Kapitel 24
"Wir sind hier in einer von Poes Geschichten, wie du sicher weißt. Normalerweise schreibt er Krimis, doch etwas hat sich offensichtlich geändert", erklärte mir Ranpo in einer kurzen Verschnaufpause. "Es ist mehr ein Horror Thriller geworden meinst du?" Er nickte ernst und sah um die Ecke. Zuvor hatte ich erfahren, dass zu Beginn noch hundert Leute hier waren. Die Anzahl hat sich auf ein Drittel minimiert. Wenn niemand hinsah, verschwand jemand. "Meine Fähigkeit funktioniert in seinen Büchern nicht. Keine Fähigkeit tut das. Hier sind wir in einer ganz anderen Welt." Als ob ich das nicht schon längst wüsste. Ranpos Griff, der immer noch um mein Handgelenk lag, schmerzte allmählich. Unbewusst drückte er zu.
"Weiche nicht von meiner Seite. Beim letzten Mal ist Yosano gestorben, als ich hier war. Ich möchte nicht ein weiteres Mal versagen." Er wurde immer leiser, als Schritte in den Gängen wiederhallten. "Dieses Mal muss ich keinen Mord aufklären. Es gilt, einen Weg herauszufinden", flüsterte er, dicht an meinem Ohr. Poe würde doch sicher keine Welt erschaffen, in der man tatsächlich sterben konnte und aufhörte in der echten Welt zu existieren?
Er zog mich hinter eine versteckte Wand, die ich so sicher übersehen hätte. Sofort hielt er mir den Mund zu und drängte mich in eine Ecke. Schützend stellte er sich vor mich und lauschte jedem kleinsten Geräusch. Als die Schritte sich von uns entfernten entspannte er sich und entfernte sich, wenn auch nur ein wenig, von mir. Ich zitterte. Es behagte mir nicht, kaum die eigene Hand vor Augen zu sehen. Ranpo Atem streifte mein Gesicht, als er sich leicht zu mir herab beugte. Er versuchte wirklich, möglichst geräuschlos zu sein und mich gleichzeitig über die Sachlage zu informieren. Es war erstaunlich, wie gefasst er bleiben konnte.
"Wir dürfen nicht sterben. Ich kann nicht sagen was passiert, wenn wir beide sterben, ohne das Rätsel zu lösen."
Es war wohl sehr ernst, wenn Ranpo es selbst nicht besser wusste als ich.
"Wir müssen einen Weg nach draußen finden. Auch nach Stunden, konnte ich den Schlüssel nicht finden. Es wird wohl einen anderer Weg sein, der uns hier raus führen soll."
Meine Augen gewöhnten sich, mit jedem weiterem Wimpernschlag, ein bisschen mehr an die Dunkelheit. Seine grünen Iriden sahen mich ernst, aber auch besorgt an.
"Ich zweifle nicht an deiner Fähigkeit. Du brauchst die Brille nicht, um die Lösung zu erkennen. Ich wusste es bereits."
Er riss die Augen auf. Sein Atem stockte, als er mich so überrascht ansah. Er hatte wohl nicht erwartet, dass es doch jemand, außer Yosano, wusste.
"Ranpo, bitte bring uns hier wieder raus, bevor wir erfahren, was passiert, sollten wir in dieser Welt sterben."
Mit einem gequälten Ausdruck in den Augen, umgriff er meine Oberarme.
"Es tut mir leid, dass ich dich da mit reingezogen habe. Das ist nur passiert, weil ich dir Sorgen gemacht habe."
Er senkte den Kopf und ließ mich los, nur um mich dann wieder am Handgelenk weiter durch die Gänge zu führen. Sein Griff war eisern, ließ nicht zu, dass ich mich von ihm löste. Das wollte ich auch gar nicht.
"Gibt es einen Ort, wo du noch nicht gesucht hast?", fragte ich, mit gedämpfter Stimme. "Ich war auf dem Weg in den Keller. Wenn wir dem Gang folgen, dürften wir bald an einer Treppe ankommen. Ich war vorher an einer Stelle, wo ich einen Hohlraum gestellten konnte. Dieser Hohlraum lag im Eingangsbereich."
