Kapitel 3
Dean stand an sein Auto gelehnt auf dem Parkplatz und schaltete ziellos das Display seines Handys ein und aus, als er endlich Sam erblickte, der sich zwischen den Autos hindurch näherte.
"Da bist du ja endlich", begrüßte Dean seinen kleinen Bruder und öffnete die Fahrertür um sich auf seinen Sitz fallen zu lassen und nur wenige Sekunden später gesellte Sam sich neben ihn, "Warum hast du so lange gebraucht? Musstest du noch all deinen kleinen Freunden Lebewohl sagen?"
Er wusste, dass er Sam gegenüber unfair war, aber er hatte einen schlechten Tag gehabt und nun bekam sein Bruder das wohl oder übel ab.
Diesen jedoch schien das nicht im Geringsten zu stören. "Um ehrlich zu sein, ja", Sam lehnte sich zurück und grinste seinen Bruder herausfordernd an, "Ich schätze ich bin nicht so unbeliebt wie du erwartet hattest."
Dean merkte, wie sich ein kleines Lächeln auf sein Gesicht stahl und er wuschelte Sam durch die Haare, bevor er den Motor anließ. "Das freut mich", sagte er ehrlich und nickte seinem Bruder zu, vielleicht sogar ein wenig stolz, "Wäre ja auch ärgerlich, wenn mein kleiner Bruder meinem Ruf schaden würde und ich das wieder ausbügeln müsste."
Er meinte, ein unterdrücktes "Arsch" von Sams Seite des Autos zu vernehmen, beschloss aber, nicht darauf einzugehen. Auch wenn er es vorhin noch darauf abgesehen hatte, Sam zu provozieren, so wurde ihm nun klar, dass er eigentlich keine Lust auf eine Diskussion hatte, selbst wenn sie nicht in einem wirklichen Streit enden würde.
Die Fahrt brachten sie schweigend hinter sich. Sam rutschte auf seinem Sitz hin und her und Dean wusste, dass er gerne von seinem Tag erzählen würde, aber er hatte gerade einfach nicht die Nerven dafür, sich unter die Nase reiben zu lassen, wie toll der Tag der Dean komplett gestresst hatte für Sam verlaufen war.
Es wäre alles halb so schlimm gewesen, hätten sie nicht dieses Jahr zum ersten mal fast durchgehend im selben Klassenzimmer Unterricht, was dazu führte, dass Dean in fast jedem Fach alleine neben Castiel saß, was ihm bis zur Mittagspause den letzten Nerv geraubt hatte. Zumindest hatte Chuck sich in Chemie erbarmt und so war Deans Laborpartnerin doch Jo geworden. Gott sei Dank, denn sonst hätte er vermutlich den Verstand verloren.
Kaum waren sie in die Einfahrt zu ihrem Haus, das etwas außerhalb von Lawrence lag, eingebogen, sprang Sam auch schon regelrecht aus dem Auto und knallte die Tür hinter sich zu, bevor er zur Tür lief und sturm klingelte. Dean warf ihm einen missbilligenden Blick zu und folgte ihm dann langsamer ins Haus, wo er seine Schultasche erst einmal neben die Garderobe fallen ließ.
"Dean, ich hoffe du hattest einen schönen Tag", begrüßte seine Mutter ihn betont, offensichtlich war sie nicht allzu begeistert, dass er einfach so ohne ein Wort zu sagen ins Haus gestürmt kam. "Hey", murrte Dean während er sich die Schuhe abstreifte, aber mehr bekam seine Mutter nicht zu hören. Mary Winchester seufzte resigniert und wandte sich ab in Richtung Wohnzimmer, was ihr Sohn als Zeichen sah, seine Schultasche zu nehmen und die Treppe hinauf in sein Zimmer zu verschwinden.
Kaum hatte er die mit Bildern von Australien vollgeklebte Tür hinter sich zufallen lassen, warf er seine Jacke über die Lehne seines Schreibtischstuhls, seine Schultasche schon wieder in eine Ecke, dieses mal neben seinem Schreibtisch, und ließ sich mit seinem Laptop aufs Bett fallen. Ungeduldig klopfte er mit den Fingern an den Rand des Bildschirms während das etwas alte, aber immer noch funktionstüchtige Gerät hochfuhr.
Nein, er hatte Jo wirklich nicht angelogen, was das Spiel anging, er konnte es jetzt bereits wieder kaum erwarten, es zu öffnen. Es war eine Mischung aus Abenteuer- und Rollenspiel und Dean hatte nicht umhin gekonnt, wie er selbst zugeben musste, vollkommen süchtig zu werden.
