Kapitel 2
Verärgert sah Dean die beiden Fäuste an, die sich seiner Schere im Kontrast entgegenreckten. "Das habt ihr doch geplant", warf er seinen beiden Freunden mit säuerlichem Unterton vor, woraufhin die beiden jedoch nur in Einheit den Kopf schüttelten. "Wir wollten nur beide nicht verlieren", erklärte Jo das Offensichtliche, "Und da du immer Schere nimmst, war es für uns beide eben am sichersten, Stein zu nehmen. Wir haben uns nicht gegen dich verschworen, Dean, jeder wäre unabängig voneinander darauf gekommen. Sorry, aber so ist es", sie ließ sich auf den Stuhl fallen und damit war das Thema für sie wohl beendet. Chuck warf Dean noch einen entschuldigenden Blick zu, ließ sich dann aber neben ihr nieder.
Dean fluchte leise, und sah sich im Klassenraum um. In seinem letzten Jahr würde er nun also doch noch der Depp sein, der alleine und gelangweilt in irgendeiner Ecke des Klassenzimmers saß, und das nur, weil er bei Schere-Stein-Papier verloren hatte? Das war doch lächerlich.
Aber so schien es nunmal tatsächlich zu sein, also fügte er sich wohl oder übel seinem Schicksal. Einen letzten Blick warf er an die Front des Zimmers, wo ein ihm nicht bekannter Lehrer hinter dem Pult stand und darauf zu warten schien, dass die wenigen Personen, die noch keinen Platz gefunden hatten, sich setzten.
Für Dean war klar, dass er sich einen Tisch möglichst nah bei Jo und Chuck suchen würde, und musste etwas beunruhigt feststellen, dass der einzige noch freie Platz in deren Umgebung hinter den beiden war -ausgerechnet neben Castiel. Zögernd ließ Dean seine Tasche auf den Tisch fallen.
Gut, es hätte schlimmer kommen können, er hätte neben einem der nervigen Mädchen landen können, die ihn sicher jedes mal angeflirtet hätten, sobald er sie ansah.
Oder noch schlimmer, seine Sitznachbarin hätte Ruby sein können. Bei dem Gedanken lief es ihm kalt den Rücken hinunter und unwillkürlich sah er sich im Klassenzimmer um.
Also ließ er sich ohne weitere innere Debatten neben Castiel nieder -Der war zumindest nur schweigsam und tat ansonsten nichts.
Zumindest war das seine Hoffnung gewesen, nach einigen Minuten stellte sich diese jedoch als falsch heraus. Castiel schien zwar tatsächlich aktiv nichts Störendes zu machen, Dean musste jedoch feststellen, dass sein neuer Sitznachbar ihm unangenehm war und ihn, wenn auch vermutlich unabsichtlich, nervös machte. Dean war noch nie aufgefallen, was für eine Unruhe der stille Junge trotz seiner drückenden Schweigsamkeit ausstrahlte.
Ständig fummelte er an den zu langen Ärmeln seines Pullovers herum, Dean wartete nur noch darauf, dass die Maschen beginnen würden, sich zu lösen. In einem schnellen Takt wippte der Fuß des dunkelhaarigen Jungen auf und ab, was Dean jedes mal zucken ließ, wenn er hinabblickte. Und wenn er ganz genau hinsah, konnte er sogar erkennen, wie Castiels Blick unruhig umher irrte und keine zwei Sekunden auf dem selben Punkt stehen zu bleiben schienen. Das war ja nicht auszuhalten.
In einem Anflug von Verzweiflung zückte Dean sein Handy, gerade so weit unter dem Tisch, dass der neue Lehrer, dessen Namen Dean nicht recht mitbekommen hatte, es von oben nicht sehen konnte, aber noch so nah an der Tischplatte, dass es auch nicht darunter zum Vorschein kam. Darin hatte er Übung und somit viel es ihm nicht schwer, das Textnachrichtenfenster zu öffnen und dabei immer noch so auszusehen, als würde er nur auf die Tischplatte starren.
Wer würde sich wohl eher erweichen lassen, Jo oder Chuck? Chuck vermutlich, der hatte deutlich unentschlossener gewirkt als er seinen Platz neben Jo beansprucht hatte. Schnell tippte Dean die Nachricht.
Nachricht verfassen // Empfänger: Chuck [04.09.2016; 08:12]
Der Typ macht mich nervös, können wir Platz tauschen? Bitte
Zufrieden lehnte er sich zurück und wartete darauf, dass Chuck die Nachricht empfangen und lesen würde. Unruhig sah er hin und her, merkte erst nach einigen Sekunden, dass er begonnen hatte, im selben Takt wie sein Sitznachbar mit dem Fuß zu wippen.
Kaum realisierte er, was er da tat, fluchte er leise und beugte sich ungeduldig vor, den Blick in Chucks Rücken gebohrt, as würde das dafür sorgen, dass der verdammte Idiot endlich seine Nachricht las. Chuck hatte sein Handy doch nicht etwa ausgeschaltet, oder? Möglich wäre es schon, wie er sich eingestehen musste. Es war der erste Schultag und Chuck wäre sicher nicht der einzige Schüler mit dem Vorsatz, in seinem letzten Jahr nochmal Gas zu geben und im Unterricht ordentlich mitzumachen. Nicht, dass das lange halten würde, aber die ersten ein oder zwei Wochen lang vermutlich schon.
Erneut fluchte Dean, dieses mal etwas lauter, was ihm einen kurzen irritierten Blick von Seiten seines Sitznachbars einhandelte, sowie einen mahnenden von seinem Lehrer. Der Kerl hatte offensichtlich auch noch ein verdammt gutes Gehör. Als der Mann mittleren Alters sich wieder einem anderen Teil des Klassenraums zuwandte, zög Dean erneut sein Handy aus der Tasche und begann, eine zweite Nachricht zu tippen.