Er sollte recht behalten. Der Gang war lang und etwas verwinkelt, aber er führte zu einer Treppe. Die Stufen waren unebenmäßig und kaputt, sodass ich, den ganzen Weg nach unten, hinter Ranpo her stolperte.
Laute Schritte näherten sich uns. Offenbar hat unser Verfolger uns aufgespürt. Als Ranpo automatisch schneller lief, verlor ich, auf einer der nächsten Stufen, meinen Halt und stürzte. Ranpo, der sich zur Seite drehte, wurde von mir mitgerissen. In dem schwachen Licht, erkannte ich trotzdem eine dunkle Gestalt, die auf dem Treppenabsatz stand. Gelbe, Katzen hafte, Augen leuchteten in der Dunkelheit und blickten uns nach, während sie immer näher kamen. Zum verschnaufen blieb mir keine Zeit, da mich der Detektiv bereits wieder auf die Beine und hinter sich her zog.
"Was ist das? Das ist doch kein Mensch, oder?"
Ranpo schnalzte, nach einem kurzen Blick nach hinten, mit der Zunge und beschleunigte sein Tempo. Es schien als läge ich mit meinen Vermutungen richtig. Eine weitere Tür lag vor uns die Ranpo, ohne Probleme, aufstoßen konnte. Blindlings lief er weiter, doch da war es schon zu spät. Der Ausgang war, unfairerweise, unter einer Klippe erbaut worden, weswegen wir beide in die Tiefe stürzten. Schreiend klammerte ich mich an Ranpo fest.
"Wir sind wieder zurück."
Mit sanftem Druck versuchte er, meine Umklammerung zu lösen.
Ich wollte nicht.
Dafür saß der Schock noch zu tief.
"Ich habe dein Rätsel auch dieses Mal gelöst. Du wirst besser, aber es dauert noch etwas, bis du besser bist als ich", hörte ich ihn zu Poe sprechen, während ich noch zerstreut auf dem Boden kniete und mich an Ranpos Beine klammerte. Mit einem Ruck zog er mich auf die Beine und schob mich, mit einer Hand auf meinem Rücken, vor sich her. Er wollte so schnell wie ich wieder verschwinden.
"Setz dich!", wies mir Ranpo an und dirigierte mich zu einer Bank im Garten der Bibliothek.
"Du bist zu blass. Wenn ich nicht aufpasse, kippst du mir vielleicht noch um. Sammle dich erst einmal, bevor wir ins Büro gehen." Ich nickte und versuchte mich zu entspannen. Mit meinem Handrücken wischte ich mir die Tränen weg.
"Es tut mir leid, dass ich so schwach bin." Bedrückt senkte ich den Blick zu meinen Füßen.
"Du bist nicht schwach. Obwohl du nicht wissen konntest, was auf dich zukommt, bist du mir gefolgt. Das war nicht schwach", erklärte er mir und legte mir seine warme Hand auf mein grünes, viel zu struppiges, Haar, das mir wirr vom Kopf abstand.
"Ich habe mir wirklich Sorgen um dich gemacht, als du plötzlich weg warst. Wie kam es dazu?"
Er gab ein nachdenkliches Brummen von sich.
"Mehr oder weniger hat er mich entführt. Aus dem Nichts kam er und hat mich in sein Buch gezogen. Wir sind schon eine Ewigkeit Konkurrenten."
Eine Ewigkeit also? Aus seinem Mund klang es, als wäre er ein alter Mann.
"Dir scheint es etwas besser zu gehen. Lass uns ins Büro gehen und einen neuen Fall bearbeiten!" Lächelnd stand er vor mir und streckte mir seine Hand entgegen. Sein Cape flatterte, während es ihm locker über die Schultern hing. Nickend nahm ich seine Hand und stand auf.
"Übrigens habe ich dein Handy gefunden." Verwundert sah er mich an als ich sein Handy, an meinem Zeigefinger baumeln ließ. Sein Anhänger lag um meinen Finger. Eine grüne Murmel, so wie ich sie auch an meinem Handy trug. Seine Wangen färbten sich in ein schwaches rot, als er nach seinem Handy griff und es in seine Tasche steckte. "Hübscher Anhänger übrigens!", grinste ich, wohl wissend, dass dies kein Zufall war.
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