Das Spiel, "Supernatural" genannt, hatte eine schöne Grafik, eine bis ins Detail genaue Charaktererstellung, und ein System, bei dem man sich via Rollenspiel mit anderen Spielern zusammenfinden musste, um die Apokalypse lebendig zu überstehen. Nicht zu vergessen eine kreative und kontaktfreudige Community.
Kurz: Es war gut, und es war kein Wunder, dass alleine innerhalb des letzten Monats die Anzahl der Spieler rapide angestiegen war. War es zu der Zeit, als Jo es entdeckt hatte noch ein echter Insidertipp gewesen, so hatte sich inzwischen ein regelrechter Hype entwickelt. Vermutlich gab es selbst an seiner Schule einige Mitspieler der "Supernatural Family", wie die Community sich selbst nannte.
Das System des Spiels war simpel, man jagte Monster und Dämonen, schaurige Gestalten aus bekannten Sagen und völlig neueartige, von den Spielern teilweise sogar selbst kreierte, Wesen. Das Ganze selten alleine, sondern meist in einer kleinen Gruppe, da das die Überlebenschancen drastisch erhöhte.
Als erstes loggte Dean sich in Skype ein, wo Jo ihn bereits erwartete. Eine Webcam hatte er nicht, aber zumindest ein Headset mit Mikrofon, welches er sich sogleich aufsetzte. Kurz schweifte sein Blick zu einem anderen Skype-Kontakt, dann aber drückte er den Button um Jo anzurufen.
Sie ging nach dem zweiten Piepen dran und Dean konnte förmlich ihr Grinsen am anderen Ende der Leitung sehen. Einer der Nebeneffekte wenn man Jahrelang fast jeden Tag aufeinander hockte.
"Hey Dean", kam es aus seinem Headset und er stellte erfreut fest, dass die Leitung obwohl Jo ständig über langsames Internet klagte, stabil war. Vermutlich nur eine ihrer typischen Übertreibungen.
"Jo", grüßte Dean etwas unsicher zurück, es war erst das zweite mal, dass sie skypten und auch sonst tat er das nicht oft. Lediglich mit Anna, "Beginnen wir?" Ohne abzuwarten öffnete Dean das Icon von "Supernatural" auf seinem Desktop und loggte sich ein. Sein Charakter stand in einem Wald, die virtuelle Sonne warf ein Interessantes Lichtmuster zwischen den Blättern hindurch auf den Boden. Das Chatfenster an der Seite des Bildschirms blinkte und gab ein nervtötendes Piepen von sich. Irgendein Spieler den er nicht kannte hatte eine Nachricht in den allgemeinen Chat geschrieben. Leicht genervt schaltete Dean den Ton ab, ohne die Nachricht zu lesen. Vermutlich war es eh nur Smalltalk.
"Ich freue mich darauf, endlich mal mit dir eine Runde zu jagen", kam es von Jo auf der anderen Seite der Leitung, "Ich will endlich mal deinen Charakter kennenlernen. Welches Level bist du? Welche Klasse? Hunter? Angel? Demon?"
Dean zuckte die Schultern und erst als Jo sich am anderen Ende der Leitung räusperte viel ihm wieder ein, dass sie das nicht hatte sehen können. "Wirst du ja spätestens dann sehen, wenn wir in einen Kampf geraten", wich er der Frage aus, "Bist du schon da?"
"Ja, beim allgemeinen Treffpunkt."
Dean vergrößerte die Karte am oberen Bildschirmrand und teleportierte seinen Charakter zum Treffpunkt. Er erkannte Jo sofort. Ihr Charakter sah ihr ziemlich ähnlich, Dean konnte nicht umhin, zu bewundern, wie gut Jo ihr Äußeres hatte nachahmen können.
"Wer bist du? Bist du schon da?", fragte Jo ungeduldig, und Dean nickte, fügte aber schnell noch ein "Ja" hinzu.
"Nun mach es nicht so spannend", Dean hatte das dumpfe Gefühl, dass Jo die Augen rollte, "Welcher bist du?"
"John Smith", Dean fasste sich kurz mit der Antwort. Es passte ihm nicht recht, mit Jo zu skypen, wo er doch das Icon gesehen hatte, das ihm zeigte, dass eine andere Person online war, mit der er jetzt viel lieber geredet hätte. Jo sah er schließlich so oder so jeden Tag in der Schule.
"Ernsthaft? Du hast deinen Charakter nach deinem Vater benannt?", fragte Jo mit Belustigung in der Stimme, bevor sie abrupt stoppte, "Warte, was? Der mit den blauen Haaren?"
"Jep. Beides", Dean wusste nicht recht, was er sonst darauf antworten sollte.
