mal trafen sich unsere beiden Augenpaare, die wie verrückt miteinander spielten. Der Blickkontakt war innig und so vielversprechend, dass ich mich fast in seinen Augen verlor.
Ich wusste nicht, was mit mir geschah oder wieso ich so unerklärlich weich wurde.
Ein dunkler Schatten huschte über seine dunkelbraunen, mandelförmigen Augen, die mich unsanft aus der Schockstarre befreiten und mir plötzlich eine kalte Gänsehaut bereiteten.
Unwillkürlich hielt ich den Atem an, runzelte verwirrt meine Stirn, als ich die grauenhafte Kälte seinerseits spürte.
Doch nach einigen Sekunden bekam ich endlich eine Reaktion von ihm; langsam formte sich ein boshaftes Lächeln auf seinen Lippen.
Mein Herz blieb stehen.
»Liah, geh endlich!«
Abrupt drehte ich mich um, atmete unregelmäßig weiter und schloss für einen kurzen Moment die Augen.
»Ich komme.«
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