Nachricht verfassen // Empfänger: Jo [04.09.2016; 08:18]
Rette mich, der Typ ist komisch
Dieses mal musste Dean nicht lange warten, er konnte von seinem Platz aus sogar beobachten, wie Jo in ihre Hosentasche griff und ihr Handy hervorzog. Er kniff die Augen zusammen und versuchte zu erkennen, was seine Freundin in das Antworttextfeld tippte, dieses Biest hatte allerdings die kleinstmögliche Schriftart eingestellt, vermutlich gerade damit niemand mitlas. Es verstrichen jedoch nur wenige Sekunden, dann spürte er, wie sein eigenes Handy, das nach wie vor auf seinem Schoß lag, vibrierte und er öffnete wenig hoffnungsvoll die Nachricht.
Nachricht empfangen // Absender: Jo [04.09.2016; 08:20]
Was macht der denn, sitzt doch nur da?
Dean schnaubte wenig begeistert und warf seinem Sitznachbar, der immer noch ruhelos herum hantierte, wippte und umherblickte einen wenig begeisterten Blick zu. Schön wär's, wenn der Typ 'nur dasitzen' würde. Er blickte schnell auf um sich zu versichern, dass der Lehrer in eine andere Richtung blickte, dann tippte er schnell die Antwort.
Nachricht verfassen // Empfänger: Jo [04.09.2016; 08:23]
Wippt mit dem Fuß, reißt an seinem blöden Pulli herum, macht einen total unruhig. Ehrlich, dein Gelaber hat mich weniger abgelenkt als wir noch nebeneinander saßen. Willst du tauschen?
Dieses mal musste er nur einige Sekunden lang warten bevor die kurze und ernüchternde Antwort kam.
Nachricht empfangen // Absender: Jo [04.09.2016; 08:24]
Netter Versuch
Dean seufzte resigniert und lehnte sich zurück, die Beine lässig übereinandergeschlagen und die Arme verschränkt. Entschlossen traktierte er Jo von hinten aus mit mörderischen Blicken, was von dieser jedoch entweder gar nicht bemerkt, oder aber, was angesichts ihres sonst so guten Gespürs wahrscheinlicher war, gekonnt ignoriert wurde.
Nach einer Weile gab Dean auf und richtete seinen Blick nun tatsächlich einmal auf den vorderen Teil des Raumes, wo der Lehrer, dessen Name, wie er nun bemerkte, an der Tafel stand -Professor Alastair- , auf und ab ging und scheinbar irgendetwas über die Schulregeln faselte. Es war jedes Jahr das selbe, der diesjährige Klassenlehrer rezitierte die Schulregeln, die sich in all der Zeit kein einziges mal verändert hatten, und die somit sämtliche Schüler kannten und geflissentlich ignorierten.
Er war sich nicht sicher, wie viel Zeit vergangen war, Dean hatte das Gefasel des Lehrers und das stetige Ticken der Uhr schon längst ausgeblendet, als er sich dabei erwischte, dass sein Blick nicht mehr auf den Lehrer, sondern schon wieder auf den blöden Ärmel seines nervigen Sitznachbars gerichtet war, an dem sich nun so wie es aussah tatsächlich eine Masche gelöst hatte.
"Hey, du, lass das mal", zischte er leise, damit der liebreizende Professor Alastair nicht bemerkte, dass er redete. Als von dem Jungen neben ihm keine Reaktion kam, runzelte er die Stirn, "Hör mal auf damit", wies er ihn etwas lauter an.
Castiel sah mit ernsthaft verwirrtem Blick zu ihm auf, sagte jedoch kein Wort, und hörte auch nicht damit auf, beständig seinen Pullover aufzudröseln.
"Damit", Dean wies auf den Ärmel, "Und damit", er deutete auf Castiels wippenden Fuß.
Der Junge nickte stumm und hielt die Hände und Füße still, den Blick nun wieder aus dem Fenster gerichtet.
Zufrieden nickte Dean und schloss die Augen, genoss den Moment der Ruhe den er sich geschaffen hatte. Einige Sekunden, vielleicht auch Minuten verstrichen, dann hörte er es wieder.
-tap-tap-tap-
Verärgert fuhr Dean erneut zu Castiel herum, der allen Ernstes erneut begonnen hatte, mit dem Fuß zu wippen und ein kurzer Blick bestätigte ihn in der Vermutung, dass auch der dunkle Pulli wieder dran glauben musste.
"Lass das jetzt endlich", fuhr er den dunkelhaarigen Jungen nun ernsthaft aggressiv an, woraufhin er wieder nur groß angestarrt wurde. Der Kerl sah aus wie ein verwirrtes Reh.
"Du reißt mich damit aus meiner Konzentration."
Castiel legte den Kopf schief und sah ihn ausdruckslos an. "Du bist konzentriert? Auf was? Darauf, einzuschlafen?"
"Ja", bestätigte Dean wenig einfallsreich und ärgerte sich nur wenige Sekunden später über seine mangelnde Eloquenz. Er konnte nicht umhin zu bemerken, dass er Castiel soeben zum ersten mal in all den Jahren hatte sprechen hören, und dass ließ Dean seine eigene wenig schlagfertige Antwort noch lächerlicher erscheinen.
Aber er hatte erreicht, was er hatte erreichen wollen, und das war doch ein Teilerfolg, nicht? Dennoch, bei dem Gedanken, so auch noch einen Großteil seines restlichen Tages und auch die kommenden Tage, Wochen und Monate zu verbringen, hätte er sich am liebsten selbst die Kehle abgeschnürt.
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