"Aber...Wie zur Hölle?", Jos Stimme klang ungläubig, "Du bist gerade mal Level 15 und hast laut Statistik bereits sieben mal an einer Multi-Demon-Quest teilgenommen und bist nicht gestorben. Wie zur Hölle hast du das hinbekommen?"
Multi-Demon-Quests gehörten zu den schwierigeren Quests, denn man kämpfte dabei gegen andere Spieler, in diesem speziellen Fall gegen mindestens fünf Dämonen. Dabei musste ein höherrangiger Dämon das Gegnerteam leiten, das eigene Team durfte jedoch aus maximal drei Personen bestehen. Das war eigentlich kein Spielmodus für Anfänger wie ihn
"Ich hatte Hilfe", begründete er seinen Erfolg knapp, "Große Hilfe. Einer der Engel hat mir geholfen, er ist schon ewig dabei, glaube ich."
"Wer ist er?", Jo klang nun wirklich interessiert, "Wenn er einer der bekannteren Spieler ist, weiß ich, wie ich ihn einschätzen kann. Ich habe sie alle gestalkt und kenne den öffentlichen Teil ihrer Statistiken sozusagen auswendig." Jo lachte, jedoch war ihr zuzutrauen, dass sie das ernst meinte. Sie konnte eine ziemliche Stalkerin sein, wenn sie jemanden bewunderte. Es gab weniges was Jo mehr bewunderte als Geschick und Ausdauer bei Onlinespielen. Und bei "Supernatural" überlebte man nur lange genug um ein hohes Level zu erreichen, wenn man beides besaß.
"Anna", Dean hörte, wie Jo scharf die Luft einsog, "Er, also, sie ist echt okay. Wir sind uns an meinem fünften Tag zufällig begegnet. Genau genommen bin ich durch einen dummen Fehler in die Hände der Dämonen gefallen, direkt in die Hölle, und sie hat mich da rausgeholt. Seitdem begleitet sie mich auf den meisten Quests um sicherzugehen, dass das nicht umsonst war. Ist ziemlich praktisch."
"Anna", Jo nickte, "Nicht schlecht. Mit jemandem auf ihrem Level als Babysitter kommst du wahrscheinlich durch jede Mission, vielleicht einmal abgesehen von den Bossmissionen, ohne auch nur ansatzweise selbst was leisten zu müssen. Glückwunsch."
Jo klang verärgert, und Dean rollte die Augen. Warum war sie jetzt wütend auf ihn? Er hatte doch wohl wirklich nichts falsch gemacht.
"Wo liegt dein Problem?", fragte er geradeheraus, sein ohnehin schon gereizter Zustand machte sich wieder bemerkbar, "Gönnst du es mir nicht, mal ein bisschen Glück zu haben? Anna ist nett, und sie hilft mir und sie hat mir schon so viele Tricks beibringen können, dass ich jetzt auch ohne sie problemlos einen Dämonen fangen und einen Exorzismus ausüben kann."
"Oh ja, ich bin sicher, sie ist dir eine große Hilfe. Pass bloß auf, dass ich dich auf unserer gemeinsamen Quest nachher nicht zurückhalte", Jos Tonfall war nun regelrecht giftig und Dean wollte gerade etwas antworten, als das leise 'pling' einer Skypenachricht zu vernehmen war. Dean ertappte sich selbst dabei, wie er unwillkürlich in Richtung Annas Chatfenster blickte, und tatsächlich, daher kam die Nachricht.
"Und, wer beansprucht nun deine Aufmerksamkeit? Sag bloß es ist Anna? "
Dean hatte das dumpfe Gefühl, dass es besser wäre, jetzt zu lügen, aber er brachte es nicht über sich.
"Ja", gab er zerknirscht zu, "Sie fragt, ob wir gleich eine Quest zusammen erledigen. Möchtest du mitkommen? Das wird sicher lustig."
"Danke für das großzügige Angebot, aber ich muss essen. Die Quest machen wir irgendwann anders, bis morgen. Anna kann dich ja ruhig weiter pushen."
Damit hatte Jo aufgelegt und Dean seufzte resigniert, während er sich die Schläfen massierte. Das morgen wieder auszubügeln würde ein Spaß werden. Wieso war Jo nur so wütend geworden? Hatte sie wirklich solche Angst, er könne durch Anna besser werden als sie? Das war doch lächerlich. Wie sollte er das nur wieder in Ordnung bringen, ohne sie als überehrgeizige und egoistische Zicke darzustellen?
In diesem Moment hörte er das leise klingeln, dass sich einstellte, wenn jemand versuchte, ihn per Skype zu erreichen.
Anna rief an.
--------------
Ich freue mich natürlich nach wie vor sehr über Rückmeldung und ehrliche Kritik :3
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro