06. Dezember
»Pferdeschlitten«
Jimin hatte es geschafft, gleich am zu Anfang einen zermürbenden Hass auf die Skier auszubilden. Anfangs tat er sich unheimlich schwer mit den Bretter an seinen Füßen voranzukommen. Er wäre vielleicht sogar ohne sie schneller gewesen. Letztendlich fügte er sich jedoch wie immer seinem Schicksal und verfluchte es nebenbei ein wenig.
Der Schneepflug, auf dem sie später mitfuhren, unterbrach diese stille Schimpftirade nur vor einen kurzen Augenblick. Ungeachtet Jimins griesgrämigen Blick erzählte Taehyung munter von ihrem weiteren Weg und was er seinen Verwandten alles zu Weihnachten schenken wollte.
Jimin hingegen hatte nicht den blassesten Schimmer, was er kaufen sollte. Normalerweise wurde über das gesamte Jahr hinweg eine digitale Liste zusammengestellt. Alles, was man sich bewusst oder unbewusst gewünscht hatte, wurde darauf vermerkt. Anfang Dezember bekam jeder Bürger eine weitere Liste zugeschickt. Auf ihr stand dann, was man wem schenken sollte. So bekam jeder, was er sich wünscht, das System verdiente gut und alle waren glücklich.
Sich selbst Geschenke auszudenken und sie dann auch noch in richtigen Läden, zu denen man erst einmal kommen musste, zu kaufen, bedeutete nur unnötigen Stress. Jimin zweifelte mittlerweile an sich selbst, weil er Taehyung erst darauf hingewiesen hatte, dass er dieses Jahr ja gar nicht an Geschenke kam.
Nach einer weiteren Stunde strengen Fußmarschs, in der Jimin sich sicher war, dass seine Nase und Ohren schon längst hätten abgefroren sein müssen, blieb Taehyung endlich stehen. Die beiden Freunde hatten noch keinen einzigen Schritt aus der Metropole gemacht. Die Stadt war so riesig, dass man sicher Wochen brauchte, um zu Fuß von einer Seite zur anderen zu gelangen. Die ganze Zeit über hatte Jimin sehnsüchtig durch die großen Fenster der Cafés geschaut und war dementsprechend erleichtert, als Taehyung auf eine der gläsernen Türen zuging.
Als sie eintraten, umhüllte sie die warme Luft wie eine weiche Decke und Jimin entschloss sich, hier nicht so schnell wieder zu verschwinden. Die unechte Kerze in einem Gesteck aus ebenso unechten Tannenzweigen flackerte, als sie sich auf den bequemen Stühlen niederließen. Jimin studierte das Angebot und war sich sicher im Himmel gelandet zu sein. Das hier war tausendmal besser als dieses finstere Loch von Pub, in das Taehyung ihn heute Mittag geschleppt hatte.
Die Freunde tippten ihre Bestellungen in den Bildschirm ein, der vor ihnen aus der Tischplatte erschienen war. Das Café musste die Notstromversorgung dafür nutzen. Kalter Wind ließ sie frösteln, als die gläserne Tür erneut aufschwang.
Ein alter Mann mit langem weißen Bart, eingehüllt in die dickste Jacke, die sie je gesehen hatten, und einen Schal, der der Jacke in nichts nachstand, betrat den hellen Raum und klopfte sich einzelne Schneeflocken von den Schultern. Mit einem Schnaufen ließ er sich an dem Tisch neben den beiden Moderatoren nieder.
Taehyung beachtete ihn nicht weiter und auch Jimin wandte sich von ihm ab, als sein Freund wieder die alte Karte auf dem Tisch ausbreitete. Ein kleiner Roboter brachte ihnen ihre heißen Getränke, die Taehyung aber beiseite schob, um Jimin sein weiteres Vorhaben auf das Genaueste zu erläutern.
Er tippte mit einem, vor Kälte immer noch geröteten Finger, auf einen winzigen Fleck, der sich als das Café herausstellte, in dem sie gerade gemütlich saßen.
"Hier sind wir", sagte er und fuhr mit dem Finger weiter auf die Stadtgrenze zu, die nicht mehr allzu weit entfernt zu sein schien. "Und in diese Richtung müssen wir. Mit den Skiern dauert es vielleicht noch drei Tage bis zum Einkaufszentrum."
"Oh nein. Ich werde sicher nicht noch drei weitere Tage auf diesen gottverdammten Brettern durch den Schnee schlittern und mir dabei sämtliche Finger abfrieren!", sträubte sich Jimin. Taehyung bedachte ihn mit einem wehleidigen Blick seiner großen dunklen Augen. "Aber, Jiminie. Es ist wirklich nicht mehr weit und außerdem kannst du sowieso nicht mehr in deine Wohnung und ich nicht in meine."
Stur nahm Jimin die warme Tasse in seine frostigen Hände. "Dann suche ich mir eben ein Hotel. Mir egal."
"Bitte, Jiminie", bettelte sein Gegenüber weiter. "Stell dir nur mal vor, wie weit wir hätten gehen müssen, wenn wir nicht so nah an der Grenze der Metropole wohnen würden. Außerdem kommst du gar nicht anders an Geschenke."
Jimin seufzte resigniert. Da hatte er allerdings Recht. "Mir ist das aber eigentlich viel zu anstrengend. Da würde ich sogar lieber Überstunden in der dämlichen Talkshow machen."
Taehyungs trauriger Blick steigerte sich ins Unendliche. Nicht mehr lange und Jimin würde einknicken. Dann würde er sich doch tatsächlich die Zehen abfrieren, nur damit er das gewohnte Grinsen im Gesicht seines einzigen Freundes wieder sehen konnte.
Doch da wurde Jimin plötzlich vor solch einer Entscheidung bewahrt. Neben den Freunden räusperte sich jemand. Es war der alte, graue Mann, der sich ihnen zugewandt hatte.
"Ihr wollt ins Einkaufszentrum? Ihr habt Glück. Ich kann euch ein Stück mitnehmen, wenn ihr wollt."
Augenblicklich hob sich Jimins Laune. Etwa mit einem Auto? Wo es warm war und man sich nicht anstrengen musste, um vorwärts zu kommen? Auch Taehyung schien diese Frage zu beschäftigen. Doch sie mussten sie gar nicht erst stellen. Der Mann antwortete ihnen auch so.
"Draußen steht mein Pferdeschlitten."
°°°
-Joiy
Euch allen einen schönen Nikolaustag! Hattet ihr auch eure Schuhe ordentlich geputzt?
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